Samstag, 31. Januar 2015

Viel polemisiert - schlecht recherchiert

Da ist in Griechenland also eine deklariert linke Partei an die Macht gekommen. Was für eine Ungeheuerlichkeit, unter anderem für die kapitalistischen Medien. (Für "die Börsen", "die Finanzmärkte", "die Anleger", ja die Wirtschaft insgesamt ist es das sowieso; und für viele Politiker und "einfache" Leute in der Bevölkerung der "Geberländer" der EU ebenfalls.)

Natürlich stehen dann reflexartig die diversen Leitartikler/innen in den Zeitungen (aber auch Journalist/innen in Rundfunk und Fernsehen) bereit, um der neuen griechischen Regierung alles nur erdenklich Schlechte nachzusagen und um vor allem eine düstere Zukunft zu prophezeihen bzw. mit einer solchen warnend zu drohen, sollten die "linken Populisten" nicht umgehend so spuren, wie sich das der Kapitalismus – verkörpert in diesem Fall durch EU bzw. "internationale Geldgeber" als großzügige Gönner – vorstellt.

Im "Standard" hat sich in den letzten Tagen diesbezüglich Eric Frey mit einschlägigen Kommentaren unrühmlich hervorgetan. (Auch dessen Ausführungen wären einmal eine ausführlichere Kritik in diesem Blog wert.)

Im "Kurier" zählt zu dieser Kategorie von journalistischer Stimmungmache der Leitartikel des Chefredakteurs Dr. Helmut Brandstätter in der Ausgabe vom 29. Jänner 2015.

Die Überschrift seines Kommentars lautet in schulmeisterlich-belehrendem Ton:

"Die Griechen sollten Europäer bleiben"

Im Untertitel wird es dann umgehend polemisch-populistisch:

"Die neue Regierung will auf Kosten europäischer Steuerzahler wieder Beamte einstellen. Nein, danke."

Was man daran sieht: Die Boulevard-Medien werden zwar nicht müde, missliebigen politischen Parteien (sei es des rechten, sei es des linken Lagers) permanent "Populismus" vorzuwerfen (womit diese Medien manchmal zufällig auch durchaus Recht haben mögen) – aber sie sind selbst Populisten schlimmster Sorte.

Bei "Kronen-Zeitung" oder den Gratisblättern "Heute" und "Österreich" ist das derart sonnenklar, dass es gar keiner weiteren Erörterung bedarf. Aber auch der "Kurier", der sich ja so gern von den eben genannten Blättern abgrenzt, agiert in der gleichen Weise. Das haben beispielsweise diverse Leitartikel der letzten Zeit zu den Themen Integration und Islam gezeigt; permanent und vielleicht am deutlichsten kommt die populistische Haltung im ständigen Gejammere über die hohe Abgabenbelastung der "hart arbeitenden" Menschen und über die Dringlichkeit einer Steuerreform zum Ausdruck. Und im konkreten Fall werden gleich im Untertitel des Leitartikels die geeigneten Reizworte und Formulierungen verwendet, um die Leserschaft auf seine Seite zu ziehen: "Beamte""auf Kosten europäischer Steuerzahler""Nein, danke."

Solche journalistische Tricks wären ja (als Ausdruck der viel gerühmten Pressefreiheit) noch zähneknirschend hinzunehmen, wenn dann wenigstens im eigentlichen Text seriös argumentiert oder korrekt informiert würde. Aber davon ist keine Spur.

Das sei an drei besonders markanten Textstellen nachgewiesen:

1. "Beamte, die niemandem abgehen"

Brandstätter schreibt:

"[…] es besteht die Gefahr, dass der linke Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein rechtsextremer Koalitionspartner ihrem Land bald großen Schaden zufügen. Die Armut vieler Familien ist auch hier beschrieben worden, aber die neuerliche Einstellung von Beamten, die niemandem abgehen, wird da nicht helfen."

Nur nebenbei bemerkt: Man beachte den düsteren und fast schon zynischen Hinweis auf das mögliche Zufügen von "großem Schaden". Ganz so, als ob der "große Schaden" in Griechenland nicht schon längst eingetreten wäre – sei es durch die bisher regierenden Parteien (und damit indirekt durch ihre früheren Wähler/innen), sei es durch die ausländischen "Geldgeber", sei es durch beide. Und als ob im Fall einer Fortsetzung der bisherigen Politik dieser Schaden nicht fortbestanden wäre bzw. sich nicht sogar vergrößert hätte …

Was aber besonders empört, ist dieses kaltschnäuzige und menschenverachtende Reden von "Beamten, die niemandem abgehen".

Es drückt letztlich aus, dass einem all diese Menschen egal sind. Brandstätter hat zwar mit Sicherheit keine Ahnung, was sie als Beamte gemacht (oder meinetwegen auch nicht gemacht) haben. Aber dennoch erklärt er sie in ihrer bisherigen Funktion pauschal für unnütz. Also sollen sie auf die Straße gesetzt werden bzw. dort auch bleiben (sofern sie sich nicht in der viel gelobten Privatwirtschaft als nützliches "Humankapital" verwerten lassen).

