Mittwoch, 29. April 2015

Eine Rechtspopulistin, die keine sein möchte

Beim Kentern eines Flüchtlingsbootes im Mittelmeer sind vor einigen Tagen hunderte Menschen ums Leben gekommen.

Dr. Martina Salomon, die stellvertretende Chefredakteurin des "Kurier", reagiert darauf in ihrem Leitartikel vom 23. April 2015 genau so, wie es von ihr zu erwarten ist: eiskalt, gefühllos, menschenverachtend.

Bereits als Titel des Leitartikels wählt Salomon die dümmste Parole, die in Zusammenhang mit dem Thema Flüchtlinge/Zuwanderung reflexartig von allen zu hören ist, die auf Denken, Gewissen und Menschlichkeit gerne verzichten (und das sind bekanntlich hierzulande nicht wenige):

"Europa kann nicht allen helfen"

Es geht zwar nie um "alle", wenn dieser dumme Ausspruch fällt, sondern immer um konkrete Einzelfälle bzw. Einzelschicksale – und für genau diese wäre von den Sprücheklopfern konkret zu belegen, warum man für sie angeblich nichts tun kann. Aber ein pauschales "Man kann nicht allen helfen" (bzw. "Wir können doch nicht alle aufnehmen") erspart natürlich die Mühe, sich mit dem jeweiligen Fall inhaltlich auseinanderzusetzen.

Ein Übriges tut die Pietätlosigkeit, die sich darin zeigt, eine solche Parole zur Überschrift eines Leitartikels zu machen, dessen Anlass Flüchtlinge sind, die bereits tot – nämlich vor wenigen Tagen im Meer ertrunken – sind. (Es ist ja dieses konkrete Bootsunglück, das derzeit allerorts Berichte, Diskussionen und eben auch Leitartikel auslöst.)

Im Text meint Salomon dann unter anderem:

Von den Flüchtlingsbewegungen
"profitieren zynische Schlepperorganisationen und 'Warlords'. Das Kentern von Flüchtlingsbooten ist deren zynisches Kalkül."

Und danach versteigt sie sich zu folgender eigenartiger Aussage:

"Leider werden die nun entsendeten Rettungsschiffe dem Millionen­geschäft dieser Verbrecherbanden nutzen."

Inwiefern "nutzen"? Der kryptische Satz kann eigentlich nur so interpretiert werden: Die Rettung von Schiffbrüchigen animiere weitere Menschen zur Flucht übers Mittelmeer – bzw. die Schlepper dazu, ihre Tätigkeit fortzusetzen, weil die von ihnen nach Europa verschifften Flüchtlinge im Ernstfall ohnedies mit Hilfe rechnen könnten. Damit wird (von Salomon) gleichsam der Vor- und Nachteil der Rettung von Menschenleben abgewogen. Anders gesagt: die Notwendigkeit der Rettung von Menschenleben wird durch den (behaupteten) Umstand relativiert, dass solche Maßnahmen dem "Millionengeschäft" von "Verbrecherbanden" nützen würden (ob das tatsächlich überhaupt zutrifft, sei dahingestellt). Oder noch drastischer formuliert: Wer Menschen aus Lebensgefahr rettet, helfe damit "leider" dem Geschäft der Schlepper.

Wohin eine solche Sichtweise im nächsten Schritt führen kann, wird spätestens dann deutlich, wenn man Salomons gefühllose Kosten-Nutzen-Rechnung mit jener Frage in Beziehung setzt, die sie im Untertitel des Leitartikels stellt: "Wer legt den Schleppern das Handwerk?"

Da ist es dann nämlich nicht mehr weit zu der Schlussfolgerung: "Lieber in Seenot geratene Flüchtlinge zur Abschreckung ertrinken lassen, als sie zu retten. Nur so kann man den Schleppern das Handwerk legen."

So explizit schreibt Salomon das natürlich nicht. Und wahrscheinlich würde sie auch entrüstet zurückweisen, derartige Überlegungen im Sinn zu haben. Mag ja sein … Und dennoch stellt sich die Frage: Was veranlasst ein Jour­na­listin dazu, einen Satz wie jenen über die entsendeten Rettungsschiffe, die leider dem Geschäft der Schlepper nützen würden, zu denken, zu for­mu­lieren und in den Leitartikel zu schreiben?

