Frau Dr.
Salomon ortet "Denkverbote" und widmet dem Thema ihre Kolumne "Salomonisch" im "Kurier" vom
13. Februar 2016 (im
Internet hier veröffentlicht).
Der Titel
ihres Artikels lautet: "Eine offene
Gesellschaft braucht keine Denkverbote."
Es gibt sie
auch nicht, ist man versucht, kurz und bündig zu entgegnen.
Denn schon der Begriff "Denkverbote" ist – wie so viele andere in unserer
Zeit – rein manipulativ und allein deshalb Grund für Misstrauen. Verboten ist
in unserer Gesellschaft wenig, und das Denken lässt sich schon gar nicht
verbieten. Damit ist der Ausdruck auch in logisch-semantischer Hinsicht
unhaltbar.
Aber das
soll nicht der Hauptkritikpunkt sein. Nehmen wir den Terminus als gegeben hin
und konzedieren wir, dass er von seinen Benutzern nicht wörtlich gemeint sei,
sondern er darauf verweisen (oder eher suggerieren?) soll, dass die
Artikulation abweichender Meinungen in unserer Gesellschaft auf die eine oder
andere Weise bekämpft oder gar unterdrückt werde und insofern eine Tabuisierung dieser Meinungen stattfinde.
Und da ist
schon das nächste Phänomen zu beobachten:
Über die
vermeintlichen Denkverbote beklagen sich vorzugsweise jene, die ohnedies im
selben Atemzug ihre (zumeist inhumanen) Gedanken und Ansichten kundtun; dies
meist sogar recht massiv (etwa am Stammtisch, in der U-Bahn oder in
Internet-Foren) und zuweilen besonders öffentlichkeitswirksam – etwa wenn man
als Journalistin das Privileg hat, in einer Tageszeitung regelmäßig die eigenen
Vorstellungen und Ideen einem Massenpublikum präsentieren zu dürfen (und dafür
auch noch bezahlt zu werden).
Damit wird
das Klagen über die Denkverbote zu einem unglaubwürdigen, heuchlerischen Akt.
Keine Frage: Das Denken wird in unserer Gesellschaft auf vielerlei Weise und in vielen Belangen subtil gesteuert und manipuliert. Aber nichts davon hat Salomon im Auge, wenn sie behauptet, es seien "reihenweise neue Denkverbote" angesagt.
Sehen wir uns im Einzelnen die Beispiele an, die sie dafür ins Treffen führt:
Beispiel 1:
Sie
verweist zunächst auf die kürzlich stattgefundene größte Agrartagung
Österreichs. Unter den Teilnehmern hätte weitgehende Einigkeit darüber
geherrscht, dass "Gentechnik und
TTIP [= Transatlantisches Freihandelsabkommen] ganz, ganz pfui seien". Ein deutscher Professor habe als
Einziger in seinem Vortrag einen anderen Standpunkt zur Gentechnik vertreten,
was laut Salomon zur Folge hatte, dass
"sich eine Umweltaktivistin empört zu Wort
meldete, warum die Veranstalter es gewagt hätten, jemanden einzuladen, der
nicht die herrschenden Dogmen vertritt."
Salomons
daraus abgeleitete rhetorische Frage: "Kontroverse
nicht erwünscht?"
Von einem
Denkverbot (auch im oben erörterten weiteren Sinn) ist bei dem von Salomon
geschilderten Geschehen nichts zu bemerken: Dass man als Individuum bei bestimmten Themen nicht gern
eine von den eigenen Vorstellungen abweichende Meinung hört, ist (schon rein
psychologisch) nachvollziehbar (und kann wahrscheinlich auch jeder manchmal an
sich selbst beobachten). Daraus gesamtgesellschaftliche oder auch nur
gruppenspezifische Schlüsse über ein angebliches Denkverbot zu ziehen, ist
natürlich verfehlt. Der deutsche Professor mit der abweichenden Meinung zur
Gentechnik war immerhin zur Tagung eingeladen, konnte dort sprechen, und sein
Vortrag ist offensichtlich auch nicht durch reihenweise Buhrufe, Pfiffe oder das Werfen
fauler Eier beeinträchtigt worden. Wenn es zu derartigen Vorfällen gekommen
wäre (und Salomon hätte uns sicher genüsslich davon berichtet) – dann (und nur
dann) wäre das tatsächlich als Manifestation eines sogenannten
"Denkverbots" im Kreis der dortigen Agrarier zu beanstanden.
