Montag, 30. März 2015

Die Pensionisten als Last

Die Lektüre eines Leitartikels von Martina Salomon kann ausnahmsweise auch mal Freude machen. Allerdings nicht durch Salomons eigene Worte, sondern soweit sie kritische Reaktionen der Leser/innen zitiert.

Im "Kurier" vom 28. März 2015 ist das der Fall. Da leitet Salomon ihren Artikel nämlich wie folgt ein:

"Vor zwei Tagen stand an dieser Stelle ein Kommentar [Anm.: gleichfalls von Salomon verfasst], der den frühen Pensionsantritt der Österreicher kriti­sierte. Die Reaktion der Leser reichte von: «auf Pensionisten herum­trampeln», «Pauschalverurteilung» bis zu: «Jung gegen Alt auszuspielen ist ein schmutziges Spiel»."

So sehr ich nicht nur ein Kritiker der Medien, sondern auch der Medienkonsument/innen bin, kann ich in diesem Fall dennoch mit Genugtuung sagen: Die von Salomon zitierten Reaktionen treffen den Nagel auf den Kopf. Und es ist erfreulich, dass die hartnäckige Stimmungmache und Polemik, die etwa der Kurier (und nicht nur er) in Sachen Pension (und nicht nur bei diesem Thema) betreibt, bei zahlreichen Leser/innen anscheinend keine Wirkung zeigt.

Bereits mehrfach habe ich mich in diesem Blog mit Salomon-Kommentaren zum Pensionsthema auseinandergesetzt und bin immer zum gleichen Ergebnis gekommen: dass sie – kurz gesagt – manipulativer Plunder sind (siehe insbesondere hier und hier).

Salomon konnte es aber wieder einmal nicht lassen, und Ergebnis war ihr Leitartikel im Kurier vom 26. März 2015, der die zuvor angesprochenen Reaktionen des Publikums auslöste.

Schon der Titel des Artikels klingt vielversprechend: "Wir Jungpensionisten"

Was dann folgt, ist (erwartungsgemäß) ein Kraut-und-Rüben-Gemisch aus Klischees, Polemik, Halbwahrheiten und bestenfalls einem Funken an zutreffender Kritik.

Um mit diesem Funken zu beginnen: Wenn und soweit Frühpensionen missbräuchlich in Anspruch genommen werden (und/oder ungerechtfertigte Beamtenprivilegien bestehen), handelt es sich selbstverständlich um ein Übel, gegen das vorgegangen werden soll. (Übrigens ganz so wie gegen Steuerbetrug – mit dem Unterschied, dass Salomon bei diesem Thema erstaunlich schweigsam ist.)

Die polemische Kulisse, die Salomon aufbaut, macht aber auch aus dem allenfalls gerechtfertigten Kritikpunkt gleich wieder unseriöse Demagogie. Sie schreibt:

"Ganze Heerscharen von Eisenbahnern, Postlern und Rathausbeamten sitzen nun in der Blüte ihres Lebens im Schrebergartenhaus und haben viel Zeit, das Laub zu rechen."

Wenn schon polemisch, so kann man da durchaus nachhaken: Zugegeben, manche dieser Leute wären möglicherweise noch arbeitsfähig, sitzen aber statt dessen im Schrebergartenhaus und verursachen damit dem Fiskus bzw. der Allgemeinheit Kosten. Das ist zwar – gesamtgesellschaftlich gese­hen – nicht der Idealzustand. Aber eines steht auch fest: Sie richten damit immer noch viel weniger Schaden an als so manche Journalist/innen, die zwar in der "Blüte ihres Lebens" tatsächlich noch erwerbstätig sind, deren Arbeit aber primär bis ausschließlich darin besteht, die Öffentlichkeit entweder zu manipulieren und/oder aufzuhetzen und/oder zu verblöden. (Je nach Medium und Journalist/innentyp das alles in unterschiedlichem Ausmaß und unterschiedlicher Gewichtung.)

Im Leitartikel Salomons geht es dann mit einer bestenfalls halben Wahrheit weiter:

"Obwohl die körperliche Arbeitsbelastung gesunken und die Lebens­erwar­tung gestiegen ist, schrumpfte die Zahl der im Erwerbsleben verbrachten Jahre sogar."