Eines zeigt sich damit jedenfalls: "Zynisches Kalkül" gibt es nicht nur bei "Verbrecherbanden" irgendwo im fernen Afrika, sondern auch bei ganz harmlos wirkenden Journalistinnen in österreichischen Boulevardzeitungen.

Und dieses zynische Kalkül zieht sich durch den ganzen Leitartikel. Seine deutlichste Ausformulierung erreicht es in den zwei Schlusssätzen. Dort meint Salomon lapidar:

"Australien nimmt übrigens keine Flüchtlinge mehr aus Schlepperbooten auf. Das hat das Massensterben im Meer dort ab 2014 beendet."

Diese beiden Sätze wollen wir uns unter mehreren Aspekten etwas näher ansehen:

a)
Das Erste ist schlicht die menschliche Seite. Dazu braucht man eigentlich nicht viel zu sagen: "Aus den Augen, aus dem Sinn" ist Salomons kaltschnäuzige Logik. Die lästigen Eindringlinge sind wieder am offenen Meer bzw. in den Ländern, aus denen sie aufgebrochen sind. Damit ist die Sache für uns erledigt – und wir können auch noch scheinheilig behaupten, auf diese Weise Menschenleben gerettet zu haben.

b)
Dann gibt es einen handfesten rechtlichen Aspekt:

Jene Vorgangsweise, die Australien (laut Salomon) praktiziert, ist vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bei Mittelmeer-Bootsflüchtlingen jedenfalls in Hinblick auf Libyen für rechtswidrig erklärt worden. Das entsprechende Urteil vom Februar 2012 ist hier im Original nachzulesen (englisch):
Fall Hirsi Jamaa und andere gegen Italien

bzw. hier in deutscher Übersetzung (als pdf-Datei zum Herunterladen):
deutsche Version, pdf

Eine kurze Erläuterung und Kommentierung der Urteils gibt es auf der Homepage von Amnesty International Schweiz. Dort heißt es auszugsweise (Quelle, aufgerufen am 29. April 2015):

"BeschwerdeführerInnen waren 24 Flüchtlinge aus Eritrea und Somalia, die im Mai 2009 von Libyen aus nach Italien aufgebrochen waren, auf hoher See von der italienischen Küstenwache aufgegriffen und nach Libyen zurückgebracht worden waren. Der EGMR hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, niemand dürfe der Folter oder unmenschlicher Strafe ausgesetzt werden.

Denise Graf, Asylrechtsexpertin bei Amnesty International, begrüsst das Urteil des EGMR: «Mit dem heutigen Urteil hat der Gerichtshof den Schutz von Flüchtlingen auf Hoher See entscheidend gestärkt. Die italienische Grenzpolizei durfte die Bootsflüchtlinge nicht nach Libyen zurückbringen, weil ihnen dort unmenschliche Behandlung und die Abschiebung in ihre Herkunftsländer Somalia und Eritrea drohten. Zudem hatten die Flüchtlinge keine Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen. Damit verstösst das italienische Vorgehen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Amnesty International fordert die EU-Mitgliedsstaaten nach diesem Urteil auf, Schutzbedürftigen endlich sicheren Zugang nach Europa und Recht auf Asyl zu gewähren.»"


Mit anderen Worten: Was sich Australien erlaubt (und möglicherweise rechtlich auch erlauben darf?), ist (jedenfalls) zwischen der EU und Libyen (und von dort kommen ja derzeit offenbar die meisten Bootsflüchtlinge im Mittelmeer) ein Verstoß gegen die Menschenrechte! Das hindert freilich Salomon nicht an ihrem süffisant-zynischen Verweis auf die australischen Methoden.

