Mittwoch, 23. Januar 2013

Volksbefragung zu "Wehrpflicht oder Berufsheer"

Die Volksbefragung am 20. Jänner 2013 zum Thema "Berufsheer oder Beibehaltung der Wehrpflicht" ist so ausgegangen, wie es in einem Land wie Österreich zu befürchten war:

60 % für die Beibehaltung der Wehrpflicht
40 % für die Einführung eines Berufsheeres

Die Fragestellung lautete:

"a) Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres
oder
b) sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?"


Was (sowohl im Vorfeld der Befragung als auch von den Befra­gungs­teilnehmer/innen nach erfolgter Abstimmung) an Argumenten für die Bei­be­haltung der Wehrpflicht ins Treffen geführt wurde, ist schlicht und einfach haarsträubend – in logischer, in moralischer und in juristischer Hinsicht.

Ein Artikel im "Standard" referiert das Ergebnis einschlägiger Erhebungen durch Meinungsforschungsinstitute:

Unter den Teilnehmern an der Volksbefragung wurde demnach unter anderem anderem erforscht, aus welchen Gründen sie für die Beibehaltung der Wehrpflicht sind. Mit "trifft sehr zu" wurden dabei von der im folgenden genannten Prozentzahl die im folgenden genannten Gründe bezeichnet:

• 74%: "Zivildienst soll erhalten bleiben"
Das somit am meisten genannte Motiv ist gleichzeitig das absurdeste:
Man ist für den Wehrdienst, damit ein für diesen eingerichteter Ersatzdienst aufrecht bleiben kann! Oder anders formuliert: Die Pflicht zum Dienst mit der Waffe muss aufrecht bleiben, damit die von ihm Betroffenen eben diesen Dienst verweigern können (und statt dessen einen anderen Dienst ableisten müssen).

Abgesehen von dieser eklatanten Unlogik wird damit die Wehrpflicht als Werkzeug zum Aushebeln der Grundrechte missbraucht:

Nach Artikel 4 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) darf niemand gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten. Nur vier einschlägige Tätigkeitsberiche gelten nicht als Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne dieser Bestimmung: darunter "jede Dienstleistung militärischen Charakters, oder im Falle der Verweigerung aus Gewissensgründen in Ländern, wo diese als berechtigt anerkannt ist, eine sonstige anstelle der militärischen Dienstpflicht tretende Dienstleistung".

Simpel gesagt: Ohne verpflichtenden Militärdienst wäre der Zivildienst mit Artikel 4 EMRK nicht vereinbar und daher grundrechtswidrig. Insofern hatten von der Sache her die Wehrpflichtpropagandisten natürlich recht, wenn sie vor der Befragung immer wieder darauf hinwiesen, dass es bei Wegfall der Wehrpflicht auch keinen Zivildienst mehr geben würde. Die (moralische und juristische) Perfidie und Niedertracht besteht jedoch darin, dass damit völlig ungeniert die Beibehaltung des Wehrdienstes nicht aus militäri­schen/vertei­di­gungspolitischen Gründen befürwortet wurde, sondern als Vehikel für den Weiterbestand eines Zwangsdienstes (des Zivildienstes), der als solcher einen Verstoß gegen die Menschenrechte darstellt bzw. darstellen würde.

• 70%: "Wehr/Zivildienst sind wichtiger Beitrag der Jugend"
Auch das ist ein besonders unverschämtes Argument (das oft auch in Variationen zu hören ist, wie etwa: "Ordnung und Gehorsam zu lernen, schadet nicht" oder "junge Leute soll man ruhig zu einem Dienst an der Gemeinschaft verpflichten").

- Die Funktion des Wehrdienstes besteht jedoch in der militärischen Landes­verteidigung bzw. der Vorbereitung darauf. Ihn als Disziplinierungs­instrument zu sehen, ist sachlich völlig unhaltbar und nichts Anderes als Ausdruck der Autoritätshörigkeit, Kleingeistigkeit und repressiven Mentalität, wie sie für weite Teile der österreichen Gesellschaft charakteristisch sind (mit gewis­sen Differenzierungen nach Altersgruppen und Regionen [Stadt – Land, West­österreich – Wien usw.], die sich ebenfalls im Befragungsergebnis widerspiegeln).

Für den Zivildienst gilt ohnedies das schon oben Gesagte: ein derartiger "Beitrag der Jugend" ist menschenrechtswidrig, sofern er nicht bloßer Ersatz für einen Wehrdienst ist.

- Dass dieser "wichtige Beitrag" nur von der männlichen Jugend eingefordert wird, ist eine weitere himmelschreiende Ungerechtigkeit. Dass Frauen von ihm verschont werden, gilt in Österreich als unumstößlich. Eine krasse Ungleichbehandlung und massive Benachteiligung des männlichen Teils der Bevölkerung, die nicht hinterfragt wird.

