Donnerstag, 19. Juni 2014

Freiheit – für wen und wovon? (Teil 2 – Gegenpositionen)

Im ersten Teil habe ich anhand eines "Kurier"-Leitartikels erörtert, wie und mit welchen Absichten ein kapitalistisches Propagandamedium den Begriff Freiheit in eine bestimmte Richtung hinzubiegen versucht: Freiheit – für wen und wovon? (Teil 1)

Als Kontrapunkt zur Gehirnwäsche der Tagespresse sollen hier jetzt in Form von Zitaten einige Personen zu Wort kommen, die in den Massenmedien nur selten oder gar nicht in Erscheinung treten. Dennoch – oder wahrscheinlich gerade deswegen – sind ihre Positionen so zutreffend:

Dass "liberal" und "wirtschaftsliberal" zwei verschiedene Dinge sind, legt der Grazer Universitätsprofessor für Soziologie Manfred Prisching folgendermaßen dar (Prisching: Die zweidimensionale Gesellschaft, 2. Aufl., 2009, Seite 296):


"Eine liberale Gesellschaft war immer etwas anderes als eine wirtschaftsliberale Ge­sell­schaft. Die liberale Gesellschaft hat die Freiheitsrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger ge­sichert, gegenüber allen gesellschaftlichen Mächten, vorzugsweise auch gegenüber dem Staat selbst. Eine wirtschaftsliberale Gesellschaft, die alle Lebensbereiche nach Prinzipien marktförmiger Freiheiten und konsumistischer
Maximierungs­postulate sieht, sichert eben nichts anderes als Marktfreiheit. Das ist etwas anderes als ein Wirtschafts­leben, dem durch einen ordnenden und regulierenden, starken, aber zurückhaltenden Staat klare Grenzen gesetzt sind. Man muss den Staat nicht hegelianisch deklinieren, um sich darüber klar zu werden, dass in ihm dem Einzelnen das Gemeinwohl als äuße­re Macht entgegentritt:"
 

Unmittelbar im Anschluss an diese Feststellungen zitiert Prisching folgenden Auszug aus dem Buch "Die neuen Staatsfeinde" von Jan Roß (Seite 131 f.):

"Freiheit hat nie bedeutet, dass möglichst viel erlaubt ist. Freiheit heißt, dass den herrschenden Mächten einer Zeit Räume abgetrotzt werden, in die sie nicht eindringen dürfen, dass es etwas Unverfügbares gibt. […] Wer den Staat als Gefahr für die Freiheit ansieht und darum zurückdrängen will, sucht den Feind längst an der falschen Front."


(Insbesondere der letzte Satz ist allen Pseudo- und Neoliberalen ins Stammbuch zu schreiben!)

Robert Kurz übt fundamentale Kritik am Liberalismus und schreibt dazu unter anderem (Kurz: Schwarzbuch Kapitalismus, 4. Aufl., 2005, Seite 38):


"[…] Um so mehr muß es von Interesse sein, die historischen Wurzeln dieser marktwirt­schaftlichen Ideologie des sogenannten Liberalismus freizulegen.

Schon der Name ist nicht allein irreführend, sondern geradezu eine perfide Verdrehung. Denn diejenige Betätigung und Mentalität, die bis dahin bei allen Völkern und Zeiten als eine der niedrigsten und verächtlichsten gegolten hatte, nämlich die Verwandlung von Geld in mehr Geld als Selbstzweck, die darin eingeschlossene abhängige Lohnarbeit und damit die unaussprechliche Selbsterniedrigung des Sichverkaufen-Müssens, wurde zum Inbegriff menschlicher Freiheit umredigiert. Diese Besudelung des Freiheitsbe­griffs, die im Lobpreis der Selbstprostitution gipfelt, hat die erstaunlichste Karriere in der Geschichte des menschlichen Denkens gemacht." 

 
Am 10. Juni 2013 wurde auf 3sat eine der seltenen Fernsehsendungen ausgestrahlt, die sich mit dem Thema grundlegend auseinandersetzen: "Der Preis der Freiheit" (Buch und Regie: Marita Loosen-Fox). Darin kam unter anderem die deutsche Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerin Marianne Gronemeyer mit einigen treffenden Stellungnahmen zu Wort. Sie meint beispielsweise:


- "Erst wenn wir uns darüber empören würden, über die Freiheitsberaubung, die mir ange­tan wird damit, dass ich nur als Konsumentin mein Auskommen finden kann – wenn mich das verrückt machen würde und ich dagegen aufbegehren würde, erst dann, glaube ich, hätten wir irgendetwas am Wickel, was nun wirklich gefährlicher Wider­stand sein könnte."


