Das ist der
zweite Teil meiner Kritik an Martina Salomons Kolumnenartikel im Kurier vom 13.
Februar 2016 ("Eine offene Gesellschaft braucht keine Denkverbote".)
Den ersten Teil kann man hier nachlesen: "Sind das Denkverbote?"
Eines der von
Salomon an den Haaren herbeigezogenen Denkverbots-Beispiele zeigt besonders
erschreckend, dass ihr die gefährliche Tragweite ihrer Gesinnung bzw. deren
publizistischer Verbreitung entweder gleichgültig oder nicht bewusst ist.
Prägnant ausgedrückt: Skrupellosigkeit oder Ahnungslosigkeit. Beides
disqualifiziert sie als seriöse Journalistin.
Als Salomon
ihren Artikel veröffentlichte, war der Fasching vor wenigen Tagen zu Ende
gegangen. Sie zieht in diesem Zusammenhang unter dem Zwischentitel "Lachen verboten" folgende
Bilanz:
"Und wäre das Niveau der heimischen
Faschingsgilden nicht ohnehin zum Weinen, hätte man es eigentlich als Witz
empfinden müssen, dass sich diese heuer darauf eingeschworen hatten, die
Flüchtlingskrise nicht zu thematisieren. Darf man daran erinnern, dass es nur
in den schlimmsten Diktaturen verboten ist, sich über alles lustig zu machen?
Selbst am Hofe absolutistisch regierender Herrscher gab es zu diesem Zweck
Hofnarren, die – meist ungestraft – den hohen Herren die Wahrheit sagen
durften."
Als ich das
las, kamen mir sofort zwei Dinge in den Sinn:
• die Vorkommnisse bei diversen heurigen Faschingsumzügen
in Deutschland und Österreich
• der
Fasching bzw. Karneval während des Nationalsozialismus.
Um mit dem
zweitgenannten Punkt zu beginnen:
Dieses
Thema ist mittlerweile gut erforscht. Ich wurde insbesondere durch eine
Fernsehdokumentation des WDR aus 2008 darauf aufmerksam. Sie heißt "Heil Hitler und Alaaf! (Karneval in
der NS-Zeit)" (Gestalter: Carl Dietmar und Thomas Förster) und ist
auch auf Youtube verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=juRAwLQmZ18
Es gibt aber auch einschlägige Literatur*, einen Wikipedia-Eintrag** und vielfältiges Bildmaterial im Internet.
*) (etwa:
Carl Dietmar und Marcus Leifeld: Alaaf
und Heil Hitler, Verlag Herbig, 2010)
Die
damalige Situation lässt sich, kurz gesagt, so charakterisieren:
Die
Karnevalsumzüge wurden (auch) dazu verwendet, Juden auf schäbigste und zynischeste Weise zu verhöhnen, offen und
unverhohlen Antisemitismus zur Schau zu stellen und die Solidarität mit dem NS‑Regime
zu demonstrieren.
Was das
ganz konkret bedeutet hat, zeigen diverse Bilddokumente. Man kann sie in der zuvor erwähnten TV-Dokumentation oder zum Beispiel auf folgender Seite sehen: "Kölner Karneval im Nationalsozialismus".
Dort heißt
es zu einem einschlägigen Foto unter anderem:
"Im
Zug [beim Kölner Karneval
1933] fuhr etwa ein Wagen mit, der sich
über die Juden lustig machte: Dort fuhren als [Juden] Kostümierte mit Bart und Kaftan in «Richtung
Jaffa».
Den Wagen zierte ein Spruch von abstoßender Gehässigkeit: «Die Letzten ziehen
ab»".
Auf einem anderen Foto ist ein Wagen zu sehen, auf dem
ein großes Paragraphenzeichen auf zwei Stiefeln steht. Diese Stiefel treten
eine überdimensionale Krawatte einer Puppe nieder, die einen Juden karikiert.
Dazu erläuternd die zuvor genannte Internetseite:
"Die Unterdrückung der Juden durch die [Nürnberger] Rassegesetze etwa kommentierte ein Motivwagen 1936 mit einer
Judenkarikatur und dem hämischen Schriftzug: "Däm han se op d'r Schlips
getrodde! [= Dem sind sie aber auf den Schlips getreten!]"
In
Gegenüberstellung schon allein mit diesen beiden Schauwägen aus der Nazizeit
sei nochmals Salomons Satz über das Sich-Lustigmachen zitiert:
"Darf man daran erinnern, dass es nur in
den schlimmsten Diktaturen verboten ist, sich über alles lustig zu machen?"
Salomon
fordert also ein Recht darauf ein, sich über alles lustig machen zu dürfen.