Im Übrigen
muss sich Frau Dr. Salomon als stellvertretende Chefredakteurin des "Kurier"
angesichts ihrer Kritik an der empörten Umweltaktivistin schon auch die Frage gefallen
lassen, wie es denn um die "Einladungspolitik" in "ihrer"
Zeitung bestellt ist. Wird dort jemand beispielsweise als Gastkommentator
zugelassen, wenn er etwa pointiert "linke" oder medienkritische
Äußerungen publizieren möchte? Oder wird auch nur ein einschlägiger Leserbrief
veröffentlicht? Ich habe daran meine Zweifel.
Wenn man es
als Denkverbot ansieht, dass (grundlegend) abweichenden Ansichten keine Tribüne
zu ihrer Präsentation geboten wird, dann gehen solche "Verbote" eben gerade
auch von Massenmedien aus. Und natürlich nicht nur im "Kurier". Wer
beispielsweise schon einmal versucht hat, im Internet-Forum des
"Standard" eine der Redaktion unbequeme Meinung zu posten, kann
gleichfalls ein Lied davon singen, welch rigorose "Denkverbote"
gerade von jenen ausgehen, die dauernd die Meinungsfreiheit im Munde führen und
für sich selbst die Pressefreiheit in Anspruch nehmen.
Beispiel 2:
Unmittelbar
danach setzt Salomon den Zwischentitel "Feige
Forscher" [!]. (Zu sehen in der Papierausgabe der Zeitung – in der Online-Version
des Artikels fehlen die Zwischentitel.)
Darunter
schreibt sie:
"Die Wissenschaft und ihre Lehre sind
frei? Nicht doch! Es gibt kaum noch heimische Wissenschaftler, die unbekümmert
in aller Öffentlichkeit Tabus zu brechen wagen."
Was Salomon
damit meint, bleibt völlig unklar, weil sie diese Behauptung mit keinem Wort
näher konkretisiert. Man kann daher (im Kontext mit den vorangegangenen
Ausführungen ihres Artikels) nur Folgendes vermuten: Salomon bemängelt (vielleicht),
dass bei der erwähnten Tagung lediglich ein deutscher Professor zugunsten der
Gentechnik referiert habe, während österreichische Forscher "feig"
seien und sich deshalb skeptisch (oder ablehnend) gegenüber der Gentechnik
äußern würden.
Was auch
immer gemeint sein mag: Salomon ortet in der heimischen Wissenschaft
Denkverbote, die auf der Feigheit der (meisten) Forscher beruhen sollen. Kühne
Aussagen – aber in keinerlei Weise konkretisiert oder gar belegt. Was man also
davon halten kann? Nichts.
Beispiel 3:
Beim
nächsten Beispiel nähern wir uns jenem Thema, das Salomon (neben ihrer
permanenten Sorge um das Wohlergehen der Reichen und der Unternehmen) ein
besonderes Anliegen geworden ist: die vermeintliche Bedrohung durch die Fremden
(aktuellerweise heißt das insbesondere: die Flüchtlinge bzw. die Moslems).
"Denkverbote können allerdings leicht zum
Bumerang werden",
konstatiert Salomon und schreibt dann:
"Als – noch vor Kurzem – eine Wiener SPÖ-Stadträtin [Anm.: offensichtlich Sonja
Wehsely] auf mögliche Probleme in
islamischen Kindergärten angesprochen wurde, meinte sie nur spitz: «Also, ich hab' keine Migrationsängste.»"
Salomons
Interpretation dazu:
"Ende der Debatte. Probleme in der Stadt?
Gibt's nicht. Welch fundamentaler Irrtum."
Ganz unabhängig
davon, welche Meinung man zur Äußerung der Stadträtin haben mag, liegt Salomon
mit ihrer Polemik völlig daneben:
- Wenn
jemand sagt, er habe (in einem bestimmten Zusammenhang) keine Ängste, so mag
das eventuell ignorant, naiv, leichtsinnig, verharmlosend, möglicherweise auch
gelogen sein (oder vielleicht auch all das nicht). Aber eines steht fest: Mit
einem Denkverbot hat es nicht das Geringste zu tun. Jedem Menschen –
einschließlich Frau Dr. Salomon – steht es frei, die eigenen Migrationsängste
weiter zu hegen und zu pflegen (und sie sogar publizistisch zu verbreiten, wenn
man bei einer Zeitung arbeitet). Dass eine Stadträtin erklärt, diese Ängste
nicht zu empfinden, ist dafür kein wie immer geartetes Hindernis.
