Freitag, 19. Februar 2016

Sind das Denkverbote?

Frau Dr. Salomon ortet "Denkverbote" und widmet dem Thema ihre Kolumne "Salomonisch" im "Kurier" vom 13. Februar 2016 (im Internet hier veröffentlicht).

Der Titel ihres Artikels lautet: "Eine offene Gesellschaft braucht keine Denkverbote."

Es gibt sie auch nicht, ist man versucht, kurz und bündig zu entgegnen.

Denn schon der Begriff "Denkverbote" ist – wie so viele andere in unserer Zeit – rein manipulativ und allein deshalb Grund für Misstrauen. Verboten ist in unserer Gesellschaft wenig, und das Denken lässt sich schon gar nicht verbieten. Damit ist der Ausdruck auch in logisch-semantischer Hinsicht unhaltbar.

Aber das soll nicht der Hauptkritikpunkt sein. Nehmen wir den Terminus als gegeben hin und konzedieren wir, dass er von seinen Benutzern nicht wörtlich gemeint sei, sondern er darauf verweisen (oder eher suggerieren?) soll, dass die Artikulation abweichender Meinungen in unserer Gesellschaft auf die eine oder andere Weise bekämpft oder gar unterdrückt werde und insofern eine Tabuisierung dieser Meinungen stattfinde.

Und da ist schon das nächste Phänomen zu beobachten:

Über die vermeintlichen Denkverbote beklagen sich vorzugsweise jene, die ohnedies im selben Atemzug ihre (zumeist inhumanen) Gedanken und Ansichten kundtun; dies meist sogar recht massiv (etwa am Stammtisch, in der U-Bahn oder in Internet-Foren) und zuweilen besonders öffentlich­keits­wirksam – etwa wenn man als Journalistin das Privileg hat, in einer Tageszeitung regelmäßig die eigenen Vorstellungen und Ideen einem Massenpublikum präsentieren zu dürfen (und dafür auch noch bezahlt zu werden).

Damit wird das Klagen über die Denkverbote zu einem unglaubwürdigen, heuchlerischen Akt.

Keine Frage: Das Denken wird in unserer Gesellschaft auf vielerlei Weise und in vielen Belangen subtil gesteuert und manipuliert. Aber nichts davon hat Salomon im Auge, wenn sie behauptet, es seien "reihenweise neue Denkverbote" angesagt.

Sehen wir uns im Einzelnen die Beispiele an, die sie dafür ins Treffen führt:

Beispiel 1:
Sie verweist zunächst auf die kürzlich stattgefundene größte Agrartagung Österreichs. Unter den Teilnehmern hätte weitgehende Einigkeit darüber geherrscht, dass "Gentechnik und TTIP [= Transatlantisches Freih­andels­abkommen] ganz, ganz pfui seien". Ein deutscher Professor habe als Einziger in seinem Vortrag einen anderen Standpunkt zur Gentechnik vertreten, was laut Salomon zur Folge hatte, dass

"sich eine Umweltaktivistin empört zu Wort meldete, warum die Veranstalter es gewagt hätten, jemanden einzuladen, der nicht die herrschenden Dogmen vertritt."

Salomons daraus abgeleitete rhetorische Frage: "Kontroverse nicht erwünscht?"

Von einem Denkverbot (auch im oben erörterten weiteren Sinn) ist bei dem von Salomon geschilderten Geschehen nichts zu bemerken: Dass man als Individuum bei bestimmten Themen nicht gern eine von den eigenen Vorstellungen abweichende Meinung hört, ist (schon rein psychologisch) nachvollziehbar (und kann wahrscheinlich auch jeder manchmal an sich selbst beobachten). Daraus gesamtgesellschaftliche oder auch nur gruppen­spezifische Schlüsse über ein angebliches Denkverbot zu ziehen, ist natürlich verfehlt. Der deutsche Professor mit der abweichenden Meinung zur Gentechnik war immerhin zur Tagung eingeladen, konnte dort sprechen, und sein Vortrag ist offensichtlich auch nicht durch reihenweise Buhrufe, Pfiffe oder das Werfen fauler Eier beeinträchtigt worden. Wenn es zu derartigen Vorfällen gekommen wäre (und Salomon hätte uns sicher genüsslich davon berichtet) – dann (und nur dann) wäre das tatsächlich als Manifestation eines sogenannten "Denkverbots" im Kreis der dortigen Agrarier zu beanstanden.

