Samstag, 9. August 2014

Österreichs Lady Diana

Am 2. August 2014 starb die Erste Präsidentin des österreichischen Nationalrates (und frühere Frauen­ministerin) Barbara Prammer an der Krebserkrankung, die sie selbst vor einigen Mona­ten öffentlich gemacht hatte.

Wenn man sich die zahlreichen Reaktionen auf ihren Tod ansieht, könnte man ironisch anmerken, dass Österreich seine Lady Diana verloren hat.

Hier einige Beispiele – eine kuriose Ansammlung von Pathos, Lobhudeleien, maßlosen Übertreibun­gen, nichtssagenden Floskeln, Banalitäten und zu Supertugenden hoch­gespielten Selbstver­ständlichkeiten wie "glühende Demokratin" und "integer" (die gar nicht der Erwähnung wert sein sollten, wenn jemand eines der formal höchsten Ämter im Staat bekleidet hat): 

1.
Gestern (8. August 2014) berichtete die "Zeit im Bild 2" darüber, dass der Sarg (vor der heute stattfindenden offiziellen Trauerfeier) zwei Tage im Parlament aufgebahrt war. "Tausende Menschen" hätten laut Moderator "bisher von Barbara Prammer Abschied genom­men" (in der ORF TVthek ist von "mehr als 5000 Menschen" die Rede). Im Beitrag selbst heißt es, dass sich "insgesamt fast 8000 Bürgerinnen und Bürger elektronisch oder persönlich im Parlament in das Kondolenzbuch eingetragen (haben)".

Zu Wort kamen in dem Beitrag drei Frauen, die aus Anlass der Aufbahrung des Sargs ins Parlament gekommen waren und ihre Wertschätzung für die Verstorbene so beschreiben:

"Ich bin gekommen, weil die Frau Prammer für mich steht für die Entwicklung der Frauenfortschritte; und dass sie das, was sie gemacht hat, mit einer Ruhe und Besonnenheit gemacht hat, und trotzdem ihr Ziel erreicht hat."

"Ihre besonnene, ruhige Art und ihre Freundlichkeit, und auch ihre … ich glaub', ihre Integrität; ich hab sie zwar nicht persönlich gekannt … Und, ja, ihre … Ausstrahlung."

"Ich hab sie als eine wundervolle Frau, die sich für Demokratie, für Frauen eingesetzt hat, immer bewundert; und es tut mir so wahnsinnig leid um diese Frau, weil Öster­reich wirklich einen sehr wertvollen und liebenswerten Menschen verloren hat."

2.
Im "Kurier" (und wohl ebenso in anderen Zeitungen) gab es in den letzten Tagen eine Reihe von Todesanzeigen diverser Institutionen, mit denen Prammer verbunden war. Dass in solche Bekanntmachungen nur das Beste über die Person der oder des jewei­li­gen Verstorbenen hineinformuliert wird, liegt in der Natur der Sache. Eine der Todes­anzeigen (im "Kurier" von gestern, 8. August) sei aber deshalb zitiert, weil darin ganz besonders dick aufgetragen wird. Sie ist unterzeichnet von "Gabriele Heinisch-Hosek Frauenministerin" sowie "Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Bundes­ministerium für Bil­dung und Frauen". Dort heißt es über Prammer kurz und bündig:

"Vorbild, Feministin, Wegbegleiterin, moralische Autorität, Verbündete, überzeugte Antifaschistin, glühende Demokratin"

3.
Und die Leser/innen der Zeitung "Der Standard" (die sonst oft sogar bei tragischesten Vorfällen um keinen zynischen und menschenverachtenden Kommentar verlegen sind) fanden unter anderem folgende salbungsvolle Worte über Prammer (sämtliche Zitate sind Postings in der Internet-Ausgabe des "Standard", die am 2. und 3. August 2014 verfasst wurden; angegeben ist auch, wie viele Personen den jeweiligen Text als "Sehr lesenwert" [grün] bzw. als "Nicht lesenswert" [rot] markiert haben):

• Da geht sie hin, unsere erste Bundespräsidentin
Jetzt heißt's wieder 100 Jahre warten, bis eine so fähige kommt
(13 grün)

• Das ist eine furchtbare Nachricht! Barbara Prammer war stets integer und glaubhaft aufrichtig! Eine wahrhaft große Tochter und Demokratin Österreichs hat den Kampf gegen den Krebs verloren und meines Erachtens wäre Staatstrauer angebracht!
Mein größtes Beileid den Angehörigen und Freunden!
(88 [!] grün / 2 rot)

