Dienstag, 31. Oktober 2023

Halloween

In der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November wird Halloween "gefeiert" – jedenfalls von entsprechend einfältigen Menschen.

In einem Artikel auf orf.at*, der den bezeichnenden Titel "Halloween wird immer beliebter" trägt, lese ich dazu unter anderem:

*) siehe https://wien.orf.at/stories/3230319/

"Laut der Wiener Wirtschaftskammer planen acht von zehn Wienerinnen und Wienern bis 29 Jahre am 31. Oktober eine Aktivität. Das sind noch einmal deutlich mehr als im Vorjahr: Damals waren es sechs von zehn, heißt es in einer Umfrage im Auftrag der Wirtschaftskammer."

Wenn es Personen bis zum Alter von (sagen wir mal) zwölf Jahren wären, könnte man dieses Verhalten durchaus nachvollziehen. Aber offenbar ist ein Groß­teil der Menschen sogar mit 29 noch nicht dem vorpubertären Entwick­lungsstadium ent­wachsen.

Dass von der Einfalt jemand glänzend profitiert – nämlich die Wirtschaft und dabei insbesondere der Handel –, versteht sich fast schon von selbst:

"In Summe werden die Österreicherinnen und Österreicher laut Wirtschafts­kammer heuer rund 55 Millionen Euro für Halloween ausgeben."

Konkret sieht das Ausgabenverhalten so aus:

"Durchschnittlich dreißig Euro geben die Wienerinnen und Wiener für Hallo­ween aus. Süßigkeiten stehen hoch im Kurs (44 Prozent), aber auch Kür­bisse zum Basteln (21 Prozent). Daneben werden gerne gruselige Deko-Artikel (16 Prozent), Schminke, Make-up und Schmuck sowie Accessoires (14 Prozent) gekauft. Sich Verkleiden und Schmin­ken ist vor allem bei der jüngeren Generation beliebt."

Der zuständige Kammerfunktionär bringt seine Freude darüber auch ganz freimütig zum Ausdruck:

" 'Für einige Handelsbranchen bringt dies durchaus einen Schub, den sie im Moment auch dringend nötig haben', sagte Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), mit Verweis auf die schwierige Konjunktur­situation im Handel. 'Die Stimmung in den heimischen Handelsbetrieben ist leider der Jahreszeit entsprechend trist. Kaufanlässe wie Halloween sind daher höchst willkom­men', sagt Tre­fe­lik."

Klar: Dass die Leute konsumieren bzw. kaufen – sei es auch noch so sinn- und gedankenlos –, das ist der Wirtschaft immer recht.

Heuer wirkt das – naturgemäß aus den USA importierte – Kokettieren mit dem Gruse­ligen und dem Grauen ganz besonders deplatziert, weil es viele andere Menschen gerade hautnah in der Realität erleben bzw. kürzlich erlebt haben, nämlich im Nahen Osten (aber natürlich nicht nur dort und nicht nur derzeit).

Statt dümmlicher Halloween-Aktivitäten wären also Proteste und Demons­tra­tionen wünschenswert. Je nach Präferenz:

- gegen den Terror der Hamas gegenüber Israel, insbesondere das Massa­ker vom  7. Oktober (mit ca. 1500 Toten) und die Verschleppung von über 200 Geiseln

und/oder

- gegen den daraufhin einsetzenden Terror Israels gegenüber der palästi­nen­sischen Bevölkerung im Gaza-Streifen (mit nach derzeitigem Stand rund 8000 Toten)

und/oder

- gegen die schändliche Haltung eines Großteils der westlichen Welt, die zwar den Hamas-Terror (zu Recht) verurteilt, aber den israelischen Terror entweder stillschwei­gend gutheißt oder ihn sogar mit Worten und auch Taten (siehe die militärische Hilfe der USA) unterstützt sowie Kritik an Israel bzw. Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung reflexartig als angeb­lichen Antisemitismus diffamiert.

Donnerstag, 10. November 2022

Das Problem mit dem Nettsein

Guido Tartarotti – sozusagen der Harmonie- und Gute-Laune-Onkel in der Tageszeitung "Kurier" – veröffentlichte dort gestern (9. November 2022) in der Kolumne auf Seite 1 unter dem Titel "Nettsein leicht machen" einen Kommentar, in dem er unter Anderem Folgendes empfiehlt:

"Vielleicht ist das ja ein Weg, sich und einander das Leben erträglicher zu gestalten: Nett sein, auch wenn es schwerfällt. Und es den anderen leichter machen, nett zu sein. Nett sein macht uns zu Menschen."

Und das klingt ja auch nett, ist aber realitätsfremd und deshalb naiv.

Es drängte sich für mich geradezu auf, Tartarottis Worte mit dem in Ver­bin­dung zu setzen, was sein Redaktionskollege Andreas Schwarz nur einen Tag zuvor im Kurier an der gleichen Stelle kundgetan hatte: 

Unter der Überschrift "Vermüllung" beklagt sich Herr Schwarz in der Ausgabe vom 8. November 2022 über die Lautstärke beim Telefonieren im öffentlichen Raum – und zwar beim Telefonieren "per Facetime", bei dem "das Handy weit vom Face weggehalten wird, damit die Sprechenden einander auch sehen". Dadurch höre man auch beide, und zwar "laut ver­nehmlich".

So weit, so belanglos. Bemerkenswert ist allerdings folgender Satz, den Herr Schwarz geschickt – nein, perfid – in seinen Text eingebaut hat: 

"Okay, meist versteht man das Gesagte eh nicht, weil – darf man nicht sagen, ist aber so – überwiegend in einer fremden Sprache gefacetimed wird."

Also zunächst einmal: Schwarz und seinesgleichen dürfen bekanntlich ohnedies so gut wie alles sagen. Denn sobald jemand dieses Prinzip in Zweifel zu ziehen wagt, wird eine solch unverschämte Person von der Meute der Journalist/innen umgehend mit den Vorwürfen "Zensur", "Eingriff in die Pressefreiheit" und "Demokratiegefährdung" eingedeckt und mundtot ge­macht. (Man kennt den gleichgelagerten Mechanismus übrigens auch in anderen Bereichen: Kritik an einem Roman, Film, Theaterstück, Lied etc.? = Zensur und Eingriff in die Freiheit der Kunst / Kritik an Israel? = Anti­semi­tismus / Kritik an der Ukraine? = Unterstützung Putins, usw.)  

Aber das sind abstrakte Überlegungen – denn natürlich hat es Herr Schwarz ja eh gesagt. Ganz ungeniert und frei von der Leber weg, so wie es im Kurier (und auch sonst hierzulande) gang und gäbe ist.

Die Perfidie besteht darin, dass er seine xenophobe Botschaft ohne jede Notwendigkeit in einen Text einbaute, für dessen Gegenstand das Thema Ausländer bzw. Zuwanderung (oder hat er etwa telefonierende Touristen gemeint?) keinerlei Rolle spielt: Wenn zu lautes Telefonieren stört, dann tut es das doch wohl ganz oder weitgehend unabhängig von der Sprache, in der es geschieht. 

Allerdings packt Schwarz gleichsam eine weitere Perfidie in die Perfidie hinein, indem er unterstellt, dass die von ihm beanstandete Art des Telefonierens "überwiegend" in einer fremden Sprache erfolge. Schon ist der Konnex zwischen einem Missstand (bzw. dem, was Herr Schwarz als solchen empfindet) und den Ausländern hergestellt. Ohne jeden fundierten Nachweis, versteht sich; ein kategorisches "ist aber so" aus Journalis­ten­feder hat gefälligst zu genügen.

Schwarz' kleiner, aber übler Satz hat mich sofort an eine recht ähnliche (freilich noch schäbigere) Äußerung seiner Chefredakteurin (damals war sie's noch nicht) erin­nert: Im Februar 2016 hatte die famose Frau Dr. Salo­mon einen Artikel geschrieben, auf den ich damals hier in meinem Blog unter Anderem mit einem Kommentar unter dem Titel "Fasching und Flücht­lings­krise" rea­gier­te:

https://enalexiko.blogspot.com/2016/02/fasching-und-fluechtlingskrise.html 

Es stünde Herrn Schwarz gut an, sich ruhig den gesamten Blogeintrag hinter die Ohren zu schreiben, wie man so schön sagt. Im gegebenen Zusammen­hang von Interesse ist jedoch vor allem dessen Schluss. Dort nahm ich Bezug auf folgende ungeheuerliche Bemerkung, die Salomon schon kurz davor (am 30. Jänner 2016) in einem Leitartikel formuliert hatte:

"Es ist nicht einmal mehr sicher, dass wir ein christlich geprägtes Land sind, in dem man Deutsch spricht. Bei so mancher U-Bahn-Fahrt in Wien wird man eines Besseren belehrt." 

Die Parallelen zwischen den Aussagen von Schwarz und Salomon sind unverkennbar. Weitaus brisanter und entlarvender ist aber der ebenso un­ver­kennbare Gleich­klang mit dem, was seinerzeit aus Paula Wesselys Munde zu hören war; nämlich 1941 in ihrer Rolle als Marie im NS-Pro­pa­gandaspielfilm "Heim­kehr":

"Denkt doch bloß Leute, wie das sein wird. Denkt doch bloß; wenn so um uns rum lauter Deutsche sein werden – und nich', wenn du wo in einen Laden reinkommst, dass da einer jiddisch redet oder polnisch, sondern deutsch." 