(Und wenn einem dieser Spaß vorenthalten wird, dann zieht sie kurzerhand Parallelen zu den "schlimmsten Diktaturen".) Die verheerende Schlussfolgerung
daraus muss lauten:
Es war auch
legitim, dass man sich bei den Faschingsumzügen in der Nazizeit über das
Drangsalieren, Verfolgen und Vertreiben von Juden lustig gemacht hat.
Sind Sie
dieser Auffassung, Frau Dr. Salomon? Und wenn Sie es nicht sind: Wieso pochen
Sie dann auf eine Erlaubnis, "sich über alles" lustig machen
zu dürfen?
Ich gehe
mal davon aus, dass Salomon beim Anblick dieser alten Fotos oder
Filmausschnitte nicht in schallendes Gelächter ausbricht und dass sie ihren
Spaß-muss-sein-Kommentar schrieb, ohne dabei diese antisemitischen Schauwägen
im Sinn zu haben. Alles Andere wäre so unfassbar, dass ich darüber gar nicht
spekulieren möchte. Die Dinge liegen wahrscheinlich viel banaler: Sie hat
einfach drauflos geschrieben, ohne von diesen historischen Fakten irgendeine
Kenntnis zu haben.
Eine solche
Kenntnis ist auch nicht zwangsläufig zu verlangen, weil nicht jeder über alles
Bescheid wissen kann (obwohl es der stellvertretenden Chefredakteurin einer der
größten österreichischen Tageszeitungen ganz gut anstünde, auf dem Gebiet der
Zeitgeschichte einen etwas breiteren Horizont zu haben). Aber (und darin liegt
der Vorwurf an Salomon): Wenn man über das Thema nicht ausreichend informiert
ist, dann soll man solche blöden (und gefährlichen) Sprüche wie jenen, dass es
doch (insbesondere bei Faschingsveranstaltungen) erlaubt sein müsse, "sich über alles lustig zu machen",
unterlassen! Eine Zurückhaltung, die im Übrigen schon der "gesunde"
(sprich: ein humaner) Menschenverstand nahelegen würde – ganz ohne Kenntnis der
Karnevalsumzüge der Nazizeit.
Als
Zwischenbilanz lässt sich mal festhalten:
Faschingsveranstaltungen
sind nicht zwangsläufig harmlos, ja sie können sogar gefährlich, rassistisch,
menschenverachtend sein.
An dieser
Stelle kommen jetzt wahrscheinlich manche mit dem Vorwurf, ich würde mich der
"Nazikeule" bedienen (ein ähnlich beliebter Newspeak-Begriff wie das
"Denkverbot"). Was damals unter den Nazis stattgefunden habe, sei
doch längst vorüber und in keiner Weise mit harmlosen Faschingsumzügen des
Jahres 2016 zu vergleichen.
Das wird im
Großen und Ganzen vielleicht auch stimmen. Aber eben nur im Großen und Ganzen.
Auf unrühmliche Ausnahmen wird gleich einzugehen sein. Und gerade angesichts
dieser Ausnahmen zeigt sich, wie richtig die (offenbar ausdrücklich getroffene)
Absprache der österreichischen (und auch deutschen?) Faschingsgilden war, die
Flüchtlingskrise bei den Veranstaltungen nicht zu thematisieren:
- In einer
oberbayrischen Ortschaft fuhr im Faschingsumzug die Attrappe eines Panzers mit
der Aufschrift "Ilmtaler Asylabwehr" mit.
(Foto und
Bericht zB. in der Neuen Zürcher Zeitung: "Ein Panzer gegen Flüchtlinge", ebenso im
Kurier selbst: "Narren, die gegen Flüchtlinge hetzen")
- Über einen
Umzug in Thüringen heißt es im Artikel der "Neuen Zürcher Zeitung":
"Bei einem Umzug
in Wasungen in Thüringen nahm laut einem Bericht des MDR ein als Lokomotive
dekorierter Wagen mit der Aufschrift «Balkan-Express» teil. Vorne auf der
Lokomotive war ausserdem «Die Ploach kömmt» zu lesen, ins Hochdeutsche
übersetzt «Die Plage kommt».
Die Mitglieder der
Gruppe, die diesen Wagen am Zug mitführte, hatten sich als Heuschrecken
verkleidet. Die Frage des Reporters, ob sie damit Flüchtlinge mit Heuschrecken
vergleichen wollten, verneinten sie (…). Einer der Karnevalisten meinte, in
Wasungen habe es eben Tradition, seinen Unmut kundzutun."
