Aktuelles
Beispiel: Der Leitartikel der sattsam bekannten Dr. Martina Salomon im
"Kurier" vom 23. Juli 2015. Unter dem (heuchlerischen) Titel
"Deradikalisierung ist angesagt" schürt sie (nicht zum ersten Mal)
anti-islamische Ressentiments.
Näher
betrachtet werden soll aber jene Passage, in der es zwar indirekt auch um den
Islam geht, wo Salomon aber in erster Linie die jüngsten Ereignisse in der (bzw. betreffend die) Türkei
kommentiert – bzw. dies eben gerade nicht tut.
Sie
schreibt Folgendes:
"Jahrzehntelang ignorierte man die islamische
Missionierung Europas – vor allem durch Saudi-Arabien, das seit Langem
ultrakonservative Vereine im Ausland finanziert. Parallel dazu hat sich die
Türkei (starker NATO-Partner Europas und einst dank des Offiziers Mustafa Kemal
Atatürk Vorreiter einer Trennung von Religion und Staat in der islamischen
Welt) zu einer autoritär-nationalistischen Gesellschaft gewandelt. Die EU‑Milliarden
für den Aufbau eines Rechtsstaates waren wohl eine Fehlinvestition. Präsident
Erdogan tritt seit Jahren imperialistisch auf – wenn er an 'seine' Türken im
Ausland appelliert, sich nicht zu integrieren. Niemand kann von seinen Plänen
überrascht worden sein. Er hat sie immer offen dargelegt. Das Ergebnis war
vergangene Woche sichtbar, als Tausende seiner Fans sogar mit vereinzelten
Tötungsaufrufen durch Wien zogen. Sie nutzten Österreichs Meinungs- und
Religionsfreiheit zur Unterstützung eines Autokraten, der beides nicht
akzeptiert – pervers und verabscheuungswürdig."
Bemerkenswert ist schon mal, wie sehr Erdogan in der letzten
Zeit zum Feindbild des westlichen Journalismus (und der westlichen Gesellschaft
insgesamt) geworden ist; während die gleichen Kreise etwa dem früheren Gaddafi
in Libyen oder Assad in Syrien – und damit zweifellos mindestens ebenso
schlimmen "Autokraten" wie Erdogan – deutlich wohlwollender, ja oft
sogar uneingeschränkt positiv gegenüberstehen. Das wäre einmal einer eigenen
kritischen Betrachtung wert.
Die eigentliche Unverfrorenheit der obigen Passage in
Salomons Leitartikel liegt aber darin, dass sie den zentralen Punkt des
Geschehens der letzten Tage kurzerhand verschweigt, um die übrigen (damit untrennbar verbundenen)
Ereignisse in ihrem Sinne propagandistisch uminterpretieren und in ein schlechtes Licht rücken zu können.
Der Ablauf der Geschehnisse war, kurz gefasst, bekanntlich
folgender:
In der Nacht vom 15. auf 16. Juli wurde in der Türkei von Teilen des Militärs ein Putschversuch unternommen, der aber nach wenigen
Stunden zusammenbrach. Das führte noch in derselben Nacht unter anderem in Wien
zu einer Kundgebung von mehreren tausend Türken bzw. türkischstämmigen
Österreichern, die mit einem Marsch von der Türkischen
Botschaft zum Parlament gegen den Putschversuch demonstrierten bzw. dessen Scheitern feierten. Dem folgte eine weitere Kundgebung im Lauf
des 16. Juli.
Über diese angeblich so schrecklichen Wiener Vorkommnisse ist seither viel geschrieben und geurteilt worden. In Österreich hat sich – unter Volk und Politikern
– wieder einmal eine widerliche und
gefährliche Mischung aus Bösartigkeit, Niedertracht, Verlogenheit,
Kleingeistigkeit und Dummheit manifestiert. Die Kommentierung der Kundgebungen
durch die Leser/innen in den Online-Ausgaben der großen österreichischen Zeitungen
spricht diesbezüglich eine ganz eindeutige Sprache. "Demonstranten raus
aus Österreich und ab in die Türkei" war dabei das zentrale Motto.
(Kombiniert übrigens mit zahlreichen positiven Stellungnahmen zum Putschversuch, als
dieser noch im Gange war, und danach spiegelbildlich mit viel Bedauern über
sein Scheitern. So viel zur demokratischen Gesinnung hierzulande.) Auch diesem Thema
wäre ein eigener Blog-Eintrag zu widmen. Hier beschränke ich mich auf Salomons
Ausführungen in ihrer Rolle als Stimme des empörten Volkes.
