Freitag, 8. Februar 2013

Schlechte Dissertationen – und schlechte Leitartikel

Der deutschen Bildungsministerin (!) Anette Schavan wurde vor wenigen Tagen von der Universität Düsseldorf der Doktortitel aberkannt, den sie vor 33 Jahren erworben hatte. Dieser Umstand veranlasste die stellvertretende Chefredakteurin der Tageszeitung "Kurier", Dr. Marti­na Salomon, gestern zu einem Artikel mit dem Titel "Wer haftet für Wissenschafts-Mist?" (Untertitel: "Eine deutsche Politikerin verliert den Doktortitel, und auch in Österreich sind Plagiatsjäger unterwegs.") Dieser Artikel wiederum veran­lasste mich zu folgendem Brief an seine Verfas­se­rin:

«Sehr geehrte Frau Dr. Salomon,

es verblüfft, mit welcher Verve gerade Sie sich für Personen einsetzen, die mit Plagiats­vorwürfen konfrontiert sind (Leitartikel im "Kurier" vom 7. Februar 2013). Üblicherweise überschlagen Sie sich ja geradezu mit Forderungen nach höherer Leistung, besserer Qualifikation und mehr Bildung (vorausgesetzt, dass es der Wirtschaft nützt).

Sehen wir uns Ihre Argumente für Ihre Milde in Plagiatsfragen näher an:

• Beginnen wir mit der einzigen Überlegung, der ich zustimme: In der Tat trifft auch die jeweiligen Begutachter bzw. Betreuer der betroffenen Dissertationen und Diplomarbei­ten eine Verantwortung. Aber warum sollte das in irgendeiner Weise die Schuld dessen mildern, der das Plagiat fabriziert hat?

• Anschließend präsentieren Sie einen absurden Vergleich mit den heute üblichen Auf­nahmetests an Medizin-Unis.
* Diese dienen aber – wie schon der Name sagt – dazu, die Eignung für ein geplantes Studium festzustellen. Logische Konsequenz: Wer dieses Studium ohnehin (ordnungsgemäß) absolviert hat, der hat diese Eignung in der Praxis unter Beweis gestellt. Ob er den Aufnahmetest nachträglich bestehen würde oder nicht, ist daher irrelevant. Eine Dissertation bzw. Diplomarbeit ist hingegen Voraussetzung für den Abschluss eines Studiums bzw. die Erlangung eines akademischen Grades. Sie vergleichen also – völlig unlogisch – Äpfel mit Birnen.

    *) [Anm.: Salomon schreibt:
    "Man kann an die Geschichte nie die Normen von heute anlegen, denn  
    dann müssten auch alle in Österreich praktizierenden Ärzte zum jetzt    
    üblichen, selektiven Aufnahme­test für die Med-Uni antreten. Wer ihn nicht   
    besteht – also möglicherweise die Mehrheit – darf keine Patienten mehr    
    behandeln, oder?"]

• Dann wird es besonders haarsträubend, wenn Sie schreiben: "Heute, wo 'copy and paste' so einfach ist, überwacht man Plagiate zu Recht härter. Vor 30 Jahren war es hingegen …" Der Unrechtsgehalt des Plagiierens besteht darin, dass jemand fremde geistige Leistung als seine eigene ausgibt. Dazu spielt es keine Rolle, ob ich dafür in Bibliotheken stöbern und Buchseiten abschreiben (bzw. sie an einem Kopiergerät ab­lichten) musste, oder ob ich es heute mittels Google und "copy and paste" bewerkstelli­gen kann. Dass ein Plagiat vor 30 Jahren mühsamer zu erstellen war als heute, kann doch keinen Bonus für seinen Verfasser darstellen. Und ebenso: Dass Plagiate heute einfacher zu erkennen sind als früher, kann kein Argument dafür sein, an ältere Arbei­ten einen milderen Maßstab anzulegen. Bessere Aufklärungsmethoden vermindern nicht den Unrechtsgehalt einer (früheren) Handlung.

• Und was war vor 30 Jahren – Ihrer Ansicht nach? Da sei es "bei geisteswissenschaftl­ichen Arbeiten üblich (gewesen), einen Sukkus aus möglichst viel Literatur zu ziehen. Zu viele eigene Gedanken zu entwickeln, war als unwissenschaftlich verpönt." Es liegt nahe, das mit Sarkasmus darüber zu kommentieren, wie dann wohl Ihre eigene Disser­tation beschaffen sein muss (wo Sie laut Wikipedia 1986 zum Doktor der Philosophie promoviert haben). Aber auch wenn man sich das verkneift, bleibt noch genug an Kritik übrig: Einen Sukkus aus Literatur zu ziehen, ist nicht gleichbedeutend mit dem Ver­schwei­gen dieser Literatur (wie es für ein Plagiat typisch ist). Und wenn es damals angeblich "als unwissenschaftlich verpönt" gewesen sein soll, viele eigene Gedanken zu entwickeln (wie Sie kühn behaupten), dann wäre das ja eigentlich erst recht ein Motiv dafür gewesen, fremdes Gedankengut in der Dissertation oder Diplomarbeit ausdrücklich als solches zu deklarieren – um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, den eigenen Gedanken zu sehr freien Lauf gelassen zu haben. Ihre Behauptung über die angeblichen akademischen Gepflogenheiten vor 30 Jahren ist also nicht nur inhaltlich zweifelhaft; sie ist auch nicht schlüssig, soweit Sie damit die Verfasser/innen von Pla­giaten entlasten wollen.

• Am Ende Ihres Artikels kommt dann der Vergleich mit den Verjäh­rungs­fristen bei Verbrechen.
** Auch der ist natürlich unzutreffend: Bei der Verjährung von Verbrechen geht es darum, dass nach einem gewissen Zeitablauf eine Strafe nicht mehr verhängt werden darf. Die Aberkennung eines Doktortitels ist aber keine Strafe, sondern die logische Konsequenz der nachträglichen Erkenntnis, dass die für seine Erlangung erforderliche Leistung nicht erbracht worden war, also die Qualifikation für das Führen dieses Titels fehlt. Entgegen dem, was Ihnen in diesem Zusammenhang offenbar vorschwebt, lassen sich akademische Titel nicht durch Zeitablauf quasi ersitzen.

    **) [Anm.: Salomon schreibt:
    "Aber selbst bei Verbrechen gibt es mit gutem Grund eine Verjährungsfrist. 

    Warum sollte die nicht auch für jahrzehntealte Dissertationen gelten?"]

"Wer haftet für Wissenschafts-Mist?" fragen Sie im Titel Ihres Leitartikels. "Wer haftet für journalistischen Mist?" frage ich mich nach der Lektüre mancher Zeitungskommentare.

Mit freundlichen Grüßen,
....»