Was
ich (als um Rationalität zumindest bemühter) Mensch immer wieder
unterschätze, ist die Wirksamkeit folgender Taktik (bzw. Finte): Man
muss der breiten Bevölkerung nur immer wieder hartnäckig dieselben
Behauptungen oder Ideen vorsetzen – irgendwann wird sie an das glauben,
was man ihr präsentiert. Mit diesem Mittel arbeiten Diktaturen ebenso
wie die Machtträger in unserer angeblich freien Gesellschaft: nämlich in
erster Linie Unternehmen (via Werbung und Public Relations) und der
Boulevardjournalismus – hinter dem natürlich letztlich auch nichts
Anderes als (Medien-)Unternehmen stehen; das monotone mediale
Wiederkäuen der Behauptung, es handle sich um "unabhängigen
Journalismus", ist gleich ein erstes Beispiel für die eingangs erwähnte
Taktik des "Steter Tropfen höhlt den Stein".
Ein weiteres schönes Beispiel liefert der Artikel der
stellvertretenden Kurier-Chefredakteurin Martina Salomon in ihrer
Kolumne "Salomonisch" am vergangenen Samstag (28. Juni 2014) (Seite 9). Er trägt den Titel "Mit 60 Jahren, da fängt das Leben an – in Pension".
Inhaltlich wärmt Salomon im Prinzip genau das auf, was sie bereits in
einem Leitartikel am 7. September 2013 propagandistisch unters Volk
gebracht hat. Darauf habe ich zwei Tage später ausführlich in einem
Blog-Eintrag repliziert ("Von der Wiege bis zur Bahre…").
Was in meinem verlinkten Blog-Artikel steht, könnte ich eins zu eins
auf Salomons journalistische Weisheiten vom Samstag übertragen. Aber
da ich – im Gegensatz zu Frau Dr. Salomon – kein "unabhängiger" (und
erst recht kein abhängiger) Journalist bin, habe ich es nicht nötig,
x-mal dasselbe zu schreiben, um die Gehirnwäsche bei Leserinnen und
Lesern voranzutreiben.
Daher seien nur ein paar delikate Details aus dem aktuellen Artikel herausgegriffen und kommentiert.
Die Überlegungen Salomons zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmer sehen unter Anderem folgendermaßen aus:
Zunächst schreibt sie:
"Theoretisch
sollten Firmen nicht auf Wissen und Begabungen Älterer verzichten.
Praktisch kriegt die Geschäftsführung einen Bonus, je mehr teure Ältere
sie los wird."
Als Kritik Salomons an der Existenz dieser Boni ist das allerdings kaum zu aufzufassen. "Teuer" sind sie, die Älteren; darin liegt das Problem.
Was in dem Satz durchschimmert, ist die Botschaft: "Die älteren
Beschäftigten sind für ein Unternehmen eine Last, weil sie zu viel
kosten. Wäre doch schön, deren 'Wissen und Begabungen' voll ausnützen
zu können, ohne sie dafür viel besser als die jüngeren bezahlen zu
müssen." So – und nicht anders – ist Salomons Bezugnahme auf den Bonus,
den die Geschäftsführung erhält, zu interpretieren. Das entspricht
dann nämlich exakt der gängigen These der Technokraten, wonach eine
Abflachung der Gehaltskurve mit steigendem Alter wünschenswert sei.
So fügt sich der Satz über die Boni auch zu dem, was Salomon einige Zeilen weiter meint:
"Erhöhter Kündigungsschutz Älterer? Weg damit! So schwächt man Wiedereinstiegs-Chancen."
Wenn man die beiden Textstellen in Kombination betrachtet und ihr
journalistisches Newspeak entschlüsselt, ergibt sich folgende
Konsequenz: Ein Unternehmen soll von "Wissen und Begabungen" der
Älteren gleichsam zum Diskontpreis profitieren können. Aber wenn
(auch) das nicht mehr opportun ist, soll man die Betreffenden doch
gefälligst kurzerhand feuern dürfen. Eine Zahnpastatube wirft man ja
schließlich ebenfalls weg, nachdem man sie vollständig ausgequetscht
hat.