• Die einzige würdige Nachfolgerin von UHBP [Anm.: = Unserem Herrn Bundes­präsi­den­ten] Fischer hat uns viel zu früh verlassen!
Ich habe so sehr gehofft sie würde Repräsentatin Österreichs in der Welt werden, eine wahrlich große Staatspolitikerin, kein Feiertagsrednerin, sondern eine wahrlich tat­kräfti­ge, tatkräfti­ge, bürgerfreundliche, gescheite Staatpräsidentin! Es blieb uns verwehrt!
(14 grün / 12 rot)

• ein großer Verlust für ein menschliches Österreich!
von den wenigen Politikern und Politikerinnen, die ich noch ernst nehmen kann, war Barbara Prammer immer eine der ernstzunehmendsten!
Bald bleibt hier nur noch Asche und Rauch übrig! :(    
(7 grün)

• ewig schad
eine ganz ganz große frau und eine der sympatischten politikerinnen die dieses land jemals gesehen hat   
(37 grün / 1 rot)

• Frau Prammer war einer der ganz wenigen Menschen in unserer Politik, vor denen man ungeachtet aller ideologischen und Parteigrenzen tiefsten Respekt haben muß weil sie ihre Aufgabe tatsächlich übernommen hat, um damit etwas für das Volk zu erreichen und zu verbessern, und nicht um sich, Freunden, Kollegen, der eigenen Partei oder den eigenen Wählern einseitige Vorteile zu verschaffen.
Aufrichtigkeit, Überzeugung, Optimismus, Engagement, Pflichtgefühl und nicht zuletzt Menschlichkeit auch nach vielen Jahren in der Politik beizubehalten ist wahrlich keine kleine Leistung und dafür wird sie uns noch lange in Erinnerung bleiben. Mögen sich andere ein Beispiel daran nehmen.
(2 grün)

• für mich unverständlich
dass es leute gibt die die vorangegangenen postings negativ beurteilen.
barbara prammer war nicht nur eine integre politikerin sondern eine über die parteigrenzen hinaus verbindende persönlichkeit.
frau prammer wird als eine der großen politiker in die geschichtsbücher der zweiten republik eingehen.
mein aufrichtiges beileid gilt in diesen schweren stunden ihrer familie.
(45 grün / 2 rot)

• Heldin und Lichtgestalt der österreichischen Politik.
(9 grün / 21 rot) 
[Anm.: Hier überwiegen also ausnahmsweise die Bewertungen mit Rot.]

• sie war besonders...
Begegnungen und Gespräche mit ihr waren inspirierend, aufrichtig, charmant, und zutiefst menschlich. Sie wäre eine sehr gute Bundespräsidentin gewesen, schade für Österreich! Und allein schon ihretwegen, und weil sie es richtig fände: die Töchter bleiben in der Hymne! Adieu, liebe Frau Prammer!
(5 grün)

• Starke, tolle, loyale, kluge frau prammer, es tut mir sehr leid, dass sie verstorben ist. Sie hat uns gezeigt, wie man würdevoll mit dem leben, einer erkrankung und dem sterben umgeht. 
(21 grün)

• Sympathisch, glaubwürdig, menschlich......
Ruhe sie in Frieden. 
(11 grün)

• trifft mich sehr das zu lesen. mir fallen nur ganz wenige ein, die so einen integren und souveraenen eindruck hinterlassen haben wuerden. starke und gescheite frau! traurige nachricht, tut mir aufrichtig leid! 
(34 grün / 3 rot)

• Unser land bräuchte mehr politkerInnen von diesem format. leise, zielstrebig und mit einem talent zum blick über den tellerrand.
(12 grün)

• Zwischen den vielen Apparatschiks, Lobbyisten, Landeskasperln und Unfähigen, die die österreichische Politiklandschaft bevölkern, war Barbara Prammer eine der ganz wenigen ernstzunehmenden Sachpolitiker, die über die Parteigrenzen hinweg für die Sache und für die Menschen eintreten. Mit ihr verliert Österreich eine ganz Große, die sicherlich auch noch eine hervorragende Bundespräsidentin abgegeben hätte.
Falls es jemanden interessiert: Nein, ich bin kein SPÖ-Wähler...
(23 grün / 5 rot)
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Das Bedürfnis nach völlig irrationaler Held/innenverehrung und Mythenbildung ist in vielen Menschen tief verwurzelt. Zum Ausdruck und zum Ausbruch kommt dieses eigenartige Bedürfnis manchmal – aber nicht immer – erst im Fall der Erkrankung oder des Todes einer "prominenten" Person (die man im Regelfall nur aus den Medien oder höchstens aufgrund einer ober­flächlichen persönlichen Begegnung "kannte").

Das sind die (keineswegs neuen, aber immer wieder befremdlichen) Erkenntnisse, die man aus den Reaktionen auf Prammers Tod gewinnt.