Dieses Zitat hatte ich bereits in meinem damaligen Blogeintrag wieder­gegeben. Außerdem hatte ich auf ein Youtube-Video mit dem entspre­chenden Filmausschnitt verlinkt. Wie ich festgestellt habe, kann dieses Video allerdings mittlerweile nicht mehr aufgerufen werden. Es wurde nämlich (auf YouTube) entfernt, "weil es gegen die YouTube-Richtlinien zu Hassreden ('Hate Speech') verstößt" (!).

Spätestens dieser Umstand sagt einiges darüber, in welchem Dunstkreis sich ein Herr Schwarz (und zugegebenermaßen noch viel deutlicher eine Frau Dr. Salomon) mit ihren zitierten Feststellungen bewegen. 

Und damit komme ich wieder auf Herrn Tartarotti zurück:

Nehmen wir mal (theoretisch) an, sein Appell zum Nettsein wäre ernst zu nehmen und auf den vorliegenden Fall anzuwenden: Wer soll sich jetzt angesprochen fühlen? Schwarz, Salomon und Konsorten (in ihrer Einstellung und ihrem Ton gegenüber Ausländern)? Naiv. Da wird Herr Tartarotti lange darauf warten können. Oder etwa ich (in meiner Einstellung und meinem Ton gegenüber Schwarz, Salomon und Konsorten)? Ebenso naiv. Kaum etwas läge mir ferner, als gegenüber solchen Leuten eine wie auch immer defi­nierte Geste des Nettseins zu setzen.  

Dienstag, 13. September 2022

Das "Peter-Pisa-Wenn"

Es gibt in unserer Zeit (und nicht nur in dieser) wahrlich Schlimmeres als ein sprachliches Missgeschick in Form der Nichtbeachtung einer Grammatik­regel (sei es irrtümlich oder aus Unkenntnis).

Wenn ich mich heute dennoch mit (genau genommen) zwei solcher Regel­verstöße beschäftige, so ist das also keinesfalls Selbstzweck. Im Verlauf meines Texts wird deutlich werden, was mich dazu veranlasst hat. 

Am vergangenen Freitag (9. September 2022) schrieb Peter Pisa im "Kurier" wieder einmal seine Kolumne "Pisa schaut fern". Darin geht es bekannt­lich so gut wie nie um substanzielle Kritik an einer Fern­seh­sendung, an der Programmgestaltung oder Ähnlichem. Vielmehr nimmt sich Pisa mit Vorliebe irgendwelcher beim Zuschauen aufgeschnappter Wort­meldungen an, die er dann in der Manier eines pubertären Jugendlichen genüsslich in schlüpfrig-zweideutiger Weise interpretiert bzw. kommentiert. Alles, was irgendwie dem Bereich Toilette / Fäkalien und verwandten Themen zuzuord­nen ist, scheint ihm dabei besonderen Genuss zu bereiten. (Einschlägige Beispiele zu zitie­ren, erspare ich mir und den Leser/innen meines Blogs.)

Das ist sozusagen das psychopathologische Feld von Pisas kolumnisti­scher Aktivität. Er hat aber auch noch ein zweites Standbein: jenes des gehäs­si­gen Sprachoberlehrers. 

Am Freitag hat er wieder einmal in der eben genannten Funktion sein Unwesen getrieben. Anlass war ein sprachlicher Ausrutscher, der dem derzeitigen Bildungsminister (und vormaligem Universitätsprofessor für Rechts­geschich­te sowie Rektor der Universität Graz), Martin Polaschek, unterlaufen ist und laut Pisa in der Nachrichtensendung "Zeit im Bild" zu hören war: In Zu­sam­menhang mit Stromspar-Maßnahmen soll Polaschek den Schulen empfohlen haben, dass die Router während des Wochenendes

"abgeschalteN werden".   

Der Buchstabe "N" im ersten Wort ist das, was Pisa stört. Denn richtig – so belehrt er uns – hätte es zu heißen: "abgeschalteT".

Und damit uns allen klar wird, wie ungeheuerlich die sprachliche Untat Polascheks ist (mir wäre sie gar nicht aufgefallen), stellt Pisa fest: 

"Lehrer streichen 'abgeschalteN' rot als Rechtschreibfehler an."

Aus dem dramatischen Ereignis vor laufender Fernseh­kamera zieht Pisa am Ende seines Texts nachstehende Schlussfolgerung: 

"Und dann tritt ausgerechnet der Bildungsminister auf und sagt, abge­schalteN soll werden. Deshalb ist der Zeitpunkt gekommen, sich geschlagen zu geben. Die Niederlage hat müde gemacht, und bald ist man einge­schlaft."

Schon hat der Herr Redakteur seine Kolumne wieder mit ein paar besser­wisserischen und peinlich-halblustigen Zeilen gefüllt und einer Lappalie einen Kommentar gewidmet, dessen dürftige Quintessenz darin besteht, den Bildungsminister durch die Blume als ungebildeten Deppen hinzustellen. 

Aber das allein hätte mich nicht veranlasst, diesen Blogeintrag zu schreiben. Das Beste (weil Entlarvendste) kommt noch, und es steht ganz am Beginn von Pisas Text. Der erste Absatz seines Artikels vom Freitag lautet (Fett­druck von mir):

"Na gut, man muss wissen, wenn man verloren hat. Der Bildungsminister ist stärker. Er war ja sogar Rektor der Universität Graz." 

Über den ersten Satz bin ich gleich beim ersten Lesen gestolpert: "… man muss wissen, wenn man verloren hat" ?? Das klang für mich sofort holprig-"un­rund".

Und schnell war mir dann klar, woran es liegt: Pisa kann nicht zwischen "wenn" und "wann" unterscheiden. In korrektem Deutsch hätte der erste Satz zu lauten: 

"Na gut, man muss wissen, wann man verloren hat."

Es handelt sich übrigens in der Zeitung um keinen bloßen Druckfehler, der dieses "wann" unbeabsichtigt zu einem "wenn" gemacht hätte: Eine E-Mail, die mir Pisa noch am Freitag auf eine Nachricht meinerseits schickte, machte klar, dass er tatsächlich "wenn" gemeint hatte und das damit ver­bun­dene sprach­li­che Problem gar nicht kapierte. 

Also musste ich mich selbst als Sprachoberlehrer betätigen und Pisa – in einem zweiten Anlauf – folgende (eigentlich relativ simple) Zusammenhänge erläutern:

Das Wort "wenn" kann zwei Grundfunktionen haben (entsprechend der Unterscheidung "if" und "when" im Englischen): 

A) "Ich komme am Nachmittag zu dir, wenn die Sonne scheint." ("wenn" in der Bedeutung "falls" / "für den Fall, dass" → konditional)

B) "Ich rufe dich an, wenn ich mit der Arbeit fertig bin." ("wenn" in der Bedeutung "sobald" → temporal) 

Mit dem konditionalen "wenn" (lit. A) hat Pisas Satz schon mal überhaupt nichts zu tun. Er sei nochmals zitiert:

"Na gut, man muss wissen, wenn man verloren hat."  

Das ist selbstverständlich kein "wenn" in der Bedeutung "falls".

Man könnte höchstens – mit viel Ach und Krach – argumentieren, Pisa hätte ein zeitliches "wenn" (lit. B) gemeint. So im Sinne von: 

"Na gut, man muss wissen, wann der Moment gekommen ist, in dem man verloren hat."

Stilistisch ist der von Pisa formulierte Wenn-Satz dann aber immer noch miserabel. Und ich behaupte: Er ist sogar grammatikalisch falsch. Denn das "wenn" entspricht hier auch keinem "sobald": 

"Na gut, man muss wissen, sobald man verloren hat." (???)

Die Probe aufs Exempel kann man auch mit folgenden Sätzen machen:

- "Man muss [als gebildeter Mensch] wissen, wenn der Zweite Weltkrieg be­gon­nen hat." (???)

oder:

- "Ich weiß, wenn er mich das letzte Mal besucht hat." (???)

Da würde wohl nicht einmal ein Peter Pisa das Wort "wenn" gebrauchen. In beiden Beispielen muss es selbstverständlich heißen: "wann".

Der Satz aus dem Kurier mit dem "Pisa-Wenn" kann einem im gesproche­nen Deutsch durch­aus herausrutschen, und daraus ein Problem zu machen, wäre lächerlich. Die Sache sieht schon etwas anders aus, wenn ihn ein Journalist in eine der auflagenstärksten Zeitungen hineinschreibt (und dazu den Fehler nicht einmal nachträglich erkennt). Das wäre kritikwürdig, aber mit viel Wohlwollen noch irgendwie hinzunehmen. 

Ganz schlimm und blamabel wird die Angelegenheit allerdings dann, wenn dieser sprachliche Fehltritt ausgerechnet von einem Spötter und Besser­wisser wie Peter Pisa kommt – delikaterweise im selben Artikel, in dem er über einen anderen Menschen herzieht, weil dieser (mündlich) die Formulierung "abgeschalten" statt "abgeschaltet" gebraucht hat. Da passt der Spruch: "Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen."

Damit ist schon erklärt, warum die Sache für Pisa blamabel ist. Aber warum ich sie auch für ganz schlimm halte, sollte ich konkretisieren: Ich meine damit nicht (oder nur zu einem geringen Teil) den sprachlichen Aspekt. (Siehe oben den Beginn meines Eintrags: Es gibt Schlimmeres.) Doch Pisas sprachliche Fehlleistung gesellt sich – gleichsam als Krönung – zu seinen charakterlichen Fehlleistungen, wie sie sich regelmäßig in seinen Kolumnentexten manifestieren: zur Herablassung, zur Schadenfreude und zum Spott, mit dem er über Menschen herzieht, weil sie sich (im Fernsehen) einen belanglosen Versprecher oder einen sonstigen (ebenso belanglosen) sprachlichen Ausrutscher zuschulden kommen ließen, oder weil ihm ihre Art zu reden nicht zusagt. (Ich habe hier im Blog schon einmal einen konkreten Fall erwähnt – Pisas völlig ungerechtfertigte Häme über eine Moderation Tarek Leitners: "Ein Moderator wird verspottet".) 