Im Übrigen muss sich Frau Dr. Salomon als stellvertretende Chefredakteurin des "Kurier" angesichts ihrer Kritik an der empörten Umweltaktivistin schon auch die Frage gefallen lassen, wie es denn um die "Einladungspolitik" in "ihrer" Zeitung bestellt ist. Wird dort jemand beispielsweise als Gastkommentator zugelassen, wenn er etwa pointiert "linke" oder medienkritische Äußerungen publizieren möchte? Oder wird auch nur ein einschlägiger Leserbrief veröffentlicht? Ich habe daran meine Zweifel.

Wenn man es als Denkverbot ansieht, dass (grundlegend) abweichenden Ansichten keine Tribüne zu ihrer Präsentation geboten wird, dann gehen solche "Verbote" eben gerade auch von Massenmedien aus. Und natürlich nicht nur im "Kurier". Wer beispielsweise schon einmal versucht hat, im Internet-Forum des "Standard" eine der Redaktion unbequeme Meinung zu posten, kann gleichfalls ein Lied davon singen, welch rigorose "Denkverbote" gerade von jenen ausgehen, die dauernd die Meinungsfreiheit im Munde führen und für sich selbst die Pressefreiheit in Anspruch nehmen.

Beispiel 2:
Unmittelbar danach setzt Salomon den Zwischentitel "Feige Forscher" [!]. (Zu sehen in der Papierausgabe der Zeitung – in der Online-Version des Artikels fehlen die Zwischen­titel.)

Darunter schreibt sie:

"Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei? Nicht doch! Es gibt kaum noch heimische Wissenschaftler, die unbekümmert in aller Öffentlichkeit Tabus zu brechen wagen."

Was Salomon damit meint, bleibt völlig unklar, weil sie diese Behauptung mit keinem Wort näher konkretisiert. Man kann daher (im Kontext mit den vorangegangenen Ausführungen ihres Artikels) nur Folgendes vermuten: Salomon bemängelt (vielleicht), dass bei der erwähnten Tagung lediglich ein deutscher Professor zugunsten der Gentechnik referiert habe, während österreichische Forscher "feig" seien und sich deshalb skeptisch (oder ablehnend) gegenüber der Gentechnik äußern würden.

Was auch immer gemeint sein mag: Salomon ortet in der heimischen Wissenschaft Denkverbote, die auf der Feigheit der (meisten) Forscher beruhen sollen. Kühne Aussagen – aber in keinerlei Weise konkretisiert oder gar belegt. Was man also davon halten kann? Nichts.

Beispiel 3:
Beim nächsten Beispiel nähern wir uns jenem Thema, das Salomon (neben ihrer permanenten Sorge um das Wohlergehen der Reichen und der Unternehmen) ein besonderes Anliegen geworden ist: die vermeintliche Bedrohung durch die Fremden (aktuellerweise heißt das insbesondere: die Flüchtlinge bzw. die Moslems).

"Denkverbote können allerdings leicht zum Bumerang werden", konstatiert Salomon und schreibt dann:

"Als – noch vor Kurzem – eine Wiener SPÖ-Stadträtin [Anm.: offensichtlich Sonja Wehsely] auf mögliche Probleme in islamischen Kindergärten ange­sprochen wurde, meinte sie nur spitz: «Also, ich hab' keine Migrations­ängste.»"

Salomons Interpretation dazu:

"Ende der Debatte. Probleme in der Stadt? Gibt's nicht. Welch fundamen­ta­ler Irrtum."

Ganz unabhängig davon, welche Meinung man zur Äußerung der Stadträtin haben mag, liegt Salomon mit ihrer Polemik völlig daneben:

- Wenn jemand sagt, er habe (in einem bestimmten Zusammenhang) keine Ängste, so mag das eventuell ignorant, naiv, leichtsinnig, verharmlosend, möglicherweise auch gelogen sein (oder vielleicht auch all das nicht). Aber eines steht fest: Mit einem Denkverbot hat es nicht das Geringste zu tun. Jedem Menschen – einschließlich Frau Dr. Salomon – steht es frei, die eigenen Migrationsängste weiter zu hegen und zu pflegen (und sie sogar publizistisch zu verbreiten, wenn man bei einer Zeitung arbeitet). Dass eine Stadträtin erklärt, diese Ängste nicht zu empfinden, ist dafür kein wie immer geartetes Hindernis.