Dazu ein konkretes Beispiel:

Entlassen wurden im Zuge der Sparmaßnahmen unter anderem Putzfrauen. Nun bedeutete das natürlich nicht, dass auf die Säuberung der Amtsräume verzichtet worden wäre, sondern man hatte von nun an dafür – offenkundig kostengünstigeres – privates Reinigungspersonal eingesetzt. Und damit ist (un)schön zu erkennen, was es in der Praxis bedeutet, wenn ein neoliberaler Journalist von oben herab meint, dass bestimmte Arbeitnehmer/innen "niemandem abgehen": Zwar legt man auf die Arbeit, die sie geleistet haben, natürlich weiterhin wert, sofern diese dem eigenen Nutzen und Komfort dient (ich nehme beispielsweise nicht an, dass Brandstätter mit seinem Journalist/innen-Team die Böden im Kurier-Redaktionsgebäude selbst schrubbt); aber dafür hat man ja billigere Arbeitskräfte gefunden. Was zu teuer ist, kommt weg. Und wer im Zuge dieser "Reformschritte" somit auf der Straße steht, muss sich dann auch noch von arroganten Journalisten mit der Aussage beleidigen und demütigen lassen, "niemandem abzugehen".

Das ist sozusagen die allgemein-menschliche Dimension des Themas.

Auf einer zweiten Ebene geht es um ganz handfeste Fakten. Wäre es Brandstätter um einen sachlichen Kommentar zu tun gewesen, so hätte er sich darüber informieren müssen,

- ob es sich bei der "neuerliche(n) Einstellung von Beamten" tatsächlich um Wiederanstellungen oder nicht vielmehr um Rücknahmen verfassungswidriger Entlassungen handelt (wie etwa der stellvertretende Minister für Verwaltungsreform behauptet)

- welche Personengruppen konkret wieder in Dienst genommen werden sollen (der genannte Minister spricht von den schon zuvor erwähnten Putzfrauen ebenso wie von Schulwarten und Berufsschulprofessoren)

- und auf welche Weise die Aufbringung der dafür notwendigen Finanzmittel tatsächlich geplant ist (nämlich laut Aussagen des Ministers durch die Realisierung von weniger Neuanstellungen im öffentlichen Dienst, die im Haushalt für 2015 ohnedies bereits budgetiert gewesen seien – womit man nicht so ohne Weiteres behaupten kann, die Finanzierung würde "auf Kosten europäischer Steuerzahler" erfolgen, wie dies Brandstätter dennoch tut).

Ob das, was der Minister meint, alles stimmt oder nicht, bzw. ob es tatsächlich so realisiert wird, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber immerhin habe ich mich darüber im Internet informiert. (Meine obigen Angaben stammen aus diesem Artikel: http://bankingnews.gr/πολιτική/item/179831 [aufgerufen am 31.1.2015].) Wenn Brandstätter nicht Griechisch kann, dann hätte er sich solche Meldungen übersetzen lassen oder nach einschlägigen Berichten in deutscher oder englischer Sprache suchen müssen (die gibt es sicherlich auch).

Und wenn derartige Details noch nicht bekannt gewesen sein sollten, als Brandstätter seinen Leitartikel verfasste (so wurde etwa der obige Artikel in bankingnews.gr erst am selben Tag wie der Kurier-Beitrag veröffentlicht), dann hätte er mit einer Stellungnahme zu dem Thema seriöserweise bis zum Bekanntwerden näherer Informationen abwarten sollen, anstatt eigene Behauptungen über Art und Finanzierung der (mutmaßlichen) Wiedereinstellungen zu treffen und sie den ohnedies notorisch leichtgläubigen Medienkonsument/innen wie ein Faktum zu präsentieren.

2. "Anbiederung an Putin":

Das zweite Beispiel ist ein ähnlicher Fall: auch hier wieder schlampige Recherche oder bewusstes Verdrehen der Tatsachen.

Brandstätter schreibt:

"Dass er [Tsipras] sich an Putin anbiedert, hilft ihm nicht […]".

Brandstätter zieht hierbei offenkundig Schlussfolgerungen aus der Berichterstattung nicht-griechischer Medien von Anfang der Woche, wo durchwegs davon die Rede war, dass sich die griechische Regierung gegen die Verhängung weiterer Russland-Sanktionen ausgesprochen bzw. sogar ein bezügliches Veto angekündigt (oder gar schon erhoben) hätte. Ich bin selbst zunächst auf einschlägige Medienberichte hereingefallen und war über ein solches (angebliches) Verhalten der neuen Regierung nicht erfreut. Von griechischer Seite wurde ich dann aber (am Donnerstag) aufgeklärt und auf entsprechende Veröffentlichungen im Internet hingewiesen.

