Donnerstag, 1. September 2016

Ein CEO im Interview

Im "Kurier" vom 30. August 2016 gibt es ein Interview mit einem gewissen (MMag.) Peter Oswald. Der Herr ist seit 2008 "CEO" (so nennt man das heute), und zwar von "Mondi Europe & International". Mondi ist ein Papier- und Verpackungskonzern mit mehr als 100 Produktionsstätten in 30 Ländern und ca. 25.000 Beschäftigten. Auch in Österreich werden einige Werke betrieben.

Schon diese knappen Angaben lassen erahnen, wie Herr Mag. Oswald denkt: neoliberal. (Dazu etwas ausführlicher weiter unten.)

Die empörendste Stelle des Interviews kommt ganz am Ende.

Oswald sondert zunächst die üblichen neoliberalen Propagandasprüche und -vokabel ab, indem er meint: 

"[…] Vieles hat ja auch mit der Einstellung der Bevölkerung zu tun. Leider steigt das Anspruchsdenken immer stärker. [Anm.: Das sagt ein Spitzen­manager mit einem Spitzengehalt!] Dafür kann die Politik nichts. Eine Gesellschaft, die dem Leistungsprinzip weniger Bedeutung beimisst, kann nicht jedes Jahr auf großartige Reallohnerhöhungen hoffen. […] Wir brauchen mehr Innovationsgeist, Mobilität, Eigenverantwortung und unter­nehmerischen Mut." 

Die Interviewerin (Dr. Martina Salomon) stellt im Anschluss an dieses Geschwätz erwartungsgemäß die folgende (Suggestiv-)Frage: 

"Muss man sich sorgen, dass die Leistungsbereiten [aus Österreich] weggehen?"
[Anm.: Jene, die bleiben, sind damit im Umkehrschluss – aus Salomons (und Oswalds) Sicht – die Nicht-Leistungsbereiten, also die Faulenzer.]

Oswald antwortet darauf so: 

"Ja. [Anm.: Was wird er wohl sonst sagen?] Wovon wir aber enorm zehren, ist, dass der untere Mittelstand – die an der Maschine stehen oder die Buchhaltung machen – eigentlich einen sehr hohen Leistungswillen haben. Viele arbeiten, gehen dann auch noch nebenher pfuschen, bauen ihr Haus. Das trägt in diesem Land vieles mit." 

Pfusch – und damit Schwarzarbeit und damit die Hinterziehung von Steuern und sonstigen Abgaben – sind für den Herrn Topmanager also etwas Positives, nämlich der Ausdruck eines "sehr hohen Leistungswillen(s)"!

Ob Oswald seine Äußerung unbedacht herausgerutscht ist, oder ob er meint, als Spitzenmanager solche Kommentare abgeben zu dürfen (ohne sich um Moral, Anstand und Recht zu scheren) – das bleibt offen, ist aber auch nicht weiter relevant. Denn wie auch immer die Aussage zustande gekommen ist – sie belegt die Skrupel- und Gewissenlosigkeit jener Herr­schaften, die im neoliberal-kapitalistischen System das Sagen haben.

Und Martina Salomon vom Kurier ist für einen Herrn dieses Zuschnitts natürlich die ideale – ja man könnte sagen: die kongeniale – Fragestellerin.

Schon mit der kurzen Einleitung zum Interview stimmt sie die Leser/innen auf Persönlichkeit und Ideologie ihres Gesprächspartners ein: 

"Top-Manager Peter Oswald ist scharfer Kritiker der Ökostromförderung und nimmt sich auch sonst kein Blatt vor den Mund [Anm.: wie man auch an seinem Lob für die Pfuscher erkennt]. Er kritisiert mangelnde Leistungsbereitschaft bei steigendem Anspruchsdenken." 

Dieser Kritikpunkt wird also gleich im Vorspann zum Interview hervor­gehoben. Und er kommt einem bekannt vor, wenn man masochistisch genug ist, regelmäßig den Kurier und dann sogar noch die Salomon-Kolumnen zu lesen.

Ganz allgemein gilt: Was der Herr CEO so zum Besten gibt, kennt man (abgesehen von ein paar branchen- und firmenspezifischen Aussagen über Verpackungsmaterial, Betriebsstandorte etc.) zur Genüge aus der neo­liberalen Propagandamaschinerie innerhalb und außerhalb der Medien. Oswald meint zum Beispiel:

"Arbeitszeitverkürzung würde unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit extrem beeinträchtigen. Ich fordere – im Gegenteil – eine Arbeits­zeit­verlängerung à la Schweiz: Niemandem tut es weh, zwei Stunden länger zu arbeiten. Unsere Wettbewerbsfähigkeit würde steigen, und neue Arbeitsplätze würden geschaffen werden."

Rührend, wie sich Herr Mag. Oswald vermeintlich um Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplatzschaffung sorgt. Was aber wohl eher dahinterstecken wird: Zwei Stunden länger arbeiten – damit die Dividenden der Aktionäre und das eigene Managergehalt immer noch weiter steigen.