- Wieso in diesem Fall das vermeintliche Denkverbot "zum Bumerang" geworden sein soll, ist auch nicht nachvollziehbar. So ist nicht bekannt, dass die Stadträtin nach Tätigung ihrer Aussage beispielsweise von zugewan­derten radikalen Islamisten attackiert worden wäre. (Diesfalls hätten Bösmeinende sagen können: "Das ist der Bumerang. Zuerst erklärt sie leichtfertig, keine Migrationsängste zu haben – jetzt musste sie am eigenen Leib verspüren, wie gefährlich die Situation ist.") Ebenso wenig sind etwa marodierende Horden von plündernden, brandschatzenden oder vergewalti­genden Migranten durch Wien gezogen, was allenfalls Anlass hätte geben können, von einem Bumerang für die angstfreie Stadträtin (oder für die Migrationspolitik der Stadt Wien) zu sprechen.

Wahrscheinlich dachte Salomon bei ihrer Bumerang-Hypothese an eine (Vor-)Studie über islamische Kindergärten, in der es um Missstände in diesen Einrichtungen gehen soll. Aber schon allein, dass es diese Untersuchung gibt (und ihr Ergebnis publiziert bzw. darüber berichtet wurde), beweist, dass die Stadträtin diesbezüglich überhaupt nichts "verboten" hat und es damit auch aus diesem Grund gar kein "Denkverbot" gab, das zum Bumerang hätte werden können.

- Und der vielleicht wesentlichste Einwand zu diesem Denkverbots-Beispiel: Soweit man "Probleme in der Stadt" ortet, ist das noch lange kein Grund, Ängste – in diesem Fall eben Migrationsängste – zu entwickeln. Anders gesagt: Man kann auch Problembewusstsein haben, ohne deshalb in Ängste (oder eher: in als Ängste getarnte Fremdenfeindlichkeit) zu verfallen. Aber wie ich schon im vorigen Blog-Eintrag (siehe hier) geschrieben habe: Angst zu haben – das ist in Österreich (und nicht nur da) in Zusammenhang mit dem Fremdenthema inzwischen geradezu schick geworden. Und wie diese Angstgefühle unter anderem von Salomon subtil geschürt werden (natürlich nicht nur von ihr!), zeigt eben anschaulich ihr missglücktes Bumerang-Beispiel: Es wird einer Politikerin vorgehalten, dass sie keine Ängste habe (bzw. dies jedenfalls erklärt hat). Ja, es wird ihr sogar unterstellt, damit ein Denkverbot ausgesprochen zu haben.

Beispiel 4:
Dann folgt die übelste Passage in dem Kolumnentext: Salomons Ausführungen zum Thema Fasching und Flüchtlingskrise. (Ja, auch da erkennt sie natürlich ein Denkverbot.) Was sie in dem Zusammenhang schreibt, ist so skandalös, dass ich dazu einen eigenen Blog-Artikel verfasst habe (Link folgt unten).

Beispiel 5:
Salomon setzt fort mit der Kritik an der Entscheidung einer Theaterdirektorin (gemeint ist offensichtlich Anna Badora). Wie Medienberichten zu entnehmen ist, geht es dabei im Kern um Folgendes:

Im Wiener Volkstheater war für kommenden April die Uraufführung eines Theaterstücks namens "Homohalal" (verfasst von einem kurdisch-syrischen Autor namens Ibrahim Amir) vorgesehen, in welchem (gleichfalls laut Medienberichten) – fiktiv 20 Jahre in die Zukunft projiziert – Flüchtlinge als Menschen mit zahlreichen negativen Eigenschaften dargestellt werden. (Da es sich angeblich um eine Komödie handelt, ist zu vermuten, dass das Ganze einen satirischen Charakter hat.)

Die Direktion des Volkstheaters hat sich aber nun entschlossen, diese Uraufführung aufgrund der aktuellen Flüchtlingssituation abzusagen. Für Salomon ist das ein weiteres willkommenes Beispiel für ein Denkverbot. Sie meint:

"In Wien werden von Direktorinnen jetzt sogar Theaterstücke abgesetzt, weil das Publikum sie missverstehen könnte. Zensur? Wo bleibt der Aufschrei der Besorgten?"

Na klar: "Zensur" – das Lieblingswort und Totschlagargument aller groß­mäuligen Journalist/innen muss in diesem Zusammenhang ja fallen.