- "«Na ja, so gut wie heute ist es uns doch noch nie gegangen, Frau Gronemeyer. Wollen Sie zurück in die Steinzeit?» Das ist die Frage, die einem sofort entgegenschallt, wenn man diesen Verfeinerungen, der Raffinierung der Macht, auf die Spur zu kommen sucht. Dann wird man sofort verdächtigt, man sehne sich sozusagen nach den rohen Zuständen früherer Epochen. Das ist aber nicht gemeint. Gemeint ist vielmehr, dass ich überhaupt erst mal wieder ahnen muss, wie viel Freiheitseinbuße mir zugemutet wird – alleine dadurch, dass ich nur noch Konsumentin sein kann. Was ja auch immer bedeu­tet, dass meine Freiheit mir genommen wird dadurch, dass ich Geld verdienen muss, und dass ich bis zur totalen Erpressbarkeit in Arbeitsprozesse eingefädelt werde, die ich schlucken muss, wie sie sind – weil sich dort das, was ich zum Leben brauche, nämlich Geld, verdienen lässt."


- "Das ist das Wesen der eleganten Macht: dass diejenigen, die ihr unterworfen sind, nicht etwa sagen: «Ich ächze unter der Unterdrückung, die mir tagtäglich auferlegt ist», son­dern sagen: «Ich tu' genau das, was ich will. Das, was ich immer schon wollte, das tu ich. Ich kann also tun, was meinem Begehren entspricht. Ich hab' Spaß.»
Also die Vor­stel­lung, dass ich Macht mit der Knute ausübe – der alte Aufseher im Fabrik­gebäude, der mit der Uhr in der Hand und der Peitsche in der anderen die Leute zur Arbeit gezwun­gen hat –, das ist vollkommen kontraproduktiv für die Arbeitsbereit­schaft von Menschen. Die
Arbeits­bereit­schaft wird enorm erhöht, wenn alle glauben, sie tun genau das, was sie wollen. Und erst wenn Macht so elegant geworden ist, dann ist die Fremdbestimmung eigent­lich total; denn dann ist der Widerstand gebrochen."

Ähnlich sieht und formuliert es der aus Spanien stammende, seit Jahrzehnten in Deutsch­land lebende Sozialphilosoph Heleno Saña in einem seiner zahlreichen wunderbaren Bücher (Saña: Das Elend des Politischen, 1998, Seite 154 f.):

"Die Freiheit, auf die sie [= die Konsumknechte] so stolz sind, ist eine von oben konze­dierte, ver­waltete und kontrollierte Freiheit, die an erster Stelle dem System dient und die ihnen im Grun­de nicht gehört. Denn im Besitz des Systems befinden sich nicht nur das Geld und sonsti­ge ma­teriellen Güter und Ressourcen, sondern auch die Freiheit. Marcuse übertreibt keines­wegs, wenn er den eindimensionalen Menschen der hoch­kapitalistischen Ära als Sklave be­zeichnet […] Sie sind es allein dadurch, daß sie es ohne große Bauchschmerzen fertig­brin­gen, im Zu­stand der permanenten Verding­li­chung zu existieren. Und sie können mit dieser Zu­mutung nur leben, weil sie sich daran gewöhnt haben, Freiheit mit Konsumfreiheit gleich­zuset­zen. Wären sie innerlich frei, wür­den sie sich weigern, zu einem Konsumknecht herabgesetzt zu werden, [...]. Gerade weil sie sich restlos von den Fetischen und Götzen des Systems verein­nah­­men lassen, bedarf es keiner Peitsche mehr, um sie unter Kontrolle zu halten. Warum Ge­walt an­wenden, wenn man durch mentale Manipulation die Möglichkeit hat, die Triebstruktur des Menschen schon «ab ovo» fehlzuleiten?" 

Und schon 1992 schrieb er in einem anderen Buch, bezogen auf die globale Situation (Saña: Das Ende der Gemüt­lichkeit, Seite 112):

"Niemals wurde so viel und so oft von Gerechtigkeit und Freiheit gesprochen, aber nie­mals hat man auch so viel gelogen wie heute. Siebenundvierzig Jahre nach der Nieder­schlagung des Faschismus ist die Menschheit der Hegemonie einer Minderheit von pri­vi­legierten Völkern und Völkergruppen restlos aus­geliefert. Die Sklaven tragen keine Ket­ten mehr, aber sie sind trotzdem Sklaven ge­blieben. Die Herrschenden benutzen nur noch selten die Peitsche, aber dennoch haben sie nicht aufgehört, die Entrechteten und Machtlosen zu unterdrücken und auszunutzen. Der Feudalismus ist längst abge­schafft, aber dessen ungeachtet bestimmt das Herr-Knecht-Verhältnis weiterhin die Be­ziehungen zwischen den Menschen, den Klassen und den Völkern. Es gibt deshalb plu­tokratische Nationen und solche, die zu Parias der Weltgeschichte degradiert sind."