Und einmal mehr tarnt sich neoliberale
Menschenverachtung hinter geheuchelter Sorge um die Betroffenen: Durch
erhöhten Kündigungsschutz schwäche man (laut Salomon)
Wiedereinstiegs-Chancen. Das halte ich gleich in zweierlei Hinsicht für
ein fadenscheiniges Argument:
Wer vor Kündigung (besser)
geschützt ist, für den ist es auch weniger wahrscheinlich, dass er auf
die Straße gesetzt wird (= werden kann) und deshalb eine
Wiedereinstiegs-Chance benötigt. Der zweite Aspekt: Es ist paradox, dass
bereits vor der etwaigen Anstellung eines älteren Menschen schon
wieder darauf geschielt wird, wie man ihn "im Bedarfsfall" möglichst
leicht wieder loswerden kann. So nach dem Motto: "Sei froh, dass dich
in deinem Alter überhaupt noch eine Firma nimmt. Dafür hast du
gefälligst das Prinzip des knallharten 'hire and fire' zu akzeptieren."
Übrig bleibt also bei der zackigen Salomon'schen Parole des "Weg
damit!" wieder ein handfester Nutzen für die Arbeitgeber und eine
weitere Schwächung der Position von Lohnabhängigen.
Und
dann wird in dem Artikel natürlich auch wieder dagegen Stimmung
gemacht, dass der Ruhestand tatsächlich mit Ruhe verbunden ist.
Schließlich kostet das ja etwas in Form von Pensionszahlungen an die
Müßiggänger/innen. Also muss eine Art Beschäftigungspolitik für
Senioren entwickelt werden, um diese auf Trab zu bringen (bzw. besser
gesagt: zu halten). In ihrem Artikel vom 7. September fand Salomon
diesbezüglich an folgendem eigenartigen Modell Gefallen:
"Der deutsche Versandhändler «Otto» hat einen Pool von Pensionisten, die bei Bedarf eingesetzt werden."
In der Kolumne vom vergangenen Samstag kommt es noch perfider. Salomon propagiert eine Art Zivildienst für Senioren:
"Wer im Ruhestand gemeinnützige Arbeit leistet, könnte einen Pensionsbonus bekommen."
Man beachte, wie es den Neoliberalen mit solchen Ideen gelingt,
gleich mehrere, ja geradezu alle Fliegen mit einer Klappe zu schlagen:
- Die staatliche Grundpension kann auf ein Minimum reduziert werden
(unter Umständen so weit, dass sie tatsächlich nicht mehr zum Leben
reicht). Wer mehr will (oder braucht), der muss eben gemeinnützige
Arbeit leisten. Dafür gibt es dann als Belohnung eine Draufgabe zur
kümmerlichen Basispension.
- Der Staat bzw. sonstige
öffentliche Einrichtungen entledigen sich noch mehr als bisher der
"Last" der Finanzierung kommunaler bzw. sozialer Aufgaben, indem man die
zugehörigen Tätigkeiten von Menschen ausüben lässt, die man dazu
zwingt (und sie dafür mit einem Almosen abspeist): durch direkten Zwang
die Wehr- und Zivildiener; und durch indirekten Zwang die Menschen ab
65 (oder gar erst später), die unmittelbar nach ihrer Erwerbstätigkeit
die gemeinnützige Arbeit in Angriff nehmen (müssen) – nicht, weil sie
das Bedürfnis dazu hätten (wer es aus Überzeugung macht, der tut es
wohl auch jetzt schon, ohne "Pensionsbonus"), sondern weil sie auf das
Bonus-Almosen (sei es auch noch so mickrig) angewiesen sind.