In ihrem Kommentar zwei Tage später wiederholt sie dieses schiefe Argument mit anderen Worten:

"Klar, wer seit seinem 15. Lebensjahr auf einer Baustelle geschuftet hat, ist in diesem Alter nicht mehr fit. Aber im Zeitalter «Industrie 4.0», also der digitalen Revolution, wird körperliche Schwerarbeit seltener."

Worüber Salomon kein einziges Wort verliert, das ist die psychische Belastung bzw. der Anstieg psychischer Beschwerden und Erkrankungen (nicht zuletzt verursacht in vielen Fällen durch die Berufstätigkeit). Sie ignoriert damit, was sogar der "Kurier" selbst am gleichen Tag (28. März 2015) an anderer Stelle berichtet hat:

"Last, but not least nimmt das Ausmaß an psychischen Erkrankungen stetig zu. Und damit auch die Zahl jener Menschen, die aufgrund ihres Leidens arbeitsunfähig werden bzw. in die Frühpension gehen. Womit Österreich übrigens nicht allein ist: […]"

Das schreibt die Kurier-Redakteurin Susanna Sklenar in einer Beilage mit dem Titel "Kurier-Extra" (Seite 5). Diese Beilage ist zwar eine sogenannte "Entgeltliche Kooperation" (weshalb man den Inhalt mit noch größerer Vorsicht genießen muss, als das, was man sonst von den Medien präsentiert bekommt). Man kann aber zweifellos davon ausgehen, dass Sklenar in diesem Punkt Tatsachen referiert. In einer Spalte neben dem Artikel ist davon die Rede, dass Schätzungen zufolge 1,2 Millionen Österreicher psychisch krank seien und dass nach einer WHO-Prognose die Depression im Jahr 2030 weltweit als Erkrankung an erster Stelle vor den Herzleiden stehen werde.

Nichts von all dem findet Eingang in Salomons Leitartikel! Die Realität hinsichtlich der psychischen Ursachen für Arbeitsunfähigkeit wird komplett verschwiegen, weil das nicht ins propagandistische Konzept des Artikels passt.

Weiter geht es in ihrem Kommentar vom 26. März mit den Kosten – also dem für Leute wie Salomon letztlich allein ausschlaggebenden Faktor, um den sich alles dreht und zu drehen hat:

"Der staatliche Pensionszuschuss hat Hypo-Alpe-Adria-Ausmaße erreicht: über zehn Milliarden, und das jährlich, müssen ausgezahlt werden, weil die Versicherungsbeiträge nicht ausreichen. Tendenz stark steigend."

Ja und? Das kann man nur dann als Problem betrachten, wenn man das Geld und Vermögen der Wohlhabenden bzw. Reichen, aber auch des sogenannten "Mittelstandes" als heilige Kuh betrachtet (wie das freilich Salomon und ihresgleichen in übelster neoliberaler Manier tun). Geld wäre genug zu holen: Beitragserhöhungen wären den entsprechend Verdienenden ebenso zuzumuten wie Vermögens-, Erbschafts- und Schenkungssteuern den Bessergestellten. Wenn man auf das alles (und noch viel mehr) an Einnahmen großzügig verzichten zu können meint (wie das – politisch, ideologisch und boulevard-medial determiniert – in unserem System leider der Fall ist), dann hat man irgendwann wohl tatsächlich Finanzie­rungs­probleme. Und die will der herrschende Ungeist eben dadurch in den Griff bekommen, dass er die sozialen Leistungen immer mehr kürzt oder überhaupt eliminiert und den auf Lohnarbeit angewiesenen Menschen das Leben immer schwerer macht.

Auch der Neid auf die Pensionist/innen wird von Salomon eifrig geschürt: Die Politik verteile "weiterhin Zuckerln" (Salomon meint wohlgemerkt nicht jene für Unternehmer und Reiche!), denn "für Pensionisten gibt es Extra­geld" im Zuge der Steuerreform. Dann die Polemikerin im Wortlaut:

"Fad werden muss den Jungrentnern auch nicht: von Seniorenreisen bis zum Gratis-Seniorenstudium reicht das Angebot."

Der Satz ist ein schaurig-schönes Exempel dafür, wie eine Boulevard-Journalistin in übler Weise gegen Menschen gezielt Stimmung macht – noch dazu mit Beispielen, die hinsichtlich ihrer finanziellen bzw. quantitativen Bedeutung nur als lächerlich einzustufen sind. Den Reichen schmiert Salomon permanent ihren publizistischen Honig ums Maul – aber den Senioren missgönnt sie eine (allenfalls verbilligte) Reise (!) oder den Besuch einer Vorlesung auf der Uni.