(Nur nebenbei sei erwähnt: Erwartungsgemäß wäre es für Salomon auch "ein Fortschritt", wenn "(a)m afrikanischen Kontinent (…) sichere UNHCR-Anlaufstellen geschaffen werden, die den Schutzbedarf der Asylwerber vorab prüfen". Auch diese Form der "Lagerung" von Menschen, um sie nur ja nicht nach Europa zu bekommen, wäre jedoch menschenrechtlich – und in humanitärer Hinsicht sowieso – höchst fragwürdig.)

c)
Ein dritter Aspekt, unter dem das Australien-Faible Salomons, aber darüber hinaus ihr gesamter Leitartikel betrachtet werden sollte, ist der gesellschaftspolitisch-ideologische:

Was Salomon schreibt und denkt, entlarvt sie als Rechtspopulistin -
oder exakter formuliert: als eine Journalistin, die genau jenes Gedankengut propagiert, das rechtspopulistische Politiker/innen bzw. einschlägige Gruppierungen verbreiten. Das wäre für sich genommen nicht weiter erwähnenswert (und ja auch nicht weiter verwunderlich). Die Sache wird jedoch dadurch pikant, dass die "Rechtspopulisten" (wie auch immer man diese definieren oder kategorisieren mag) in Kurier-Kommentaren so gerne als etwas dargestellt werden, zu dem man a) selbst nicht dazugehöre und das b) eine Gefahr für das Land bedeute, die es abzuwenden gelte.

Im konkreten Leitartikel klingt das so:

"In Wahrheit sind die riesigen Wanderungsbewegungen das große politische Thema des Jahrhunderts. Denn sie könnten die Sozialsysteme der Ankunftsländer überfordern, genauso wie deren politische Strukturen. Rechtspopulisten sind im Vormarsch."

Man beachte das Bild, das auf diese Weise suggeriert wird: Dort (in der europäischen Welt außerhalb der eigenen Redaktionsstube) marschieren die Rechtspopulisten an – hier sitzt die verantwortungsbewusste Journa­lis­tin, die voller Besorgnis über diese Entwicklung als Mahnerin auftritt.

Nun mag Frau Dr. Salomon in der Tat kein Mitglied der FPÖ sein; sie wird vielleicht auch bei keinen Aufmärschen der Pegida teilnehmen oder sonstwie in unmittelbarer Verbindung mit Gruppierungen stehen, die man landläufig mit dem Begriff "rechtspopulistisch" assoziiert. Aber was hat das schon zu bedeuten? Jeder Satz ihres Leitartikels könnte genauso von einem waschechten Rechtspopulisten (bzw. deren weiblichen Pendants wie Marine Le Pen) stammen.

Zum Beispiel, wenn es heißt:

"Aber hält es Europa wirklich politisch und sozial aus, weitere Millionen (in der Mehrzahl muslimische) Afrikaner aufzunehmen, deren Herkunfts­länder in Stammeskriegen, Zerstörung und Korruption gefangen sind?"

Ein Unterschied zu den Botschaften irgendeines Rechtspopulisten besteht hier bestenfalls im Satzbau:

Die rechtspopulistischen Politiker oder Versammlungsredner (bzw. die ihnen gleichzuhaltenden Journalisten in Medien à la "Kronen Zeitung") würden explizit formulieren: "Europa hält es politisch und sozial nicht aus […]!"

Salomon kleidet genau dieselbe Aussage pseudo-verschämt in eine rheto­ri­sche Frage: "Aber hält es Europa wirklich politisch und sozial aus […]?"


Das anschaulichste Beispiel für die Deckungsgleichheit der Gedankenwelt zwischen Salomon und Rechtspopulisten liefern aber eben die beiden letzten Sätze ihres Leitartikels. Sie seien nochmals zitiert:

"Australien nimmt übrigens keine Flüchtlinge mehr aus Schlepperbooten auf. Das hat das Massensterben im Meer dort ab 2014 beendet."

Diese Botschaften bzw. dezenten Denkanstöße (die natürlich wieder ganz arglos als vermeintlich wertfreie Feststellungen verkleidet wurden) haben mich dazu veranlasst, bei Google die Suchbegriffe "Australien, Schlepper" einzugeben. Und siehe da: Gleich als erster einschlägiger Link (nach zwei-drei anderen zu Traktormarken und Ähnlichem) kommt da folgender (aufgerufen am 29. April 2015):

http://www.pi-news.net/2015/04/schlepper-australiens-push-back-funktioniert/ 

Es handelt sich um einen Artikel in einem Blog bzw. Portal namens "Politically Incorrect". Die Überschrift des Artikels lautet:

"Schlepper: «Australiens 'push back' funktioniert.»"


