Die
Lektüre eines Leitartikels von Martina Salomon kann ausnahmsweise auch
mal Freude machen. Allerdings nicht durch Salomons eigene Worte, sondern
soweit sie kritische Reaktionen der Leser/innen zitiert.
Im "Kurier" vom 28. März 2015 ist das der Fall. Da leitet Salomon ihren Artikel nämlich wie folgt ein:
"Vor zwei Tagen stand an dieser Stelle ein Kommentar [Anm.: gleichfalls von Salomon verfasst],
der den frühen Pensionsantritt der Österreicher kritisierte. Die
Reaktion der Leser reichte von: «auf Pensionisten herumtrampeln»,
«Pauschalverurteilung» bis zu: «Jung gegen Alt auszuspielen ist ein
schmutziges Spiel»."
So sehr ich nicht nur ein Kritiker der
Medien, sondern auch der Medienkonsument/innen bin, kann ich in diesem
Fall dennoch mit Genugtuung sagen: Die von Salomon zitierten Reaktionen
treffen den Nagel auf den Kopf. Und es ist erfreulich, dass die
hartnäckige Stimmungmache und Polemik, die etwa der Kurier (und nicht
nur er) in Sachen Pension (und nicht nur bei diesem Thema) betreibt, bei
zahlreichen Leser/innen anscheinend keine Wirkung zeigt.
Bereits
mehrfach habe ich mich in diesem Blog mit Salomon-Kommentaren zum
Pensionsthema auseinandergesetzt und bin immer zum gleichen Ergebnis
gekommen: dass sie – kurz gesagt – manipulativer Plunder sind (siehe
insbesondere hier und hier).
Salomon konnte es aber wieder einmal nicht lassen, und Ergebnis war ihr Leitartikel im Kurier vom 26. März 2015, der die zuvor angesprochenen Reaktionen des Publikums auslöste.
Schon der Titel des Artikels klingt vielversprechend: "Wir Jungpensionisten"
Was
dann folgt, ist (erwartungsgemäß) ein Kraut-und-Rüben-Gemisch aus
Klischees, Polemik, Halbwahrheiten und bestenfalls einem Funken an
zutreffender Kritik.
Um mit diesem Funken zu beginnen: Wenn und
soweit Frühpensionen missbräuchlich in Anspruch genommen werden
(und/oder ungerechtfertigte Beamtenprivilegien bestehen), handelt es
sich selbstverständlich um ein Übel, gegen das vorgegangen werden soll.
(Übrigens ganz so wie gegen Steuerbetrug – mit dem Unterschied, dass
Salomon bei diesem Thema erstaunlich schweigsam ist.)
Die
polemische Kulisse, die Salomon aufbaut, macht aber auch aus dem
allenfalls gerechtfertigten Kritikpunkt gleich wieder unseriöse
Demagogie. Sie schreibt:
"Ganze Heerscharen von Eisenbahnern,
Postlern und Rathausbeamten sitzen nun in der Blüte ihres Lebens im
Schrebergartenhaus und haben viel Zeit, das Laub zu rechen."
Wenn
schon polemisch, so kann man da durchaus nachhaken: Zugegeben, manche
dieser Leute wären möglicherweise noch arbeitsfähig, sitzen aber statt
dessen im Schrebergartenhaus und verursachen damit dem Fiskus bzw. der
Allgemeinheit Kosten. Das ist zwar – gesamtgesellschaftlich gesehen –
nicht der Idealzustand. Aber eines steht auch fest: Sie richten damit
immer noch viel weniger Schaden an als so manche Journalist/innen, die
zwar in der "Blüte ihres Lebens" tatsächlich noch erwerbstätig sind,
deren Arbeit aber primär bis ausschließlich darin besteht, die
Öffentlichkeit entweder zu manipulieren und/oder aufzuhetzen und/oder zu
verblöden. (Je nach Medium und Journalist/innentyp das alles in
unterschiedlichem Ausmaß und unterschiedlicher Gewichtung.)
Im Leitartikel Salomons geht es dann mit einer bestenfalls halben Wahrheit weiter:
"Obwohl
die körperliche Arbeitsbelastung gesunken und die Lebenserwartung
gestiegen ist, schrumpfte die Zahl der im Erwerbsleben verbrachten Jahre
sogar."
