Frau
Dr. Salomon ist wieder einmal nervös – oder sie tut jedenfalls so. Sie
hat mit Entsetzen festgestellt, dass Österreich schon wieder in einem
Ranking abgerutscht ist: von Platz 19 auf Platz 21 (als
Wirtschaftsstandort) im Weltbank-Ranking.
Sie tröstet sich (und uns) zwar damit, dass Österreich damit nur "leise absinkt".
Aber feinfühlig, wie sie nun mal ist, wenn es um die Interessen der
Wirtschaft geht, hört sie auch ein solch leises Knirschen und nimmt das
zum Anlass, ihrem "Kurier"-Leitartikel vom 30. Oktober 2014 gleich einen
entsprechend dramatischen Titel zu geben: "So verspielt Österreich seinen Wohlstand".
Salomon ortet nämlich ein "problematisches Gesamtbild". Teil dessen sind (neben den aus ihrer Sicht ungünstigen Ranking-Ergebnissen) folgende Umstände:
1. Die Grünen fordern "allen Ernstes, dass Arbeitslose Urlaubsanspruch haben sollten".
Natürlich
besteht im Rahmen eines propagandistischen Leitartikels weder Raum und
vor allem nicht die Bereitschaft der Verfasserin, sich mit den Details
des Themas auseinanderzusetzen (Was fordern die Grünen genau? Gibt es
einzelne freie Tage, alias "Urlaub", für Arbeitslose schon jetzt? Wenn
ja, unter welchen Voraussetzungen? Wie sieht es dabei mit der
Unterscheidung von Inlands- und Auslandsreisen aus? usw.).
Arbeitslose
und Urlaubsanspruch – das ist für leistungsorientierte Persönlichkeiten
wie Frau Dr. Salomon kurzerhand indiskutabel. Mit Einzelheiten hält sie
sich da gar nicht erst auf.
Deshalb wollen wir ihr ebenso
undifferenziert und apodiktisch Folgendes entgegnen: Es ist (nebst allen
anderen kritikwürdigen Umständen) armselig und kleinlich, dass eine
(sicherlich nicht gerade schlecht bezahlte) Journalistin den
Arbeitslosen fünf sogenannte Urlaubstage pro 90 Tage Arbeitslosigkeit
(das ist nämlich – vereinfacht formuliert – die Forderung der Grünen)
missgönnt.
2. Der nächste Aspekt des "problematischen Gesamtbildes" laut Salomon:
"Und
in allen wirtschaftlichen Diskussionsrunden erzählen Vorstände dieser
Tage, dass den jungen Arbeitnehmern 'Work-Life-Balance' wichtiger sei
als Karriere. Das hat seine Berechtigung, wenn man kleine Kinder hat.
Doch es drängt sich eher der Verdacht auf, dass 'Reinbeißen' keine allzu
gefragte Tugend mehr ist."
Kurzantwort: Gut so, wenn dieser Verdacht der Realität entsprechen sollte.
Die drei eben zitierten Sätze Salomons verdienen in ihrer Unverfrorenheit aber auch eine ausführlichere Antwort.
Zunächst einmal sei konkretisiert, was "Work-Life-Balance" bedeutet. Laut Wikipedia bezeichnet der Ausdruck "einen Zustand, in dem Arbeits- und Privatleben miteinander in Einklang stehen".
Schon dann, wenn man sich dieser Begriffsbestimmung anschließt (und ich
nehme an, auch Salomon wird dies tun), erweisen sich die obigen
Äußerungen der Journalistin (samt den von ihr übermittelten Erzählungen
der Vorstände) als geradezu pervers, aber gerade eben dadurch als
charakteristisch für die heutige Zeit:
Die "Vorstände" beklagen
also, dass ihre (jungen) Untergebenen einen Ausgleich – eine Situation
des Einklangs – von Berufs- und Privatleben anstreben und ihnen ein
derartiger Ausgleich wichtiger sei als Karriere. Als ob ein solches
Bestreben nicht die natürlichste und selbstverständlichste Sache für
einen jeden Menschen sein sollte, der erstens gezwungen ist, einer
Erwerbstätigkeit nachzugehen, und der dabei zweitens seine fünf Sinne
noch einigermaßen beieinander hat!