Im Text heißt es dann unter anderem:

"Ihre Aufgabe [Anm.: jene von Militärschiffen der australischen Marine]: Sämtliche Boote mit sog. 'Flüchtlingen' zu stoppen und zurückzuschicken. Sollten die Schiffe nicht mehr seetauglich sein, werden die Insassen in Rettungsboote gesteckt und zurückgebracht. 'Push back' heißt die Aktion. Hingegen wurde […] an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Frontex) genau das 2014 per EU-Verordnung verboten. Frontex muss alle 'Flüchtlinge' ausschließlich in Richtung Europa 'retten'."

Im weiteren Verlauf der Ausführungen werden dann die entsprechenden ideologischen Schlussfolgerungen formuliert:

"Klar ist, dass die Masseneinwanderung unter dem Deckmantel des Asyls bedrohliche Formen annimmt und Hauptfeinde sind nicht einmal die 'Asylanten', sondern die Kollaborateure der europäischen Asylindustrie in Redaktionen, Flüchtlingshilfeorganisationen und EU-Institutionen.

Diese Kollaborateure sind auch die eigentlichen Geldgeber und Verbündeten der Schlepper, die uns anscheinend am Nasenring in der Mittelmeer-Manege herumführen. Wie einfach dem abzuhelfen wäre, zeigt Australien."


Ein Zufall, dass sich Verfasser (oder Verfasserin) des eben zitierten Artikels und Frau Dr. Salomon in ihrer Wertschätzung für die australische Vorgangs­­weise einig sind? Oder dass sie sich in der Diagnose einig sind, dass "die Masseneinwanderung unter dem Deckmantel des Asyls bedrohliche Formen annimmt" (bei Salomon korrespondierend: "Aber hält es Europa wirklich politisch und sozial aus weitere Millionen (in der Mehrzahl muslimische) Afrikaner aufzunehmen, […]?").


Das seien Sichtweisen, die doch nicht mit Rechtspopulismus in Zusam­men­hang stünden? Sie tun es sehr wohl:


In den ausführlichen "Leitlinien" des Blogs/Portals "Politically Incorrect" (http://www.pi-news.net/leitlinien) wird dessen ideologische Ausrichtung näher dargelegt. Dort heißt es zum Beispiel:


"Aufgrund der immer mehr um sich greifenden Ideologie des Multi­kul­tura­lismus hat bereits eine schleichende Aushöhlung unserer Rechte stattge­fun­den. Die weitgehende Akzeptanz islamischer Ethik und Kultur bedeutet für Deutschland und Westeuropa zwangsläufig eine Entstehung von Parallel­gesellschaften, in denen weder das Grundgesetz noch die Menschenrechte wirksam werden können."


"In vielen Redaktionen ist es längst erklärtes Programm, für den Multi­kultura­lismus und die absurd überzogene Sozialstaatlichkeit zu berichten."


"Doch von einem Staat, der sich anmaßt, immer tiefer in unsere privaten Angelegenheiten einzugreifen (von der sozialstaatlichen Lohnenteignung über diverse Zwangsabgaben hin zu immer weitreichenderer Überwachung), droht eine schleichende Erodierung unserer Rechte und Freiheiten auszu­gehen, wenn er von seinen Bürgern verlangt, sich der Ideologie des Multi­kulturalismus zu unterwerfen."

Da muss man schmunzeln, wenn sich "Politically Incorrect" in einem seiner Untertitel zum Ziel setzt, "News gegen den Mainstream" schreiben zu wollen. Von wegen! Als ob man nicht in Salomon-Leitartikeln haarscharf das Gleiche lesen könnte. (Von der "Kronen-Zeitung" oder Gratisblättern ganz zu schweigen.) "Gegen die Islamisierung Europas" heißt ein weiterer Untertitel. Kommt mir auch vertraut vor, wenn ich an manche Salomon-Kommentare denke (siehe dazu etwa diesen Blog-Eintrag von mir). "Für Grundgesetz und Menschenrechte" steht ebenfalls dort. Sorgen macht man sich hierbei zwar um deren mangelnde Wirksamkeit in islamisch geprägten "Parallelgesellschaften" (siehe obiges Zitat aus den Leitlinien). Aber das hehre Motto hindert offensichtlich nicht, das zuvor angesprochene Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs im Fall Hirsi Jamaa gegen Italien geflissentlich zu ignorieren – auch darin besteht eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit zwischen den Leuten bei "Politically Incorrect" und Frau Dr. Salomon.