Dieses Lauern auf das Missgeschick eines Anderen, um ihn genüsslich und gnadenlos dem Gespött der Meute preisgeben zu können – das erinnert fatal an etwas, das wahrscheinlich Viele in ihrer Schulzeit beobachten konnten: nämlich ein ganz ähnliches Verhalten, das manche pubertierende Jugendliche an den Tag legen – sei es gegenüber Klassenkollegen, sei es gegenüber bestimmten (als "schwach" erkannten) Lehrern und Lehrerinnen.

Ein Fernsehmoderator oder gar ein Politiker ist einer solchen Situation sicher viel besser gewachsen als Schüler/innen oder bestimmte Lehrer/in­nen. Keine Frage. Aber um diesen Unterschied geht es im vorliegenden Zusammenhang nicht. Es geht um den gleichartigen "Bösartigkeits­mechanismus". 

Pisa scheint in mehrfacher Hinsicht der Pubertät nicht entwachsen zu sein.

Das gilt übrigens auch für viele (deutsche und österreichische) Kabaret­tist/in­nen, die ihre Programme oft nach einem ganz ähnlichen Prinzip ge­stal­ten: einem widerlichen (in der Spaßgesellschaft gerne zu "Humor" umdekla­rier­ten) Gemisch aus degoutanten Vulgärgeschichten und der beschriebenen – einzig auf billige Lacher abzielenden – Häme über Pannen oder Schwä­chen eines anderen Menschen (wohlgemerkt nie über die eigenen).

Dienstag, 29. März 2022

Das ist nicht tapfer, Frau Jelinek!

Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek hat auf ihrer Homepage einen Text zum Ukraine-Krieg veröffentlicht: https://www.elfriedejelinek.com/f-ukraine.htm

Formal handelt es sich dabei um einen Appell an Russinnen und Russen, nicht der offiziellen Propaganda bzw. den Lügen des Kremls Glauben zu schenken, sondern zu protestieren und die Wahrheit über den Krieg und die Machenschaften Putins auszusprechen.

Der Text hat mich veranlasst, an Frau Jelinek eine E-Mail zu schreiben, deren Ausführungen ich hier – über weite Passagen wortgleich – wieder­geben möchte. Weil ich mich aber jetzt an eine breitere Leserschaft wende, habe ich die direkte Anrede der Adressatin in den Formulierungen modifiziert; und an ein paar Stellen habe ich relativ geringfügige Änderun­gen und Ergänzungen vorgenommen. 

__________

Gerade von Elfriede Jelinek hatte ich mir erhofft, einen Kommentar zum Ukraine-Krieg zu lesen, der in einer bestimmten grundlegenden Hinsicht anders klingen würde als das, was derzeit ohnedies so gut wie alle zu dem Thema äußern. Leider – und zu meinem Befremden – bin ich in dieser Hoffnung enttäuscht worden.

In dem (eingangs verlinkten) Text "Ukraine" auf Jelineks Homepage steht zweifellos viel Zutreffendes drinnen. Und ich hätte relativ wenig gegen diese Stellungnahme einwenden können, wenn Jelinek auf drei entlarvende Worte – oder zumindest auf eines davon (das mittlere) – verzichtet hätte: "trotz tapferer Gegenwehr".

Der betreffende Satz lautet vollständig: 

"Die Ukraine steht einer gewaltigen Übermacht gegenüber, der sie trotz tapferer Gegenwehr ausgeliefert ist."

"Trotz tapferer [!] Gegenwehr": So etwas hätte man von der Schalek vor etwas mehr als 100 Jahren auch lesen können. (Alice Schalek war eine österreichische Kriegsberichterstatterin im Ersten Weltkrieg, deren eupho­risch-patriotische Frontkommentare immer wieder Kritik und Spott von Karl Kraus hervorriefen.)

Für "Führer, Volk und Vaterland" zu kämpfen (und genau das geschieht im Moment von Seiten der Ukrainer!), ist in einem Verteidigungskrieg nicht weniger verblödet (weil man sich damit allenfalls selbst an Leib und Leben schadet) und nicht weniger verantwortungslos (weil man damit Dritten schadet) als in einem Angriffskrieg.

Der Publizist Jakob Augstein hat es vor zwei-drei Tagen in einem Video auf der Homepage des Nachrichtensenders "n-tv" mit folgender Feststellung sehr gut auf den Punkt gebracht:

"Das Dorf zu zerstören, um es zu retten – das hat mich tatsächlich nie über­zeugt." (https://www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/Bin-dafuer-dass-die-Ukrainer-kapitulieren-article23224804.html )

Im Westen wurde ja wiederholt in hämisch-schadenfroher Weise ange­merkt, dass die naiven Russen angeblich erwartet hätten, bei ihrer Invasion in der Ukraine von der Bevölkerung mit Blumen empfangen zu werden. Anknüpfend an diese Behauptung und in gleichem Sinne wie Augsteins gerade zitierter Satz, lässt sich meine Sicht der Dinge wie folgt zusam­men­fassen:

Hätten die Ukrainer am 24. Februar die einmarschierenden russischen Truppen – pointiert formuliert – mit Blumen statt mit Waffen begrüßt, so wären heute tausende Menschen (auf beiden Seiten) noch am Leben, Millionen aus der Ukraine Vertriebene wären daheim, und (das mittlerweile weitgehend zerstörte) Mariupol wäre eine intakte Stadt.

All dieses Leid unter Berufung auf "Freiheit" (in ihrer von einer skrupel- und  gewissenlosen politischen Führung propagierten und von einem in weiten Teilen verblendeten Volk übernommenen Vorstellung), unter Berufung auf "nationale Souveränität" und auf ähnliche hehre Begrifflichkeiten zu provo­zieren und in Kauf zu nehmen – nein, das ist nie und nimmer "tapfer", wie Frau Jelinek behauptet!

Auch wenn dieser Irrsinn erschreckenderweise gerade wieder vielerorts gerühmt wird (nicht anders als 1914 oder 1939 oder in so vielen anderen Jahren), so hätte ich mir – wie eingangs erwähnt – gerade von Elfriede Jelinek eine (grundlegend) andere Sichtweise erhofft.

Dass ihr an russische Menschen adressierter Appell kein geeigneter Ort für eine solche Fundamentalkritik an der Ukraine wäre, gestehe ich gerne zu. Es ist also nicht so, dass ich eine derartige Kritik in Jelineks Text vermisse. Was ich aber beanstande, ist das kleine, so häufig (hier eben auch von Jelinek) deplatziert verwendete Wörtchen "tapfer". 

Meine erste Reaktion war: Hätte sie es doch weggelassen (oder zumindest einen wertfreien Ausdruck wie "heftige" [Gegenwehr] verwendet). Aber mittlerweile sehe ich das anders: Es ist schon gut, dass sie das so geschrieben hat. Denn es ermöglichte mir die (wenn auch traurige) Erkennt­nis, dass sogar Elfriede Jelinek den engstirnigen, konventionellen, immer wieder unheilbringenden und übrigens durch und durch patriar­chalischen Vorstellungen von nationaler Ehre anhängt, welche im sogenannten Ernstfall durch tapfere Männer (!) (bekanntlich trifft nur sie in der Ukraine die Pflicht zu Wehrdienst und Krieg­führen) vertei­digt wird.

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PS: Meine eigenen Gedanken zum Ukraine-Krieg habe ich schon am 28. Fe­bruar ausführlicher formuliert: https://enalexiko.blogspot.com/2022/02/gedanken-zum-ukraine-krieg.html

Was sich in dem seither vergangenen Monat in der Ukraine abgespielt hat, bekräftigt meine damaligen Überlegungen.

Montag, 28. Februar 2022

Gedanken zum Ukraine-Krieg

Die Kommentierung eines laufenden Geschehens ist immer mit dem Risiko verbunden, durch die weiteren Ereignisse nebensächlich oder überhaupt hin­fällig zu werden.

Dennoch lassen sich zum gegenwärtigen Krieg Russlands gegen die Ukraine, der vor wenigen Tagen (am 24. Februar) begonnen hat und derzeit in vollem Gange ist, durchaus einige grundsätzliche Schlussfolgerungen ziehen und Wertungen vornehmen. Diese fallen hinsichtlich der Reaktionen des "Westens" (USA, Europa bzw. EU, NATO) aus meiner Sicht insgesamt alles Andere als positiv aus. 

Vorweg aber das, was ich nicht in Frage stelle:

- Natürlich ist die von Putin initiierte Invasion russischer Truppen in der Ukraine vorbehaltlos abzulehnen. 

- Dass darauf mit – hoffentlich nicht bloß halbherzigen – Sanktionen gegen Russland reagiert wird, ist jedenfalls zu begrüßen. Ebenso zu begrüßen sind die deutlichen Worte, mit denen westliche Politiker/innen doch mal bereit sind, einen Gewaltherrscher wie Putin unverhohlen zu kritisieren, anstatt feig herumzureden oder überhaupt zu schweigen, um gute (Wirtschafts-)Bezie­hungen nicht aufs Spiel zu setzen.

- Selbstverständlich ist es richtig, dass Europa (anscheinend ohne Zögern und ohne Vorbehalte) zur Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine bereit ist. 

