Samstag, 30. Juli 2016

Wehrdienst zwecks Integration?

Diesmal wird es patriotisch. Dr. Martina Salomon hat am 27. Juli 2016 schon wieder einen miserablen Leitartikel im "Kurier" verfasst. Dessen Überschrift plus Untertitel kündigen bereits unmissverständlich an, was einen bei der Lektüre erwartet: 

"Identitätsstiftender Wehrdienst
Warum es gut ist, dass Österreich kein Berufsheer hat und was Migranten an der Armee so anziehend finden"
(Leitartikel im Internet hier abrufbar)


Ich beginne meine Kritik beim letzten Halbsatz dieses journalistischen Machwerks – weil sich das kurz und bündig abhandeln lässt. Salomon schreibt ganz am Ende: 

"[…] – und übrigens gut, dass wir auch in Österreich den Wehrdienst nicht aus einer populistischen Laune heraus abgeschafft haben." 

Warum ich genau gegenteiliger Meinung bin (den verpflichtenden Wehrdienst also für falsch halte), habe ich bereits in einem Blogeintrag vom Jänner 2013 dargelegt, nachdem damals bei einer Volksbefragung 60% für die Beibehaltung der Wehrpflicht gestimmt hatten (siehe hier). Meine damaligen Überlegungen haben seither nichts ans Gültigkeit verloren.

Hinzuzufügen ist nur mehr eine rein persönliche Bemerkung: Ich reagiere (als Mann) allergisch darauf, wenn eine Frau die Wehrpflicht (in ihrer bestehenden Form) befürwortet. Sie begrüßt damit, dass Anderen – nämlich den männlichen Staatsbürgern – eine Verpflichtung auferlegt wird, von der sie selbst (ohne irgendeinen sachlichen Grund) verschont bleibt. Und diese Verpflichtung ist – insbesondere im militärischen Ernstfall – keine Kleinigkeit: Es sind dann die Männer, die unter Umständen im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf hinhalten müssen, während Frau Dr. Salomon und ihre Gesinnungsgenossinnen bequem daheimsitzen dürfen (und allen­falls schlaue Leitartikel zur Lage der Nation verfassen).

Salomons allgemeine Genugtuung über den Weiterbestand der Wehrpflicht ist aber eher ein Nebenaspekt ihres Beitrags. Sie hat nämlich einen ganz besonderen Vorzug dieser Staatsbürgerpflicht entdeckt, dem sie ihren Text vorrangig widmet: die auch schon in der Überschrift verkündete "identi­täts­stiftende" Wirkung. Natürlich geht es Salomon hierbei um die Österreicher mit ausländischen Wurzeln, denen auf diesem Weg das gehörige National­bewusst­sein eingeimpft werden soll.

Sie meint dazu: 

"Wer beim Bundesheer war, identifiziert sich – hoffentlich! – mehr mit diesem Staat."

Sie konstatiert zwar, dass die Zeit beim Heer "oft einfach nur als verloren empfunden" werde, weshalb "(e)ine Ausbildungsreform […] notwendig (wäre)", aber das Aufwallen weiblicher patriotischer Empfindungen in Zusammenhang mit der segensreichen Institution Wehrdienst wird dadurch nicht wirklich geschmälert. Salomon findet nämlich: 

"Dennoch ist das Bundesheer eine riesige Chance, Heimatgefühl zu erzeugen. Für viele Migrantengruppen ist die Uniform ein sichtbarer Schritt ins Erwachsensein, den der gesamte Clan begeistert feiert (wie bei öffentlichen Angelobungen gut sichtbar wird – bei Österreichern ohne Migrationshintergrund sind kaum Angehörige anwesend)." 

Was daraus zu ersehen ist:

Wer ausländische Wurzeln hat, sich dann aber gleichsam österreichischer als die angestammten Österreicher geriert (eine in meinen Augen ganz besonders lächerliche Haltung) – der bekommt einen dicken Pluspunkt von Salomon.

