Den Leitartikel vom 12. Dezember 2014 verfasste Josef Votzi.
Er ist mir bisher zwar weniger durch einen rabiat-kapitalistischen Furor
aufgefallen, wie ihn Chefredakteur Brandstätter und insbesondere dessen Stellvertreterin
Salomon regelmäßig an den Tag legen. (Wobei das allerdings auch einfach damit
zu tun haben könnte, dass ich die Kurier-Leitartikel keineswegs lückenlos
lese.) Anlass zur Kritik liefert Votzis aktueller Kommentar aber jedenfalls.
Seit Monaten grassiert in Österreich eine Art
Steuerreform-Hysterie. Man könnte meinen, dass die Bevölkerung kurz vor dem
Verhungern stünde, weil ihr der Staat so viel an Steuern (bzw. sonstigen
Abgaben) abknöpfe.
So weit, so irrational (und dumm).
Diesem Zeitgeist entsprechend (und ihn gleichzeitig
befeuernd), gibt es natürlich (auch) im Kurier so gut wie keinen mir bekannten
innenpolitischen Leitartikel, in dem nicht vom Thema Steuerreform die Rede ist.
Politisch ist der aktuelle Stand folgender: Die SPÖ und
(kurz darauf) die ÖVP haben in den letzten Tagen jeweils ein eigenes Konzept zur
Steuerreform vorgelegt. Gerade zuvor war im ORF-Teletext zu lesen, wie die
weiteren Schritte aussehen sollen: In der nächsten Woche werde eine
Expertengruppe den beiden Parteien einen Bericht zur Vorbereitung der
Steuerreform vorlegen; und von 17. Dezember 2014 bis 17. März nächsten Jahres
sollen dann die politischen Verhandlungen zwischen den beiden
Regierungsparteien stattfinden – unter Leitung des (SPÖ-)Bundeskanzlers und des
(ÖVP-)Vizekanzlers.
Also alles ganz simpel und unspektakulär.
Damit gibt es beim derzeitigen Stand der Dinge für
Außenstehende im Grunde genommen nur zwei vernünftige Alternativen:
a) Man beschäftigt sich mit dem Inhalt der zwei vorliegenden
Steuerkonzepte (oder entwickelt allenfalls alternative Reformideen). Das ist
zwar reiner Selbstzweck (sofern man nicht für irgendeine Lobby arbeitet), weil
ja derzeit in den Sternen steht, was von diesen Konzepten überhaupt Realität
wird. Aber bitte – wer nichts Besseres zu tun hat, könnte sich mit einer
solchen inhaltlichen Erörterung von Steuerfragen jedenfalls die Zeit
vertreiben.
b) Die zweite Alternative: Man wartet bis 17. März ab, was
tatsächlich als Ergebnis der Verhandlungen kommt – und widmet sich bis dahin
anderen Themen. (Die sinnvollere Alternative, wie ich finde.)
Josef Votzi (und sicherlich nicht nur er), wählt eine dritte
– meines Erachtens unlogische, deplatzierte und demokratiepolitisch gefährliche
– Möglichkeit: Er schürt Unmut und Unzufriedenheit (bei den Leser/innen), ohne
dass nach dem eben Gesagten der geringste Anlass dazu besteht.
Schon die Überschrift seines Leitartikels sorgt für
(künstliche) Dramatik:
"Steuer-Hickhack
wird Fall für eine Griss"
Im Untertitel heißt es:
"Rot & Schwarz
nerven mit einer Propagandaschlacht, statt unaufgeregt und sachkundig endlich
ihren Job zu machen."
Bereits an dieser Stelle kann man Herrn Votzi
entgegentreten: Wer nervt, und wer ist aufgeregt? Sind es tatsächlich die
Politiker oder nicht vielmehr die Journalisten bzw. Medien, indem sie bei den
innen- und wirtschaftspolitischen Belangen tagaus-tagein fast nur noch über
das Thema Steuerreform schreiben? Und wie wäre es, wenn man nicht jede
Bemerkung zum Steuerthema, die irgendein Politiker irgendwo abgibt, zum
Gegenstand der medialen Berichterstattung machen würde? An meiner Haustür hat
jedenfalls noch kein Politiker geläutet, um mich mit Propaganda zur
Steuerreform zu belästigen. Soweit Derartiges geschieht, läuft es über die
Medien, die das Thema so exzessiv forcieren und den Politikern
bereitwillig ein Sprachrohr bieten.