In Österreich fiel insbesondere der Faschingsumzug im
niederösterreichischen Maissau unangenehm auf. Auch darüber berichtete unter
anderem der Kurier selbst (Verfassungsschutz ermittelt nach Faschingsumzug in NÖ). In dem Artikel heißt es:
"(U)nter die 33
originellen und lustigen Umzugswagen des traditionellen Narrentreibens hatte
sich ein Wagen gemischt, der mittlerweile den Staatsanwalt sowie das Bundesamt
für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung auf den Plan gerufen hat.
Das Gefährt mit dem
Namen «Shariah Police» trug nicht nur die Nummerntafel «Asyl
88» sondern auch zahllose geschmacklose Plakate mit Aufschriften wie «Islam
verleiht Flügel» über der Darstellung gehängter Menschen.
Montiert war das Schild auf eine Faymann-Puppe. Die Staatsanwaltschaft
Korneuburg hat Ermittlungen wegen eines möglichen Verstoßes gegen das
Verbotsgesetz* sowie wegen des Tatbestands der Verhetzung aufgenommen."
*[Anm.:
offensichtlich wegen des "88", das in der rechten Szene als Kürzel
für "Heil Hitler" gilt (H als 8. Buchstabe des Alphabets)]
Sind bei
den beschriebenen Umzugswagen noch große Unterschiede zu jenen der Nazizeit zu
erkennen? Im Wesentlichen nur mehr ein formaler: Die Opfer der
"Scherze" sind Andere geworden. "Zielgruppe" der Jahre 1933
ff. waren die Juden, jene des Jahres 2016 sind die Flüchtlinge. In der Machart
unterscheidet sich der zur Menschenverachtung und Menschenhetze pervertierte "Spaß"
hingegen kaum.
Was Maissau
angeht, ist den dortigen Veranstaltern zugutezuhalten, dass sie sich von dem betreffenden Umzugswagen
distanziert haben. So wird etwa in dem Kurier-Artikel der Obmann der dortigen
Faschingsgilde mit den Worten zitiert: "So ein Wagen ist absolut nicht in Ordnung." Und der
Bürgermeister meinte (gleichfalls laut Zitat im Kurier): "Natürlich ist das nicht zu dulden. Es tut uns leid, dass der
Wagen über das Ziel hinausgeschossen ist."
Wie steht
aber Salomon zu solchen Pseudo-Späßen? Man kann (und muss) ihr unterstellen,
dass sie die Präsentation derartiger "Scherze" gutheißt (!) (vielleicht mit Ausnahme der 88er-Aufschrift auf der Nummerntafel, aber um die geht es mir im gegebenen Zusammenhang auch nicht):
1. Wenn man Salomon hinsichtlich des Karnevals in der Nazi-Zeit noch Unkenntnis zubilligen kann,
so ist das in Zusammenhang mit den eben geschilderten aktuellen Vorkommnissen
ausgeschlossen: In den Medien wurde darüber um den 8./9. Februar herum
berichtet; wie erwähnt, auch im Kurier selbst. Sie wusste also, was sich
etwa in Maissau oder in Bayern abgespielt hat, als am 13. Februar ihre Kolumne
erschien.
2. In
dieser Kolumne geht sie natürlich nicht nur mit keinem Wort auf die Vorfälle ein,
sondern sie kritisiert sogar, dass sich die Faschingsgilden offenbar eine Art
Selbstbeschränkung dahingehend auferlegt hatten, Bezugnahmen auf die Flüchtlingskrise zu unterlassen. Diese Kritik übt sie, obwohl sich unschwer vorstellen lässt, wie viele solcher einschlägiger Umzugswagen allerorten unterwegs gewesen wären, wenn sich die Verantwortlichen dieses angebliche "Denkverbot" (!) für ihre Veranstaltungen nicht verordnet hätten.
3. Und sie
findet – noch einmal sei es erwähnt –, dass es erlaubt sein müsse, "sich über alles lustig zu machen".
Das heißt in Anbetracht des Kenntnisstands, den Salomon spätestens am 9. oder 10.
Februar haben musste:
Sich lustig machen über das Leid von Menschen, von denen viele Krieg, Verfolgung und ungeheuren Strapazen ausgesetzt waren (und die selbst als bloße "Wirtschaftsflüchtlinge" jedenfalls Mühsal und Entbehrung hinter sich haben) – und das noch dazu
Sich lustig machen über das Leid von Menschen, von denen viele Krieg, Verfolgung und ungeheuren Strapazen ausgesetzt waren (und die selbst als bloße "Wirtschaftsflüchtlinge" jedenfalls Mühsal und Entbehrung hinter sich haben) – und das noch dazu
- indem man diesen Menschen ("spaßhalber")
mit Panzern gegenübertritt
- oder indem man sie (natürlich auch nur "zum Scherz") als "Plage" bezeichnet
- ja, indem
man mit dem Schicksal von Gehängten seinen Spaß treibt – dadurch, dass man über
ein entsprechendes Foto (vermutlich von Hinrichtungen im Nahen Osten) den
Spruch setzt: "Islam verleiht Flügel" (siehe die Abbildung im oben
verlinkten Kurier-Artikel betreffend Maissau).
usw. usw.
