Heute
wird es ungustiös – auch was den Inhalt des Blog-Artikels anbelangt;
aber vor allem, was jene Art von Journalismus betrifft, der hiermit angeprangert werden soll.
Über Guido Tartarotti habe ich neulich geschrieben, dass er im Kurier "üblicherweise durch witzig gemeinte, aber nicht einmal als halblustig zu bezeichnende Beiträge unangenehm auf(fällt)". Nur wenige Tage danach liefert er dafür ein besonders markantes – und eben ungustiöses – Beispiel:
Die
Gute-Laune-Spalte auf Seite 1 des "Kurier" vom 22. Oktober 2014 wurde
(wieder einmal) von ihm verfasst und trägt die (durchaus doppeldeutig gemeinte) Überschrift "Die Zeit des Machens".
Herr
Tartarotti beglückt uns darin mit seinen tiefschürfenden Gedanken zu
welchem Thema? Sozusagen in der untersten Schublade findet man es: Er
beschäftigt sich mit ... der Dauer von Toilettenbesuchen (!).
Er verweist zunächst auf eine Statistik, wonach "der Österreicher im Laufe seines Lebens im Durchschnitt etwa drei Jahre auf der Toilette (verbringt)" und zeigt sich verwundert darüber, dass es nach älteren, etwa zehn Jahre zurückliegenden Medienberichten aus Deutschland dort "sechs Klo-Jahre pro Leben" seien. Tartarottis sinnige Schlussfolgerungen daraus:
"Wenn
wir nicht davon ausgehen, dass der Deutsche grundsätzlich fleißiger
stoffwechselt als wir Österreicher, dann heißt das, dass die Menschen
innerhalb einer Dekade die Hälfte ihrer WC-Zeit eingespart haben."
Danach schwingt sich der Toilettenexperte zum Philosophen auf und stellt folgende rhetorische Frage:
"Was sagt das über uns – dass sich in Krisenzeiten niemand leisten will, zu viel Zeit ins Klo zu spülen?"
Was
das "über uns" sagt, kann ich Herrn Tartarotti nicht beantworten. Ich
weiß aber schon an dieser Stelle des Artikels sehr genau, was uns dieser
Text über seinen Verfasser und über das Niveau der Zeitung sagt, in der
solcher Unfug abgedruckt wird. Mehr dazu später. Im letzten Absatz der Kolumne geht es dann um die (durch verringerten Toilettenbesuch) "gewonnenen [drei] Jahre". (!)
Dazu
muss natürlich um jeden Preis im Text untergebracht werden, was gerade
so an Themen in Mode ist. Ob das irgendeinen Sinn bzw. Zusammenhang
ergibt, ist dabei nicht nur nebensächlich, sondern überhaupt nicht von
Belang:
- Tartarotti verweist also zunächst darauf, dass drei Jahre länger seien, "als so mancher Ex-Politiker ins Gefängnis muss".
Eine Bezugnahme auf korrupte Politiker kommt immer gut an; eine solche
ist daher in einen Text, der die Leserschaft zum Schenkelklopfen anregen
soll, unbedingt einzubauen – sei es auch auf noch so krampfige Art.
-
Aus Anlass der in Österreich bevorstehenden Lese- und Bibliotheksveranstaltungen (samt diesbezüglichem Bericht in derselben
Ausgabe des "Kurier") kommt dann die Bemerkung, dass die drei Jahre
länger seien "als die Zeit, die der durchschnittliche Mensch mit Büchern verbringt (1,5 Jahre)".
Auch das ist beliebt (zum Beispiel oft nachzulesen in Fernsehkritiken
des "Kurier"): ein Seitenhieb darauf, wie ungebildet die Menschen doch
seien: sie lesen nichts, sie schauen all die primitiven oder seichten
Sendungen im Fernsehen usw. –
Diese Kritik mag in der Sache zwar durchaus zutreffen. Sie ist
allerdings dann nichts Anderes als ein Ausdruck von Anmaßung und
Arroganz, wenn sie aus der Feder von Leuten kommt, die durch ihre
Veröffentlichungen gerade eben jene Primitivitäten mitproduzieren und
jene Verblödung mitverursachen, die sie bei Anderen (seien es
Medienproduzenten, seien es Medienkonsumenten) scheinheilig und mit
spöttischem Unterton beanstanden.
- Es folgt ein dritter
krampfhaft hergestellter Drei-Jahres-Konnex (dieser in Anspielung auf
das dauerhafte Modethema "Bildungsmisere"). Vorsicht! Tartarotti will
wieder besonders witzig sein: Drei Jahre seien "ungefähr so lange, wie schlechte Schüler für die sechste Klasse brauchen". Na, ist das nicht lustig?
