Dienstag, 5. Januar 2016

Ein freiheitsliebender Gastronom

Was unsere Zeit und unsere Gesellschaft in erschreckender Weise prägt, das ist ein schamloser Missbrauch bzw. eine skrupellose Verdrehung und Entstellung des Begriffs "Freiheit".

Zwei anschauliche Beispiel dafür finden sich (wieder einmal) in der Tageszeitung "Kurier". In der Ausgabe vom 2. Jänner 2016 hat der "Star-Gastronom" Toni Mörwald in einem ganzseitigen Interview (mit Andrea Hodoschek) Gelegenheit, seine dreisten Ansichten über den (vermeintlich) schikanösen Staat und die (vermeintlich) fehlende Freiheit der Unter­nehmer auszubreiten. Den lächerlich-unterwürfigen Applaus dazu liefert der unsägliche Kurier-Redakteur Guido Tartarotti in der Spaßkolumne auf Seite 1 der Zeitung.
 
Zum Thema Freiheit sagt Mörwald zum Beispiel:

"Die Vielzahl an Einschränkungen macht die Menschen müde und nimmt ihnen den Spaß und die Freiheit."

Er meint damit natürlich nicht die Freiheit seines Personals – die ist ihm nämlich reichlich egal, wie ich weiter unten noch belegen werde. Was Mörwald stört, sind die "vielen Auflagen" bzw. die "Verwaltungsarbeiten", mit denen er und seine bedauernswerten Unternehmerkollegen belastet sind. Konkret nennt er Folgendes:

"Man muss täglich sogar die Kühltemperatur aufschreiben, dazu kommen die Zeitaufzeichnungen für die Mitarbeiter etc."

Und natürlich stört ihn das Rauchverbot in der Gastronomie (das ohnedies erst ab Mitte 2018 konsequent existieren wird):

"Das ist überhaupt paranoid. Es wird wegen der Mitarbeiter eingeführt, die selbst oft am meisten rauchen."

An keiner der drei von Mörwald konkret beklagten Vorschriften ist für einen auch nur einigermaßen verantwortungsvoll denkenden Menschen etwas zu beanstanden:

Dass in der Gastronomie bestimmte Kühltemperaturen einzuhalten sind, steht wohl aus Gründen des Gesundheitsschutzes außer Frage – damit aber auch die Sinnhaftigkeit der Verpflichtung, dies dokumentieren und behördlicherseits kontrollieren lassen zu müssen.

Die "Zeitaufzeichnungen für die Mitarbeiter": Die sind dem "Star-Gastronomen" natürlich ganz besonders lästig: hindern sie ihn doch in seiner "Freiheit", die Mitarbeiter/innen nach Belieben ausnützen zu können. (Mehr dazu unten.) Entsprechend wehleidig äußert er sich auch im Interview, wo er meint:

"Und wer die zehnstündige Gesamtarbeitszeit um sechs Minuten überzieht, kriegt ein Strafmandat."

Ja, und? Da drängt sich eine Gegenfrage auf: Wie würde Herr Mörwald mit einem Koch, Kellner oder sonstigem Personal verfahren, wenn der oder die Betreffende um sechs Minuten früher Feierabend macht, als vom Chef verordnet wurde?

Und ein Rauchverbot in der Gastronomie ist – so wie an allen anderen Arbeitsplätzen – eben gerade schon allein aus Gründen des Gesund­heits­schutzes des Personals ohne Wenn und Aber richtig und notwendig. Das Pseudoargument Mörwalds, dass die Mitarbeiter oft selbst am meisten rauchen würden, beweist nur die Rücksichtslosigkeit dieses Herren: Jene Beschäftigten, die nicht (oder wenig) rauchen, sind ihm egal. Die müssten den Qualm eben akzeptieren, wenn sie dafür die Ehre haben, im sogenannten "Gastro-Imperium" des Herrn Mörwald dienen zu dürfen. 