Damit hat sich's aber schon, was meine Übereinstimmung mit dem Verhal­ten des Westens betrifft. Stichwortartig werde ich einige Punkte anführen, die aus meiner Sicht zeigen, wie wenig insgesamt vom Westen zu halten ist und wie sehr dabei auch die Ukraine selbst in die Kritik zu nehmen ist.

 

1. Deplatziertes Heldentum

Um mit dem wohl grundlegendsten Punkt zu beginnen:

Es wird vom Westen leider in keinerlei Weise in Frage gestellt, dass der militärische Widerstand der Ukraine gegen die russische Invasion etwas Positives sei – ja er wird zunehmend als etwas Heldenhaftes glorifiziert.

Das sehe ich diametral anders: Dieser Widerstand führt zu einer Verstär­kung und Verlängerung von Leid und Zerstörung und trägt damit maßgeblich genau zu dem bei, was der Westen – oft in peinlich melodramatischer me­dialer Präsentation – beklagt. 

Kurt Schuschnigg – der österreichische Bundeskanzler im Jahr 1938 – war als Austrofaschist alles Andere alles eine ehrenwerte Person. Aber er hatte (meines Erachtens) Recht, als er am 11. März beim unmittelbar bevorste­henden Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich erklärte: "Wir weichen der Gewalt."

Auf genau diese Weise hätte vor ein paar Tagen auch der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj (Wladimir Selenski), reagieren sollen. Ein Verzicht auf militärischen Widerstand gegen die Invasion der russi­schen Truppen – in Kombination mit dem (von den Russen geforder­ten) Rücktritt Selenskis und der ukrainischen Regierung – hätte nach menschlichem Ermessen verhindert, dass sich all das abspielt, was wir seit Donnerstag erleben: Blutvergießen, Zerstörung, Flüchtlings­ströme usw. 

Und mit der Fortsetzung des trotzigen ukrainischen Widerstandes wird sich diese Situation wohl nur verschlimmern. So meinte etwa der ORF-Korrespondent in der Ukraine, Christian Wehrschütz, in der "Zeit im Bild 2" von heute (28. Februar) auf die Frage, wie groß die Angst vor massiven russischen Luftbombardements auf Kiew sei:

"Diese Befürchtungen sind sehr groß und sehr real. Denn offensichtlich hat Wladimir Putin einfach unterschätzt, welche Widerstandskraft hier ent­gegenschlägt. Und je schwieriger es [für die Russen] wird vorzustoßen, desto größer wird auch die Bereitschaft sein, schwere Waffen im urbanen Gelände einzusetzen – auch unter Inkaufnahme der möglichen Kollateral­schäden in der Zivilbevölkerung." 

Das alles nehmen die ukrainischen "Helden" ihrerseits kaltblütig in Kauf, um ihren Kampf für die "Freiheit" weiterzuführen.

Aber es ist halt leider wieder einmal (wie schon so oft in der Geschichte) die Zeit, in der großmäulige, sich selbst überschätzende Politiker bereitwillig zu Rettern der Nation und zu ver­meintlichen Verteidigern der Freiheit hoch­stilisiert werden – sowohl vom eigenen verblendeten und fanatisierten Volk als auch vom Westen, der bewunderungsvoll nach Kiew blickt, von wo Selenski seine eitlen Videobotschaften sendet und der "freien Welt" gleichsam seinen Forderungskatalog übermittelt: Waffenlieferungen an die Ukraine, Russland-Sanktionen, Aufnahme der Ukraine in die EU usw.

Ja: Die Ukraine ist das Opfer russischer Aggression geworden; die gegen­wärtige Regierung des Landes ist auf demokratische Weise legitimiert; der ukrainischen Bevölkerung mag das westlich orientierte Leben mehrheitlich lieber sein als die Perspektive, von Vasallen oder Marionetten Putins regiert zu werden. – Das sei alles anerkannt. 

Aber hier bin ausnahmsweise einmal ich es, der sich auf ein paar in unserem famosen System sonst so gern verwendete (und von mir im Regelfall abgelehnte) Begriffe beruft: "Pragmatismus" und "Realpolitik" wären gefragt. Kein falsch verstandenes Heldentum, kein Patriotismus und kein Nationalismus zur falschen Zeit und am falschen Ort.

Der Grund ist unendlich banal, aber ebenso handfest: 

Wer als Kämpfer um die Freiheit getötet wurde, ist jedenfalls weitaus unfreier, als er es in einer (in welcher Form auch immer) russisch regierten Ukraine sein würde. Und wer Anderen den Tod (oder sonstiges Leid) zumutet bzw. abverlangt, weil ihm seine Vorstellung von Freiheit, nationaler Würde und dergleichen wichtiger ist – der ist ein verantwortungsloser Halunke.

Jedem steht es frei, seinen selbstgewählten Heldentod zu sterben. Zum Beispiel hat Christian Wehrschütz vor ein paar Tagen von einem ukraini­schen Soldaten erzählt, der bewusst sein eigenes Leben dafür gegeben haben soll, die Sprengung einer Brücke durchzuführen und so den Vor­marsch der Invasoren zu behindern. Aber (auch) andere Menschen für die eigenen Spinnereien und Fantastereien dem Verderben preiszugeben, das ist ver­werflich. Und genau das betreibt die ukrainische politische Führung – dafür bewundert und aktiv unterstützt vom Westen sowie von einem offen­bar beträchtlichen Teil der eigenen Bevölkerung.

 

2. Das Unrecht der Wehrpflicht

Das bringt mich zu einem weiteren zentralen Kritikpunkt, der natürlich nicht nur die Ukraine betrifft, sondern ganz allgemein gilt: die Wehrpflicht. Die Staatsführung der Ukraine hat die Generalmobilmachung angeordnet, wodurch allen Männern zwischen 18 und 60 Jahren das Verlassen des Landes untersagt wurde. Das führt dazu, dass manche Männer ihre Familie zum Beispiel an die ukrainisch-polnische Grenze begleiten, damit Frau und Kinder das Land verlassen können, während sie selbst ins Landesinnere zurückkehren und sich für den Militäreinsatz bereithalten müssen. 

Auch in diesem Zusammenhang gilt: Wer das freiwillig macht, soll es tun. Es wird ja von Warteschlangen vor den Rekrutierungsbüros berichtet, wo sich Ukrainer aus eigener Initiative für den Militärdienst bewerben. Zu bedauern sind jedoch all jene, die gegen ihren Willen bzw. gegen ihre Überzeugung zu einem solchen Dienst herangezogen werden und gegebenenfalls als Kano­nenfutter herhalten müssen.

Im Übrigen sieht man wieder einmal, wie privilegiert Frauen im militärischen Ernstfall sind, wenn sie nicht der Wehrpflicht unterliegen: Es sind die Männer, die sich zum Sterben (und Töten) zur Verfügung stellen müssen, während Frauen aus dem Land flüchten können.  

 

3. Der Westen als Kriegstreiber

Im Fall der Ukraine wagt der Westen (aus Furcht vor einer direkten kriegerischen Konfrontation mit Russland) kein unmittelbares militärisches Eingreifen (und das ist gut so). 

Statt dessen hat er sich aber in skrupel- und verantwortungsloser Weise darauf verlegt, den Krieg zwischen Russland und der Ukraine auf andere Weise mit allen erdenklichen Mitteln anzuheizen:

Der Ukraine werden großzügig Waffen geliefert, und die EU finanziert die ukrainischen Rüstungskäufe mit 450 bis 500 Millionen Euro! Laut Medien­berichten ist dabei von Panzerabwehrwaffen über Boden-Luft-Raketen bis zu Maschinengewehren alles dabei, was das Herz jedes Militaristen höher schlagen lässt (und die Herzen der Aktionäre der Rüstungsindustrie sowie­so). 

Auch Deutschland ist mittlerweile geradezu stolz darauf, abrupt von seinem jahrzehntelang vertretenen (wenn auch manchmal nur halbherzig umge­setzten) Grundsatz abgegangen zu sein, keine Waffen an Staaten zu liefern, die in einen Krieg verwickelt sind. Der ukrainische Präsident Selenski hat darauf mit folgendem enthusiastisch-dümmlichen Kommentar auf Twitter reagiert (Zitat laut Liveticker auf der Webseite von n-tv.de):

"Deutschland hat gerade die Lieferung von Panzerabwehr-Granatwerfern und Stinger-Raketen an die Ukraine angekündigt. Weiter so, Kanzler Olaf Scholz" 

So sieht sie also in der Praxis aus, die "Deeskalation", die vom Westen sonst immer dann beschworen wird, wenn irgendwo bewaffnete Auseinan­dersetzungen drohen oder im Gange sind.

 

4. Die Scheinmoral des Westens 

Die Verlogenheit und Heuchelei des Westens geht aber noch viel weiter:

Jahrelang hatte er kein Problem, mit Putins Russland lukrative Geschäfte zu machen und überdies die Oligarchen in seinem Umfeld zu hofieren. Diese sollen zum Beispiel in London Milliarden Euro in Immobilien investiert und bisher besonders einfachen Zugang zu Aufenthaltsgenehmigungen und briti­scher Staatsbürgerschaft bekommen haben. Diesbezüglich will Großbritan­nien jetzt als Reaktion auf den Einmarsch in der Ukraine angeblich Maß­nah­men ergreifen.

Ähnlich die Situation in Griechenland. So heißt es auf orf.at (28. Februar 2021):

"Die griechische Regierung will Russinnen und Russen vorerst nicht mehr erlauben, durch Investitionen in Griechenland eine fünfjährige Aufent­halts­genehmigung zu erhalten, teilt das griechische Migrationsministerium mit. […] 

Rund 2.500 russische Staatsbürger sollen derzeit in Griechenland Inhaber „Goldener Visa“ sein. Nicht-EU-Bürger und ihre Familie können diese Art der Aufenthaltserlaubnis beantragen, wenn sie in Griechenland eine Immobilie im Wert von mindestens 250.000 Euro kaufen. Ist die Immobilie nach fünf Jahren nicht verkauft worden, kann das Visum um fünf Jahre verlängert werden."