Wenn ich Votzis Leitartikel richtig interpretiere,
kritisiert er vor allem (besser gesagt: ereifert er sich darüber), dass die
beiden Parteien ihr jeweils eigenes Steuerreform-Konzept der Öffentlichkeit
präsentiert und es nicht (gemeint: nicht zuvor oder nicht überhaupt nur?) dem
Koalitionspartner vorgelegt haben. So schreibt er:
"Zwei Stunden
danach [= nach dem wöchentlichen Ministerrat] präsentieren VP-Chef und Finanzminister öffentlich das, was sie dem
Koalitionspartner hinterher auch persönlich ausrichten werden. Der SPÖ-Chef
ließ seine jüngsten Steuerideen zwei Tage davor im staatlichen Fernsehen
lancieren, statt sie jenen zu übermitteln, deren Zustimmung er dafür
braucht."
Spontane Antwort: Na und? Welchen Unterschied macht das für
die Bevölkerung, ob bei der Präsentation der Konzepte ein bestimmtes Procedere
bzw. eine bestimmte Reihenfolge eingehalten wurde oder nicht? Funktionäre und
allenfalls Mitglieder der beiden Parteien mögen darüber missgestimmt bzw.
beleidigt sein (oder auch nicht), aber welcher auch nur entfernteste Grund
besteht, daraus eine Staatsaffäre zu machen?
Doch gerade dazu bläst Votzi diese völlige Belanglosigkeit
auf. Er schreibt unmittelbar nach den zwei oben zitierten Sätzen:
"Würden die
Geschäftsführer einer Firma so agieren, wären sie Kandidaten für eine
fristlose Entlassung."
Das ist ein Musterbeispiel dafür, wie in einem bestimmten
Fall völlig grundlos
Stimmung gegen die Politik gemacht wird; wie durch und durch irrationale
Unmutsgefühle und Aggressionen unter der Bevölkerung geschürt werden.
(Natürlich gibt es Gründe zuhauf, um die Politik zu
kritisieren – aber das ist etwas Anderes, als der in Rede stehende Leitartikel
in Inhalt und Intention praktiziert.)
Noch einmal, weil es der zentrale Punkt ist: Wen kümmert es
(außerhalb der Zirkel der beiden Parteien SPÖ und ÖVP), in welcher Abfolge bzw.
zu welchen Terminen die zwei Konzepte präsentiert wurden?
Aber nimmt man Votzis (unangebrachten) Vergleich mit einer
Firma (die ja bekanntlich für alle Kapitalisten das Maß aller Dinge ist) ernst,
dann bedeutet das: Kanzler und Vizekanzler müssten jetzt also zumindest
zurücktreten (wenn nicht gar – analog zur "fristlosen Entlassung" –
von der aufgebrachten Bevölkerung mit nassen Fetzen aus ihren Amtsräumen gejagt
werden), weil die Vorgangsweise bei der Präsentation der Steuerreform-Konzepte
(aus der Sicht eines Journalisten) nicht die richtige war! (?)
Gleich im Einleitungssatz schreibt Votzi: "Die Absurdität ist schwer zu
überbieten." Das trifft tatsächlich auf seine eigenen Überlegungen
hundertprozentig zu. Er meint hingegen die geschilderte Vorgangsweise der
Regierungsparteien.
Im letzten Absatz erklärt Votzi:
"In Sachen Steuerreform
inszenieren Rot und Schwarz seit Wochen einen Schlagabtausch allein für ihre
Funktionäre. Alle anderen klappen bald nur noch genervt die Ohren zu."
Wie schon oben erwähnt: Diese Anderen bekommen in aller
Regel nur das zu hören, was ihnen die Medien Tag für Tag vorsetzen. Und wie man
an dem erörterten Leitartikel sieht, wird von manchen Medien sogar jede
Belanglosigkeit zu einem Drama hochgespielt, nur um ein bestimmtes Thema (hier:
Steuerreform) den Leser/innen permanent in die Köpfe zu hämmern.
Ganz eigenartig wird es in den Schlusssätzen des
Leitartikels. Votzi schreibt dort allen Ernstes:
"Die
Steuerpropaganda-Schlacht ist drauf und dran, ein Fall für eine neue Griss zu
werden: Jemand, der sachkundig, unaufgeregt, aber bestimmt sagt, was im
Steuer-Hickhack Sache ist. Noch lebt die Chance auf diese Rolle für den neuen
Hausherren im Finanzministerium. Standing Ovations des breiten Publikums wären
ihm garantiert."
Man beachte zunächst den Ausdruck "-Schlacht" (der ja auch schon im Leitsatz unter der Überschrift vorkommt). Da
wird durch eine entsprechend martialische (und selbstverständlich völlig
unangebrachte) Ausdrucksweise darauf hingearbeitet, das Thema zu
emotionalisieren.