Aufschlussreich sind aber auch beiderseits am Rand der Website von "Politically Incorrect" platzierte Werbebanner, deren, sagen wir mal "rechtspopulistische Orientierung" unschwer zu erkennen ist. Zwei davon finde ich im gegebenen Zusammenhang besonders interessant: Eines davon lädt zum "Abendspaziergang" von "PeGiDa – Berlin" am 4. Mai 2015. Ein zweites ähnliches Werbebanner ist mittlerweile weg, weil der Termin bereits vorüber ist: Geworben wurde damit vor einigen Tagen für eine Pegida-Versammlung in München am 27. April 2015.

Wo ist da also inhaltlich und ideologisch ein Unterschied zwischen Rechtspopulisten und Salomon? Weit und breit nirgends! Nur dass Salomon auch noch feig ist: Die deklarierten Rechtspopulisten stehen wenigstens zu ihrer Gesinnung. Salomon hingegen heuchelt Sorge, weil "Rechtspopulisten im Vormarsch (sind)" und propagiert gleichzeitig genau deren ideologische Linie. Ein Meisterstück an journalistischer Durchtriebenheit.

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Gegenstandpunkte zu Salomon – auch im "Kurier":

Korrekterweise muss man festhalten, dass jedenfalls bei diesem Thema (Asylwesen, Flüchtlingsproblematik) der "Kurier" insgesamt nicht mit der Einstellung seiner stellvertretenden Chefredakteurin gleichzusetzen ist. (Bei anderen, insbesondere, wirtschaftsnahen und innenpolitischen Themen fallen die Artikel hingegen weitaus stromlinienförmiger aus – egal, von wem sie verfasst wurden.)

Von Journalist/innen wie etwa Josef Votzi und Doris Knecht kamen in diversen Artikeln erkennbar humanere Äußerungen, als Salomon sie artikuliert. Das ist beileibe kein Grund für ein Loblied auf die Zeitung, soll aber auch nicht unerwähnt bleiben.

Zwei Beispiele seien herausgegriffen:

1.
Josef Votzi hat im Kurier vom 26. April 2015 (also drei Tage nach Salomons Pamphlet) einen Leitartikel veröffentlicht ("Flüchtlinge brauchen Gipfel der Gutwilligen"). Was er schreibt, liest sich teilweise wie das genaue Gegenstück zu Salomons Ausführungen. Vereinzelte Parallelen mag es zwar auch geben, etwa wenn er meint: "Öffnet Europa seine Grenzen uferlos, droht es politisch und sozial zu kippen." Natürlich wäre dieser Satz auch bei Votzi kritisch zu hinterfragen; aber man kann davon ausgehen, dass er von ihm jedenfalls in redlicher Absicht (und nicht als Teil einer ideologisch motivierten Stimmung- und Panikmache) geäußert wurde. Denn Votzis Gesamtbetrachtung des Themas, in deren Rahmen dieser Satz steht, ist eine gänzlich andere als jene Salomons oder etwa jene auf der Website von "Politically Incorrect". Ich denke nicht, dass Votzis Leitartikel mit den Äußerungen irgendeines Rechtspopulisten verwechslungsfähig wäre.

Hier einige Zitate aus dem Leitartikel, die das illustrieren:

"Hunderte Menschen versuchen noch immer fast täglich, von der libyschen Küste aus ins gelobte Land Europa überzusetzen. Daran haben auch die jüngsten Boots-Katastrophen mit über tausend Toten nichts geändert. Niemand flieht ohne Not, niemand lässt seine Heimat möglicherweise für immer aus Jux und Tollerei hinter sich."