Unmittelbar
danach kommt der Schlusssatz der geistreichen Kolumne. In den gehört
eine forsche Parole, mit der das Volk zur Leistung angespornt werden
soll; aber gleichzeitig darf eine kecke Anspielung auf das Ausgangsthema
des Artikels – den Toilettenbesuch – nicht fehlen. In diesem Sinne
schreibt Tartarotti:
"Drei Jahre: Lasst uns etwas daraus – gewagte Formulierung in dem Zusammenhang – machen."
Der
ganze Kolumnentext spiegelt (in besonders krasser Form) jene Haltung
vieler Medienleute wider, die einem auch sonst leider ständig begegnet
(in der Werbung, in Moderationen, in Filmen, in Kabarettprogrammen
usw.):
"Egal, wie inhaltsleer, primitiv, blöd, niveaulos etwas
ist – setze es den Leuten vor. Sie werden es schlucken." Oder anders
betrachtet: Es ist diese zutiefst dumme (und nicht nur bei Medienleuten
anzutreffende) Einstellung des "Mir-ist-nichts-peinlich", diese völlige
Absenz eines Sich-Genierens für eigenes Verhalten, die aus solchen
Ausführungen spricht, wie sie etwa im "Kurier" von Tartarotti (und
diversen Anderen) am laufenden Band produziert werden.
Wenn ich
einen derartigen Text wie die hier besprochenen Toilettenweisheiten
fabriziert und veröffentlicht hätte: ich würde mich in Grund und Boden
schämen. (Ich finde es schon irgendwie unappetitlich, einen Blog-Artikel
über einen derartigen Text zu schreiben. Aber
wie soll man sonst darlegen, dass uns im wahrsten Sinn des Wortes
Toiletten-Journalismus vorgesetzt wird?)
Tartarotti hingegen
"kennt keinen Genierer", wie es umgangssprachlich heißt. Das muss man
akzeptieren; es ist seine Sache. Tartarotti wird für seine
Hervorbringungen sogar noch bezahlt (und das ist ihm wohl ebenso wenig
peinlich). Unfassbar – aber auch das muss man hinnehmen.
Was
allerdings nicht mehr seine Sache ist und deshalb empört, das ist die
völlige Respektlosigkeit und Unhöflichkeit gegenüber den Leser/innen,
die Journalisten wie er an den Tag legen, indem sie nach dem oben
beschriebenen Motto "Sie werden es schlucken" handeln.
Zum
Vergleich: Man stelle sich vor, man hätte ein paar einigermaßen
kultivierte Leute zu sich nach Hause eingeladen, aber plötzlich würde
einer der Gäste beginnen, aus heiterem Himmel über die statistische
Verweildauer auf Toiletten zu witzeln – angereichert mit zweideutigen
Wortspielen und mit zusammenhanglosen Beispielen darüber, was man in
drei Jahren "machen" oder nicht machen könne. Die Umstehenden würden den
Betreffenden für unhöflich oder dumm oder geschmacklos oder alles
zusammen halten, und die Gastgeber würden den Spaßvogel – je nach
Temperament – sofort hinauswerfen oder seine Weisheiten mit betretenem
Lächeln quittieren und ihn sicherlich kein weiteres Mal einladen. (Ich
beziehe mich wohlgemerkt auf "einigermaßen kultivierte Leute" und nicht
auf Stammtischrunden, in denen pubertäre Witzchen über Fäkalthemen
durchaus Anklang finden mögen.)
In gewisser Weise ist auch ein
Journalist bei seinen Leser/innen zu Gast, und man sollte daher
verlangen (dürfen), dass er ein Mindestmaß an "gutem Benehmen" – sprich:
an Respekt gegenüber seinem Publikum und gegenüber dessen geistigem
Niveau – zeigt. Die Reichweite, die er mit seinen Äußerungen erzielt,
tut ein Übriges, um an die Qualität des von ihm Geschriebenen zumindest
Minimalansprüche stellen zu dürfen.
Wobei ich allerdings nicht verkenne:
Der
Umstand, dass Journalisten wie Tartarotti all das hartnäckig ignorieren
(zu können meinen), spricht natürlich auch (und sogar primär) gegen das
Publikum, also die Leser/innen. Würden sich diese in ausreichendem Maße
darüber empören, was ihnen (zum Beispiel) ein Tartarotti tagaus-tagein
so vorsetzt, wäre er seinen bequemen Job bei der Zeitung wahrscheinlich
bald los.
Und wenn ich zum Abschluss noch anmerke, dass er sich
dann statt dessen seinen Lebensunterhalt zum Beispiel mit dem Putzen von
Toiletten verdienen könnte, so meine ich das weder polemisch und schon
gar nicht abfällig gegenüber jenen, die diese Tätigkeit ausüben. Denn
ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Menschen, die den unangenehmen
und unbedankten Job des "Klo-Putzens" verrichten, ungleich wertvollere
Arbeit leisten und mehr für die Allgemeinheit tun als manche
Journalisten.