In den eben zitierten Sätzen steckt aber darüber hinaus eine
derartig geballte Ladung an Unsinn, dass man die Begründung detailliert
darlegen muss:
Dr. Irmgard Griss war bekanntlich die Leiterin einer Untersuchungskommission,
die vor einigen Tagen ihren Bericht "zur
transparenten Aufklärung der Vorkommnisse rund um die Hypo Group
Alpe-Adria" (also um den diesbezüglichen Bankenskandal) vorgelegt hat.
Die Qualität des Berichts bzw. das Auftreten Griss' in den Medien hat im ganzen
Land ein positives bis begeistertes Echo gefunden und Griss teilweise einen
Kult-Status verschafft. Da will in populistischer Manier natürlich auch ein
Leitartikel-Schreiber nicht nachstehen und verabsäumen, auf die derzeit so
beliebte (und zugegebenermaßen sympathisch und geradlinig wirkende) Dame Bezug
zu nehmen. Sie wird daher von Votzi zum Anlass genommen, um nach einer
Erlöser/innen-Figur zu rufen (auch wenn man sich fragt, wer und wovon denn
überhaupt erlöst werden soll). Es muss nicht Griss persönlich sein ("eine neue Griss" wäre für
Votzi auch schon toll), und es darf auch ein Mann sein – ja sogar der
Finanzminister (Hans Jörg Schelling) selbst, der als "Ex-Spitzenmanager" bei Votzi natürlich
"bisher große
Erwartungen geweckt hat: Einer, der weiß, wovon er redet, in geraden Sätzen
spricht und mit parteipolitischem Gesudere nichts am Hut hat."
Lassen wir diese peinliche journalistische Lobhudelei für
alles, was mit Manager und Unternehmer zu tun hat, zwar nicht unerwähnt, aber
(als der üblichen Kurier-Blattlinie entsprechend) unkommentiert.
Kernfrage ist nämlich etwas Anderes: Was genau sollte eine
"Griss Nr. 2" nach Votzis Vorstellung tun? Im Fall der
Untersuchungskommission war die Aufgabe eindeutig: die Aufklärung von
Vorkommnissen – also die (Sachverhalts-)Ermittlung, was in der
Vergangenheit geschehen ist. Es ist nicht im Geringsten nachvollziehbar, was
einer solchen Tätigkeit entsprechen könnte, wenn es um das von Votzi
konstruierte Pseudo-Problem "Steuer-Hickhack" (bzw.
"Steuerschlacht") geht.
Votzi wünscht sich zwar, dass jemand "sachkundig, unaufgeregt, aber bestimmt sagt, was im
Steuer-Hickhack Sache ist".
Was (aktuell) "Sache ist", lässt sich aber ohnehin
ganz simpel klären, wenn man auch nur einen Blick auf die eingangs erwähnte
Teletext-Seite des ORF wirft: Nächste Woche bekommen die beiden Parteien den
Bericht einer Expertenkommission, und dann wollen sie drei Monate lang
verhandeln.
Das lässt sich tatsächlich ganz "unaufgeregt"
sagen, ohne in vorgespielter Nervosität nach "einer neuen Griss" zu
rufen.
Oder meint Votzi mit "sagen, was Sache ist" womöglich gar eine autoritäre Anordnung,
wie es in Sachen Steuerreform weiterzugehen habe? Es wäre allerdings geradezu
unheimlich, wenn in einer Demokratie ein einzelner starker Mann (oder eben eine
einzelne starke Frau) einschlägige Vorgaben – noch dazu parteiübergreifender
Art – machen könnte. Und Vorgaben wofür eigentlich genau?
Was vom Procedere her "Sache ist", steht
ohnedies fest – siehe oben. Und was nach derzeitigem Stand inhaltlich
aktuell ist, lässt sich aus den zwei vorgelegten Reform-Konzepten ermitteln; Näheres
wird demnächst (voraussichtlich im März) als Ergebnis der Verhandlungen
bekannt sein und letztlich in Form eines Gesetzesbeschlusses im Parlament
entschieden werden. (Natürlich immer vorausgesetzt, dass sich die Parteien
einigen.)
Für "eine neue Griss" ist da also ebenso wenig
(demokratischer) Platz und faktische Notwendigkeit wie für einen
Superman-Finanzminister, wie ihn sich Votzi offensichtlich herbeiwünscht (oder
ihn jedenfalls den Leser/innen seines Leitartikels schmackhaft machen will).