Freitag, 18. Mai 2012

Dimous "Verbannung" aus Europa

Nikos Dimou hat hat vor wenigen Tagen (13. Mai 2012) in seinem Blog einen Beitrag verfasst, in dem er aus einer sehr persönlichen Sicht die (allfällige) "Verbannung" ("εξορία") Griechenlands aus Europa beklagt:


Anlass war für Dimou eine Titelseite des deutschen Magazins "Der Spiegel" (Ausgabe vom 14.5.2012), auf der es heißt:
"AKROPOLIS ADIEU!
       Warum Griechenland jetzt den Euro verlassen muss"
Dimou tut es weh, dass man ihm Europa nimmt! ("... πονάω που μου παίρνουν την Ευρώπη")

Und er konkretisiert das folgendermaßen:
"Μεγάλωσα Ευρωπαίος στις πιο δύσκολες στιγμές του πολέμου και του μεσοπολέμου. Έμαθα γλώσσες, σπούδασα, ταξίδεψα, έζησα σε άλλες χώρες. Μορφώθηκα διαβάζοντας γαλλικά μυθιστορήματα, αγγλική ποίηση, γερμανικά δοκίμια. Πάντα ένιωθα ότι ευρύτερη πατρίδα μου ήταν η Ευρώπη – ενώ ιδιαίτερη η Ελλάδα. Όταν μπήκαμε στην Ευρωπαϊκή Ένωση αισθάνθηκα ολοκληρωμένος. Και τώρα με πετάνε έξω ως ανεπιθύμητο, αποτυχημένο."

Dimou fühlt sich demnach offenbar (primär) in kultureller Hinsicht als Europäer. 

Ob das überhaupt soooo erstrebenswert ist, wieso er Europa so strikt von Griechenland abgrenzt usw., das alles sei an dieser Stelle einmal ausgeblendet. Wesentlich erscheint mir vor allem Folgendes:

Dimou vermengt Belange, die nichts miteinander zu tun haben: Er vermengt Kultur mit Wirtschaft und allenfalls noch Resten von Politik.

Pointiert ausgedrückt:
Dimou konnte (und kann) französische Romane, englische Dichtung oder deutsche Aufsätze ganz unabhängig davon lesen, ob Griechenland den Euro hat bzw. der EU angehört. Er konnte (und kann) gleichfalls unabhängig davon europäische Sprachen erlernen, in Europa reisen, studieren und leben (ohne EU-Mitgliedschaft allenfalls mit etwas größeren bürokratischen Hindernissen, aber um die geht es Dimou ja nicht mit seinem Beitrag).

---> Ob man sich in diesem Sinne als Europäer fühlt bzw. fühlen kann bzw. fühlen darf, hat nicht das Geringste mit einer EU-Mitgliedschaft oder dem Euro zu tun. 

Die EU und erst recht die Gemeinschaftswährung Euro sind ein Zweck-bündnis, hinter dem handfeste wirtschaftliche Interessen (und vielleicht rudimentär ein paar politische Ideen) stehen. Mit Kultur vor allem im Sinne von Literatur oder Dichtung hat das überhaupt nichts zu tun.

Ich bin sicher, dass viele französische Romane oder englische Gedichte, die Dimou schätzt, aus einer Zeit stammen, als von der EU noch nicht einmal ansatzweise die Rede war. Schon daraus wird deutlich, wie unlogisch die von Dimou hergestellte Verknüpfung von kulturellen Werten mit (primär) wirtschaftlichen und (in zweiter Linie) politischen Belangen ist. 

Ich kann Dimous Gefühl des Dazugehören-Wollens-aber-nicht-Dabeisein-Dürfens/Könnens grundsätzlich zwar gut verstehen auch weil ich es aus eigener Erfahrung kenne (wenn auch paradoxerweise in ganz andererer, nämlich gleichsam umgekehrter Weise wie Dimou).

Aber so, wie es bei ihm zum Ausdruck kommt, ist es für mich erstens nicht schlüssig (aus dem zuvor genannten Grund) und hat es zweitens den Charakter einer weinerlichen Demutshaltung, eines würdelosen Sich-Klein-Machens gegenüber "Europa".

Das kommt auch am Ende des Beitrags drastisch zum Ausdruck, wo Dimou schreibt:
"Γεννήθηκα Ευρωπαίος και, όπως φαίνεται, θα πεθάνω τριτοκοσμικός."
Bei aller strikten Ablehnung von Nationalismus und Chauvinismus meinerseits - ein bisschen mehr an pro-griechischem Selbstvertrauen und etwas weniger an Bewunderung gegenüber dem "Westen" und seinen (tatsächlichen oder vermeintlichen?) Errungenschaften würde Nikos Dimou gut anstehen.