Freitag, 17. Oktober 2014

Verwaltungsreform zwecks Armutsbekämpfung?

Guido Tartarotti fällt im "Kurier" üblicherweise durch witzig gemeinte, aber nicht einmal als halblustig zu bezeichnende Beiträge unangenehm auf.

Für die Ausgabe vom 13. Oktober 2014 wurde ihm offenbar verordnet, sich in der täglichen Belanglosigkeits-Spalte auf Seite 1 der Zeitung zur Abwechslung einmal auf ernsthafte Weise zu äußern. Gehaltvoller als sonst ist sein Text dabei aber auch nicht ausgefallen.

In derselben Ausgabe des "Kurier" gibt es ein Interview mit einem der Gründer der Sozialmärkte, Gerhard Steiner. (Zu dem Interview bzw. dem Konzept der Sozialmärkte habe ich mich in einem anderen Blog-Eintrag ausführlich geäußert: Sozialmärkte)

Tartarotti sieht in der seinerzeitigen Idee für die Errichtung der Sozialmärkte den "Anfang einer großartigen Sache". Das halte ich für einigermaßen übertrieben. Und zwar deshalb, weil Almosenverteilung (sei es auch mit möglicherweise gut gemeinter Absicht) jedenfalls dann nur eine halbe Geschichte ist, wenn sie von Personen und Einrichtungen durchgeführt, unterstützt und beklatscht wird, die an der Beseitigung der herrschenden ungerechten Einkommens- und Vermögensverhältnisse – und damit an der Bekämpfung der Armut an ihrer Wurzel – nicht das geringste Interesse haben, ja sich sogar dagegen stemmen. Als da wären:

• der (Mit-)Gründer der Sozialmärkte, Gerhard Steiner, selbst (siehe dazu ausführlich meinen anderen Blog-Eintrag)

• diverse Konzerne und sonstige Großunternehmen (deren "Engagement" zur "Armutsbekämpfung" sich darauf beschränkt, den Sozialmärkten Ausschussware zur Verfügung zu stellen, die sie andernfalls ohnedies wegwerfen würden – auch dazu Näheres im anderen Blog-Artikel)

• und schließlich Boulevard-Medien wie der "Kurier" (dessen Blattlinie in Fragen der sozialen Gerechtigkeit und bei ähnlichen Themen durch einschlägige Leitartikel von Brandstätter, Salomon und Anderen unmiss­verständlich zum Ausdruck kommt und von mir in diesem Blog schon mehrfach kritisch kommentiert wurde).

Was Tartarotti (wie schon zuvor Steiner selbst im Interview) macht, ist Folgendes: Er suggeriert, dass das Problem der Armut – und damit jenes der sozialen Ungerechtigkeit – eine Konsequenz unzulänglicher Politik bzw. mangelhafter staatlicher Strukturen wäre.

Das beginnt in Tartarottis Glosse mit einer weiteren Schmeichelei (oder soll man sagen: Schleimerei?) gegenüber den Sozialmarkt-Gründern. Er schreibt:

"Frage: Warum wird bei uns nicht viel öfter nach diesem simplen Motto gehandelt: Was könnte man verbessern?"

"Verbessert" wird durch die Sozialmärkte im Kern natürlich gar nichts. Ein paar Bedürftige haben die Gelegenheit, billiger einzukaufen. (Für alle, die es brauchen würden, reicht die sogenannte "Überschussware" laut Steiners eigener Aussage sowieso nicht.) Diese Einkaufsmöglichkeit ist zwar für jene, die davon Gebrauch machen können, sicherlich hilfreich. Aber es wäre doch etwas zynisch, wenn man (bildlich gesprochen) Tag für Tag wohlwollend dabei zusieht, wie eine Maschine laufend Menschen Ver- letzungen zufügt, und es als "Verbesserung" ansieht, wenn danach jemand einigen der Opfer ein Pflaster auf die Wunde klebt. Genau das geschieht aber: Die Maschine des Kapitalismus und der sogenannten "freien Marktwirtschaft" wird hartnäckig verteidigt; und wenn dann zufällig mal ein Sozialprojekt ins ideologische Konzept passt, jubelt man Almosenverteilung an einen Teil der Opfer zu einem "Verbessern" der Situation hoch.

