Im ersten Teil habe ich anhand eines "Kurier"-Leitartikels erörtert,
wie und mit welchen Absichten ein kapitalistisches Propagandamedium den
Begriff Freiheit in eine bestimmte Richtung hinzubiegen versucht: Freiheit – für wen und wovon? (Teil 1)
Als Kontrapunkt zur Gehirnwäsche der Tagespresse sollen hier jetzt
in Form von Zitaten einige Personen zu Wort kommen, die in den
Massenmedien nur selten oder gar nicht in Erscheinung treten. Dennoch –
oder wahrscheinlich gerade deswegen – sind ihre Positionen so
zutreffend:
Dass "liberal" und "wirtschaftsliberal" zwei verschiedene Dinge sind, legt der Grazer Universitätsprofessor für Soziologie Manfred Prisching folgendermaßen dar (Prisching: Die zweidimensionale Gesellschaft, 2. Aufl., 2009, Seite 296):
"Eine
liberale Gesellschaft war immer etwas anderes als eine
wirtschaftsliberale Gesellschaft. Die liberale Gesellschaft hat die
Freiheitsrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger gesichert, gegenüber allen
gesellschaftlichen Mächten, vorzugsweise auch gegenüber dem Staat
selbst. Eine wirtschaftsliberale Gesellschaft, die alle Lebensbereiche
nach Prinzipien marktförmiger Freiheiten und konsumistischer
Maximierungspostulate sieht, sichert eben nichts anderes als
Marktfreiheit. Das ist etwas anderes als ein Wirtschaftsleben, dem
durch einen ordnenden und regulierenden, starken, aber zurückhaltenden
Staat klare Grenzen gesetzt sind. Man muss den Staat nicht hegelianisch
deklinieren, um sich darüber klar zu werden, dass in ihm dem Einzelnen
das Gemeinwohl als äußere Macht entgegentritt:"
Unmittelbar im Anschluss an diese Feststellungen zitiert Prisching folgenden Auszug aus dem Buch "Die neuen Staatsfeinde" von Jan Roß (Seite 131 f.):
"Freiheit
hat nie bedeutet, dass möglichst viel erlaubt ist. Freiheit heißt,
dass den herrschenden Mächten einer Zeit Räume abgetrotzt werden, in
die sie nicht eindringen dürfen, dass es etwas Unverfügbares gibt. […]
Wer den Staat als Gefahr für die Freiheit ansieht und darum
zurückdrängen will, sucht den Feind längst an der falschen Front."
(Insbesondere der letzte Satz ist allen Pseudo- und Neoliberalen ins Stammbuch zu schreiben!)
Robert Kurz übt fundamentale Kritik am Liberalismus und schreibt dazu unter anderem (Kurz: Schwarzbuch Kapitalismus, 4. Aufl., 2005, Seite 38):
"[…]
Um so mehr muß es von Interesse sein, die historischen Wurzeln dieser
marktwirtschaftlichen Ideologie des sogenannten Liberalismus
freizulegen.
Schon der Name ist nicht allein irreführend,
sondern geradezu eine perfide Verdrehung. Denn diejenige Betätigung und
Mentalität, die bis dahin bei allen Völkern und Zeiten als eine der
niedrigsten und verächtlichsten gegolten hatte, nämlich die Verwandlung
von Geld in mehr Geld als Selbstzweck, die darin eingeschlossene
abhängige Lohnarbeit und damit die unaussprechliche Selbsterniedrigung
des Sichverkaufen-Müssens, wurde zum Inbegriff menschlicher Freiheit
umredigiert. Diese Besudelung des Freiheitsbegriffs, die im Lobpreis
der Selbstprostitution gipfelt, hat die erstaunlichste Karriere in der
Geschichte des menschlichen Denkens gemacht."
Am
10. Juni 2013 wurde auf 3sat eine der seltenen Fernsehsendungen
ausgestrahlt, die sich mit dem Thema grundlegend auseinandersetzen: "Der Preis der Freiheit" (Buch und Regie: Marita Loosen-Fox). Darin kam unter anderem die deutsche Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerin Marianne Gronemeyer mit einigen treffenden Stellungnahmen zu Wort. Sie meint beispielsweise:
- "Erst
wenn wir uns darüber empören würden, über die Freiheitsberaubung, die
mir angetan wird damit, dass ich nur als Konsumentin mein Auskommen
finden kann – wenn mich das verrückt machen würde und ich dagegen
aufbegehren würde, erst dann, glaube ich, hätten wir irgendetwas am
Wickel, was nun wirklich gefährlicher Widerstand sein könnte."