Allem Anschein nach war die Sache nämlich ganz anders. Ich übersetze dazu einen Blogeintrag des neuen griechischen Finanzministers (Βαρουφάκης / Varoufakis). Der Text wurde im Internet am selben Tag, an dem Brandstätters Leitartikel erschien, auf vielen Webseiten publiziert (beruht damit also auf dem im Wesentlichen gleichen Stand der Geschehnisse wie der Zeitungskommentar). Er ist etwa hier wiedergegeben (unter dem griechischen Originaltext findet sich auch eine englische Übersetzung): http://thoureios.blogspot.co.at/2015/01/blog-post_131.html (aufgerufen am 31.1.2015)

"Erster Tag in unseren Ministerien, und die Macht der Massenmedien, (die Wirklichkeit) zu verdrehen, hat mich wieder getroffen. Die Weltpresse war voll mit Berichten darüber, dass der erste außenpolitische 'Schritt' der SYRIZA-Regierung das Veto gegen neue Sanktionen gegenüber Russland gewesen sei.

Nun bin ich nicht zuständig, über außenpolitische Angelegenheiten zu sprechen, aber dennoch möchte ich das mit Ihnen auf einer persönlichen Ebene teilen. Der Außenminister, Nikos Kotzias, hat uns am ersten Tag im Amt informiert, dass er in den Nachrichten gehört habe, die EU hätte einstimmig die Verhängung neuer Sanktionen gegen Russland genehmigt. Das Problem war, dass die neue griechische Regierung nie gefragt wurde! Also ging es offenkundig nicht darum, ob unsere neue Regierung mit den neuen Sanktionen gegen Russland einverstanden ist oder nicht. Es geht darum, ob unsere Meinung als gegeben angesehen wird, ohne dass wir überhaupt informiert wurden, worum es sich handelt!

Auch wenn ich (lassen Sie es mich wiederholen) sicher nicht qualifiziert bin, über außenpolitische Angelegenheiten zu sprechen, ist all das aus meiner Warte eine Frage der Achtung unserer nationalen Souveränität. Können sich die Journalisten bemühen, diese wesentliche Unterscheidung zu treffen – zwischen unserem Protest gegen den Umstand, dass man uns übergangen hat, und dem Protest gegen die Sanktionen als solche? Oder ist das für sie zu kompliziert?"


Diese beiden Fragen lassen sich eins zu eins an Herrn Dr. Brandstätter weitergeben.

(Mit der Zusatzbemerkung, dass es – jedenfalls nach derzeitigem Stand der Dinge –  wohl viel eher die österreichische Regierung ist, die sich "an Putin anbiedert", wie die skeptischen bis ablehnenden Äußerungen von Faymann, Mitterlehner und Kurz zu etwaigen Verschärfungen der
EU-Wirtschafts­sanktionen gegen Russland gezeigt haben.)

3. "Eine Regierung ohne Frauen":

Im dritten Fall ist es überhaupt ganz einfach, Brandstätter nachzuweisen, dass er Unwahres behauptet. Er schreibt:

"[…] und eine Regierung ohne Frauen ist auch nicht europäischer Standard."

In der neuen griechischen Regierung gibt es zwar keine Ministerinnen. Es gibt aber sehr wohl Frauen als sogenannte "Vizeminister/innen" (sie leiten eine Art von Unterabteilungen, die in Ministerien für bestimmte Fachbereiche eingerichtet sind) und eine Staatssekretärin. Sie alle zählen zur Regierung. (So wie das bei Staatssekretären und -sekretärinnen bekanntlich auch in Österreich der Fall ist.) Die Auflistung findet sich auf der offiziellen Website des Premierministers (http://www.primeminister.gov.gr/government [aufgerufen am 31.1.2015])

Über der Auflistung steht:

"Κυβέρνηση [Regierung]
Η σύνθεση της Κυβέρνησης έχει ως εξής:
[Die Zusammensetzung der Regierung lautet wie folgt:]
…"

Demnach sind folgende Regierungsämter von Frauen besetzt:

- Vizeministerin ("Αναπληρωτής Υπουργός") (VM.) / Integrationspolitik
- Staatssekretärin für Mazedonien und Thrakien
- VM. / Fremdenverkehr
- VM. / Finanzen [hier offenbar für keinen spezifischen Fachbereich, sondern generell]
- VM. / Soziale Solidarität
- VM. / Für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit

Wenn Brandstätter (dennoch) schreibt, es handle sich um "eine Regierung ohne Frauen", so hat er sich entweder nicht ausreichend informiert oder darauf vertraut, dass sich den Leser/innen die Behauptung schon unterjubeln lassen wird. (Dabei ertappt, kann man sich dann ja immer noch darauf hinausreden, man hätte nur die Riege der eigentlichen Minister gemeint.)

Und wieder einmal fragt man sich als Schlussfolgerung:

- Ist das seriöser Journalismus?
- Kann man den Boulevardmedien trauen?

Warum meine Antwort auf beide Fragen "Nein" lautet, habe ich mit diesem Blogeintrag nachzuweisen versucht.