Mehr oder weniger mit dem
heutigen Thema hat sich erst mein voriger Blog-Artikel vom 23. April befasst (siehe hier). Weil die Dummheit in den Medien aber gar so prächtige Blüten
treibt, ist es angebracht, es gleich wieder zu machen.
Guido
Tartarotti schreibt nämlich im "Kurier" vom 27. April 2016 Folgendes:
"In Deutschland testet man jetzt Bodenampeln. Sie
sollen Smartphonedauerbewischer
daran hindern, in den Straßenverkehr zu rennen. Weit sind wir nicht mehr entfernt
von Warnschildern wie «Achtung, Schwerkraft». Die Bevormundungsgesellschaft
trainiert ihren Bürgern erfolgreich das eigenständige Denken ab und muss jetzt
sukzessive die Dosis steigern, um zu verhindern, dass die ganze
Menschheit in dem schrecklichen Spalt zwischen Waggontür und
Bahnsteigkante verschwindet."
Mit der
Frage der Sinnhaftigkeit von Bodenampeln (von denen ich zum ersten Mal erfahre)
sollen sich zunächst einmal die Verkehrsexperten beschäftigen; dazu äußere ich mich gar
nicht. Ich heiße ja nicht Tartarotti. Wozu ich Stellung nehme, ist die geradezu
schon pathologisch anmutende Abneigung dieses Herren gegen alles, was auch nur
im Entferntesten mit Gebot, Verbot, Regelung, Warnung oder auch nur Hinweis zu tun hat. Natürlich
steht er damit nicht allein da – ganz im Gegenteil: Er ist damit ein würdiger Repräsentant eines ebenso vertrottelten wie verantwortungslosen Zeitgeists.
Wieder einmal gilt daher: Kritik am Boulevardjournalismus ist oft auch Kritik
an der Gesellschaft.
In
Zusammenhang mit den oben zitierten Ausführungen Tartarottis ist dabei insbesondere
die völlig verfehlte Verwendung des Wortes "Bevormundung" zu
beanstanden. Meistens wird der Ausdruck ja in Kombination mit den (ebenso
unredlich gebrauchten) Vokabeln "Eigenverantwortung" bzw.
"Selbstverantwortung" eingesetzt. Das ist auch logisch; es handelt
sich ja gleichsam um zwei Seiten desselben schäbigen rhetorischen Tricks.
Meine
Kritik am manipulativen (oder auch "nur" gedankenlosen) Gebrauch von
Ausdrücken wie Eigen- oder Selbstverantwortung kann man in meinem vorigen
Blog-Eintrag und vor allem auch schon in einem früheren Artikel von mir
nachlesen; schon damals ging es um "Verkehrsampeln – und ihre Folgen"
(vor allem bei einem Journalisten namens Tartarotti …).
Was hat es
nun mit der angeblichen "Bevormundung" auf sich? Kurioserweise existiert
sie in vielen Fällen einfach nicht, in denen sie von den pseudorebellischen
Maulhelden à la Tartarotti ins Treffen geführt wird. Ein schönes Beispiel dafür
liefert er, indem er sich "auf
den schrecklichen Spalt zwischen Waggontür und Bahnsteigkante"
bezieht. Er spottet damit über die Ansagen in manchen Wiener U-Bahn- und
Schnellbahnstationen, in denen die Fahrgäste darauf hingewiesen bzw. daran
erinnert werden, beim Ein- und Aussteigen auf den aus baulichen Gründen
unüblich großen Spalt zu achten.