- Wieso in
diesem Fall das vermeintliche Denkverbot "zum Bumerang" geworden sein
soll, ist auch nicht nachvollziehbar. So ist nicht bekannt, dass die Stadträtin
nach Tätigung ihrer Aussage beispielsweise von zugewanderten radikalen
Islamisten attackiert worden wäre. (Diesfalls hätten Bösmeinende sagen können:
"Das ist der Bumerang. Zuerst erklärt sie leichtfertig, keine Migrationsängste zu haben
– jetzt musste sie am eigenen Leib verspüren, wie gefährlich die Situation
ist.") Ebenso wenig sind etwa marodierende Horden von plündernden,
brandschatzenden oder vergewaltigenden Migranten durch Wien gezogen, was
allenfalls Anlass hätte geben können, von einem Bumerang für die angstfreie
Stadträtin (oder für die Migrationspolitik der Stadt Wien) zu sprechen.
Wahrscheinlich dachte Salomon bei ihrer Bumerang-Hypothese an eine (Vor-)Studie über islamische Kindergärten, in der es um Missstände in diesen Einrichtungen gehen soll. Aber schon allein, dass es diese Untersuchung gibt (und ihr Ergebnis publiziert bzw. darüber berichtet wurde), beweist, dass die Stadträtin diesbezüglich überhaupt nichts "verboten" hat und es damit auch aus diesem Grund gar kein "Denkverbot" gab, das zum Bumerang hätte werden können.
Wahrscheinlich dachte Salomon bei ihrer Bumerang-Hypothese an eine (Vor-)Studie über islamische Kindergärten, in der es um Missstände in diesen Einrichtungen gehen soll. Aber schon allein, dass es diese Untersuchung gibt (und ihr Ergebnis publiziert bzw. darüber berichtet wurde), beweist, dass die Stadträtin diesbezüglich überhaupt nichts "verboten" hat und es damit auch aus diesem Grund gar kein "Denkverbot" gab, das zum Bumerang hätte werden können.
- Und der
vielleicht wesentlichste Einwand zu diesem Denkverbots-Beispiel: Soweit man "Probleme in der Stadt"
ortet, ist das noch lange kein Grund, Ängste – in diesem Fall eben
Migrationsängste – zu entwickeln. Anders gesagt: Man kann auch
Problembewusstsein haben, ohne deshalb in Ängste (oder eher: in als Ängste
getarnte Fremdenfeindlichkeit) zu verfallen. Aber wie ich schon im vorigen Blog-Eintrag
(siehe hier) geschrieben habe: Angst zu haben – das ist in Österreich (und
nicht nur da) in Zusammenhang mit dem Fremdenthema inzwischen geradezu schick
geworden. Und wie diese Angstgefühle unter anderem von Salomon subtil geschürt
werden (natürlich nicht nur von ihr!), zeigt eben anschaulich ihr missglücktes
Bumerang-Beispiel: Es wird einer Politikerin vorgehalten, dass sie keine Ängste
habe (bzw. dies jedenfalls erklärt hat). Ja, es wird ihr sogar unterstellt,
damit ein Denkverbot ausgesprochen zu haben.
Beispiel 4:
Dann folgt
die übelste Passage in dem Kolumnentext: Salomons Ausführungen zum Thema
Fasching und Flüchtlingskrise. (Ja, auch da erkennt sie natürlich ein
Denkverbot.) Was sie in dem Zusammenhang schreibt, ist so skandalös, dass
ich dazu einen eigenen Blog-Artikel verfasst habe (Link folgt unten).
Beispiel 5:
Salomon
setzt fort mit der Kritik an der Entscheidung einer Theaterdirektorin (gemeint
ist offensichtlich Anna Badora). Wie Medienberichten zu entnehmen ist, geht es
dabei im Kern um Folgendes:
Im Wiener
Volkstheater war für kommenden April die Uraufführung eines Theaterstücks
namens "Homohalal" (verfasst von einem kurdisch-syrischen Autor
namens Ibrahim Amir) vorgesehen, in welchem (gleichfalls laut Medienberichten) – fiktiv 20
Jahre in die Zukunft projiziert – Flüchtlinge als Menschen mit zahlreichen
negativen Eigenschaften dargestellt werden. (Da es sich angeblich um eine
Komödie handelt, ist zu vermuten, dass das Ganze einen satirischen
Charakter hat.)
Die
Direktion des Volkstheaters hat sich aber nun entschlossen, diese Uraufführung
aufgrund der aktuellen Flüchtlingssituation abzusagen. Für Salomon ist das ein
weiteres willkommenes Beispiel für ein Denkverbot. Sie meint:
"In Wien werden von Direktorinnen jetzt
sogar Theaterstücke abgesetzt, weil das Publikum sie missverstehen könnte.
Zensur? Wo bleibt der Aufschrei der Besorgten?"
Na klar: "Zensur"
– das Lieblingswort und Totschlagargument aller großmäuligen Journalist/innen
muss in diesem Zusammenhang ja fallen.
