Montag, 28. Januar 2013

Die Volksbefragung und "die Alten"

Der Journalist Peter Rabl hat gestern (27. Jänner 2013) auf Seite 2 des "Kurier" einen Leitartikel veröffentlicht, dessen polemischer Titel "Auf direktem Weg nach Pensionopolis" schon Unerfreuliches ahnen lässt. Die Lektüre (mit der diese Ahnung leider bestätigt wurde) veranlasste mich zu folgendem Brief an Peter Rabl (der hiermit zu einem "offenen" wird):

«Sehr geehrter Herr Rabl,

Ihr Kurier-Artikel vom Sonntag (27. Jänner 2013) ist (gelinde ausgedrückt) undurchdacht, wie es leider dem Stil der österreichischen Boulevard-Medien entspricht.


Sie suggerieren, dass all jene Personen Antidemokraten wären, die bemängeln, dass "die Alten" bei der Volksbefragung darüber entscheiden durften, ob die Jungen weiterhin Wehr- bzw. Zivildienst zu leisten haben ("demokratische Irrwege", Wunsch nach "einer neuen Art des Kurien-Wahlrechts").


Dann machen wir folgendes Gedankenexperiment:

Zur Volksbefragung stünde ein Thema wie:

a) "Sind Sie dafür, dass alle Österreicher/innen über 75 aus ihrer Wohnung in ein (vom Staat einzurichtendes) Seniorenheim übersiedeln müssen?" (etwa, um einen Mangel an Wohnraum zu beheben)

oder

b) "Sind Sie dafür, dass sich alle berufstätigen Frauen ab 30 verpflichtend für 5 Jahre aus dem Berufsleben zurückziehen müssen?" (etwa als arbeitsmarktpolitische Maßnahme)

Und darüber lässt man dann alle Österreicher/innen abstimmen: also im Fall a) auch die Jungen (darunter wohl manche, die dringend eine Wohnung suchen) und im Fall b) auch die Männer (unter diesen sicher auch viele Jobsuchende).

Das wäre gleiches Stimmrecht "für alle und über alles" (wie Sie es in Ihrem Artikel als Inbegriff einer "modernen Demokratie" ansehen).

Fragen Sie sich einmal, ob Volksbefragungen mit den von mir fiktiv genannten Themen aus Ihrer Sicht akzeptabel wären. (Den rechtlichen Aspekt können wir dabei getrost beiseite lassen: Durch die Erhebung in den Verfassungsrang könnte man grundsätzlich eine jede Ungleichbehandlung unanfechtbar machen, wie sich anhand der nur die männlichen Staatsbürger treffenden Wehrpflicht deutlich zeigt.)

Wenn Ihre Antwort nein lauten sollte (was ich zumindest bei Thema b vermute), dann ist Ihre Polemik betreffend "demokratische Irrwege" etc. aus den Angeln gehoben. Argumente für Ihren Standpunkt haben Sie ohnehin keine präsentiert.

Dabei wäre das Kriterium dafür, was guten Gewissens im Rahmen einer Volksbefragung (oder Volksabstimmung) von allen entschieden werden darf und was nicht, relativ einfach:

Über eine konkrete Regelung, die einseitig und ausschließlich einem ganz bestimmten Personenkreis eine Pflicht auferlegt (die noch dazu ebenso gut auch von anderen Bevölkerungsgruppen [mit-]ausgeübt werden könnte etwa Wehrdienst durch Frauen), dürfen nicht alle zu bestimmen haben.

Das unterscheidet die Volksbefragung über die Wehrpflicht etwa von einer solchen über die Inbetriebnahme eines Atomkraftwerks, eine Reform des ORF oder den EU-Beitritt des Landes. Das letzte Beispiel hat vorige Woche der Bundespräsident in einem ZiB-Interview völlig unzutreffend als Vergleich zur Wehrpflichtbefragung herangezogen: Er konnte (oder wollte) den Unterschied zwischen zwei Typen von Fragen nicht erkennen: solche, von denen so gut wie jeder im Land (mehr oder weniger) betroffen ist bzw. die sich auf das Staatsgefüge als Ganzes beziehen; und die zuvor von mir genannten, bei denen die einen (mit) anschaffen, dass einseitig (nur) anderen eine Pflicht auferlegt wird.

So viel zum Thema Volksbefragung. Einen besonders eigenartigen Geschmack bekommt Ihr Artikel dann aber dadurch, dass Sie zwar einerseits den "Alten" das Mitspracherecht über die Wehrpflicht garantiert wissen wollen, aber andererseits über den zunehmenden Einfluss dieser Bevölkerungsgruppe "räsonieren" (um einen von Ihnen verwendeten Ausdruck zu gebrauchen): Mit dem "Schielen auf die wahlentscheidenden Stimmen der Älteren" würden die Parteien notwendige Reformen "etwa im Pensionsbereich" vermeiden. Man müsse die Politiker "dazu zwingen, sich um die Zukunft der Jungen mehr zu kümmern als um eine sichere Gegenwart der Älteren". (Ich hab' mir die Stelle mehrmals angeschaut, weil ich dachte, mich verlesen zu haben!)

Mit anderen Worten: Die sichere Gegenwart der Älteren darf man ruhig aufs Spiel setzen, wenn es den Interessen der Jungen dient? Sie beklagen ja sogar ausdrücklich, dass "der Druck der Älteren für den Ausbau in Gesundheit und Pflege immer stärker (wird)".

So sieht also die "moderne Demokratie" à la Peter Rabl aus: Über das Thema Wehrpflicht mitbestimmen dürfen die Alten zwar; ob jedoch ihre (menschenwürdige) Existenz überhaupt gesichert ist (Voraussetzung dafür sind eben entsprechende Mindestpensionen und das Vorhandensein adäquater Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen!), das ist zweitrangig.

Höchst befremdlich, Ihre Sicht der Dinge.

Mit freundlichen Grüßen,
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