Würde Herr
Tartarotti zum Schreiben seiner Texte nicht nur die Tastatur, sondern auch sein
Gehirn verwenden, dann wäre ihm mit einem Schlag klar, dass seine arrogante Anspielung
denkbar ungeeignet ist, um seine abwegige These einer "Bevormundungsgesellschaft" zu untermauern: Eine Lautsprecherstimme,
die mich auf den Spalt hinweist, bevormundet mich nicht. Man kann und man darf nämlich auch das genaue Gegenteil dessen tun, was die Stimme empfiehlt. Tartarotti möge sich bei
der nächsten U-Bahn- oder Schnellbahnfahrt selbst davon überzeugen:
Wenn er den
Hinweis vernimmt, soll er sich trotzig sagen: "Nein, ich lasse mich nicht
bevormunden. Ich bin ein freier Mensch und steige nicht über den Spalt
(drüber), sondern in den Spalt (hinein)." Und dann soll er diesen selbstbewussten
Schritt auch setzen – im wahrsten Sinn des Wortes. Er wird feststellen: Niemand
hindert ihn daran – schon gar nicht die vermeintlich bevormundende Stimme aus
dem Lautsprecher. (Er würde zwar möglicherweise im Spital landen und im
ungünstigsten Fall – wenn der Zug gerade losfährt – sogar einen Arm oder ein Bein verlieren, aber sich dann
immerhin mit Genugtuung sagen können, der [eingebildeten] Bevormundung getrotzt
zu haben.)
Womit auch schon die Sinnhaftigkeit der Warnung vor dem Spalt deutlich wird: Wenn durch den Lautsprecherhinweis auch nur ein einziger Arm- oder Beinbruch verhindert wird (von einer Amputation ganz zu schweigen), dann hat er seine Existenzberechtigung. Punktum! So einfach ist das.
Und wenn
Tartarotti polemisch meint, dass "(d)ie Bevormundungsgesellschaft (…) ihren Bürgern erfolgreich
das eigenständige Denken abtrainiert", so verkennt er (nebst manchem
anderen Aspekt), dass es insbesondere im öffentlichen Raum ganz vorrangig um Sicherheit
und (damit oft im Zusammenhang) um geordnete Abläufe (etwa im
Verkehrsfluss) geht und zu gehen hat. Pädagogische Ambitionen (beispielsweise
in Bezug auf das eigenständige Denken der Menschen) sind dort schlicht und
einfach fehl am Platz! Dort haben sich Regeln, Hinweise, Empfehlungen etc. an
den Menschen zu orientieren, wie sie in der Realität nun mal sind: also (auch)
unachtsam, zerstreut, ahnungslos, unerfahren, begriffsstützig, leichtsinnig usw.
Es ist Ausdruck von Zynismus und Kaltschnäuzigkeit, solchen Menschen (zu denen wir situationsbedingt übrigens alle manchmal gehören können) nach dem Motto "selber schuld" (also gleichsam strafweise) ihre (zusätzliche Chance auf) Sicherheit vorenthalten zu wollen (sogar die Chance in Form eines harmlosen Lautsprecherhinweises!). Und diese – leider im Trend liegende – Gefühllosigkeit manifestiert sich eben im inflationären Gebrauch von Schlagworten wie Selbstverantwortung, Mündigkeit usw.
Es ist Ausdruck von Zynismus und Kaltschnäuzigkeit, solchen Menschen (zu denen wir situationsbedingt übrigens alle manchmal gehören können) nach dem Motto "selber schuld" (also gleichsam strafweise) ihre (zusätzliche Chance auf) Sicherheit vorenthalten zu wollen (sogar die Chance in Form eines harmlosen Lautsprecherhinweises!). Und diese – leider im Trend liegende – Gefühllosigkeit manifestiert sich eben im inflationären Gebrauch von Schlagworten wie Selbstverantwortung, Mündigkeit usw.
Eigenständiges
Denken ist (bzw. wäre) zweifellos gut und wichtig. Aber wer es uns
"abtrainiert", das ist ganz sicher nicht die Stimme, die uns vor dem
Spalt am Bahnsteig warnt. Da gibt es ganz Andere, die das tun (oder es
zumindest versuchen). An erster Stelle die (Boulevard-)Medien …