Zuweilen ist es schon ein einziger Satz, in dem sich der rein
manipulative Charakter dessen manifestiert, was sogenannte "unabhängige"
Medien ihrem arglosen Publikum vorsetzen.
Im gestrigen
"Kurier" (27. April 2014) verfasste der Chefredakteur der Zeitung,
Helmut Brandstätter, einen Leitartikel (übrigens unter dem polemischen
Titel "Der Staat hat zu viel Geld"). Inhaltlich
handelt es sich dabei um die im "Kurier" (und anderen gleichartig
ausgerichteten Medien) übliche Litanei über den schlecht geführten und
schlecht wirtschaftenden Staat, dessen Bürokratisierung, die fehlende
Transparenz hinsichtlich der öffentlichen Ausgaben, die mangelnde
Zukunftsorientierung der Politiker usw.
So weit insgesamt nichts Neues oder Kommentierenswertes.
Mit geht es vielmehr um einen konkreten Satz. Brandstätter schreibt allen Ernstes:
"Im
Gegensatz zu jedem Unternehmen, wo auf die Kosten geachtet und eine
Überschuldung vermieden wird, erhöht der Staat Schulden und Steuern."
Um die Unredlichkeit dieser Aussage zu entlarven, genügen zwei Worte:
"Insolvenzen" und "Preiserhöhungen".
Zur sprachlichen Klarstellung sei nebenbei angemerkt: Mit "jedem Unternehmen" meint Brandstätter die Unternehmen schlechthin. Sonst hätte er schreiben müssen: "Im Gegensatz zu solchen (oder: zu jenen) Unternehmen, wo …".
Und dass er die Unternehmen generell meint, ergibt sich auch aus einem
nachfolgenden Satz, in dem er sie undifferenziert als Vorbild für den
Staat hinstellt ("Man kann einen Staat nicht wie ein Unternehmen führen, aber lernen darf man schon etwas.").
Eigentlich könnte ich an dieser Stelle aufhören zu schreiben. Aber zur Illustration sei hinzugefügt:
Jedes Unternehmen vermeidet also die Überschuldung? Da fällt mir
der offene Brief eines bis vor kurzem vielbewunderten Unternehmers ein –
des Gründers und damaligen Chefs der Computerhandelskette "DiTech",
Damian Izdebski. Er schrieb Anfang März:
"Ich habe
Fehler gemacht: Ich habe mich vom Erfolg des DiTech-Konzeptes und dem
damit einhergehenden Wachstum blenden lassen und unterschätzt wie
wichtig es ist, dieses enorme Wachstum nachhaltig finanziell
abzusichern."
[nachzulesen etwa hier: http://derstandard.at/1395364141627/DiTech-Sanierung-gescheitert (aufgerufen am 28.4.2014)]
Ungefähr einen Monat später wurde über das Unternehmen das
Konkursverfahren eröffnet. Auf der Homepage des Kreditschutzverbandes
von 1870 heißt es dazu unter Anderem:
"Der Schuldenstand
wird seitens des Unternehmens im Insolvenzantrag mit EUR 30 Mio.
angegeben. Davon belaufen sich rd. EUR 9 Mio. auf Lieferanten und rd.
14 Mio. auf Verbindlichkeiten der Banken.
Demgegenüber sollen
Aktiva im Wert von rd. EUR 16 Mio. stehen. Ein Teil dieses
Aktivvermögens steht jedenfalls im Fremdeigentum bzw. ist mit Ab- oder
Aussonderungsrechten belastet."
[Quelle: https://www.ksv.at/computerhaendler-ditech-gmbh-insolvent (aufgerufen am 28.4.2014)]
Auch zahlreiche andere Insolvenzen der letzten Zeit werden Herrn
Brandstätter nicht entgangen sein (Baufirma Alpine, Drogeriekette Dayli,
Elektronikkette Niedermeyer usw.).
Aber was soll schon die Realität in einem propagandistischen Leitartikel? Unternehmen vermeiden eine Überschuldung. Punktum.
Und da wären dann noch die Steuererhöhungen, die der böse Staat der
Bevölkerung (und den Betrieben) zumutet. Auch das (laut Brandstätter) "(i)m Gegensatz zu jedem Unternehmen".
Was er dabei geflissentlich verschweigt: das Äquivalent zu den
Steuern (bzw. sonstigen Abgaben) als Einnahmequelle der öffentlichen
Hand sind bei den Unternehmen die Entgelte, die sie für ihre Leistungen
verlangen. Und vom Lebensmittelhändler bis zum Internetprovider, von
der Bank bis zum Zeitungsverlag erhöht jedes Unternehmen die Preise,
wenn es ihm notwendig (oder sonstwie zweckmäßig) erscheint. Nicht
anders als der Staat die Abgaben.
Wenn Brandstätter Staat
und Privat vergleicht, dann sollte er das also konsequent tun und nicht
Komponenten willkürlich unter den Tisch fallen lassen, weil sie nicht
in sein propagandistisches Konzept passen.
Und wofür
Unternehmen ihre Einnahmen so verwenden, lässt sich beispielhaft aus
einem anderen Artikel des "Kurier" ableiten, der zufällig nur drei Tage
zuvor (am 24. April 2014) im "Business"-Teil der Zeitung zu lesen war.
Es handelt sich um ein Interview mit Monique Dekker, der Direktorin
eines neuen Wiener Luxushotels, des "Park Hyatt Vienna". Auf die Frage,
ob sie (in Anbetracht des Überangebots an Luxushotelbetten in Wien)
keine Angst vor einem Preiskampf habe, meinte die Dame:
"Luxushotels
wie das Sacher oder das Imperial haben sich ihren Ruf über viele Jahre
aufgebaut und sie werden die Preise auf dem Niveau halten. Wenn sie
Zimmer um unter 300 Euro anbieten würden, würden die Kunden das nicht
gerne sehen und nicht verstehen."
Die Preise im eigenen Haus beschreibt die Hoteldirektorin so:
"Wir
fangen mit einer Einführungsrate an: Die ersten drei Monate kostet ein
Standard-Zimmer 375 Euro. Danach werden wir den Preis auf das Niveau
anheben, das die Lage und das Hotel verlangen kann."
Im Übrigen seien die Zimmer im New Yorker Hotel des Hyatt-Konzerns viel teurer als im künftigen Wiener Haus:
"Die Preise im New Yorker Park Hyatt beginnen bei 795 $ für ein Standard Zimmer."
Begleitend zu dem Interview gibt es in derselben Ausgabe des
"Kurier" eine Glosse des Wirtschaftsredakteurs Robert Kleedorfer. Er
beschreibt dort anschaulich, wie schlimm die Einschränkungen in Zeiten
der Krise für die bedauernswerten Manager sind:
"In
wirtschaftlich schwierigen Zeiten, in denen Konzerne an allen Ecken und
Enden sparen, müssen sich Manager auf Auslandsreisen oft mit
bestenfalls vier Sternen abfinden."
Und damit sind wir auch wieder beim Leitartikel Herrn Brandstätters: In jedem Unternehmen werde "auf die Kosten geachtet",
behauptet er. Sein Kollege Kleedorfer hat klargestellt, was das
praktisch heißt: Statt des üblichen Fünfstern-Hotels können die Bonzen
derzeit "oft" bloß in einem Haus "mit bestenfalls vier Sternen"
residieren. Aber natürlich nur so lange, bis die Krise ausgestanden ist.
Danach gehen sich auch locker wieder die Fünfstern-Unterkünfte aus.