- Und moralisch das gewichtigste Gegenargument: Eine Gesellschaft, die zum überwiegenden Teil von hemmungslosem Egoismus, von Auslän­der­feindlichkeit und von mangelnder Solidarität gegenüber den Schwächeren und Benachteiligten gekennzeichnet ist, entdeckt im Zusammenhang mit der Wehrpflicht plötzlich ihr Solidaritäts- und Gemeinschaftsgefühl? Was für eine Heuchelei!

• 63%: "besser für den Katastrophenschutz"
Ein irrationales Argument. 21 von 27 EU-Ländern haben mittlerweile ein Berufsheer. Sind die Menschen dort etwa hilflos den Katastrophen ausgeliefert?

Dasselbe Gegenargument gilt natürlich hinsichtlich der Tätigkeiten der Zivildiener, insbesondere im sozialen Bereich und im Rettungswesen. Wieso funktionieren solche Versorgungsleistungen in anderen (politisch und wirtschaftlich vergleichbaren) Staaten auch ohne Zivildienst?

Es wäre (bzw. es ist) ein Armutszeugnis, dass ein entwickelter Staat das nicht ohne Zwangsverpflichtungen hinbekommt.

- 58%: "ist wichtiger Teil der Neutralität"
Das ist eine Floskel, und sonst nichts. Neutralität (sofern diesem Begriff de facto überhaupt noch eine Bedeutung zukommt) erfordert nicht den Bestand einer Wehrpflicht.

• 54%: "Heer soll nicht nur aus Berufssoldaten bestehen"
Die alte Geschichte mit dem Jahr 1934. Auch hier gilt: Wie ist das in anderen (westlichen) Ländern mit einem Berufsheer? Wird dort etwa auf das eigene Volk geschossen?

Im Übrigen sind im Ernstfall die nicht berufsmäßigen Soldaten ebenso Befehlsempfänger wie Profis. Wie wir aus der jüngeren Geschichte wissen, ist die Wehrpflicht alles Andere als eine Garantie für Frieden oder für ein Militär, das keine Kriegsverbrechen und Gräueltaten begeht.

• 54%: "gibt kein Konzept für ein Berufsheer"
Dann muss man es eben erstellen. Schließlich sind sich ja auch die Wehrpflichtbefürworter so gut wie einig, dass für das Bundesheer in der seinerzeitigen Form ein "Reformkonzept" erarbeitet werden muss. Das dafür nötige Gehirnschmalz könnte man genauso gut für die Planung eines Berufsheeres einsetzen.

• 50%: "besser für die Sicherheit"
Inwiefern? In dieser Form ist dieses "Argument" eine weitere inhaltsleere Floskel.

Der Punkt betrifft zwar so ziemlich die einzige für das Befragungsthema relevante Sachfrage (neben jener, ob Zwangsverpflichtungen – noch dazu nach dem Geschlecht differenziert – akzeptabel sind). Aber wie viele von den Befragungsteilnehmern verfügen über ausreichendes Fachwissen auf dem Gebiet des Sicherheitspolitik und des Militärwesens, um sich dazu eine fundierte Meinung bilden zu können?

Was bleibt, ist allerdings auch in diesem Zusammenhang der Blick auf so viele andere Staaten, deren Sicherheit offenbar nicht dadurch beeinträchtigt ist, dass es keine Wehrpflicht, sondern eine Berufsarmee gibt.

• 43%: "kostengünstiger"
Egal, ob das zutrifft oder nicht (die Aussagen darüber gehen ja auseinander): Die Freiheit der Menschen (= der jungen Männer) von Zwang und Unterdrückung hat sich eine Gemeinschaft auch etwas kosten zu lassen.

Dann werden noch drei Gründe aufgezählt, die ohnedies nicht der Rede wert sind:

• 23%: "zeitgemäß"

• 4%: "ÖVP dafür"

• 4%: "FPÖ dafür"

Schlussfolgerung:
Eine Mischung aus Dummheit, Ignoranz, Irrationalität und Unverfrorenheit führte zu einem Abstimmungsergebnis, das einen ungerechten Zustand zumindest über Jahre hinaus weiter fortschreibt und das nebenbei wieder einmal den Beweis liefert, wie rückständig die Österreicher/innen in gesellschaftspolitischen Fragen sind.

(Dass diesmal gerade die reaktionäre und spießige Kronen-Zeitung auf der "anderen" Seite gestanden ist und eifrig für die Abschaffung der Wehrpflicht und die Einrichtung eines Berufsheers getrommelt hat, ist zwar paradox, aber als bloßer Ausnahmefall einzustufen.)