- "«Na
ja, so gut wie heute ist es uns doch noch nie gegangen, Frau
Gronemeyer. Wollen Sie zurück in die Steinzeit?» Das ist die Frage, die
einem sofort entgegenschallt, wenn man diesen Verfeinerungen, der
Raffinierung der Macht, auf die Spur zu kommen sucht. Dann wird man
sofort verdächtigt, man sehne sich sozusagen nach den rohen Zuständen
früherer Epochen. Das ist aber nicht gemeint. Gemeint ist vielmehr, dass
ich überhaupt erst mal wieder ahnen muss, wie viel Freiheitseinbuße
mir zugemutet wird – alleine dadurch, dass ich nur noch Konsumentin
sein kann. Was ja auch immer bedeutet, dass meine Freiheit mir
genommen wird dadurch, dass ich Geld verdienen muss, und dass ich bis
zur totalen Erpressbarkeit in Arbeitsprozesse eingefädelt werde, die
ich schlucken muss, wie sie sind – weil sich dort das, was ich zum
Leben brauche, nämlich Geld, verdienen lässt."
- "Das
ist das Wesen der eleganten Macht: dass diejenigen, die ihr
unterworfen sind, nicht etwa sagen: «Ich ächze unter der Unterdrückung,
die mir tagtäglich auferlegt ist», sondern sagen: «Ich tu' genau das,
was ich will. Das, was ich immer schon wollte, das tu ich. Ich kann
also tun, was meinem Begehren entspricht. Ich hab' Spaß.»
Also die
Vorstellung, dass ich Macht mit der Knute ausübe – der alte Aufseher
im Fabrikgebäude, der mit der Uhr in der Hand und der Peitsche in der
anderen die Leute zur Arbeit gezwungen hat –, das ist vollkommen
kontraproduktiv für die Arbeitsbereitschaft von Menschen. Die
Arbeitsbereitschaft wird enorm erhöht, wenn alle glauben, sie tun genau
das, was sie wollen. Und erst wenn Macht so elegant geworden ist, dann
ist die Fremdbestimmung eigentlich total; denn dann ist der Widerstand
gebrochen."
Ähnlich sieht und formuliert es der aus Spanien stammende, seit Jahrzehnten in Deutschland lebende Sozialphilosoph Heleno Saña in einem seiner zahlreichen wunderbaren Bücher (Saña: Das Elend des Politischen, 1998, Seite 154 f.):
"Die Freiheit, auf die sie [= die Konsumknechte] so
stolz sind, ist eine von oben konzedierte, verwaltete und
kontrollierte Freiheit, die an erster Stelle dem System dient und die
ihnen im Grunde nicht gehört. Denn im Besitz des Systems befinden sich
nicht nur das Geld und sonstige materiellen Güter und Ressourcen,
sondern auch die Freiheit. Marcuse übertreibt keineswegs, wenn er den
eindimensionalen Menschen der hochkapitalistischen Ära als Sklave
bezeichnet […] Sie sind es allein dadurch, daß sie es ohne große
Bauchschmerzen fertigbringen, im Zustand der permanenten
Verdinglichung zu existieren. Und sie können mit dieser Zumutung nur
leben, weil sie sich daran gewöhnt haben, Freiheit mit Konsumfreiheit
gleichzusetzen. Wären sie innerlich frei, würden sie sich weigern, zu
einem Konsumknecht herabgesetzt zu werden, [...]. Gerade weil sie sich
restlos von den Fetischen und Götzen des Systems vereinnahmen
lassen, bedarf es keiner Peitsche mehr, um sie unter Kontrolle zu
halten. Warum Gewalt anwenden, wenn man durch mentale Manipulation
die Möglichkeit hat, die Triebstruktur des Menschen schon «ab ovo»
fehlzuleiten?"
Und schon 1992 schrieb er in einem anderen Buch, bezogen auf die globale Situation (Saña: Das Ende der Gemütlichkeit, Seite 112):
"Niemals
wurde so viel und so oft von Gerechtigkeit und Freiheit gesprochen,
aber niemals hat man auch so viel gelogen wie heute. Siebenundvierzig
Jahre nach der Niederschlagung des Faschismus ist die Menschheit der
Hegemonie einer Minderheit von privilegierten Völkern und
Völkergruppen restlos ausgeliefert. Die Sklaven tragen keine Ketten
mehr, aber sie sind trotzdem Sklaven geblieben. Die Herrschenden
benutzen nur noch selten die Peitsche, aber dennoch haben sie nicht
aufgehört, die Entrechteten und Machtlosen zu unterdrücken und
auszunutzen. Der Feudalismus ist längst abgeschafft, aber dessen
ungeachtet bestimmt das Herr-Knecht-Verhältnis weiterhin die
Beziehungen zwischen den Menschen, den Klassen und den Völkern. Es gibt
deshalb plutokratische Nationen und solche, die zu Parias der
Weltgeschichte degradiert sind."