Das ist eine Einstellung, die man in österreichischen rechten, chauvi­nisti­schen Kreisen (also flächendeckend) immer wieder antreffen kann: Die generell und unverhohlen negative Haltung gegenüber Aus­län­dern/Flücht­lingen/Migranten (und deren Nachkommen) weicht aus­nahms­weise einer Art schulterklopfendem Wohlwollen, wenn sich jemand brav "integriert" hat – was sich vor allem daran zeigt, dass er/sie "fleißig" arbeitet (gaaaanz wichtig!), die Bindungen zum Herkunftsland und zur Herkunftskultur weitest­möglich ablegt und im Gegenzug geschmeidig das Österreichertum in mög­lichst vielen Facetten verinnerlicht und dabei vielleicht sogar intensiviert – bis hin zum "begeis­terten Feiern" bei der Angelobung.

Man sollte also immer hellhörig sein, wenn jemand von "gelungener Inte­gra­tion" redet oder schreibt. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass damit lediglich eine Art skurriler Klon spießiger Alteingesessener lobend hervorge­hoben wird.

Zurück zu Salomons Ausführungen über das Bundesheer. Sie kann ihm noch einen positiven Aspekt abgewinnen: 

"Fremdenfeindlichkeit wiederum kann im Heer schwerer wachsen als anderswo, weil es glasklare Umgangsformen und Hierarchien gibt, an die sich alle zu halten haben." 

Mit anderen Worten: Beim Heer wird pariert – und damit die Fremden­feind­lichkeit eingebremst. Dass der Nährboden für Letztere ohnedies an ganz anderen Stellen gezüchtet wird (etwa durch Stammtische, Politik und Boulevardjournalismus), sei nur nebenbei vermerkt. Unangenehm fällt das Sympathisieren Salomons mit "glasklare(n) Umgangsformen und Hierar­chien" auf. Das erinnert an frühere Zeiten, in denen ältere Semester gegenüber ihren rebellischen oder ungezogenen Söhnen in der Pubertät meinten: "Wart' nur ab, bis du zum Bundesheer kommst. Dort wird man dir deine Flausen schon austreiben." Aber das waren eben ältere Semester (die paradoxerweise selbst oft noch den Krieg bewusst miterlebt [und daraus nichts gelernt] hatten); Frau Dr. Salomon ist hingegen Jahrgang 1960. Die (meines Erachtens reaktionäre) Idee, dass das Bundesheer eine begrüßenswerte Rolle als Diszipli­nie­rungs­institution für aufsässige junge Männer erfülle, teilt sie also mit manchen Angehörigen ihrer Eltern- und Großelterngeneration.

Dass Salomon gerade jetzt ihr Loblied auf Heer und Wehrpflicht geschrie­ben hat, ist natürlich den jüngsten Ereignissen geschuldet. Sie beginnt ihren Leitartikel folgendermaßen: 

"Die Entwicklung ist durchaus auffällig: Autochthone Österreicher gehen zum Zivildienst, Migrantenkinder lieber zum Bundesheer. Sie halten die Zivis für 'Weicheier', Hilfe für Schwache und Alte gilt als 'unmännlich'. Mehr als die Hälfte der Garde Wien besteht aus Migranten. Gute Nachricht – oder doch eine schlechte?

Wer besorgt die Serie islamistischer Anschläge in Europa betrachtet und auch gesehen hat, wie rechte Türken zu Tausenden – die meisten mit österreichischer Staatsbürger­schaft – 'Allahu Akbar'-schreiend durch Wiens Straßen ziehen, kann es durchaus zum Fürchten finden, dass Migranten so besonders gerne Dienst an der Waffe leisten. Für welches Vaterland wären sie eigentlich bereit, einzustehen?" 

Wieso sie meint, dass diesbezüglich aber letztlich doch kein Grund "zum Fürchten" bestehe, ist weitgehend aus den bereits oben zitierten Stellen ihres Leitartikels ersichtlich. (Der Wehrdienst biete ja eine "riesige Chance, Heimatgefühl zu erzeugen" usw.) Auch "Ängste, das Bundesheer könnte unter­wandert werden", hätten sich bisher, so Salomon, nicht bestätigt. Denn:

"Der psychologische Dienst im Heer sortiert potenzielle Islamisten bei der Musterung und das Abwehramt auch später noch aus." 

(Dazu nur nebenbei: Wie schwierig es ist, einen etwaigen Islamisten sozusagen im Vorhinein zu erkennen, zeigen die Biographien von Attentätern aus der letzten Zeit. Aber psychologischer Dienst und Abwehramt bekommen das einwandfrei hin, meint Salomon optimistisch, obwohl sie sonst nicht genug kriegen kann an Besorgnis über islami{sti}sche Bedrohungen.)