Mörwald erfrecht sich sogar zu folgender Einschätzung:

"Verbote sind gesellschaftspolitisch schlecht, weil sie ausgrenzen und abgrenzen und die Welt noch nie verbessert haben. […] Wo Freiraum ist, entstehen neue Geschäftsideen und neue Jobs. Die Hälfte der Gesetze und Vorschriften gehört in den Mistkübel."

Er wünscht sich also – wie so viele seiner Gesinnungsgenossen in Wirtschaft, Medien und Politik – einen Staat, in dem die Unternehmer möglichst hemmungslos herumfuhrwerken können. "Freiraum" heißt das im neoliberalen Newspeak.

Neben den bürokratischen Auflagen beklagt sich Herr Mörwald natürlich erwartungsgemäß auch über die Höhe der Abgaben:

"Wenn jemand [als Lohn] 2000 Euro netto im Monat verdient, kostet das den Unternehmer 4666 Euro. Abgaben und Steuern sind höher als das, was der Arbeitnehmer bekommt. Da soll Arbeit noch Spaß machen?"

Ob er mit dieser rhetorischen Frage seine eigene Arbeit oder die seiner Beschäftigten meint, bleibt an dieser Stelle unklar. Vermisst er den Spaß an der Arbeit bei seinem Personal, so ist es ein bodenloser Zynismus (Näheres wiederum unten); meint er fehlenden eigenen Spaß an der Arbeit, dann ist er ein Heuchler.

Denn gar so unattraktiv (und unrentabel) kann seine Tätigkeit nicht sein, wenn man sich nur durchliest, wie der Kurier (in Ergänzung zu dem Interview) Mörwalds Werdegang beschreibt:

1989 Übernahme des elterlichen Gasthauses in einer niederöster­reichi­schen Ortschaft; danach Haubenkoch und Aufbau eines "Gastro-Imperiums" mit 150 Mitarbeitern mit diversen Restaurants und Hotels, zu denen im Mai 2016 ein weiteres dazukommt. Außerdem Betrieb eines Catering-Service, einer Kochakademie, eines Delikatessen­geschäfts in der Wiener Innenstadt und anderes mehr.

Das ist also der Hintergrund eines Unternehmers, der sich scheinheilig darüber beklagt, durch die vielen Einschränkungen und Vorschriften sowie die hohen Abgaben in seinem Entfaltungsdrang und seiner "Freiheit" gehemmt zu werden. So groß können die Hindernisse nicht gewesen sein, wenn er das alles – letztlich durch die Ausnützung der Arbeitskraft seiner Beschäftigten – aufbauen konnte und sein Eigen nennen darf. "Was will er eigentlich noch?" möchte man sich (und ihn) fragen, wenn man liest, was ihm alles gehört. Aber Raffgier im Kapitalismus kennt halt keine Grenzen.

Und damit kommen wir zum Umgang des über die Freiheit dozierenden Unternehmers mit seinem Personal. Als ich den Namen Mörwald las, erinnerte ich mich dunkel, dass mir (und nicht nur mir) dieser Herr doch schon früher einmal unangenehm aufgefallen war. Und mein Archiv bestätigte diese Ahnung.

Der ORF berichtete auf seiner Internet-Seite bereits vor etwas mehr als 10 Jahren darüber, dass Mörwald von Arbeiterkammer und Gewerkschaft wegen des Umgangs mit seinem Personal massiv kritisiert wurde. Konkret hieß es dabei in zwei Artikeln vom 13. Mai 2005 auf orf.at:

«"Ein guter Koch muss kein guter Chef sein, doch was sich im eleganten Fein­schmecker-Imperium des Toni Mörwald abspielt, gehört endlich abgestellt", geht AK-Niederösterreich-Präsident Josef Staudinger auf Grund der zahlreichen Verstöße gegen das Kinder- und Jugendbeschäfti­gungs­gesetz (KJBG) mit Mörwald hart ins Gericht.