Die Oligarchen dürfen nun mit ihren Privatflugzeugen nicht mehr in den Luftraum der EU einreisen. Und Frankreich will angeblich Immobilien, Jachten und Luxusautos regierungsnaher Russen und Russinnen konfis­zie­ren. Das sind ja plötzlich geradezu kommunistische Ambitionen jener, die sich bis vor Kurzem noch darin überboten haben, den reichen Russen alles recht zu machen.

Umgekehrt haben sich zahlreiche frühere westliche Politiker in staatlichen oder staatsnahen russischen Konzernen Posten und damit ein gutes Einkommen verschafft. Darunter bekanntlich auch manche aus der verkommenen Sozialdemokratie, wie etwa der frühere deutsche Bundes­kanzler Gerhard Schröder oder sein österreichisches Pendant Christian Kern. Der eine (Kern) hat jetzt in Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg seinen Posten bei den russischen Staatsbahnen zurückgelegt; gegen den anderen (Schröder) werden angeblich die Stimmen lauter, die seinen Ausschluss aus der SPD fordern.

Man könnte meinen, dass sich für den Westen erst durch die Invasion in der Ukraine – gleichsam über Nacht – herausgestellt hätte, mit wem man es bei Putin und seinem Kreis zu tun hat. Das ist aber natürlich nicht der Fall. Allein das, was sich Russland ab 2015 in Syrien zwecks Unterstützung des dortigen Assad-Regimes geleistet hat, dürfte an Gräueltaten, Opferzahlen und Zerstörung bei Weitem das übersteigen, was (zumindest bisher) in der Ukraine passiert. Damals gab es keine Empörung des Westens, die auch nur annähernd mit jener vergleichbar ist, die er heute an den Tag legt – und zwar nur deshalb an den Tag legt, weil sich das Geschehen im Fall der Ukraine gleichsam vor der eigenen Haustüre und in der eigenen Einfluss­sphäre abspielt. Und ein Ruf nach Sanktionen gegen Russland in Anbetracht des Geschehens in Syrien hätte wohl nur zu Spott über so viel Welt­fremd­heit und Naivität geführt. Wegen Vorgängen in Syrien wird man sich doch nicht die guten Beziehungen zu Russland verderben. 

Was dortige Flüchtlinge betrifft, so werden diese ohnehin in der Türkei "geparkt". Aber dafür spielt man jetzt mit der Aufnahme der Ukraine-Flüchtlinge den Wohltäter. Denn das sind ja mehr oder weniger Nachbarn, wie uns etwa der unsägliche österreichische Außenminister Schallenberg erklärt hat. Dass Leid und Schutzbedürftigkeit sich nicht nach geogra­phischen Entfernungen richten, hat der famose Herr geflissentlich ignoriert. 

Und was militärische Interventionen in fremden Staaten betrifft, hat der Westen immer wieder das Gleiche gemacht, was er jetzt Russland vorwirft. Dazu muss man gar nicht bis zum Vietnamkrieg oder noch weiter zurück­gehen. Allein in der jüngeren Vergangenheit waren es die NATO-Luftschläge in Ex-Jugoslawien 1999, die Militärinvasion in Afghanistan ab 2001, der Irak-Krieg ab 2002 und das militärische Eingreifen in Libyen 2011. 

 

5. Bilanz 

Die Bilanz fällt erwartbar negativ aus:

Der Westen fühlt sich Russland im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg moralisch überlegen. Doch keine der beiden Seiten verdient Vertrauen oder gar Wertschätzung. 

Die viel geächteten und belächelten verbliebenen Kommunisten haben (bei allem Dogmatismus und so mancher Fehleinschätzung) in vielen Dingen durch­aus Recht. So bringt es etwa eine Parole bei einer Kundgebung der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) aus Anlass des Ukraine-Kriegs sehr gut auf den Punkt:

"Δεν θα επιλέξουμε στρατόπεδο ληστών, η μόνη μας ελπίδα η πάλη των λαών." 

Die gereimte Form des Originals lässt sich im Deutschen nicht wiederge­ben. Deshalb zur Veranschaulichung auch die Umschrift in lateinischen Buch­sta­ben:

"Den tha epiléxoume stratópedo listón, i móni mas elpída i páli ton laón." 

Übersetzt:

"Wir werden uns für keines der Räuberlager entscheiden, unsere einzige Hoffnung (ist) der Kampf der Völker."

Den zweiten Halbsatz halte ich für völlig unrealistisches Wunschdenken. Aber dem ersten Satzteil schließe ich mich an: Weder Russland noch der Westen verdienen es, im Ukraine-Krieg an ihrer Seite zu stehen (wenn man davon absieht, dass ich die eingangs erwähnten Maßnahmen des Westens – Sanktionen und Flüchtlingsaufnahme – befürworte).

Beide Lager verkörpern in unterschiedlichen Facetten dieselbe unrühmliche Medaille. Das wird schon allein aus jenen Beispielen deutlich, die ich zuvor unter Punkt 4 erwähnt habe.

Auf einer grundlegenderen Ebene beschreibt das wiederum die Kommunis­tische Partei Griechenlands in einer Erklärung zum russischen Einmarsch in der Ukraine:

[Ich erspare mir die Wiedergabe des griechischen Originalwortlauts. Er kann zum Beispiel hier nachgelesen werden: https://www.rizospastis.gr/story.do?id=11596249]

"Ungeachtet der Vorwände, die auf beiden Seiten verwendet werden, ist der kriegerische Konflikt in der Ukraine das Ergebnis der Verschärfung der Rivalitäten zwischen den zwei gegnerischen Lagern, wobei vor allem die Einflusssphären, die Marktanteile, die Rohstoffe, die Energieprojekte und die Transportwege im Mittelpunkt stehen; Rivalitäten, die nicht mehr mit diplomatisch-politischen Mitteln und fragilen Kompromissen gelöst werden können.

Auf der einen Seite stehen die USA, die NATO, die EU, welche die reaktionäre Regierung Kiews, die paramilitärischen Mechanismen und die faschistischen Gruppen der Ukraine stützen und seit Jahren ihre Positionen forcieren (NATO-Erweiterung um osteuropäische Staaten, Raketenabwehr­schild usw.) – dies mit dem Ziel der wirtschaftlichen, politischen und militäri­schen Einkreisung Russlands. 

Auf der anderen Seite steht das kapitalistische Russland, das seine eigenen Pläne der kapitalistischen Vereinigung von Ländern der früheren UdSSR forciert und in den letzten Jahren den Anschluss der Krim an die Russische Föderation und jüngst die Anerkennung der 'Unabhängigkeit' der soge­nannten 'Volksrepubliken' von Donezk und Lugansk vorgenommen hat.

[…] 

Die gegenwärtige kriegerische Konfrontation führt jetzt zu einem kriege­rischen Konflikt unvorhergesehener Dimensionen – umso mehr, als sie mit der grundsätzlicheren Konfrontation (USA – EU – China – Russland usw.) um die Vormachtstellung im kapitalistischen System zusammenhängt. Opfer sind wieder einmal die Völker der involvierten Staaten – und nicht nur sie, da die wirtschaftlichen und geopolitischen Konsequenzen dieses Konflikts Einfluss auf die Völker der ganzen Welt haben."

Natürlich kann man Details dieser Einschätzung durch die KKE bestreiten oder anders gewichten – aber die grundlegende Bewertung der Gesamt­situation halte ich für völlig zutreffend.

Freitag, 4. Juni 2021

Mediale Hinrichtung

Ein (derzeit suspendierter) Sektionschef des Justizministeriums, Christian Pilnacek, und ein Verfassungsrichter und vormaliger Justizminister, Wolf­gang Brandstetter, haben vor einiger Zeit über ihre Mobiltelefone Chat-Nach­rich­ten ausgetauscht, die nun (nebst weite­rer solcher Nachrichten Pilnaceks) öffentlich geworden sind und viel Staub aufwir­beln. Brandstetter gab aufgrund dessen gestern seinen Rücktritt vom Amt des Ver­fas­sungs­richters mit Ende des Monats bekannt.

Verluderte Medien haben – im Zusammenwirken mit einer skrupel- und gewissenlosen politischen Partei (den "Neos") – wieder einmal ganze Arbeit geleistet und gleichsam die Rolle des Anklägers, Richters und Henkers in einem übernommen. Von einer media­­len Hinrichtung der Herren Brandstetter und Pilnacek zu sprechen, ist keinesfalls übertrieben. 

Nun sind die beiden Opfer keine schwachen Opfer, und für Mitleid mit ihnen besteht keinerlei Grund. Ideologisch sympathisch sind sie mir beide auch nicht, und insbe­son­dere im Fall Pilnaceks ertappte ich mich sogar dabei, spontan eine gewisse Schadenfreude zu empfinden. All das ändert aber nichts daran, dass es sich um Opfer handelt – solche einer niederträchtigen Polit-Intrige und Medienhatz, die meines Erachtens deutlich schwerer wiegt als das Fehlverhalten, das den beiden Herren aufgrund des Inhalts der von ihnen verfassten Chat-Nachrichten anzulasten ist*.

