Samstag, 13. Dezember 2014

Die Schlacht, die keine ist

Der "Kurier" ist (leider) eine permanente Fundgrube, wenn es darum geht, journalistische Sünden und Unzulänglichkeiten der Boulevard-Medien zu do­ku­men­tieren – insbesondere bei innen- und gesellschaftspolitischen Themen.

Den Leitartikel vom 12. Dezember 2014 verfasste Josef Votzi. Er ist mir bisher zwar weniger durch einen rabiat-kapitalistischen Furor aufgefallen, wie ihn Chefredakteur Brandstätter und insbesondere dessen Stellvertre­terin Salomon regelmäßig an den Tag legen. (Wobei das allerdings auch einfach damit zu tun haben könnte, dass ich die Kurier-Leitartikel keines­wegs lückenlos lese.) Anlass zur Kritik liefert Votzis aktueller Kommentar aber jedenfalls.

Seit Monaten grassiert in Österreich eine Art Steuerreform-Hysterie. Man könnte meinen, dass die Bevölkerung kurz vor dem Verhungern stünde, weil ihr der Staat so viel an Steuern (bzw. sonstigen Abgaben) abknöpfe.

So weit, so irrational (und dumm).

Diesem Zeitgeist entsprechend (und ihn gleichzeitig befeuernd), gibt es natürlich (auch) im Kurier so gut wie keinen mir bekannten innenpolitischen Leitartikel, in dem nicht vom Thema Steuerreform die Rede ist.

Politisch ist der aktuelle Stand folgender: Die SPÖ und (kurz darauf) die ÖVP haben in den letzten Tagen jeweils ein eigenes Konzept zur Steuerreform vorgelegt. Gerade zuvor war im ORF-Teletext zu lesen, wie die weiteren Schritte aussehen sollen: In der nächsten Woche werde eine Expertengruppe den beiden Parteien einen Bericht zur Vorbereitung der Steuerreform vorlegen; und von 17. Dezember 2014 bis 17. März nächsten Jahres sollen dann die politischen Verhandlungen zwischen den beiden Regierungsparteien stattfinden – unter Leitung des (SPÖ-)Bundeskanzlers und des (ÖVP-)Vizekanzlers.

Also alles ganz simpel und unspektakulär.

Damit gibt es beim derzeitigen Stand der Dinge für Außenstehende im Grunde genommen nur zwei vernünftige Alternativen:

a) Man beschäftigt sich mit dem Inhalt der zwei vorliegenden Steuer­konzepte (oder entwickelt allenfalls alternative Reformideen). Das ist zwar reiner Selbstzweck (sofern man nicht für irgendeine Lobby arbeitet), weil ja derzeit in den Sternen steht, was von diesen Konzepten überhaupt Realität wird. Aber bitte – wer nichts Besseres zu tun hat, könnte sich mit einer solchen inhaltlichen Erörterung von Steuerfragen jedenfalls die Zeit vertreiben.

b) Die zweite Alternative: Man wartet bis 17. März ab, was tatsächlich als Ergebnis der Verhandlungen kommt – und widmet sich bis dahin anderen Themen. (Die sinnvollere Alternative, wie ich finde.)

Josef Votzi (und sicherlich nicht nur er), wählt eine dritte – meines Erachtens unlogische, deplatzierte und demokratiepolitisch gefährliche – Möglichkeit: Er schürt Unmut und Unzufriedenheit (bei den Leser/innen), ohne dass nach dem eben Gesagten der geringste Anlass dazu besteht.

Schon die Überschrift seines Leitartikels sorgt für (künstliche) Dramatik: 

"Steuer-Hickhack wird Fall für eine Griss"

Im Untertitel heißt es: 

"Rot & Schwarz nerven mit einer Propagandaschlacht, statt unaufgeregt und sachkundig endlich ihren Job zu machen."

Bereits an dieser Stelle kann man Herrn Votzi entgegentreten: Wer nervt, und wer ist aufgeregt? Sind es tatsächlich die Politiker oder nicht vielmehr die Journalisten bzw. Medien, indem sie bei den innen- und wirt­schafts­politischen Belangen tagaus-tagein fast nur noch über das Thema Steuerreform schreiben? Und wie wäre es, wenn man nicht jede Bemerkung zum Steuerthema, die irgendein Politiker irgendwo abgibt, zum Gegenstand der medialen Berichterstattung machen würde? An meiner Haustür hat jedenfalls noch kein Politiker geläutet, um mich mit Propaganda zur Steuerreform zu belästigen. Soweit Derartiges geschieht, läuft es über die Medien, die das Thema so  exzessiv forcieren und den Politikern bereitwillig ein Sprachrohr bieten.

