Die Volksbefragung am 20. Jänner 2013 zum Thema "Berufsheer oder
Beibehaltung der Wehrpflicht" ist so ausgegangen, wie es in einem Land
wie Österreich zu befürchten war:
• 60 % für die Beibehaltung der Wehrpflicht
• 40 % für die Einführung eines Berufsheeres
Die Fragestellung lautete:
"a) Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres
oder
b) sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?"
Was
(sowohl im Vorfeld der Befragung als auch von den Befragungsteilnehmer/innen
nach erfolgter Abstimmung) an Argumenten für die Beibehaltung der
Wehrpflicht ins Treffen geführt wurde, ist schlicht und einfach
haarsträubend – in logischer, in moralischer und in juristischer
Hinsicht.
Ein Artikel im "Standard" referiert das Ergebnis einschlägiger Erhebungen durch Meinungsforschungsinstitute:
Unter
den Teilnehmern an der Volksbefragung wurde demnach unter anderem
anderem erforscht, aus welchen Gründen sie für die Beibehaltung der Wehrpflicht
sind. Mit "trifft sehr zu" wurden dabei von der im folgenden genannten
Prozentzahl die im folgenden genannten Gründe bezeichnet:
• 74%: "Zivildienst soll erhalten bleiben"
Das somit am meisten genannte Motiv ist gleichzeitig das absurdeste:
Man
ist für den Wehrdienst, damit ein für diesen eingerichteter
Ersatzdienst aufrecht bleiben kann! Oder anders formuliert: Die Pflicht
zum Dienst mit der Waffe muss aufrecht bleiben, damit die von ihm
Betroffenen eben diesen Dienst verweigern können (und statt dessen einen
anderen Dienst ableisten müssen).
Abgesehen von dieser eklatanten Unlogik wird damit die Wehrpflicht als Werkzeug zum Aushebeln der Grundrechte missbraucht:
Nach
Artikel 4 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)
darf niemand gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten.
Nur vier einschlägige Tätigkeitsberiche gelten nicht als Zwangs- oder
Pflichtarbeit im Sinne dieser Bestimmung: darunter "jede
Dienstleistung militärischen Charakters, oder im Falle der Verweigerung
aus Gewissensgründen in Ländern, wo diese als berechtigt anerkannt ist,
eine sonstige anstelle der militärischen Dienstpflicht tretende
Dienstleistung".
Simpel gesagt: Ohne verpflichtenden
Militärdienst wäre der Zivildienst mit Artikel 4 EMRK nicht vereinbar
und daher grundrechtswidrig. Insofern hatten von der Sache her die
Wehrpflichtpropagandisten natürlich recht, wenn sie vor der Befragung
immer wieder darauf hinwiesen, dass es bei Wegfall der Wehrpflicht auch
keinen Zivildienst mehr geben würde. Die (moralische und juristische)
Perfidie und Niedertracht besteht jedoch darin, dass damit völlig
ungeniert die Beibehaltung des Wehrdienstes nicht aus
militärischen/verteidigungspolitischen Gründen befürwortet wurde,
sondern als Vehikel für den Weiterbestand eines Zwangsdienstes (des
Zivildienstes), der als solcher einen Verstoß gegen die Menschenrechte
darstellt bzw. darstellen würde.
• 70%: "Wehr/Zivildienst sind wichtiger Beitrag der Jugend"
Auch
das ist ein besonders unverschämtes Argument (das oft auch in
Variationen zu hören ist, wie etwa: "Ordnung und Gehorsam zu lernen,
schadet nicht" oder "junge Leute soll man ruhig zu einem Dienst an der
Gemeinschaft verpflichten").
- Die Funktion des Wehrdienstes
besteht jedoch in der militärischen Landesverteidigung bzw. der
Vorbereitung darauf. Ihn als Disziplinierungsinstrument zu sehen, ist
sachlich völlig unhaltbar und nichts Anderes als Ausdruck der
Autoritätshörigkeit, Kleingeistigkeit und repressiven Mentalität, wie
sie für weite Teile der österreichen Gesellschaft charakteristisch sind
(mit gewissen Differenzierungen nach Altersgruppen und Regionen [Stadt –
Land, Westösterreich – Wien usw.], die sich ebenfalls im
Befragungsergebnis widerspiegeln).
Für den Zivildienst gilt
ohnedies das schon oben Gesagte: ein derartiger "Beitrag der Jugend" ist
menschenrechtswidrig, sofern er nicht bloßer Ersatz für einen Wehrdienst
ist.
- Dass dieser "wichtige Beitrag" nur von der männlichen
Jugend eingefordert wird, ist eine weitere himmelschreiende
Ungerechtigkeit. Dass Frauen von ihm verschont werden, gilt in
Österreich als unumstößlich. Eine krasse Ungleichbehandlung und massive
Benachteiligung des männlichen Teils der Bevölkerung, die nicht
hinterfragt wird.