Noch einen Grad extremer wird
es dann durch Salomons eigene Überlegungen: Sie maßt sich an, nach ihrem
Gutdünken zu bestimmen, welche Menschen einem derartigen Ausgleich den
Vorrang (vor der Karriere) einräumen dürfen und welche nicht. Seine
"Berechtigung" (!) habe ein solches Streben nach Work-Life-Balance
großzügigerweise dann, wenn man kleine Kinder habe.
Und was ist
mit den übrigen Arbeitnehmern? Kinderlose oder Personen mit älteren bzw.
erwachsenen Kindern haben im Umkehrschluss nach Salomons Vorgaben eine
derartige "Berechtigung" nicht! Die sollen sich gefälligst mit Haut und Haar ihrer Karriere (sprich: dem Wohl des Unternehmens und seiner Vorstände) widmen – Privatleben hat irrelevant zu sein.
Na,
wenn das nicht zeigt, dass der Kapitalismus ein totalitäres System ist!
Völlig ungeniert und unverblümt führen einem das Salomon & Co.
mittlerweile vor Augen. Ob
man über diese Offenheit empört oder dafür dankbar sein soll (weil
einem auf diese Weise die Kritik am System und seinen Repräsentant/innen
so unendlich leicht gemacht wird)? Schwer zu sagen.
Was die
"Vorstände" verdienen, deren Weisheiten Frau Dr. Salomon so gerne
lauscht, lässt sich zum Beispiel auf der Hompepage des
Interessenverbandes für Anleger nachlesen. Dort steht etwa hinsichtlich
der "35 erfassten Unternehmen des Prime Segments der Wiener Börse" für
das Jahr 2013 (http://www.iva.or.at/artdetail.php?id=11558, aufgerufen am 31.10.2014):
"Ein Vorstand hat wie im Vorjahr im Durchschnitt 3,6 Mitglieder. Das einzelne Vorstandsmitglied erhält im Schnitt 903 TEUR [= 903.000 Euro],
das sind um 2 % mehr als im Vorjahr (880 TEUR). Der Anteil der
Fixbezüge am Gesamtbezug liegt in Österreich bei eher hohen 58 %,
Schwankungsbreite zwischen 30 und 100 %."
Jemand, der
jährlich etliche hunderttausende Euro kassiert, erwartet sich also von
den Untergebenen, dass diese noch mehr schuften – damit die
Unternehmensgewinne und damit die Vorstandsbezüge auch weiter schön
wachsen können!
Und Salomon schlägt natürlich in die gleiche Kerbe. Sie befürchtet, "dass 'Reinbeißen' keine allzu gefragte Tugend mehr ist". Was mit der Tugend (!) "Reinbeißen"
faktisch gemeint ist, lässt sich im Lichte der Klagen der Vorstände und
der Höhe ihrer Bezüge drastisch, aber dafür im Klartext auch so
ausdrücken:
Die (kleinkindlosen) Arbeitnehmer-Sklaven sollen
sich gefälligst (noch mehr als bisher) den Arsch aufreißen für das
Unternehmen, für die Vorgesetzten und die "Vorstände".
Und wenn
sie das nach Meinung der Vorstände und ihrer journalistischen
Sprachrohre nicht in ausreichendem Maße tun, dann wedelt man mit
irgendwelchen Ranking-Ergebnissen über die mangelnde Attraktivität des
österreichischen Wirtschaftsstandorts und verkündet drohend, dass
Österreich "seinen Wohlstand verspielt".
Welchen Wohlstand meint
Frau Dr. Salomon? Den der 903.000-Euro-Vorstände? Bei denen herrscht ja
tatsächlich Wohlstand, und zwar in unverdientem und unverschämtem
Ausmaß. Der steht allerdings sicherlich nicht auf dem Spiel. Dafür
sorgen schon die Steuer- und sonstigen Abgabengesetze, die die Reichen
bzw. ihr "hart erarbeitetes" Geld schonen.
