In
der heutigen Ausgabe des "Kurier" (31. März 2015) äußert sich dessen
Herausgeber und Chefredakteur Helmut Brandstätter ausführlicher zum
Umgang seiner Zeitung mit Name und Foto des Co-Piloten, der vor einer
Woche vermutlich das Flugzeugunglück in den französischen Alpen
verursacht hat.
Brandstätter bringt in seinem Leitartikel mit dem Titel "Fakten suchen – das bleibt unsere Aufgabe" allerdings nichts vor, was meine kürzlich in diesem Zusammenhang geäußerte Kritik an den Medien entkräften würde (siehe meinen Blog-Eintrag vom 27. März).
Dabei
war ich zu Beginn der Lektüre seines Kommentars sogar noch geneigt,
Brandstätter wenigstens das Bemühen um eine redliche Auseinandersetzung
mit dem Thema nicht abzusprechen. Aber auch das hat sich gewandelt, je
mehr ich von seinem Text gelesen habe.
Hier einige wesentliche Einwände zu Brandstätters Darstellung.
Zum Verhalten des "Kurier" schreibt er zunächst:
"Der Staatsanwalt buchstabierte [in der Pressekonferenz] den Namen [des Co-Piloten] –
also haben auch wir ihn online gestellt. Fotos kursierten, auch wir
brachten sie. Erste Berichte aus der Heimat des Co-Piloten wurden
publiziert – wir zitierten."
Mit anderen Worten: Wir haben
mit der Meute gekläfft. Das Verhalten Dritter ersparte eigenes Denken
und die Wahrnehmung eigener Verantwortung. Also klassisches Mitläufer-
und Mittätertum.
Allerdings formuliert Brandstätter unmittelbar darauf sanfte Bedenken:
"Haben wir alles richtig gemacht? Darüber wird in der Redaktion seit Tagen diskutiert, […]"
Das
könnte der erste Ansatz eines (wenn auch reichlich verspäteten)
Bedauerns über eigenes mediales Fehlverhalten sein; ist es aber leider
nicht.
Was folgt, das sind zunächst die professionellen Floskeln,
die allerorten (natürlich nicht nur von Medien) immer dann verwendet
werden, wenn etwas schief gelaufen ist, ohne dass sich dies verbergen
oder leugnen lässt: a) Jeder macht Fehler. b) Heutzutage ist alles so
schwierig. c) Wir lernen aus unseren Fehlern.
Bei Brandstätter klingt das folgendermaßen:
"Niemand
arbeitet fehlerlos. […] Gerade Journalisten lernen ständig dazu, weil
es zwar Grundsätze, aber nicht für jedes Ereignis einen genauen
Verhaltenskodex gibt. Im Zeitalter des Internets und der Online-Blogs
ist der Zeitdruck noch viel größer als früher."
Und unmittelbar danach:
"Also
schrieben wir den Namen des Co-Piloten sofort auf kurier.at. Richtig?
Im Rückblick eher nicht, da andere Personen denselben Namen tragen und
Verwandte zu schützen sind. Als Konsequenz einer Diskussion in der
Redaktion kürzten wir den Namen später ab, auch in der gedruckten
Zeitung."
Allein, dass über eine solche (moralische)
Selbstverständlichkeit wie das (nachträgliche!) Unterlassen der Nennung
des Familiennamens eine redaktionelle Diskussion vonnöten war, bezeugt
die Verlotterung der Boulevard-Medien. Aber auch sonst überzeugt
Brandstätters Erklärungsversuch nicht:
Das Ereignis in
Frankreich mag zwar in der Tat sehr ungewöhnlich gewesen sein. Aber für
Journalist/innen mit Anstand würde (und dürfte) sich daraus – dennoch –
nicht das geringste Problem hinsichtlich der Berichterstattung und ihrer
Grenzen ergeben. Die Sache wäre nämlich sehr einfach: Informiert wird
über das Geschehene, aber persönliche Details über den (mutmaßlichen)
Täter/Verursacher – also insbesondere Name, Wohn- bzw. Herkunftsort und
Fotos von ihm – sind ein striktes Tabu. Das ist keine Frage des
konkreten Ereignisses, auch keine der Existenz eines "genauen
Verhaltenskodex" und ebenso wenig eine des ständigen "Dazulernens". Es
ist eine simple Frage des Anstands, der Moral.