Wer obiges
Zitat aus ihrem Leitartikel liest, stellt verwundert fest: Der Putschversuch
wird von Salomon mit keinem Wort erwähnt! (Auch an keiner anderen Stelle
des Texts.) Der Putschversuch wird also totgeschwiegen, womit sich die
Ereignisse in einer Weise verzerrt darstellen und interpretieren lassen, die
Salomons Intentionen entspricht:
Erdogan –
so meint sie zunächst – habe seine Pläne zu einem autoritären Umbau des Staates immer
offen dargelegt (mag sein), und er trete seit Jahren
"imperialistisch" auf, wenn er an die Auslandstürken appelliere, sich
nicht zu integrieren (auch dem sei nicht widersprochen, obwohl man schon hier
mit der Kritik an Salomon einhaken sollte). Schäbig und verlogen wird Salomons
Kommentar aber jedenfalls dort, wo sie folgendermaßen fortsetzt:
"Das
Ergebnis war vergangene Woche sichtbar, als Tausende seiner Fans sogar mit
vereinzelten Tötungsaufrufen durch Wien zogen."
Nein, Frau
Dr. Salomon! Die beiden in Rede stehenden Kundgebungen waren nicht "das
Ergebnis" dessen, was Sie genau davor über Erdogan erwähnen. Sie waren
vielmehr Ergebnis des Faktums, dass es unmittelbar bzw. wenige Stunden vor ihrer Abhaltung
einen Putschversuch gegeben hat und dieser Putschversuch (aus demokratischer
Sicht: glücklicherweise) gescheitert ist. Darauf wurde mit den Versammlungen reagiert. Sie wissen das natürlich, Frau Dr.
Salomon, aber Sie verlieren kein Wort darüber und konstruieren statt dessen
ganz andere, falsche Zusammenhänge!
Natürlich
ist nicht zu leugnen, dass die Demonstranten implizit auch den Sieg des
regierenden türkischen Präsidenten Erdogan bzw. seiner Partei AKP über die
Putschisten gefeiert haben. Das liegt aber in der Natur der Sache, dass die
Freude über einen misslungenen Putsch immer auch eine (mehr oder weniger
intensive) Unterstützung der im Amt befindlichen Regierenden beinhaltet. Unterstützt wird hierbei im Fall der Türkei immerhin eine durch demokratische Wahlen legitimierte
politische Konstellation mit Erdogan als Staatspräsidenten und
"seiner" AKP als Regierungspartei. Liest man (beispielsweise)
Salomons Pamphlet, könnte man geradezu den umgekehrten Eindruck gewinnen: dass
sich mit Erdogan ein Diktator an die Macht geputscht hätte, der von seinen
"Fans" dafür verwerflicherweise bejubelt worden wäre. Salomon ist
skrupellos genug, diesen Eindruck sogar gezielt zu erzeugen, indem Sie
schreibt:
"Sie
[= die Demonstranten] nutzen Österreichs Meinungs- und Religionsfreiheit zur
Unterstützung eines Autokraten, der beides nicht akzeptiert – pervers und verabscheuungswürdig."
Wenn man
diesen ungeheuerlichen Satz und die Geschehnisse der Nacht des Putschversuchs in derselben
plakativen Weise interpretieren möchte, in der Salomon agitiert, könnte man ihn
so deuten: "Salomon hält es für pervers und verabscheuungswürdig, wenn
Menschen den Sieg der Demokratie feiern, der in ihrer Heimat bzw. ihrem Herkunftsland gerade stattgefunden hat."
Es ist übrigens
darauf hinzuweisen, dass in der Türkei laut Medienberichten auch alle Oppositionsparteien
den Putschversuch verurteilt haben. Wer sich über dessen Misslingen gefreut
hat, ist also nicht automatisch ein "Fan" Erdogans.