Das gehört für Salomon also zu "unseren Errungenschaften als liberaler Gesellschaft" (auf welche sie sich im Untertitel ihres Artikels beruft): die "Freiheit", geplagte, arme, Schutz suchende Menschen zu verhöhnen, zu verspotten, zu beleidigen und über sie zu lachen! Für mich ist es hingegen Ausdruck der Verkommenheit einer Gesellschaft.
Das gehört für Salomon also zu "unseren Errungenschaften als liberaler Gesellschaft" (auf welche sie sich im Untertitel ihres Artikels beruft): die "Freiheit", geplagte, arme, Schutz suchende Menschen zu verhöhnen, zu verspotten, zu beleidigen und über sie zu lachen! Für mich ist es hingegen Ausdruck der Verkommenheit einer Gesellschaft.
Gibt es da etwas, das ich zum Nachteil Salomons
missverstanden haben könnte? Oder irgendeine böswillige Übertreibung von mir, die man meiner (zugegebenermaßen bestehenden) Abneigung gegen
diese Journalistin zuschreiben könnte? Ich finde nichts dergleichen. Ich finde
nichts, das den Eindruck abschwächen könnte, dass Salomon ganz bewusst in
gefährlicher Weise zündelt, indem sie Ressentiments gegen
"Ausländer" (derzeit bedeutet das vor allem: Flüchtlinge und Moslems) schürt und indem sie die Verhöhnung von Menschen (wie sie vor wenigen Tagen bei
den beschriebenen Faschingsumzügen vorkam) durch ihre unsäglichen Äußerungen zum
Thema Faschingsgilden / Sich-Lustigmachen implizit billigt.
Was sich hier auf journalistischer Ebene abspielt, könnte
man mit zwei Metaphern prägnant so zusammenfassen: "Öl ins
Feuer der Xenophobie gießen" (das hierzulande ohnedies massiv lodert) – und überdies (mittels Ermutigung zu
Spott und Hohn) "Salz in die Wunden (der Flüchtlinge)" streuen.
Zum Abschluss und zur Untermauerung all dessen sei auf einen
Leitartikel aufmerksam gemacht, den Salomon zwei Wochen zuvor im Kurier
verfasst hatte (30. Jänner 2016: "Das Ende der Gewissheit"; im Internet hier nachzulesen):
Insgesamt handelt es sich dabei um das gewohnte neoliberal-mahnende
Propagandagewäsch – einem Sammelsurium all dessen, was sich nach Vorstellung
Salomons (bzw. ihrer Brötchengeber) dringend ändern müsse, damit Österreich
nicht zugrunde gehe. Das soll hier nicht Thema sein. Bemerkenswert sind aber im vorliegenden Zusammenhang zwei
Sätze, die Salomon so nebenbei in den Text hineingepackt hat. Sie meint:
"Es ist nicht
einmal mehr sicher, dass wir ein christlich geprägtes Land sind, in dem man
Deutsch spricht. Bei so mancher U-Bahn-Fahrt in Wien wird man eines Besseren
belehrt."
Ich habe jetzt bereits so viel geschrieben, dass ich keine
Lust mehr habe, auch noch diese Sätze Salomons im Detail zu kommentieren. Ich
stelle ihnen einfach ein anderes Zitat gegenüber.
Paula Wessely 1941, in der Rolle der Marie im berühmten Gefängnismonolog des
NS-Propagandaspielfilms "Heimkehr" (Regie: Gustav Ucicky, Drehbuch:
Gerhard Menzel):
"Denkt doch bloß
Leute, wie das sein wird. Denkt doch bloß; wenn so um uns rum lauter Deutsche
sein werden – und nich', wenn du wo in einen Laden reinkommst, dass da einer
jiddisch redet oder polnisch, sondern deutsch."
Zu hören und zu sehen [früher*] zum Beispiel hier: https://www.youtube.com/watch?v=UryiZ9cUmxY (ab 0:33)
Eine vergleichende Beurteilung der beiden Zitate möge jeder
selbst vornehmen.
_______________
*) Aktualisierung vom 10. November 2022: Das Video mit dem entsprechenden Filmausschnitt wurde auf Youtube mittlerweile entfernt, "weil es gegen die YouTube-Richtlinen zu Hassreden ('Hate Speech') verstößt". Ein Umstand, der als Interpretationshilfe auch für Salomons Äußerung dienlich ist. ;-)