Und was kann man von dem Argument halten, dass "(i)m Zeitalter des Internets und der Online-Blogs (…) der Zeitdruck noch viel größer als früher (ist)"?
Überhaupt nichts. Erstens sind die Medienmacher Profis, die auch von
anderen Menschen ständig sogenannte "Professionalität" und Anpassung an
geänderte Bedingungen fordern. Da wirkt es nur selbstmitleidig, wenn sie
darüber klagen, wie schwierig doch die Verhältnisse für die eigene
Berufsausübung seien.
Ein zweiter Punkt ist jedoch viel wesentlicher:
Wir
wollen den armen Journalist/innen zugestehen, dass durch Zeitdruck und
die Existenz so vieler anderer Informationsquellen hin und wieder ein
Recherchefehler unterläuft und aufgrund dessen Mängel in der
Berichterstattung auftreten können. Aber was hat all das mit dem
Ausschreiben oder Abkürzen (oder Nicht-Erwähnen) eines Namens zu tun?
Ein simples "Suchen-Ersetzen" mit einem beliebigen
Textverarbeitungsprogramm würde sicherstellen, dass binnen Sekunden ein
allenfalls unerwünschter Name aus dem Text entfernt ist. In Wahrheit ist
das Argument mit dem Zeitdruck also eine völlig untaugliche Ausrede –
es ging (und geht) allein darum, ob man den Namen bewusst ausschreiben wollte
(bzw. ob man an dieses so sensible Thema zunächst überhaupt einen
Gedanken verschwendet hat). Wäre es anders, hätte darüber später auch
keine redaktionelle Diskussion stattzufinden brauchen.
So viel
zur Namensnennung. Noch schlimmer kommt es mit Brandstätters Erklärungen
zur Veröffentlichung des Fotos des Co-Piloten (siehe dazu auch die
Abbildung in meinem zuvor erwähnten Blog-Artikel vom 27. März). Er
meint:
"Wir sind auch heute noch der Meinung dass es richtig
war, das Foto zu zeigen. Bei einer derartigen Katastrophe haben die
Leser ein Recht auf umfassende Information, und dazu gehörten auch
persönliche Details, von Fotos bis zur Krankengeschichte des Mannes."
Es
sind Aussagen wie diese, die die Machtstellung, die Anmaßung und die
Gefährlichkeit der "freien Medien" auf erschreckende Weise
dokumentieren. (An anderer Stelle derselben Ausgabe des "Kurier" gibt es
ein weiteres [wenngleich nicht ihm anzulastendes] Beispiel dafür; die
Wortwahl ist noch unverblümter als bei Brandstätter. Die Chefredakteurin
der deutschen "Bild am Sonntag", Marion Horn, wird mit folgender
Feststellung zitiert: "Wir entscheiden selbst, wie wir unsere Zeitung machen. Weil wir es können.")
Brandstätter
(und seinesgleichen) verwandeln eine moralisch fragwürdige (bzw. für
mich eindeutig verwerfliche) Vorgangsweise (die – basierend auf einem
völlig verfehlten Verständnis von Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit –
durch das Medienrecht und die zugehörige Judikatur juristisch leider
gedeckt zu sein scheint) in eine Tugend: nämlich in einen notwendigen
Dienst an den Leser/innen, die ein "Recht auf umfassende Information" hätten. Und Brandstätter dekretiert, dass "dazu (…) auch persönliche Details (gehörten)".
Dem ist Folgendes zu entgegnen:
•
Es geht in Wahrheit selbstverständlich nicht um die Vermittlung von
"Information", sondern um die Befriedigung von Sensationsgeilheit und
Voyeurismus des Massenpublikums (siehe dazu schon näher meinen letzten
Blogeintrag zum Thema, wo ich nicht umsonst einen Vergleich zum
sogenannten Elefantenmenschen als Jahrmarktsattraktion früherer Zeiten
gezogen habe). Spiegelbildlich geht es aus der Sicht der Medien um
Auflagenzahlen, Quoten oder Seitenaufrufe im Internet. Um sonst gar
nichts.