Weiters sei
zur Klarstellung vermerkt:
Soweit
Salomon bei den Demonstrationen "vereinzelte Tötungsaufrufe"
vernommen hat (Wie eigentlich? War sie bei den Kundgebungen dabei oder hat sie
Tonmitschnitte?), so gilt für diese Aufrufe das Gleiche wie hinsichtlich der (bei
der zweiten Kundgebung) von einigen Teilnehmern umgeworfenen Sessel und Tische
eines kurdischen Lokals auf der Mariahilfer Straße (wovon es tatsächlich auf Youtube Bildmaterial gibt) :
Hassparolen
und Gewalt sind uneingeschränkt abzulehnen, und strafrechtlich relevante Vorgänge sind
aufzuklären und zu ahnden. Nicht mehr und nicht weniger. Dass bei derartigen
Kundgebungen auch einige Fanatiker, Hitzköpfe und Trittbrettfahrer (denen es
tatsächlich nicht um Demokratie und Ablehnung des Putsches geht) dabei sind,
wird sich wohl nicht vermeiden lassen. In der Öffentlichkeit wurden die oben
erwähnten Einzelfälle (von denen sich ja auch die Demonstrationsveranstalter
ausdrücklich distanziert haben) jedoch absichtlich zu dramatischen
Geschehnissen hochgespielt – als Vorwand, um all jene Ressentiments ausleben zu
können, die sich ja auch in Salomons Kommentierung widerspiegeln.
Was
rechtlich noch am ehesten gegen die Kundgebungen eingewendet werden könnte:
dass jedenfalls die erste und vermutlich auch die zweite Versammlung nicht
angemeldet waren (wie das vom Gesetz verlangt wird). Soll sein. Dieser Verstoß
wurde ja sozusagen "über vielfachen Wunsch des Volkes" bereits zur
Anzeige gebracht, wie den Medien zu entnehmen ist. Für mich ist diese
verwaltungsrechtliche Frage ein Nebenaspekt. Wenn sich Menschen aus Anlass eines Putschversuchs spontan zusammenfinden, um weitgehend friedlich gegen diesen zu demonstrieren bzw. sein
Scheitern zu feiern, so gehört meine Unterstützung diesen
Menschen (jedenfalls solange ich nichts Negatives über sie weiß). "Pervers
und verabscheuungswürdig" finde ich deren Verhalten ganz und gar nicht.
"Pervers
und verabscheuungswürdig" ist für mich vielmehr jener Journalismus, der
die geschilderten Ereignisse bewusst mit diesen Worten charakterisiert und die
Zusammenhänge kaltblütig verfälscht, um im Sinne der eigenen (und darüber
hinaus landesüblichen) Ressentiments pauschal gegen die Demonstrationsteilnehmer Stimmung zu machen.
Übrigens: Wer meint, dass ich mit meinem negativen Urteil über die ("angestammten") Österreicher übertrieben hätte, sollte sich die Reaktionen der Leser/innen im Online-Standard auf Akbuluts Artikel ansehen.
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PS vom 28.
Juli 2016:
Gestern erschien in der Zeitung "Der Standard" ein höchst lesenswerter Gastkommentar des Politologen Dr. Hakan Akbulut mit dem Titel "Keine türkischen Verhältnisse in Österreich!". Der Verfasser beschäftigt sich darin gleichfalls mit den Wiener Demonstrationen nach dem Putschversuch in der Türkei, und seine Einschätzung der Ereignisse deckt sich in bemerkenswerter Weise mit jener von mir im obigen Blogeintrag. Herrn Dr. Akbulut sei herzlich für seinen informativen und couragierten Text gedankt.
Hier der Link:
http://derstandard.at/2000041908949/Keine-tuerkischen-Verhaeltnisse-in-Oesterreich
Gestern erschien in der Zeitung "Der Standard" ein höchst lesenswerter Gastkommentar des Politologen Dr. Hakan Akbulut mit dem Titel "Keine türkischen Verhältnisse in Österreich!". Der Verfasser beschäftigt sich darin gleichfalls mit den Wiener Demonstrationen nach dem Putschversuch in der Türkei, und seine Einschätzung der Ereignisse deckt sich in bemerkenswerter Weise mit jener von mir im obigen Blogeintrag. Herrn Dr. Akbulut sei herzlich für seinen informativen und couragierten Text gedankt.
Hier der Link:
http://derstandard.at/2000041908949/Keine-tuerkischen-Verhaeltnisse-in-Oesterreich
Übrigens: Wer meint, dass ich mit meinem negativen Urteil über die ("angestammten") Österreicher übertrieben hätte, sollte sich die Reaktionen der Leser/innen im Online-Standard auf Akbuluts Artikel ansehen.