"Die Vorstellung, dass Europa mit Flüchtlingen aus aller Welt überschwemmt werde, macht massiv Angst – und eine sachliche Debatte schwerer denn je. Wer nicht in den großen Chor jener einstimmt, die simpel skandieren 'Wir können doch nicht alle nehmen', wird mit aggressiven Mails überhäuft. Tenor: Wie viele Flüchtlinge sitzen eigentlich schon in Ihrem Wohnzimmer?"

"Die angstbeißerische Antwort 'Macht endlich alle Grenzen zu Wasser und zu Lande für illegale Migranten dicht' ist nicht nur unmenschlich, sondern auch ineffizient im Sinne ihrer Erfinder."

"[…] Anstoß für ein Gipfelgespräch der Gutwilligen im Flüchtlingsdrama […]: Wo und wie kann das reiche Österreich noch mehr für die vielen Verzweifelten rund um uns tun."

Das klingt deutlich menschlicher als Salomon.

2.
Zum Thema zu Wort gemeldet hat sich auch Niki Glattauer in seiner Kolumne "Schule und der Rest des Lebens" (Kurier vom 27. April 2015, Seite 17). Sprachlich-stilistisch ist das Ergebnis zwar (wie üblich) miserabel; und die Attitüde, alles krampfhaft auf lustig und pseudo-locker "rüberbrin­gen" zu müssen, nervt auch gewaltig (vor allem, wenn es um ein so ernstes Thema geht).

Aber – und so weit muss man die Dinge fairerweise trennen – von der Botschaft bzw. von der grundlegenden Einstellung her finde ich Glattauer bzw. seinen Kommentar wohltuend. (Mal abgesehen von der diskussions­würdigen Behauptung, dass das "heutige Europa […] ohne das Neue Testament nicht denkbar" sei. Doch diese religiöse Penetranz sei ihm in Anbetracht seiner sonstigen Ausführungen nachgesehen.)

Was (eher nebenbei) zu bemängeln ist: Er kritisiert die Berichterstattung des "Boulevards" und meint damit einseitig offenbar irgendeine Gratiszeitung (arg.: "wie gratis zu lesen war"). Was aber spätestens nach der Lektüre meines Blog-Artikels deutlich sein sollte: Seine Kritik lässt sich fast eins zu eins auf die Ausführungen "seiner eigenen" stellvertretenden Chef­redak­teurin übertragen.

Unter der treffenden Überschrift "Pharisäer" schreibt Glattauer unter anderem:

"Der [Anm.: der Teufel] trägt ja jetzt den Namen 'Schlepper'. Sauft sich an, raucht sich ein, casht, wie gratis zu lesen war, zuerst 185 Euro für eine Schwimmweste und pfercht dann sein für den 'Sklavenmarkt' bestimmtes Opfer ins Unterdeck, auf dass es bei der absichtlich herbeigeführten Havarie gar nicht irrtümlich überleben kann. So gesehen verantwortet also der 'Schlepper' die 'Tragödie im Mittelmeer', mafiös und bös’, wie er dem Wesen nach ist. Zum Glück, oder besser: gottlob hat ihn der Boulevard enttarnt, sonst müssten wir von einer 'Naturkatastrophe Mittelmeer' sprechen. Und natürlich trägt der Sklave selbst ein gehöriges Maß an Mitschuld, wenn er nicht bleiben will, wo der liebe Gott ihn hingestellt hat, oder sich wenigstens in einem nahe gelegenen Lager (am besten Sahara) für Europa anstellen, schon gar, wenn er nicht einmal schwimmen kann. Außerdem, wo kämen wir hin, wenn wir diese zig Millionen […] aufnehmen würden? Immerhin gelte es ja, das 'europäische Wertesystem' zu erhalten..."


"Das heutige Europa, erkläre ich meinen Schülern, ist ohne das Neue Testament nicht denkbar und dieses nicht ohne Jesus von Nazareth. Wofür, frage ich meine Schüler, würde er eurer Meinung nach eintreten: für das bedingungslose Retten jedes einzelnen Menschen in Not, egal, unter welchen Umständen? Oder für Auffanglager, Drohnen gegen verdächtige Fischerboote und das Grenzschutzprogramm der EU? Was glaubt ihr, wofür er – und wofür die Pharisäer?"