- Und moralisch das gewichtigste Gegenargument:
Eine Gesellschaft, die zum überwiegenden Teil von hemmungslosem
Egoismus, von Ausländerfeindlichkeit und von mangelnder Solidarität
gegenüber den Schwächeren und Benachteiligten gekennzeichnet ist,
entdeckt im Zusammenhang mit der Wehrpflicht plötzlich ihr Solidaritäts-
und Gemeinschaftsgefühl? Was für eine Heuchelei!
• 63%: "besser für den Katastrophenschutz"
Ein
irrationales Argument. 21 von 27 EU-Ländern haben mittlerweile ein
Berufsheer. Sind die Menschen dort etwa hilflos den Katastrophen
ausgeliefert?
Dasselbe Gegenargument gilt natürlich hinsichtlich
der Tätigkeiten der Zivildiener, insbesondere im sozialen Bereich und
im Rettungswesen. Wieso funktionieren solche Versorgungsleistungen in
anderen (politisch und wirtschaftlich vergleichbaren) Staaten auch ohne
Zivildienst?
Es wäre (bzw. es ist) ein Armutszeugnis, dass ein entwickelter Staat das nicht ohne Zwangsverpflichtungen hinbekommt.
- 58%: "ist wichtiger Teil der Neutralität"
Das
ist eine Floskel, und sonst nichts. Neutralität (sofern diesem Begriff
de facto überhaupt noch eine Bedeutung zukommt) erfordert nicht den
Bestand einer Wehrpflicht.
• 54%: "Heer soll nicht nur aus Berufssoldaten bestehen"
Die
alte Geschichte mit dem Jahr 1934. Auch hier gilt: Wie ist das in
anderen (westlichen) Ländern mit einem Berufsheer? Wird dort etwa auf
das eigene Volk geschossen?
Im Übrigen sind im Ernstfall die
nicht berufsmäßigen Soldaten ebenso Befehlsempfänger wie Profis. Wie wir
aus der jüngeren Geschichte wissen, ist die Wehrpflicht alles Andere
als eine Garantie für Frieden oder für ein Militär, das keine
Kriegsverbrechen und Gräueltaten begeht.
• 54%: "gibt kein Konzept für ein Berufsheer"
Dann
muss man es eben erstellen. Schließlich sind sich ja auch die
Wehrpflichtbefürworter so gut wie einig, dass für das Bundesheer in der
seinerzeitigen Form ein "Reformkonzept" erarbeitet werden muss. Das dafür
nötige Gehirnschmalz könnte man genauso gut für die Planung eines
Berufsheeres einsetzen.
• 50%: "besser für die Sicherheit"
Inwiefern? In dieser Form ist dieses "Argument" eine weitere inhaltsleere Floskel.
Der
Punkt betrifft zwar so ziemlich die einzige für das Befragungsthema
relevante Sachfrage (neben jener, ob Zwangsverpflichtungen – noch dazu
nach dem Geschlecht differenziert – akzeptabel sind). Aber wie viele von
den Befragungsteilnehmern verfügen über ausreichendes Fachwissen auf
dem Gebiet des Sicherheitspolitik und des Militärwesens, um sich dazu
eine fundierte Meinung bilden zu können?
Was bleibt, ist
allerdings auch in diesem Zusammenhang der Blick auf so viele andere
Staaten, deren Sicherheit offenbar nicht dadurch beeinträchtigt ist,
dass es keine Wehrpflicht, sondern eine Berufsarmee gibt.
• 43%: "kostengünstiger"
Egal,
ob das zutrifft oder nicht (die Aussagen darüber gehen ja auseinander):
Die Freiheit der Menschen (= der jungen Männer) von Zwang und
Unterdrückung hat sich eine Gemeinschaft auch etwas kosten zu lassen.
Dann werden noch drei Gründe aufgezählt, die ohnedies nicht der Rede wert sind:
• 23%: "zeitgemäß"
• 4%: "ÖVP dafür"
• 4%: "FPÖ dafür"
Schlussfolgerung:
Eine
Mischung aus Dummheit, Ignoranz, Irrationalität und Unverfrorenheit
führte zu einem Abstimmungsergebnis, das einen ungerechten Zustand
zumindest über Jahre hinaus weiter fortschreibt und das nebenbei wieder
einmal den Beweis liefert, wie rückständig die Österreicher/innen in
gesellschaftspolitischen Fragen sind.
(Dass diesmal gerade die
reaktionäre und spießige Kronen-Zeitung auf der "anderen" Seite
gestanden ist und eifrig für die Abschaffung der Wehrpflicht und die
Einrichtung eines Berufsheers getrommelt hat, ist zwar paradox, aber als
bloßer Ausnahmefall einzustufen.)