Ich nehme
an, Salomon kennt ebenso wenig wie ich den konkreten Inhalt oder gar den Text
des Stücks. Wie wäre es, wenn sie schon allein deshalb einfach respektieren
würde, was das Volkstheater selbst in einer Presseaussendung vom 8. Februar zur Absage
schreibt:
"Seitdem die große Fluchtbewegung
aus Syrien und dem Irak Mitteleuropa unübersehbar erreicht hat, haben sich die
Vorzeichen für eine Inszenierung von «Homohalal» verändert. Der
öffentliche Diskurs über Geflüchtete ist zur Zeit stark von Angst und Hass
geprägt. In dieser Situation ist eine Dystopie* – so vielschichtig und komisch
sie im Fall von «Homohalal» sein mag – kein
geeignetes Mittel zur Auseinandersetzung über die Zukunft schutzsuchender
Menschen in Österreich."
*[also die
Darstellung eines negativen Zukunftsszenarios – das Gegenteil einer Utopie]
Das sind
zwar etwas verklausulierte Formulierungen; die Quintessenz dürfte aber wohl
sein: "Wir wollen kein Stück aufführen, das die gegenwärtige – durch
Xenophobie geprägte – Situation noch weiter anheizen könnte."
Und eine
solche Motivation ist etwas grundlegend Anderes als Zensur oder Denkverbot! Sie
ist ein Ausdruck von Verantwortungsbewusstsein.
Das sollte
eine Frau Dr. Salomon ebenso realisieren wie etwa ein Herr Norbert Mayer, der
in einem Artikel der Zeitung "Die Presse" (vom 10. Februar 2016)
meint, die Begründung des Volkstheaters klinge "wie
eine Ausrede" und erwecke "den Anschein präventiver Selbstzensur".
(Auch wenn Mayers Ausführungen immer noch um Einiges substanzieller sind als
Salomons 7-Zeilen-Polemik [hier sein Artikel].)
Beispiel 6:
Was in
Salomons Suada als letztes Beispiel für ein Denkverbot (bzw. -gebot) kommt,
lässt sich schlicht und einfach als belanglos abhaken:
Sie meint,
dass man "bei vielen
Grün-Funktionärinnen" mittlerweile "(n)ur
noch in den Keller lachen gehen" dürfe; denn es sei Puritanismus
angesagt. Man spreche "ausschließlich
in der weiblichen Form". Die Rede sei "nur noch von Lehrerinnen, Männer sind eliminiert."
Zwar halte
auch ich die Verwendung der ausschließlich weiblichen Form für verfehlt, wenn
beide Geschlechter gemeint sind. (Vor allem in offiziellen Äußerungen sollte dann
eben so viel Zeit sein, um von "Lehrerinnen und Lehrern" zu sprechen.)
Aber es ist einfach lächerlich, ein solches in jeder Hinsicht harmloses
Beispiel (das bestenfalls eine Schrulligkeit der betreffenden
Grün-Funktionärinnen dokumentiert) in einem Artikel ins Treffen zu führen, in
dessen Untertitel es ambitioniert-pathetisch heißt:
"Jetzt geht es darum, unsere
Errungenschaften als liberale Gesellschaft zu verteidigen, richtig? Aber halt,
ist es damit wirklich so weit her?"
Kein einziges
der von Salomon ins Treffen geführten Beispiele taugt als Beleg dafür, dass
irgendwelche einschlägigen Errungenschaften gefährdet wären. Und man darf
annehmen, dass ein solcher Nachweis von der Verfasserin auch gar nicht bezweckt
war. Die (erfundenen und herbeikonstruierten) Beispiele für Denkverbote (bzw. -gebote) wurden von ihr wohl einfach deshalb ins Treffen geführt,
um unter den Leser/innen wieder einmal für bestimmte (ohnedies sattsam
bekannte) ideologische Positionen der Verfasserin Stimmung zu machen, die da
lauten:
- pro
Gentechnik und pro TTIP (Beispiel 1)
- gegen Wissenschaftler, deren Aussagen ihr unbequem sind (wenn in diesem Artikel auch unklar bleibt, welche) (Beispiel 2)
- gegen Wissenschaftler, deren Aussagen ihr unbequem sind (wenn in diesem Artikel auch unklar bleibt, welche) (Beispiel 2)
- gegen
Fremde, insbesondere gegen Flüchtlinge und Moslems (Beispiele 3, 4, 5)
- gegen
Grün-Politik und gegen Feminismus (Beispiel 6).
Mit dem
krassesten Beispiel (Nr. 4) werde ich mich im folgenden Blog-Eintrag näher
beschäftigen: "Fasching und Flüchtlingskrise".