*[Dieser Inhalt wäre einer eigenen Betrachtung wert. (Nachdem er ohnehin bereits ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt und medial breitgetreten wurde, wäre eine solche Ana­lyse nichts Verwerfliches mehr.) Das kommt vielleicht in einem anderen Blog-Eintrag. Hier geht es mir um die Hinrichtung.] 

Die in Rede stehenden Chat-Nachrichten wurden (legal, und der Kategorie "vertraulich" zugeordnet) von der Staatsanwaltschaft Innsbruck einem der­zeit tagenden parlamenta­ri­schen Untersuchungsausschuss vorgelegt. Wie sich herausge­stellt hat, waren es die Neos, die in weiterer Folge diese Inhalte an die Medien weiter­gegeben haben.

Die unverschämte Rechtfertigung lautet beispiels­weise in einer Aussendung des Generalsekretärs der Neos, Nick Donig, so:

"Klar ist: Diese Chat-Nachrichten sind keinesfalls 'privat' und daher irrelevant für die Öffentlichkeit, wie die ÖVP nun aufgeregt behauptet. Im Gegenteil: Die Informationen in diesen Chats sind von immenser Brisanz und öffentlicher Relevanz. Wer anderes be­haup­tet, will nicht den Rechtsstaat schützen, sondern die türkise Familie. Die ver­öffent­lichten Chats hätten daher niemals als 'vertraulich' gelten dürfen. Einen eventuell damit ver­bun­denen Ordnungsruf [Anm.: durch den Vorsitzenden des Unter­su­chungs­aus­schusses wegen der Publizierung vertraulicher Unterlagen] wird jeder ordent­liche Demo­krat und jede ordentliche Demokratin natürlich akzeptieren, denn sie oder er weiß: In der Abwägung zwischen dem Vertuschen eines dro­hen­den Staats­versagens und der Wahrheit ist dieser immer der Vorzug zu geben und eine Rüge in Kauf zu nehmen."
(Quelle: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210603_OTS0056/neos-fordern-konsequenzen-in-der-causa-pilnacek-wer-dem-rechtsstaat-nicht-dienen-will-ist-in-der-justiz-fehl-am-platz )

Was man nicht allein diesen selbstgefälligen, heuchlerischen, anmaßenden und suggestiven Behauptungen alles entgegenhalten könnte! 

Der stellvertretende Klubobmann der Neos, Nikolaus Scherak, meinte in ähnlichem Sinne:

"Wenn sich ein ranghoher Beamter des Justizministeriums und ein Ver­fas­sungsrichter derart herabwürdigend, abfällig und respektlos über den Verfassungsgerichtshof, einzel­ne Mitglieder des VfGH, die WKStA [Anm.: Wirtschafts- und Korruptions­staats­anwaltschaft] und den Rechtsstaat an sich äußern, dann ist das eine Gefahr für den Rechtsstaat, dann hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, das zu erfahren."  

(Quelle: https://www.sn.at/politik/innenpolitik/scharfe-auseinandersetzung-ueber-chat-veroeffentlichung-104747044 )

Den Neos-Halunken geht es natürlich nicht um den Rechtsstaat. Ebenso wenig wie es ihnen um die von ihnen sonst stets ins Treffen geführte Wahrung von Datenschutz, Privatsphäre bzw. Grundrechten im Allgemeinen geht. Solche Beteuerungen sind spätestens dann als Heuchelei und Lüge entlarvt, wenn man private Chat-Nachrichten ohne jede Notwendigkeit den Medien zuspielt. Die Neos-Halunken wollen sich politisch profilieren – und dazu ist ihnen jedes noch so schäbige Mittel recht.

Der Nachweis für all das ist spielend leicht zu erbringen:

Hätten die Neos redliche Absichten verfolgt, wäre die ebenso simple wie korrekte Vorgangsweise folgende gewesen:

Meldung des Inhalts der Chatnachrichten an die zuständigen Dienstbehör­den der Herren Pilnacek und Brandstetter (das wären Justizministerin bzw. Verfassungs­ge­richts­hof) samt Anregung auf Erstattung einer Diszipli­nar­an­zei­ge bzw. auf Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens; allenfalls näm­lich bei Verdacht von gerichtlich strafbarem Verhalten zusätzlich Anzeige­erstattung bei der Staatsanwaltschaft bzw. bei Gericht. 

Mit anderen Worten: Klärung von Vorwürfen und Sanktionierung von all­fälligem Fehl­verhalten durch die zuständigen Organe im dafür vorgese­henen Verfahren. So läuft das im Rechtsstaat, der den Neos angeblich so am Herzen liegt. (Das gleichfalls ständig beschworene "öffentliche Interesse" wäre nach Abschluss des jeweiligen Verfahrens durch seriöse Bericht­erstattung über dessen Ausgang zu bedienen gewesen.)

Nur im (hypothetischen) Fall, dass die zuständigen Stellen die Angelegenheit vertuschen (oder sonstwie rechtswidrig agieren) würden, wäre eine Öffent­lich­machung von Chat-Nachrichten allenfalls legitim. Nur und erst dann! 

Fazit: Der Rechtsstaat wird von den selbsternannten Demokratie-Wohl­tä­tern nicht nur nicht ge­schützt; er wird von ihnen ignoriert, missachtet und geschwächt.

So viel primär zur Rolle der Neos. Dass die Medien wieder einmal ihre ganze Niedertracht unter Beweis gestellt haben, indem sie vertrauliches Material unter dem verlogenen Vorwand des "öffentlichen Interesses" publi­zierten (und es natürlich auch gleich ein­seitig in ihrem Sinne kommen­tier­ten), bedarf keiner näheren Erörterung.

Sonntag, 28. März 2021

Ein zwielichtiger Satz

Frau Dr. Martina Salomon, leider immer noch Chefredakteurin der Tages­zeitung "Kurier", verfasste in der Ausgabe vom 20. März 2021 wieder einmal einen bemerkens­werten Leitartikel – bemerkenswert im negativen Sinne, versteht sich.

Zu den bekannten Untugenden, die Salomons Texte prägen und hier im Blog von mir schon vielfach dokumentiert und kritisiert wurden, gesellt sich diesmal der Umstand, dass die Journalistin an einer Stelle ihres Artikels in eine diffuse Grauzone zwischen fahrlässig produzierter Unwahrheit und unverhohlener Lüge geraten ist. 

 

1. Eine Standpauke an Deutschland 

Der Leitartikel trägt die abgeschmackte Überschrift "Liebe Deutsche, ihr macht es uns schwer". Worum es geht, umreißt der Untertitel:

"Dem Nachbarn nacheifern? Keine gute Idee: Vom Testen über den Maskenskandal bis hin zur Infrastruktur gibt es Probleme". 

Die Frau Lehrerin aus der österreichischen Boulevard-Zeitung erteilt also mit erhobe­nem Zeigefinger gleichsam journalistische Zensuren an das Nach­bar­land. Man kann es mit einem Anglizismus auch anders formulieren: sie betreibt in dem Artikel Deutschland-Bashing (dessen Motive schwer zu ergründen sind).

Der Text beginnt mit einer dümmlichen Frage: 

"Ist der große Nachbar eigentlich noch Vorbild?"

Als ob es darauf ankäme. Das sehnsüchtige Blicken zum großen Nachbarn hatten wir doch schon mal. Die Folgen sind bekannt bzw. lassen sich in Büchern zur Zeitge­schich­te nachlesen. 

Jedenfalls beantwortet Salomon ihre unnötige Frage gleich im nächsten Satz:

"Bei aller Sympathie für die Deutschen, derzeit machen sie es einem schon ziemlich schwer."

So gern ließe sie sich von ihnen als Vorbild leiten – und dann diese Enttäu­schungen. 

In weiterer Folge schreibt sich Salomon ihren Kummer über die Unzu­läng­lich­keiten im Nachbarland von der Seele. Da wird aufgezählt, was ihr so alles in den Sinn kommt:

Das temporäre Aussetzen eines der Covid-Impfstoffe, was dessen Image in der EU "rampo­niert" habe; das mangelhafte Corona-Testmanagement; ein Schutz­mas­ken­skandal unter mutmaßlicher Beteiligung von Politikern; zu langsames Impfen usw. usw. In den letzten Absatz packt sie dann diverse andere, Corona-unabhängige Themen, wie zum Beispiel folgende: 

Die Energiewende in Deutschland führe "zu höchsten Preisen und instabi­len Netzen"; der "Berliner Mietpreisdeckel habe das Angebot verknappt und die Preise erhöht"; die Infrastruktur sei "für ein so reiches Land erstaun­lich heruntergespart".

Letzteres illustriert Salomon allen Ernstes an dem lächerlich-belanglosen Beispiel, dass jemand (vermutlich sie persönlich) an einem Ort in Grenznähe zu Österreich in ein "komplettes Funkloch" geraten sei. (!) – Na das ist aber eine furchtbare Erfahrung. Da muss ja die Vorbildfunktion verloren gehen.

So weit der kuriose Rahmen, in den Salomon den höchst zwielichtigen Satz eingebaut hat, um den es jetzt geht.

 

 2. Eine Lüge? 

Während der Lektüre des Leitartikels fragte ich mich mehrmals: Wann kommt nach so viel Kritik an deutschen Vorkommnissen endlich die Erwähnung eines der wesent­lichs­ten Kriterien zur Beurteilung der Covid-Situation, nämlich der sogenannten Sieben-Tage-Inzidenz (also der Anzahl der laborbestätigten Covid-Fälle pro 100.000 Einwoh­nern in den letzten sieben Tagen)? Diese Kennzahl liegt in Deutschland bekanntlich weitaus niedriger als in Österreich.