Folgt man Salomons Überlegungen über die gleichsam "zähmende" und identitätsstiftende Wirkung des Bundesheeres, und stellt man dem ihre Empörung über die Wiener Demonstrationen nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei vor zwei Wochen gegenüber, so lässt das eigentlich nur zwei alternative Schlussfolgerungen zu:

- Entweder hat es unter den Demonstranten kaum solche gegeben, die den (österreichischen) Wehrdienst absolviert haben. (Ziemlich unwahrscheinlich angesichts dessen, dass unter den tausenden Teilnehmern die meisten die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen sollen, wie Salomon selbst behauptet.)

- Oder der Wehrdienst hat unter jenen Demonstrationsteilnehmern, die ihn abgeleistet haben, doch nicht jene (aus Salomon-Sicht positiven) Effekte herbeigeführt, die sie den ganzen Leitartikel hindurch anpreist.

Anders lässt es sich nicht erklären, dass "rechte Türken zu Tausenden – die meisten mit österreichischer Staatsbürger­schaft – 'Allahu Akbar'-schreiend durch Wiens Straßen ziehen". Denn so etwas sollte ja der Wehrdienst nach Salomons Wunsch und Vorstellung verhindern.

Es ist natürlich müßig, sich über diese Frage weiter den Kopf zu zerbrechen. Salomon hat mit dem eben zitierten Passus ja nur ein Ziel verfolgt: Sie wollte neuerlich gegen die betreffenden Demonstrationen und ihre Teilnehmer hetzen – ganz so, wie sie das bereits vier Tage zuvor in einem anderen Leitartikel gemacht hat. Damit habe ich mich bereits in meinem letzten Blog-Artikel ausführlich auseinandergesetzt (siehe hier).

Als Fazit bleibt daher:
Salomon ist nicht nur unter ethischen, sondern auch unter rein handwerk­li­chen Gesichtspunkten eine schlechte Journalistin: Aus rein polemischen Motiven nimmt sie (wieder) einen gehässigen Kommentar über die Wiener Türkei-Demos in ihren Leitartikel auf – und übersieht, dass sie damit ihre eigene Argumentation über die angeblich identitätsstiftende Wirkung des öster­rei­chi­schen Wehrdiensts ad absurdum führt.

Das Schlimmste an dem Leitartikel ist aber noch gar nicht erörtert worden. Es hängt damit zusammen, was gleich in seinem (oben zitierten) ersten Absatz steht:

Laut Salomons Behauptung würden Migrantenkinder lieber zum Bundesheer gehen als Zivildienst leisten. Die Zivildiener seien in deren Augen "Weicheier", und Hilfe für Alte und Schwache gelte in diesen Kreisen als "unmännlich". 

Wenn das stimmen sollte (was ich durchaus für möglich halte), dann sehe ich darin ein viel größeres Problem und viel mehr Grund zur Kritik als in einer Demonstration nach einem gescheiterten Putsch oder ein paar "Allahu Akbar"-Rufen.

Macho-Allüren, mangelnde Empathie für Hilfsbedürftige und daraus resultie­rende Geringschätzung der Zivildiener scheinen Salomon aber nicht weiter zu stören. Sie verliert im Verlauf des Leitartikels kein einziges Wort mehr darüber. Dass gerade in solchen Mentalitätsfragen eine Bewusst­seins­änderung bei den betreffenden Jugendlichen höchst wünschenswert wäre, ist für Salomon kein Thema. Sie akzeptiert vielmehr unhinterfragt das Bundes­heer als eine Institution, in der junge Burschen ihr (bedenkliches) Selbst­ver­ständ­nis von Männlichkeit und Stärke ausleben und (z.B. durch Schulung im Waffengebrauch) sogar weiterentwickeln können. Motto: Hilfe für Schwache und Alte als unmännlich anzusehen – das ist schon o.k. bei Migrations­kindern; Hauptsache, sie bleiben sonst nicht zu tür­kisch/ara­bisch/islamisch etc. und bekommen statt dessen ein "Heimatgefühl" für Öster­reich. Macho ja aber nur in der Österreich-kompatiblen Version.

Die Salomon'sche Vorstellungswelt zeigt wieder einmal ihre befremdlichen Seiten.