Allerdings scheint es da etwas Widerstand zu geben, sofern man Oswalds Aussagen Glauben schenken darf: 

"Vor allem die junge Generation legt großen Wert auf Life-Work-Balance. Die Leute wollen mehr Freizeit haben, Teilzeit ist ein Riesen-Thema. Das ist auch für unsere Büro-Organisation eine Herausforderung. Meine Generation [Anm.: Oswald ist 53 Jahre alt] war viel hungriger, kommt mir vor." 

"Hungriger" wonach? Offenbar nach Cash und Karriere. Sollte sich das bei Jüngeren inzwischen tatsächlich wandeln (woran ich nicht so recht zu glauben vermag), so wäre das nur positiv.

Die Kritik am Wunsch nach Life-Work-Balance gab es übrigens in identischer Form zuvor schon (mindestens) einmal im "Kurier". Damals stammte sie von …? Richtig: von Martina Salomon. Am 30. Oktober 2014 veröffentlichte sie einen Leitartikel unter dem Titel "So verspielt Österreich seinen Wohlstand". (Ich habe mich mit dem Leitartikel in diesem Blog-Eintrag auseinandergesetzt.)

Salomon belehrte uns damals unter anderem über Folgendes: 

"Und in allen wirtschaftlichen Diskussionsrunden erzählen Vorstände dieser Tage, dass den jungen Arbeitnehmern 'Work-Life-Balance' wichtiger sei als Karriere. Das hat seine Berechtigung, wenn man kleine Kinder hat. Doch es drängt sich eher der Verdacht auf, dass 'Reinbeißen' keine allzu gefragte Tugend mehr ist." 

So sind eine Zeitung wie der "Kurier" einerseits und die Repräsentanten der neoliberalen Wirtschaft andererseits gleichsam kommunizierende Gefäße:

Mal kommt die Propaganda aus dem Leitartikel, mal kommt sie (inhaltlich gleichlautend) von einem Interviewpartner aus der Wirtschaft.

Sogar bei den verwendeten Metaphern ähneln sich die Propagandist/innen und Gehirnwäscher/innen der beiden Seiten: Der eine träumt nostalgisch davon, wie viel "hungriger" seine Generation doch war; die andere vermisst das "Reinbeißen" bei den jungen Beschäftigten. Da muss man keine spitzfin­digen psychologischen Überlegungen anstellen, um zu konstatieren, dass sich der – gierige und eben schon buchstäblich verbissene – Drang danach, sich etwas anzueignen bzw. einzuverleiben (Geld, Macht, Erfolg …), auch in der Sprache manifestiert.

Die enge Gesinnungsgemeinschaft zwischen der Interviewerin und ihrem Gast ist unter anderem auch beim Pensionsthema zu beobachten: Wie aus einer Interview-Frage zu entnehmen ist, war Oswald schon vor einem Jahr Gesprächspartner des "Kurier"; er habe damals "Forderungen an die Politik gestellt"; darunter jene nach "Erhöhung des Pensionsalters, gekoppelt an die Lebenserwartung".

Im nunmehrigen Interview erhebt Salomon in Zusammenhang mit dem Pensionsthema folgenden scheinheiligen, pseudo-kritischen Einwand: 

"Am […] frühen Pensionsantritt sind auch Firmen schuld, die ältere Mit­arbeiter in die Pension drängen."

Das ist für Oswald willkommene Gelegenheit zu folgender Feststellung: 

"Man müsste die Gehaltskurve abflachen und insgesamt flexibler sein. Die Spitze der Arbeitsleistung ist vielleicht nicht erst mit 64. Es sollte daher normal werden, in späteren Lebensjahren karriere- und gehaltsmäßig wieder zurückzuschrauben. Bei uns im Haus gibt es dazu positive Beispiele." 

Also später in Pension gehen müssen, aber dafür immer weniger bezahlt bekommen.

Auch diese Ideen kennt man als Kurier-Leser bereits; zum Beispiel aus Salomons Kolumnentext vom 28. Juni 2014 "Mit 60 Jahren, da fängt das Leben an – in Pension" (siehe dazu ausführlich diesen Blog-Eintrag von mir). 

Ist es da übertrieben, Salomon als kongeniale Interviewerin Oswalds zu bezeichnen? Das heuchlerische Frage-Antwort-Spiel lief doch hervorragend: Salomon fungierte als perfekte Stichwortbringerin für die Artikulation jener Thesen und Postulate des CEOs Peter Oswald, deren Verbreitung nicht nur diesem selbst ein Anliegen ist (Teil 1 des Tricks), sondern welche auch sie (Salomon) hartnäckig in ihren eigenen Texten vertritt (2. Teil des Tricks). Ein geschmei­diges Zusammenwirken zwischen einer Art ideologischem Draht­zieher (einem Konzernmanager) und dessen willfährigem Sprachrohr (einer soge­nannten "unabhängigen" Journalistin).

Auf Oswalds skandalöses Lob für den Leistungswillen der "nebenher pfuschen(den)" Leute des unteren Mittelstands folgte übrigens keine Frage Salomons mehr – und natürlich schon gar keine kritische Nachfrage.