Ganz abgesehen davon,
dass der Wohlstand im Land also ohnedies sehr ungleich verteilt ist (1%
der Bevölkerung besitzt 40% des Gesamtvermögens – man muss es immer
wieder erwähnen!), ergibt sich als Schlussfolgerung:
Soweit es
in Österreich so etwas wie einen "gesamtgesellschaftlichen" Wohlstand
(in Form von Sozialstaat, funktionierendem Gesundheitssystem etc.) gibt,
wird dieser angesichts solcher Zahlen über Einkommens- und
Vermögensverhältnisse bestimmt nicht dadurch verspielt, dass Arbeitslose
allenfalls ein paar Tage "Urlaub" bekommen; und auch nicht dadurch,
dass junge (oder ebenso ältere) Arbeitnehmer ihrem Leben auch noch einen
anderen Inhalt und Sinn geben möchten, als für "ihr" Unternehmen zu
schuften. Wohlstand ist nämlich genug vorhanden. Er müsste nur gerecht
(um)verteilt werden.
Dass dies aber ja nicht geschieht, bzw.
dass Menschen gar nicht erst auf die unverschämte Idee kommen, so etwas
ernsthaft zu denken, geschweige denn zu fordern – genau dafür arbeiten
unermüdlich Boulevardmedien wie der "Kurier" und deren journalistische
Gallionsfiguren à la Salomon.
3. Von einigen sonst treuen
Gesinnungsgenossen wurde Salomon in den letzten Tagen etwas enttäuscht
(auch das gehört für sie zum "problematischen Gesamtbild"):
Die Partei der Neos "diskutiert lieber über Hasch-Legalisierung als über Wirtschaftsliberalismus", wie die Journalistin bedauernd feststellt.
Nur
keine Sorge: Der superreiche Strippenzieher an den Marionetten der Neos
– Hans Peter Haselsteiner – hat laut Kurier-Meldung vom 30. Oktober zur
"Hasch-Legalisierung" schon klargestellt, dass er "das Thema überhaupt nicht für prioritär"
halte. Die Chancen stehen also gut, dass sich die Neos bald wieder
ausschließlich jenen Themen widmen, die Salomon & Co. so sehr am
Herzen liegen. Auch wenn sie meint:
"Mit
Wettbewerb, Markt, technischem Fortschritt (und da reden wir noch gar
nicht von Deregulierung) gewinnt man keine (Wähler-)Sympathie".
Irrtum.
Leider gewinnt man damit viel zu viel davon. Sonst säßen weder das Team
Stronach noch die Neos im Nationalrat, aber dafür eine Linkspartei.
4. Doch gerade von links droht aus der Sicht Salomons die Gefahr:
"An der Uni Wien regieren zum Beispiel seit geraumer Zeit die Kommunisten in der Studentenvertretung mit."
Oh
Schreck, auch das noch! In Anbetracht dieses fürchterlichen Umstandes
bricht sogar bei einer gestandenen Neoliberalen wie Salomon jeglicher
Optimismus zusammen. Resignierend stellt sie fest:
"Eine
Trendwende hin zu mehr Wirtschaftsvernunft ist daher in nächster Zeit
kaum zu erwarten. Damit verspielen wir langfristig unseren Wohlstand."
Na
klar: Wenn die Kommunisten an der Wiener Uni in der Studentenvertretung
sitzen – da kann es doch (aus Sicht einer Salomon) mit dem Land nur
mehr bergab gehen.
Mir hat dieser Leitartikel (wieder einmal)
gezeigt: Wünschenswert wäre nicht mehr "Wirtschaftsvernunft" im
Salomon'schen Sinne, sondern mehr "Leser/innenvernunft": nämlich eine
größere Fähigkeit und Bereitschaft der Medienkonsument/innen, derartige
journalistische Beiträge als das zu erkennen und anzuprangern, was sie
sind: propagandistisch, manipulativ (zugunsten einer
menschenverachtenden und ungerechten Sache) sowie in der Argumentation
unschlüssig (und zuweilen unfreiwillig komisch).