Wenn ich Votzis Leitartikel richtig interpretiere, kritisiert er vor allem (besser gesagt: ereifert er sich darüber), dass die beiden Parteien ihr jeweils eigenes Steuerreform-Konzept der Öffentlichkeit präsentiert und es nicht (gemeint: nicht zuvor oder nicht überhaupt nur?) dem Koalitionspartner vor­gelegt haben. So schreibt er: 

"Zwei Stunden danach [= nach dem wöchentlichen Ministerrat] präsentieren VP-Chef und Finanzminister öffentlich das, was sie dem Koalitionspartner hinterher auch persönlich ausrichten werden. Der SPÖ-Chef ließ seine jüngsten Steuerideen zwei Tage davor im staatlichen Fernsehen lancieren, statt sie jenen zu übermitteln, deren Zustimmung er dafür braucht."

Spontane Antwort: Na und? Welchen Unterschied macht das für die Bevölkerung, ob bei der Präsentation der Konzepte ein bestimmtes Procedere bzw. eine bestimmte Reihenfolge eingehalten wurde oder nicht? Funktionäre und allenfalls Mitglieder der beiden Parteien mögen darüber missgestimmt bzw. beleidigt sein (oder auch nicht), aber welcher auch nur entfernteste Grund besteht, daraus eine Staatsaffäre zu machen?

Doch gerade dazu bläst Votzi diese völlige Belanglosigkeit auf. Er schreibt unmittelbar nach den zwei oben zitierten Sätzen:

"Würden die Geschäftsführer einer Firma so agieren, wären sie Kandida­ten für eine fristlose Entlassung."

Das ist ein Musterbeispiel dafür, wie in einem bestimmten Fall völlig grund­los Stimmung gegen die Politik gemacht wird; wie durch und durch irrationale Unmutsgefühle und Aggressionen unter der Bevölkerung geschürt werden.

(Natürlich gibt es Gründe zuhauf, um die Politik zu kritisieren – aber das ist etwas Anderes, als der in Rede stehende Leitartikel in Inhalt und Intention praktiziert.) 

Noch einmal, weil es der zentrale Punkt ist: Wen kümmert es (außerhalb der Zirkel der beiden Parteien SPÖ und ÖVP), in welcher Abfolge bzw. zu welchen Terminen die zwei Konzepte präsentiert wurden?

Aber nimmt man Votzis (unangebrachten) Vergleich mit einer Firma (die ja bekanntlich für alle Kapitalisten das Maß aller Dinge ist) ernst, dann bedeutet das: Kanzler und Vizekanzler müssten jetzt also zumindest zurücktreten (wenn nicht gar – analog zur "fristlosen Entlassung" – von der aufgebrachten Bevölkerung mit nassen Fetzen aus ihren Amtsräumen gejagt werden), weil die Vorgangsweise bei der Präsentation der Steuerreform-Konzepte (aus der Sicht eines Journalisten) nicht die richtige war! (?)

Gleich im Einleitungssatz schreibt Votzi: "Die Absurdität ist schwer zu überbieten." Das trifft tatsächlich auf seine eigenen Überlegungen hundert­prozentig zu. Er meint hingegen die geschilderte Vorgangsweise der Regierungsparteien.

Im letzten Absatz erklärt Votzi: 

"In Sachen Steuerreform inszenieren Rot und Schwarz seit Wochen einen Schlagabtausch allein für ihre Funktionäre. Alle anderen klappen bald nur noch genervt die Ohren zu."

Wie schon oben erwähnt: Diese Anderen bekommen in aller Regel nur das zu hören, was ihnen die Medien Tag für Tag vorsetzen. Und wie man an dem erörterten Leitartikel sieht, wird von manchen Medien sogar jede Belanglosigkeit zu einem Drama hochgespielt, nur um ein bestimmtes Thema (hier: Steuerreform) den Leser/innen permanent in die Köpfe zu hämmern.

Ganz eigenartig wird es in den Schlusssätzen des Leitartikels. Votzi schreibt dort allen Ernstes:

"Die Steuerpropaganda-Schlacht ist drauf und dran, ein Fall für eine neue Griss zu werden: Jemand, der sachkundig, unaufgeregt, aber bestimmt sagt, was im Steuer-Hickhack Sache ist. Noch lebt die Chance auf diese Rolle für den neuen Hausherren im Finanzministerium. Standing Ovations des breiten Publikums wären ihm garantiert." 