- Die öffentliche Hand spart also Geld. Die Steuern können somit
gesenkt und die Reichen noch reicher werden; und die Großvermögen (die
selbstverständlich weiterhin unbesteuert zu bleiben haben) können
auch in Zukunft ungehindert wachsen.
Wie (gleichzeitig)
blöd und egoistisch muss eine Gesellschaft (nämlich die
westlich-kapitalistische) doch sein, dass sie gegen all diese
Unfreiheit, Ungleichheit und Menschenverachtung nicht aufbegehrt!
In einem einzigen Satz von Salomons Kolumne steckt Wahrheit:
"Arbeitnehmer haben nach spätestens 30 Jahren in einem unglamourösen Job ohnehin die Nase voll."
So wird es wohl meistens sein. Erstaunlich, dass ihr diese Einsicht
in den Text hineingerutscht ist. (Aber einige Zeilen später wird es
ohnehin schon wieder ins Gegenteil verdreht – siehe dazu unten.)
Nebenbei ganz amüsant ist Salomons weitere Feststellung:
"Sitzen sie [= die bisherigen Arbeitnehmer] dann endlich daheim, sind sie aber auch nicht zufrieden und schimpfen gern auf die Politik."
Sehen wir davon ab, dass schon die Aussage dieses Satzes als solche
ziemlich jenseitig ist. (Unterstellt wird damit, dass die Pensionisten
nichts Anderes tun, als griesgrämig zu Hause zu sitzen. Da könnten sie
in der Salomon'schen Vorstellungswelt doch gleich im "unglamourösen
Job" weiterschuften, anstatt eine Pension zu kassieren.) Kurios ist das
Detail mit dem Schimpfen auf die Politik:
Ja was machen
denn die innenpolitischen Kommentatoren der Boulevardmedien? Genau das!
Es gibt doch so gut wie keinen Artikel dieser Zunft, in dem nicht auf
die Politik geschimpft wird. Der Unterschied: die Journalisten werden
dafür gut bezahlt; die Pensionisten machen es im stillen Kämmerlein
oder am Stammtisch. Das Niveau der Äußerungen ist bei beiden
Personengruppen gleich niedrig.
Am Schluss ihres Artikels schwingt sich Salomon wieder zum gewohnten neoliberalen Newspeak auf und schreibt:
"Arbeit ist nicht nur Leid, das vom wahren Leben abhält. Macht der Job Spaß, kann man ihn lange ausüben."
Zwar zeichnet die von Salomon selbst nur wenige Zeilen zuvor
angesprochene Erfahrung zahlreicher Arbeitnehmer mit "unglamourösen
Jobs" ein anderes Bild, aber bitte …
Fast schon grotesk wird
Salomon mit jenem Beispiel, das sie als Beleg dafür ins Treffen führt,
dass der Job Spaß machen und man ihn dann lange ausüben könne:
"Uropa
Mick Jagger wird sicher noch bei einem weiteren allerletzten
Abschiedskonzert das Stadion rocken. Pension kann nämlich ganz schön fad
sein."
Und Zeitungsartikel können ganz schön blöd sein.
Einen
Künstler (also den Angehörigen einer schon mal von Haus aus höchst
untypischen Berufsgruppe) und dann noch dazu einen sogenannten
"Weltstar" (also einen ganz besonders Untypischen unter den ohnedies
schon Untypischen) als Vorbild und Vergleichsmaßstab für
hunderttausende (künftige) ASVG-Pensionist/innen bzw. für
Bauarbeiter, Straßenbahnfahrer, Supermarkt-Mitarbeiter oder
meinetwegen auch Filialleiter, Bankangestellte und Oberbuchhalter
(beiderlei Geschlechts) zu präsentieren (sei es auch nur als lockere
Schlussbemerkung) – das ist ebenso absurd und lächerlich wie zynisch.
Da fehlen mir weitere (veröffentlichungstaugliche) Worte.