Ziemlich in der Mitte des Artikels spricht Salomon dann tatsächlich davon. Das macht sie folgendermaßen: 

"Vergleichsweise nicht gut steht Österreich hingegen bei den Fallzahlen da (…). Beide Länder mäandern bei der Sieben-Tage-Inzidenz, ab der es Lockerungen geben könnte, herum. Die Deutschen lizitierten sich weit nach unten. Angela Merkel strebte 35 an, manche sogar null. Faktum ist: Jetzt beträgt sie 95, Tendenz steigend. Dennoch gab es mehr Freiheiten.*"

*[Anm.: Gemeint möglicherweise: Mehr Freiheiten zeitlich betrachtet, also im Vergleich zu früher in Deutschland. (?) (Jedenfalls nicht im Vergleich zu Österreich – denn die deut­schen Maß­nah­men der letzten Zeit sind bekannt­lich allesamt strenger als jene Öster­reichs.)] 

Salomon referiert also geradezu genüsslich den deutschen Inzidenzwert von 95. Jener Österreichs wird hingegen verschwiegen. An keiner Stelle im Text wird eine einschlägige Zahl genannt.

Das hat einen simplen Grund: Die österreichischen Zahlen passen so gar nicht in das Konzept Salomons, ein düsteres Bild von der deutschen Corona-Lage zu zeichnen.

Als die 7-Tage-Inzidenz in Deutschland bei der von ihr genannten Zahl 95 (bzw. 96) lag (das war am 19. März 2021)1), betrug sie in Österreich 233 (bzw. exakt 233,23), somit mehr als das Doppelte2).

1) [Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1192085/umfrage/coronainfektionen-covid-19-in-den-letzten-sieben-tagen-in-deutschland/ ] 

2) [Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1218042/umfrage/coronainfektionen-covid-19-in-den-letzten-sieben-tagen-in-oesterreich/ ]

Salomon benutzt also wieder einmal eine bewährte Masche der Manipu­lation: Was der beabsichtigten Botschaft abträglich sein könnte, wird einfach weggelassen. 

Sie geht aber noch einen Schritt weiter: Im nächsten Satz trifft sie eine Aussage, die bei wohlwollendster Auslegung als eine unbeabsichtigte (aber auf Nachlässigkeit beruhen­de) Irreführung, bei strenger Interpretation als ein bewusstes Belügen der Leserinnen und Leser gedeutet werden kann. Salomon schreibt (Hervorhebung in Fettdruck von mir):

"Inzwischen haben manche deutsche Bundesländer bereits höhere Werte als Tirol, wo die Deutschen bis jetzt auf schikanösen Grenz­kontrol­len beste­hen und selbst das 'kleine deutsche Eck' blockieren." 

Die Wahrheit ist:

Es gab ein bzw. zwei Tage vor dem Erscheinen des Leitartikels gerade mal ein einziges deutsches Bundesland, das einen höheren 7-Tage-Inzidenz-Wert hatte als Tirol (näm­lich Thüringen)!

Das sind die Zahlen (je nach Quelle können sie leicht differieren, aber diese Unter­schie­de sind vernachlässigbar gering):

a) Inzidenz in Tirol (18. März 2021): 163,01

[Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1218066/umfrage/coronainfektionen-covid-19-in-den-letzten-sie­ben-tagen-in-oesterreich/#professional (aufgerufen am 27.3.2021)]

b) Inzidenz in den 16 deutschen Bundesländern (Stand 19. März 2021, Aus­zug):

- Höchstwert: 186,9 (in Thüringen)

- zweithöchster Wert: 127,1 (Sachsen)

usw.

- geringster Wert: 56,1 (Saarland)

[Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1178874/umfrage/bundeslaender-mit-den-meisten-corona­infek­ti­o­nen-in-der-letzten-woche/ (aufgerufen am 22.3.2021)]

Es sind also keineswegs "manche deutsche Bundesländer", die zur fraglichen Zeit höhere Inzidenzwerte als Tirol gehabt hätten. Diese Formu­lie­rung ist eindeutig falsch. Ohne das jetzt in allen Details darzulegen (auf duden.de kann man die Einzelheiten beim Stichwort "manch" nachlesen): "Manche" ist jedenfalls mehr als "einer/eines". Laut Duden setzt "manche" sogar die Existenz einer "ins Gewicht fallenden" Anzahl voraus. Das kann bei einem einzigen Element (hier: Bundesland Thüringen) unmöglich der Fall sein. (Sogar bei zwei oder drei von 16 Bundesländern könnte man streiten, ob das eine "ins Gewicht fallende Anzahl" ist.)  

Grundsätzlich wären solche tiefschürfenden sprachlichen Analysen zuge­gebener­maßen als Haarspaltereien anzusehen. Aber man kann bei der Chef­redakteurin einer großen Zeitung davon ausgehen, dass sie den korrekten Umgang mit der Sprache beherrscht. Der Passus hätte natürlich lauten müssen: "Inzwischen hat ein deutsches Bundes­land bereits höhere Werte als Tirol, […]." Das ist Salomon sicherlich klar, und es ist daher auszuschließen, dass es sich bei der von ihr gewählten Formulierung im Plural um einen simplen sprachlichen Ausrutscher handelte (der als solcher in der Tat belanglos wäre).

Damit wird das Ganze zu weitaus mehr als einer rein grammatikalischen Angelegenheit. Denn Salomons Formulierung transportiert ohne jeden Zwei­fel eine Unwahrheit. Frag­lich könnte lediglich sein: 

- Geschah das bewusst (= Lüge)? Nach dem Motto: "Aus eins mach' meh­re­re = 'manche'."; in der Absicht, Deutschland schlechter bzw. Tirol besser dastehen zu lassen, als sie es tatsächlich sind, und so einen Vorwand zu haben, um gegen "schikanöse" Grenzkontrollen zu polemisieren.

- Oder beruht die wundersame Vermehrung deutscher Bundesländer mit ver­meintlich höherer Inzidenz als jener Tirols "nur" auf einer Schlampigkeit bei der Recherche über die einschlägigen Zahlen?

Um ein Fehlverhalten der Chefredakteurin handelt es sich so oder so.

 

Samstag, 27. März 2021

Corona-müde oder blöd?

Als Folge der Corona-Pandemie bzw. der damit zusammenhängenden Maß­nah­men sehnt sich die österreichische Gesellschaft seit Monaten nach der sogenannten "Normalität" (also dem, was sie halt darunter versteht), und sie versinkt dabei in einem absurden Selbstmitleid über den ihr zuge­füg­ten Verlust an "Freiheit" (auch wieder dem, was sie halt darunter versteht). 

 

1. Die Empörten

Die besonders Eifrigen marschieren an Wochenenden bei illegalen und dubiosen Demonstrationen mit und beklagen dort lautstark bis rabiat ihr Schicksal. Sie werden gerne als die "besorgten Bürger/innen" bezeichnet.

Anlass zur Besorgnis geben aber gerade diese Leute selbst. Und das aus zwei Gründen:

• Der erste ist offenkundig: Die Teilnehmer/innen ignorieren bestehende Versamm­lungs­verbote (und halten sich bei ihren Aktivitäten dann auch konsequenterweise meist nicht an Abstandspflichten und die Gebote zum Tragen von Schutzmasken).

Die Untersagung dieser Versammlungen erfolgt nicht aus irgendwelchen finsteren, antidemokratischen oder repressiven Absichten, sondern aus­schließ­lich zum Zweck des Gesundheitsschutzes. Deshalb ist gegen solche Beschränkungen auch (ich würde sogar sagen: gerade) aus der Sicht eines ideologisch links stehenden Menschen (wie meiner Wenigkeit) nicht das Geringste einzuwenden. Wenn man es mit einem antiquier­ten Ausdruck bezeichnen wollte, so liegen die einschlägigen Versamm­lungsverbote in Pandemie-Zeiten im Interesse der "Volksgesundheit". Und wenn es um das "Volk" und dessen Interessen geht, dann müsste das doch gerade bei jenen, die an diesen Kundgebungen teilnehmen, auf Zustimmung treffen.

• Und damit bin ich beim zweiten Grund für wahre Besorgnis: der Gesinnung jener, die sich dort zusammenfinden. Damit meine ich nicht einmal so sehr irgendwelche deklariert rechte Personen(gruppen), sondern die dortige Klientel insgesamt. Es gilt auch hier dasselbe wie in vielen anderen Bereichen: Wer seine Botschaften unmiss­verständlich verkündet, ist wenigstens ein klarer Gegner und insofern harmloser (weil leichter zu durchschauen) als irgendein "Krypto" (ein Krypto-Rechter, ein Krypto-Nationalist, ein Krypto-Faschist usw.). Solche Kryptos sind dann die Typen (und "Typinnen"), die auf diesen Demonstrationen eben als vermeintlich "besorgte Bürger/innen" in Erscheinung treten oder – in einem Akt beson­de­rer Lächerlichkeit – mit rot-weiß-roten Fahnen mitmarschieren (als ob das Corona-Virus bzw. die dadurch ausgelösten gesundheitspolitischen Maß­nah­men – wie auch immer man sie in der Sache beurteilen mag – etwas mit Nation bzw. "Vaterland" zu tun hätten).

Es geht mir aber bei meiner (kritischen) Betrachtung nicht nur um diesen "harten Kern" von "Besorgten" und "Leidenden", der sich auf besagten Demonstrationen zusammen­findet. 