• Wer sich über das Gesicht (bzw. den Namen) des
Co-Piloten "informieren" wollte, wurde dazu (leider) auch in vielen
anderen Zeitungen oder durch Suche im Internet mühelos fündig. Keine
Zeitung (und kein sonstiges Medium) hätte sich also den "Vorwurf" machen
müssen, dem eigenen Publikum diese wichtige "Information" vorenthalten
zu haben, wenn die entsprechende Veröffentlichung unterblieben wäre –
ebenso wenig, wie sich ein Wirt an seinen (potentiellen) Lokalbesuchern
versündigt, wenn er keine Nudelsuppe auf der Speisekarte hat; oder ein
Textilhändler an seinen Kunden, weil er keine karierten Hemden oder
gelben Socken führt. Soll heißen: Kein Unternehmer ist verpflichtet,
eine bestimmte Ware anzubieten – schon gar nicht, wenn die (ethisch
berechtigte oder unberechtigte) Nachfrage sowieso von genügend
Konkurrenten befriedigt werden kann. Wieso wird das von (dem sonst so
wirtschaftsorientierten) Dr. Brandstätter im Fall der Medien anders
gesehen? Nämlich so, als ob es sich bei der Veröffentlichung eines Fotos
bzw. anderer persönlicher Details (auch) in seiner Zeitung um so etwas
wie die Erfüllung einer unverzichtbaren Mission im Interesse der
Informationsversorgung der Leser/innen handeln würde. – Dabei ist die
Sache ganz simpel: Wer Nudelsuppe will, wird eben zum nächsten Gasthaus
ziehen; und wer unbedingt wissen möchte, wie der Co-Pilot ausgesehen hat
(oder mit vollem Namen heißt), der wird sich die Information aus einem
anderen Medium besorgen. Genau das soll aber aus Sicht des jeweiligen
Medienunternehmens verhindert werden. Und damit schließt sich der Kreis
zum oben Erwähnten: Es geht in Wahrheit natürlich nur um Verkaufszahlen
und um die Verhinderung von Kundenabwanderung.
Nun kann man ein
solches Bestreben zwar als natürliches und legitimes unternehmerisches
Ziel ansehen. Aber dann sollte all das schönfärberische und verlogene
Gerede über das große Verantwortungsbewusstsein der Medien und ihre
wichtige Rolle in der Demokratie unterbleiben. Denn wenn ein Gastwirt
eine Suppe ins Angebot nimmt, um nur ja keine Kunden zu verlieren, ist
das harmlos. Wenn jedoch eine Zeitung (oder ein anderes Medium) aus
demselben Motiv wie der Wirt jeden grundlegenden Anstand über den Haufen
wirft (und das dann auch noch als Erfüllung einer Informationsaufgabe
glorifiziert), dann ist das genau das Gegenteil von harmlos.
Die
medialen Vorkommnisse der letzten Tage haben mich im Übrigen an einen
alten Pazifistenspruch erinnert: "Stell dir vor, es ist Krieg und keiner
geht hin." Das könnte man abwandeln: "Stell dir vor, es wäre
Gelegenheit für mediale Schweinereien, aber kein Medium macht mit." Doch
soweit mir bekannt, hatte kein einziges Boulevard-Medium den Mut zu
entscheiden: "Wir veröffentlichen kein Foto des Co-Piloten, und wir
nennen weder seinen Namen noch sonstige persönliche Details." (Das
höchste der Gefühle waren in manchen Medien halbherzige Schritte wie
abgekürzter Name und/oder verpixelte Fotos.)
Mit anderen Worten: eine Horde von feigen Mitmachern.
Der
Historiker Oliver Rathkolb meinte am 30. März – also nur einen Tag vor
Brandstätters Leitartikel – in einem Kurier-Interview (in völlig anderem
Zusammenhang):
"Man kritisiert den Staat und die Parteien. Zivilcourage muss man aber suchen."
Auf
diese Aussage nahm Brandstätter in seinem Leitartikel vom gleichen Tag
sogar selbst Bezug (nämlich hinsichtlich des Überlaufens eines Wiener
Landtagsabgeordneten der Grünen zur SPÖ). Also wieder einmal die übliche
Untugend des Boulevard-Journalismus: bei Anderen solche Qualitäten
einzumahnen, über die man selbst nicht verfügt.