In ihrem Kommentar zwei Tage später wiederholt sie dieses schiefe Argument mit anderen Worten:
"Klar,
wer seit seinem 15. Lebensjahr auf einer Baustelle geschuftet hat, ist
in diesem Alter nicht mehr fit. Aber im Zeitalter «Industrie 4.0», also
der digitalen Revolution, wird körperliche Schwerarbeit seltener."
Worüber Salomon kein einziges Wort verliert, das ist die psychische Belastung bzw. der Anstieg psychischer
Beschwerden und Erkrankungen (nicht zuletzt verursacht in vielen Fällen
durch die Berufstätigkeit). Sie ignoriert damit, was sogar der "Kurier"
selbst am gleichen Tag (28. März 2015) an anderer Stelle berichtet hat:
"Last,
but not least nimmt das Ausmaß an psychischen Erkrankungen stetig zu.
Und damit auch die Zahl jener Menschen, die aufgrund ihres Leidens
arbeitsunfähig werden bzw. in die Frühpension gehen. Womit Österreich
übrigens nicht allein ist: […]"
Das schreibt die
Kurier-Redakteurin Susanna Sklenar in einer Beilage mit dem Titel
"Kurier-Extra" (Seite 5). Diese Beilage ist zwar eine sogenannte "Entgeltliche Kooperation"
(weshalb man den Inhalt mit noch größerer Vorsicht genießen muss, als
das, was man sonst von den Medien präsentiert bekommt). Man kann aber
zweifellos davon ausgehen, dass Sklenar in diesem Punkt Tatsachen
referiert. In einer Spalte neben dem Artikel ist davon die Rede, dass
Schätzungen zufolge 1,2 Millionen Österreicher psychisch krank seien und
dass nach einer WHO-Prognose die Depression im Jahr 2030 weltweit als
Erkrankung an erster Stelle vor den Herzleiden stehen werde.
Nichts
von all dem findet Eingang in Salomons Leitartikel! Die Realität
hinsichtlich der psychischen Ursachen für Arbeitsunfähigkeit wird
komplett verschwiegen, weil das nicht ins propagandistische Konzept des
Artikels passt.
Weiter geht es in ihrem Kommentar vom 26. März
mit den Kosten – also dem für Leute wie Salomon letztlich allein
ausschlaggebenden Faktor, um den sich alles dreht und zu drehen hat:
"Der
staatliche Pensionszuschuss hat Hypo-Alpe-Adria-Ausmaße erreicht: über
zehn Milliarden, und das jährlich, müssen ausgezahlt werden, weil die
Versicherungsbeiträge nicht ausreichen. Tendenz stark steigend."
Ja
und? Das kann man nur dann als Problem betrachten, wenn man das Geld
und Vermögen der Wohlhabenden bzw. Reichen, aber auch des sogenannten
"Mittelstandes" als heilige Kuh betrachtet (wie das freilich Salomon und
ihresgleichen in übelster neoliberaler Manier tun). Geld wäre genug zu
holen: Beitragserhöhungen wären den entsprechend Verdienenden ebenso
zuzumuten wie Vermögens-, Erbschafts- und Schenkungssteuern den
Bessergestellten. Wenn man auf das alles (und noch viel mehr) an
Einnahmen großzügig verzichten zu können meint (wie das – politisch,
ideologisch und boulevard-medial determiniert – in unserem System leider
der Fall ist), dann hat man irgendwann wohl tatsächlich
Finanzierungsprobleme. Und die will der herrschende Ungeist eben dadurch
in den Griff bekommen, dass er die sozialen Leistungen immer mehr kürzt
oder überhaupt eliminiert und den auf Lohnarbeit angewiesenen Menschen
das Leben immer schwerer macht.
Auch der Neid auf die Pensionist/innen wird von Salomon eifrig geschürt: Die Politik verteile "weiterhin Zuckerln" (Salomon meint wohlgemerkt nicht jene für Unternehmer und Reiche!), denn "für Pensionisten gibt es Extrageld" im Zuge der Steuerreform. Dann die Polemikerin im Wortlaut:
"Fad werden muss den Jungrentnern auch nicht: von Seniorenreisen bis zum Gratis-Seniorenstudium reicht das Angebot."
Der
Satz ist ein schaurig-schönes Exempel dafür, wie eine
Boulevard-Journalistin in übler Weise gegen Menschen gezielt Stimmung
macht – noch dazu mit Beispielen, die hinsichtlich ihrer finanziellen
bzw. quantitativen Bedeutung nur als lächerlich einzustufen sind. Den
Reichen schmiert Salomon permanent ihren publizistischen Honig ums Maul –
aber den Senioren missgönnt sie eine (allenfalls verbilligte) Reise (!)
oder den Besuch einer Vorlesung auf der Uni.