Das ist aber sowieso nur Vorgeplänkel für das, worauf Tartarotti in bewährter "Kurier"-Manier letztlich hinauswill und worauf er das Publikum schon mit der suggestiven Überschrift "Was läuft schlecht?" einstimmt. Im letzten Absatz der Glosse zitiert er zunächst den Schluss des Steiner-Interviews; also jenen Passus, in dem Steiner das Fehlen einer Vision zur Verbesserung Österreichs beklagt, wo er für sich den Ausdruck "Verwaltungsreform" zum "Unwort des Jahrzehntes" erklärt und er die Vermutung äußert, dass die Politikverdrossenheit deshalb so groß sei, "weil nichts passiert".

Diesem Stammtisch-Genörgel Steiners hat Tartarotti nur einen einzigen Satz hinzuzufügen:

"Werden sie es irgendwann kapieren?"

Im vorangehenden Text sind zwar weit und breit keine Personen genannt, auf die sich das "sie" beziehen könnte; aber allein der Tonfall der Frage macht deutlich, wen Tartarotti meint: natürlich die Politiker/innen.

Beruht dieser merkwürdige Bogen von der Armut zur Staats- und Politikerkritik, den Tartarotti hier (im Anschluss an Steiner) spannt, auf einer Unlogik, die ihm gar nicht bewusst geworden ist, oder handelt es sich um Kalkül? Letzteres, behaupte ich. Kalkül gegenüber den Leser/innen, denen man meint, auch die haarsträubendsten Behauptungen mit dem Ziel einer Gehirnwäsche vorsetzen zu können.

Was soll denn nach Meinung der Herren Tartarotti und Steiner "passieren"? Eine Vermögenssteuer oder sonstige Abgaben(erhöhungen) dürfen es ja nicht sein. Denn wie meint Steiner im Interview so einfühlsam: "Die Abgabenlast in Österreich ist bereits enorm hoch." Auf diesem Gebiet soll also nach Auffassung der beiden Herren gerade eben nichts passieren. Der Veränderungswunsch bezieht sich vielmehr auf Dinge wie eine "Verwaltungsreform". Nun kann man so etwas legitimerweise und sicherlich mit guten Gründen durchaus einfordern. Aber der Leserschaft suggerieren zu wollen, dass etwa das Unterbleiben einer Verwaltungsreform die Ursache für die Armut oder ein Hindernis für ihre Beseitigung bzw. Milderung wäre (welcher Zusammenhang bestehen soll, wird von den zwei Herren ja in keiner Weise erläutert) – das kann man eben nur als Kalkül, als ein bewusstes Für-dumm-Verkaufen ansehen.

Zur Verdeutlichung nur ein aktuelles Beispiel dafür, was sich auf dem Gebiet "Armut und Reichtum" in Österreich gerade sonst noch tut:

Karlheinz Essl, jener Mann, der durch seine Baumärkte – und damit durch die Arbeitsleistung der dort Beschäftigten – steinreich wurde, hatte Geldmittel und Zeit genug, um sich eine sündteure Kunstsammlung aufzubauen. Einen Teil davon musste er jetzt verkaufen; der Erlös soll laut "Kurier" vom 15. Oktober 2014 (Seite 23) etwa 50 Millionen Euro betragen haben. Dazu der Kommentar des bedauernswerten Herrn Essl in einem Kurier-Interview (Ausgabe vom selben Tag):

"Zuerst muss ich sagen, dass es für meine Frau und mich sehr schwierig war, uns von so wunderbaren Bildern zu trennen. Jedes einzelne ist ja auch ein Teil unseres Lebens."

Ja, das sind sie halt, die Sorgen der sogenannten "Leistungsträger", die "unter der hohen Abgabenbelastung stöhnen" (wie es immer so unverschämt und verlogen heißt) – während andere Leute nicht wissen, wie sie mit monatlich 860 Euro oder weniger ihre Miete, die Heizkosten oder die Lebensmittel bezahlen sollen.

Über solche skandalösen Kontraste verlieren all die Steiners, Tartarottis, Brandstätters und Salomons kein Sterbenswörtchen. Statt dessen betreibt und beklatscht man Almosenverteilung als "großartige Sache", hetzt pauschal gegen Politiker und Staat und lenkt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit komplett von den wahren Übeln, ihren Verursachern und Profiteuren ab.

"Werden sie es irgendwann kapieren?" Nämlich all jene, die sich tagaus-tagein von Medien und Unternehmern nach Strich und Faden manipulieren und ausnützen lassen.

------
[Blog-Eintrag "Sozialmärkte": s. hier]