 

2. Die Gesellschaft im Allgemeinen

Es gibt in der Gesellschaft ganz offenkundig eine generelle Tendenz, sich an Vorsichts­maßnahmen (insbesondere) in Zusammenhang mit Covid nicht (oder nicht länger) halten zu wollen. Und das hat höchst gefährliche Konsequenzen: Auch hier natürlich wieder unmittelbar für die Gesundheit, weil dadurch der Ausbreitung des Virus Vorschub geleistet wird. Aber darüber hinaus ebenso auf einer politischen Ebene – bis hinauf in die Regierung; etwa wenn am 22. März 2021 in der "Zeit im Bild 2" ein völlig über­forderter und hilfloser Gesundheits­minis­ter Rudolf Anschober (von den Grünen) nach so gut wie ergebnislosen Gesprächen mit Experten, Regie­rungs­kolleg/innen und Landeshauptleuten über Maßnahmen­verschär­fungen freimütig erklärte:

"Also ich kämpfe wirklich darum, dass wir die bestmöglichen, raschen, effizienten Maß­nahmen realisieren – da ist ein Gesundheitsminister manch­mal ein bisschen alleine auf weiter Flur. […]

Ich bin Gesundheitsminister, aber ich brauche Entscheidungen, die breit getragen werden; ich brauche Entscheidungen, die von einer Bundes­re­gie­rung getragen werden, und ich  w i l l  Entscheidungen, die auch von den betroffenen [Bundes-]Ländern getra­gen werden."

All das ist ihm – trotz der Dringlichkeit der (medizinischen) Situation – in den Gesprä­chen vom 22. März nicht gelungen. (Zwei Tage darauf gab es einen dürftigen Kom­pro­miss mit den Landeshauptleuten von Wien, Nieder­öster­reich und Burgenland über eine halbherzige Verschärfung der Maßnah­men in diesen drei Bundesländern.) Ein Gesundheitsminister ist in Geiselhaft anderer Politiker/innen, die es offensichtlich darauf angelegt haben, "bestmögliche, rasche, effiziente" Maßnahmen zur Covid-Bekämpfung zu verhindern – weil sie es sich mit einer sogenannten Corona-müden Bevöl­kerung nicht verscherzen möchten. Was Anschober da in der "Zeit im Bild 2" gesagt hat, sollte eigentlich Anlass für seinen Rück­tritt sein. 

Aber jämmerliche Versager/innen sind sie ja alle – von den Politiker/innen angefangen bis zu einer einfältig-undisziplinierten Bevölkerung, die es zu einem großen Teil selbst in der Hand hätte, durch einige simple Vorsichts­maßnahmen samt einer gewissen Selbstbeschränkung die Ausbreitung des Corona-Virus in Zaum zu halten.

Am 23. März 2021 hat im Ö1-Morgenjournal ein Experte die Situation glasklar darge­legt, nämlich der Leiter der Internen Abteilung mit einer Covid-19-Station im Landes­klinikum Melk (Niederösterreich), Primar Harald Stingl. Er meinte: 

"Ich glaube, wir haben eine gewisse Chance verspielt im Herbst und im Winter, wo wir vielleicht noch strenger hätten sein können. Das ist aber Jammern über verschüttete Milch. Jetzt im Moment würden wir uns aus medizinischer, aus epidemiologischer Sicht natürlich wünschen, dass strengere Maßnahmen da sind – so wie es jetzt auch Deutsch­land macht. Ich weiß aber gleichzeitig (ich rede auch mit vielen Leuten), dass der Rückhalt in der Bevölkerung dafür immer schlechter wird, immer schwieriger wird. Ich kenn' das aus dem eigenen Umfeld: Selbst Leute, die bisher sehr, sehr brav mit Allem mitgemacht haben, auf einmal müde werden beim Masken-Tragen, beim konse­quenten Umsetzen, doch wieder Andere treffen wollen.

Also offen gestanden: Ich weiß keine Patentlösung. Ich tu' mir auch ganz schwer, da sozusagen das Richtige zu empfehlen." 

Hier wurde also ein Kernproblem in Zusammenhang mit der Covid-Pandemie deutlich angesprochen: die Diskrepanz (ja geradezu der Antagonismus) zwi­schen medizinisch-wissenschaftlich (und damit rational) Gebotenem einer­seits und gesellschaftlichem Verhalten (samt zugrundeliegender – irrationa­ler – Einstellung) andererseits.

 

 3. Die Medien 

Die Medien (teilweise auch der öffentlich-rechtliche ORF) betätigen sich leider viel zu sehr als "Volksversteher", indem sie die Leute in ihrem deplatzierten Selbstmitleid bestärken. Das liest sich zum Beispiel in einem Leitartikel von Gert Korentschnig im Kurier vom 21. März 2021 so:

"Die schlimmste Frühjahrsmüdigkeit" lautet gleich mal die depressiv-dramatische Überschrift. 

Und dann kommen Aussagen vor wie folgende:

"Aber auch Menschen, die bisher davon [= von Covid] verschont wurden, fühlen sich mittlerweile kraftlos und müde. Das Wellenreiten in der Pandemie saugt so viel Energie ab." 

Da wird schon geschwelgt im Leid – und in welch blumigen Formulierungen.

"Nach mehr als einem Jahr ist man so vieler Dinge müde: Dass man nur noch fremd­bestimmt agiert und Politiker und irgendwelche Gremien über unseren Bewegungs­radius entscheiden; dass wir in unseren Freiheiten schon so lange beschränkt werden; dass wir unseren Job (sofern wir ihn behalten konnten) und unseren Alltag nicht so gestalten können, wie wir wollen; […]." 

Eigentlich beschreibt Korentschnig hier zutreffend die Situation des Durchschnitts­menschen im kapitalistischen System (auch) in Zeiten ganz ohne Corona. (Den Passus "Politiker und irgendwelche Gremien" muss man halt durch "der Chef/die Chefin" ersetzen.) Aber leider ist es unvorstellbar, dass man eine solche Diagnose auch in Nicht-Pande­mie-Zeiten in sogenannten "unabhängigen Medien" zu lesen bekäme. Wer so etwas schriebe, wäre keinen Tag länger als Redakteur/in im Dienst. ;-)

Und dann passiert etwas Überraschendes: Für einen Augenblick blitzt in dem Text doch ein Moment der Erkenntnis auf – wenn auch vage und ganz verschämt als Halbsatz in Klammern. Korentschnig fasst zusammen (Her­vorhebung in Fettdruck von mir): 

"[…] All das subsumiert unter: Dass wir nicht mehr autonome Individuen, sondern in virale Abhängigkeitsverhältnisse geschlittert sind (wie autonom wir davor tatsächlich waren, ist eine andere Frage)."

Hört, hört! Ja, er formuliert es vage und verschämt – aber immerhin ist ein Moment der Hellsicht zu konstatieren, wenn er Zweifel an unserer Autonomie vor der Corona-Zeit anklingen lässt. Das ist für den Redakteur einer Boulevard-Zeitung recht ungewöhnlich. 

Dann geht es weiter in den düsteren Farben:

"[…] – nach dieser langen Reise [er meint jene durch die Corona-Krise] erleben viele bisher ihre schlimmste Frühjahrsmüdigkeit." 

Und die Medien greifen solche Befindlichkeiten eben gerne auf.

Zugutehalten muss ich Korentschnig, dass er dann im letzten Absatz zwei sehr vernünftige Gedanken niederschreibt, insbesondere folgenden: 

"Wer jetzt ungeduldig wird und vielleicht rebelliert (etwa durch Abnehmen der Masken), gewinnt nicht mehr Freiheit, sondern verlängert nur die Corona-Haft für alle."

Der dramatisierende Ausdruck "Corona-Haft" ist natürlich lächerlich bis absurd – aber in der Sache stimme ich diesem (in eine Feststellung gekleideten) Appell zu. 

 

4. Mehr blöd denn müde

Für mich ist es nicht so sehr eine (wie auch immer geartete) Corona-Müdigkeit, die (offenbar große) Teile der Bevölkerung prägt, sondern Blödheit – in ihren mannig­falti­gen Ausdrucksformen: Irrationalität, Ignoranz, fehlende Intelligenz usw. Dazu noch Verantwortungslosigkeit und Rück­sichts­losigkeit. Aber die sind keine Sache der Blödheit, sondern des mangelnden Charakters bzw. der mangelnden Moral – befeuert durch ein (Gesellschafts-)System, das die zügellose Freiheit und die sogenannte "Eigenverantwortung" des Individuums (außerhalb von Arbeitsverhältnissen) zum Maß aller Dinge erhebt.

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PS: Wie zur Bestätigung meiner Auffassung las ich nach dem Verfassen obiger Zeilen auf orf.at Folgendes:

(Quelle: https://orf.at/stories/3206949/ , Meldung online gestellt und aufgerufen am Samstag, 27. März 2021)

"Ungeachtet der eindringlichen Warnungen von Gesundheitsexpertinnen und -experten sind am Freitag und Samstag zahlreiche Menschen in Geschäfte und öffentliche Orte geströmt. Das Wetter und die geplante 'Osterruhe' im Osten des Landes sorgten für volle Plätze und Shops. […] 

In Wien gab es bereits am Freitag Medienberichte über zahlreiche Menschen, die den ersten richtigen Frühlingsabend in Gruppen am Donau­kanal oder im Prater verbrachten, in Innsbruck veranlassten die Men­schen­ansammlungen auf Marktplatz und Innufer die Stadt bereits dazu, mit Platzsperren zu drohen. Vielerorts strömten die Menschen in ganz Öster­reich am Samstag dann in die Geschäfte. Die geplante 'Osterruhe', die zunächst nur für Wien, Niederösterreich und das Burgenland gedacht ist, verlockte viele dazu, sich etwa in Baumärkten noch mit Material einzu­decken. Lange Schlangen vor Geschäften in Einkaufsstraßen und An­samm­lungen waren die Folge."