Weil zu
Propagandazwecken der Ruhestand aber nicht (nur) als angenehme Zeit mit
Reisen, Studium oder auch bloß Laub rechen im Schrebergarten dargestellt
werden darf, sondern zwecks Abschreckung (auch) als etwas Schlimmes,
Unerfreuliches präsentiert werden muss, kommt im letzten Absatz des
Leitartikels eine krampfhafte Kehrtwende um 180 Grad. Da verfinstert
sich Salomons Ruhestandsszenario dramatisch: Nach der oben zitierten
Polemik gegen Seniorenreisen und Gratis-Seniorenstudium geht es nahtlos
wie folgt weiter:
"Dennoch sind Pensionisten oft
überdurchschnittlich sauer auf die Politik. Dahinter versteckt sich
manchmal der Frust, kein aktives Mitglied der Gesellschaft mehr zu sein –
besonders, wenn man keine Familienaufgaben hat, was in einer
kinderarmen Gesellschaft immer öfter zum Normalfall wird. Im besten
Falle wird ehrenamtlich gearbeitet, aber das lässt sich hierzulande noch
deutlich ausbauen. In Wahrheit stolpern viele Menschen ja völlig
unvorbereitet in den dritten Lebensabschnitt. Deswegen ist die geplante,
leider nur sehr halbherzige Teilpension ein erster Schritt."
So viel argumentativer Unsinn gehört im Detail analysiert – wenn auch nur mehr stichwortartig:
•
Ja was jetzt, Frau Dr. Salomon? Ist Ruhestand Ihres Erachtens Paradies
(im Schrebergarten bzw. auf der Seniorenreise ins Waldviertel), oder ist
er Frust erzeugende Hölle? – Wie schon vorhin erwähnt: Mit beiden
Klischees will Salomon Stimmung gegen die (Früh-)Pension machen. Aber
diese Klischees stehen zueinander in diametralem Widerspruch. (Daran
ändern auch Formulierungen wie "dennoch" oder "manchmal" nichts.)
• Unterstellen wir, dass der Übergang in den Ruhestand manchen Leuten tatsächlich Schwierigkeiten bereite: Und deshalb sollen alle
(also auch jene, die nicht Pensionsschock-gefährdet sind) länger
arbeiten müssen? Außerdem wären doch gerade für die infolge der
Pensionierung (angeblich) frustrierten Menschen Angebote wie
(verbilligtes) Reisen oder gar ein Studium höchst sinnvoll. Wieso
kritisiert Salomon also solche Angebote, wo sie sich doch vorgeblich um
das Schicksal dieser Menschen sorgt? Die Antwort ist natürlich klar:
weil diese Angebote dem (berufstätigen) Steuerzahler keine Ersparnis
bringen. Die Teilpension wird hingegen begrüßt, weil damit Menschen
länger arbeiten, anstatt den "Fleißigen" auf der Tasche zu liegen,
unnötig herumzureisen oder auf der Universität den Jungen den Platz
wegzunehmen. Ähnliches gilt für ehrenamtliche Tätigkeiten: Die lassen
sich für Salomon "hierzulande noch deutlich ausbauen", weil
damit Menschen gratis eine Arbeit verrichten, die zwar
(gesellschaftlich) notwendig ist, für die man aber auf diese Art
bequemerweise nichts zu bezahlen braucht. Mit anderen Worten: Es ist
journalistisch geheuchelte Sorge um das Pensionistenwohl mit dem
eigentlichen und alleinigen Ziel der Kostenersparnis.
• Was all die merkwürdigen Überlegungen Salomons damit zu tun haben könnten, dass "Pensionisten oft überdurchschnittlich sauer auf die Politik (sind)",
wie sie jedenfalls behauptet – das weiß sie wohl nicht einmal selbst.
Ein wie immer gearteter logischer Zusammenhang ist jedenfalls nicht
erkennbar. Allfälliger Pensionisten-Unmut über die Politik wird wohl
primär damit zu tun haben, dass die Pensionshöhe zu gering ist. Aber das
wäre ein ganz anderes Thema – eines, das Salomon in ihrem Leitartikel
klarerweise mit keinem Wort anspricht; wo doch die Pensionisten bei der
jüngsten Steuerreform ohnedies durch "Extrageld" verwöhnt wurden ...