Ich nehme an, Salomon kennt ebenso wenig wie ich den konkreten Inhalt oder gar den Text des Stücks. Wie wäre es, wenn sie schon allein deshalb einfach respektieren würde, was das Volkstheater selbst in einer Presseaussendung vom 8. Februar zur Absage schreibt:

"Seitdem die große Fluchtbewegung aus Syrien und dem Irak Mitteleuropa unübersehbar erreicht hat, haben sich die Vorzeichen für eine Inszenierung von «Homohalal» verändert. Der öffentliche Diskurs über Geflüchtete ist zur Zeit stark von Angst und Hass geprägt. In dieser Situation ist eine Dystopie* – so vielschichtig und komisch sie im Fall von «Homohalal» sein mag – kein geeignetes Mittel zur Auseinandersetzung über die Zukunft schutzsuchender Menschen in Österreich."
*[also die Darstellung eines negativen Zukunftsszenarios – das Gegenteil einer Utopie]

Das sind zwar etwas verklausulierte Formulierungen; die Quintessenz dürfte aber wohl sein: "Wir wollen kein Stück aufführen, das die gegenwärtige – durch Xenophobie geprägte – Situation noch weiter anheizen könnte."

Und eine solche Motivation ist etwas grundlegend Anderes als Zensur oder Denkverbot! Sie ist ein Ausdruck von Verantwortungsbewusstsein.

Das sollte eine Frau Dr. Salomon ebenso realisieren wie etwa ein Herr Norbert Mayer, der in einem Artikel der Zeitung "Die Presse" (vom 10. Februar 2016) meint, die Begründung des Volkstheaters klinge "wie eine Ausrede" und erwecke "den Anschein präventiver Selbstzensur". (Auch wenn Mayers Ausführungen immer noch um Einiges substanzieller sind als Salomons 7-Zeilen-Polemik [hier sein Artikel].)

Beispiel 6:
Was in Salomons Suada als letztes Beispiel für ein Denkverbot (bzw. -gebot) kommt, lässt sich schlicht und einfach als belanglos abhaken:

Sie meint, dass man "bei vielen Grün-Funktionärinnen" mittlerweile "(n)ur noch in den Keller lachen gehen" dürfe; denn es sei Puritanismus angesagt. Man spreche "ausschließ­lich in der weiblichen Form". Die Rede sei "nur noch von Lehrerinnen, Männer sind eliminiert."

Zwar halte auch ich die Verwendung der ausschließlich weiblichen Form für verfehlt, wenn beide Geschlechter gemeint sind. (Vor allem in offiziellen Äußerungen sollte dann eben so viel Zeit sein, um von "Lehrerinnen und Lehrern" zu sprechen.) Aber es ist einfach lächerlich, ein solches in jeder Hinsicht harmloses Beispiel (das bestenfalls eine Schrulligkeit der betreffenden Grün-Funktionärinnen dokumentiert) in einem Artikel ins Treffen zu führen, in dessen Untertitel es ambitioniert-pathetisch heißt:

"Jetzt geht es darum, unsere Errungenschaften als liberale Gesellschaft zu verteidigen, richtig? Aber halt, ist es damit wirklich so weit her?"

Kein einziges der von Salomon ins Treffen geführten Beispiele taugt als Beleg dafür, dass irgendwelche einschlägigen Errungenschaften gefährdet wären. Und man darf annehmen, dass ein solcher Nachweis von der Verfasserin auch gar nicht bezweckt war. Die (erfundenen und herbei­konstruierten) Beispiele für Denkverbote (bzw. -gebote) wurden von ihr wohl einfach deshalb ins Treffen geführt, um unter den Leser/innen wieder einmal für bestimmte (ohnedies sattsam bekannte) ideologische Positionen der Verfasserin Stimmung zu machen, die da lauten:

- pro Gentechnik und pro TTIP (Beispiel 1)
- gegen Wissenschaftler, deren Aussagen ihr unbequem sind (wenn in diesem Artikel auch unklar bleibt, welche) (Bei­spiel 2)
- gegen Fremde, insbesondere gegen Flüchtlinge und Moslems (Beispiele 3, 4, 5)
- gegen Grün-Politik und gegen Feminismus (Beispiel 6).

Mit dem krassesten Beispiel (Nr. 4) werde ich mich im folgenden Blog-Eintrag näher beschäftigen: "Fasching und Flüchtlingskrise".