Weil zu Propagandazwecken der Ruhestand aber nicht (nur) als angenehme Zeit mit Reisen, Studium oder auch bloß Laub rechen im Schrebergarten dargestellt werden darf, sondern zwecks Abschreckung (auch) als etwas Schlimmes, Unerfreuliches präsentiert werden muss, kommt im letzten Absatz des Leitartikels eine krampfhafte Kehrtwende um 180 Grad. Da verfinstert sich Salomons Ruhestandsszenario dramatisch: Nach der oben zitierten Polemik gegen Seniorenreisen und Gratis-Seniorenstudium geht es nahtlos wie folgt weiter:

"Dennoch sind Pensionisten oft überdurchschnittlich sauer auf die Politik. Dahinter versteckt sich manchmal der Frust, kein aktives Mitglied der Gesellschaft mehr zu sein – besonders, wenn man keine Familienaufgaben hat, was in einer kinderarmen Gesellschaft immer öfter zum Normalfall wird. Im besten Falle wird ehrenamtlich gearbeitet, aber das lässt sich hierzulande noch deutlich ausbauen. In Wahrheit stolpern viele Menschen ja völlig unvorbereitet in den dritten Lebensabschnitt. Deswegen ist die geplante, leider nur sehr halbherzige Teilpension ein erster Schritt."

So viel argumentativer Unsinn gehört im Detail analysiert – wenn auch nur mehr stichwortartig:

• Ja was jetzt, Frau Dr. Salomon? Ist Ruhestand Ihres Erachtens Paradies (im Schrebergarten bzw. auf der Seniorenreise ins Waldviertel), oder ist er Frust erzeugende Hölle? – Wie schon vorhin erwähnt: Mit beiden Klischees will Salomon Stimmung gegen die (Früh-)Pension machen. Aber diese Klischees stehen zueinander in diametralem Widerspruch. (Daran ändern auch Formulierungen wie "dennoch" oder "manchmal" nichts.)

• Unterstellen wir, dass der Übergang in den Ruhestand manchen Leuten tatsächlich Schwierigkeiten bereite: Und deshalb sollen alle (also auch jene, die nicht Pensionsschock-gefährdet sind) länger arbeiten müssen? Außerdem wären doch gerade für die infolge der Pensionierung (angeblich) frustrierten Menschen Angebote wie (verbilligtes) Reisen oder gar ein Studium höchst sinnvoll. Wieso kritisiert Salomon also solche Angebote, wo sie sich doch vorgeblich um das Schicksal dieser Menschen sorgt? Die Antwort ist natürlich klar: weil diese Angebote dem (berufstätigen) Steuerzahler keine Ersparnis bringen. Die Teilpension wird hingegen begrüßt, weil damit Menschen länger arbeiten, anstatt den "Fleißigen" auf der Tasche zu liegen, unnötig herumzureisen oder auf der Universität den Jungen den Platz wegzunehmen. Ähnliches gilt für ehrenamtliche Tätigkeiten: Die lassen sich für Salomon "hierzulande noch deutlich ausbauen", weil damit Menschen gratis eine Arbeit verrichten, die zwar (gesellschaftlich) notwendig ist, für die man aber auf diese Art bequemerweise nichts zu bezahlen braucht. Mit anderen Worten: Es ist journalistisch geheuchelte Sorge um das Pensionistenwohl mit dem eigentlichen und alleinigen Ziel der Kostenersparnis.

• Was all die merkwürdigen Überlegungen Salomons damit zu tun haben könnten, dass "Pensionisten oft überdurchschnittlich sauer auf die Politik (sind)", wie sie jedenfalls behauptet – das weiß sie wohl nicht einmal selbst. Ein wie immer gearteter logischer Zusammenhang ist jedenfalls nicht erkennbar. Allfälliger Pensionisten-Unmut über die Politik wird wohl primär damit zu tun haben, dass die Pensionshöhe zu gering ist. Aber das wäre ein ganz anderes Thema – eines, das Salomon in ihrem Leitartikel klarerweise mit keinem Wort anspricht; wo doch die Pensionisten bei der jüngsten Steuerreform ohnedies durch "Extrageld" verwöhnt wurden ...