Denn Brandstätter
muss sich (stellvertretend für viele andere Medienleute) schon auch
fragen lassen: Wo bleibt eine Art Zivilcourage der Medien? Wo bleibt der
"Mut", auch dann zu etwas Nein zu sagen, wenn es "alle Anderen" tun?
Dass
man bei Brandstätter (und seinesgleichen) mit solchen Fragen an der
falschen Adresse ist, wird aber spätestens mit dem Schluss seines
heutigen Leitartikels klar. Zunächst präsentiert er wieder (wie schon am
27. März) sein lächerliches Scheinargument, dass es darum gehe, durch
die Vermittlung von Information die Bildung von Verschwörungstheorien zu
verhindern. Wörtlich schreibt er:
"Was ist die
Alternative zu Information? Die Spekulation, die schnell zur
Verschwörung wird, und die verbreitet sich im Internet besonders
schnell."
Dann kommt er auf Jörg Haiders Unfalltod zu
sprechen und meint, dass ein deutscher Verlag diesbezüglich
Verschwörungstheorien publiziert habe, "dabei aber kein Wort über Alkohol und Geschwindigkeit [Anm.: als Ursache für Haiders Autounfall] verlor".
Und
das soll auch nur den geringsten Begründungswert dafür haben, Name
und/oder Foto des (zuvor der Öffentlichkeit völlig unbekannten)
Co-Piloten zu publizieren?? Wie schon neulich von mir im Blog erwähnt:
Auch im Zusammenhang mit (allfälligen) Verschwörungstheorien haben
Informationen der Öffentlichkeit über Ursache und Ablauf des
Flugzeugunglücks eine komplett andere Funktion als die (diesbezüglich
völlig irrelevante) Preisgabe persönlicher Details des Co-Piloten (wie
Foto, Name etc.; Veröffentlichungen über seine Krankengeschichte sind
ein Problem für sich, das gesondert zu erörtern wäre).
Brandstätter schreibt sogar plakativ "Verschwörung – nicht unser Geschäftsmodell"
und versucht auf diese Weise, seine Leser/innen auf ein völlig falsches
Gleis zu führen. Er macht in gewisser Hinsicht sogar genau das, was er
(vorgeblich) kritisiert: Er will Verschwörungstheorien verhindert
wissen, konstruiert dabei aber paradoxerweise selbst eine: nämlich jene,
dass die Nicht-Veröffentlichung bestimmter "Informationen" in den
Medien umgehend von bösen Mächten – etwa in Gestalt "windige(r) Verlage" – ausgenützt werden würde, um Verschwörungstheorien in die Welt zu setzen.
Also
gleichsam eine Brandstätter'sche Verschwörungstheorie über die
Entstehung von Verschwörungstheorien. Man kann es aber natürlich auch
weniger spitzfindig sehen: Brandstätter behauptet etwas ohne den Funken
einer sachlichen Grundlage.
Und selbst wenn er mit seiner
konstruierten Furcht vor Verschwörungstheorien Recht hätte: Man könnte
ja abwarten, ob sie entstehen und welchen konkreten Inhalt sie haben,
anstatt schon vorweg durch Preisgabe aller möglichen persönlichen
Details die Privatsphäre von Menschen zu verletzen bzw. zu zerstören.
Ganz am Ende seines Leitartikels wird Brandstätter pathetisch und selbstgefällig:
"Wir
können gerade unter der Bedrohung des Sekundenjournalismus nur mit
ehrlicher Suche nach der Wahrheit überleben. Das wird Fehler nicht
verhindern, aber mit jedem Fehler und jeder Kritik lernen wir. Offen und
ehrlich."
Erstens geht es im gegebenen Zusammenhang gar
nicht um Wahrheit und die "ehrliche Suche" nach ihr. Thema ist vielmehr
Folgendes: Ist es legitim, diese Wahrheit ohne Rücksicht auf die
Privatsphäre und/oder die Gefühle von Menschen (zB. von Hinterbliebenen
oder Opfern) unter dem Vorwand eines (vorhandenen oder von den Medien
erst ausgelösten?) "Informationsbedürfnisses" der Öffentlichkeit an
letztere preiszugeben?
Zweitens lernt Brandstätter und mit ihm
der "Kurier" aus Fehlern und Kritik eben gerade nicht. Das zeigt schon
allein seine Aussage: "Wir sind auch heute noch der Meinung, dass es richtig war, das Foto zu zeigen."