Man beachte zunächst den Ausdruck "-Schlacht" (der ja auch schon im Leit­satz unter der Überschrift vorkommt). Da wird durch eine entsprechend martialische (und selbstverständlich völlig unangebrachte) Ausdrucksweise darauf hingearbeitet, das Thema zu emotionalisieren. 

In den eben zitierten Sätzen steckt aber darüber hinaus eine derartig geballte Ladung an Unsinn, dass man die Begründung detailliert darlegen muss:

Dr. Irmgard Griss war bekanntlich die Leiterin einer Untersuchungs­kom­mis­si­on, die vor einigen Tagen ihren Bericht "zur transparenten Aufklärung der Vorkommnisse rund um die Hypo Group Alpe-Adria" (also um den diesbezüglichen Bankenskandal) vorgelegt hat. Die Qualität des Berichts bzw. das Auftreten Griss' in den Medien hat im ganzen Land ein positives bis begeistertes Echo gefunden und Griss teilweise einen Kult-Status verschafft. Da will in populistischer Manier natürlich auch ein Leitartikel-Schreiber nicht nachstehen und verabsäumen, auf die derzeit so beliebte (und zugegebenermaßen sympathisch und geradlinig wirkende) Dame Bezug zu nehmen. Sie wird daher von Votzi zum Anlass genommen, um nach einer Erlöser/innen-Figur zu rufen (auch wenn man sich fragt, wer und wovon denn überhaupt erlöst werden soll). Es muss nicht Griss persönlich sein ("eine neue Griss" wäre für Votzi auch schon toll), und es darf auch ein Mann sein – ja sogar der Finanzminister (Hans Jörg Schelling) selbst, der als "Ex-Spitzenmanager" bei Votzi natürlich

"bisher große Erwartungen geweckt hat: Einer, der weiß, wovon er redet, in geraden Sätzen spricht und mit parteipolitischem Gesudere nichts am Hut hat."

Lassen wir diese peinliche journalistische Lobhudelei für alles, was mit Manager und Unternehmer zu tun hat, zwar nicht unerwähnt, aber (als der üblichen Kurier-Blattlinie entsprechend) unkommentiert.

Kernfrage ist nämlich etwas Anderes: Was genau sollte eine "Griss Nr. 2" nach Votzis Vorstellung tun? Im Fall der Untersuchungskommission war die Aufgabe eindeutig: die Aufklärung von Vorkommnissen – also die (Sach­ver­halts-)Ermittlung, was in der Vergangenheit geschehen ist. Es ist nicht im Geringsten nachvollziehbar, was einer solchen Tätigkeit entsprechen könnte, wenn es um das von Votzi konstruierte Pseudo-Problem "Steuer-Hickhack" (bzw. "Steuerschlacht") geht.

Votzi wünscht sich zwar, dass jemand "sachkundig, unaufgeregt, aber bestimmt sagt, was im Steuer-Hickhack Sache ist".

Was (aktuell) "Sache ist", lässt sich aber ohnehin ganz simpel klären, wenn man auch nur einen Blick auf die eingangs erwähnte Teletext-Seite des ORF wirft: Nächste Woche bekommen die beiden Parteien den Bericht einer Expertenkommission, und dann wollen sie drei Monate lang verhandeln.

Das lässt sich tatsächlich ganz "unaufgeregt" sagen, ohne in vorgespielter Nervosität nach "einer neuen Griss" zu rufen.

Oder meint Votzi mit "sagen, was Sache ist" womöglich gar eine autoritäre Anordnung, wie es in Sachen Steuerreform weiterzugehen habe? Es wäre allerdings geradezu unheimlich, wenn in einer Demokratie ein einzelner starker Mann (oder eben eine einzelne starke Frau) einschlägige Vorgaben – noch dazu parteiübergreifender Art – machen könnte. Und Vorgaben wofür eigentlich genau?

Was vom Procedere her "Sache ist", steht ohnedies fest – siehe oben. Und was nach derzeitigem Stand inhaltlich aktuell ist, lässt sich aus den zwei vorgelegten Reform-Konzepten ermitteln; Näheres wird demnächst (voraus­sicht­lich im März) als Ergebnis der Verhandlungen bekannt sein und letztlich in Form eines Gesetzesbeschlusses im Parlament entschieden werden. (Natürlich immer vorausgesetzt, dass sich die Parteien einigen.)

Für "eine neue Griss" ist da also ebenso wenig (demokratischer) Platz und faktische Notwendigkeit wie für einen Superman-Finanzminister, wie ihn sich Votzi offensichtlich herbeiwünscht (oder ihn jedenfalls den Leser/innen seines Leitartikels schmackhaft machen will).