Das Arbeitsinspektorat Krems erstattete gegen den Haubenkoch zum wiederholten Male Strafanzeige wegen Verletzung des KJBG. Der Arbeitsinspektor sei seit Jahren Stammgast beim niederösterreichischen Starkoch, heißt es in der Aussendung.

Demnach tauchte am Dienstag ein neuer Fall auf: Eine Küchenhilfe wurde für zwei Tage eingestellt, Lohn wurde nach vier Wochen noch immer nicht bezahlt.

"Im Rahmen der Begehungen nach dem Berufsausbildungsgesetz wurden häufig und über einen langen Zeitraum immer wieder auftretende Übertretungen des KJBG fest­gestellt", so AK-Arbeitsrechts- und
-Jugend­schutzexperte Markus Schön am Mittwoch.

Erste Übertretungen stellten die Behörden bereits 1995 fest. Der wiederholten Aufforderung der Behörde, "insbesondere den Regelungen der Sonntagsarbeit" für Jugendliche zu entsprechen, folgten weitere Gesetzesverletzungen.

"Uns liegen Aufzeichnungen vor, wonach ein Lehrling an einem Samstag von 10.00 bis Sonntag um 2.30 Uhr Früh gearbeitet hat. Dazwischen hatte er eine Verschnaufpause von zwei Stunden 15 Minuten. Die
Arbeits­zeit­blät­ter kennen keinen 24-Stunden-Tag, deshalb steht bei diesem 16-jährigen Buben 26.30 Uhr als Arbeitsende", berichtet Schön.

Einer 33-jährigen Servicekraft im Restaurant Fontana in Oberwaltersdorf erging es nach eigenen Angaben folgendermaßen: "Ich habe 81,5 Mehrstunden und 58 Überstunden ge­­leistet, aber nicht ausbezahlt erhalten. Ich erlitt auf Grund Überlastungen nach 80-Stun­den-Wochen einen körperlichen und nervlichen Zusammenbruch. Es war ver­einbart, dass ich diese Stunden nach Saisonende als Zeitausgleich konsumieren sollte. Dass es wegen meines Zusammenbruchs nicht dazu kam, dafür kann ich nichts. Da ich als allein erziehende Mutter diese Stunden nicht verschenken kann, hätte ich mir wenig­stens erwartet, dass mir der Dienstgeber diese Stunden ausbezahlt."

In der AK Niederösterreich wurden laut Staudinger in letzter Zeit über 30 arbeitsrechtliche Vertretungen für Mörwald-Beschäftigte übernommen.

[...]

Mörwald verteidigt sich
"Das Arbeitszeitgesetz im österreichischen Tourismus ist überholt. Hin und wieder müssen wir Grenzen überschreiten", zitiert [Anm.: damals] der "Kurier" (Mittwoch-Ausgabe) den Starkoch. Lehrlingsarbeitszeiten von zwölf oder 15 Stunden könnten "schon einmal vorkommen". Für Mörwald ist laut der Tageszeitung "ein höherer Grad an Flexibilität notwendig"
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[...]

«"Jugendliche im Hotel- und Gastgewerbe sind weder Sklaven noch Roboter", so Rudolf Kaske, Vorsitzender der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst.

"Wenn der Starkoch vor Wut kocht, weil ihm nicht erlaubt ist, seine Lehrlinge zwölf bis 15 Stunden arbeiten zu lassen - also fast das Doppelte der Normalarbeitszeit -, braucht man sich nicht fragen, warum das Hotel- und Gastgewerbe die einzige Branche in Österreich ist, in der es eine Vielzahl offener Lehrstellen gibt", so Kaske.

[...]

Die Gesundheit der Jugendlichen müsse über angeblichen betrieblichen Erfordernissen stehen. "Wenn es nach Mörwald ginge, stünden die Lehrlinge zuerst 15 Stunden in der heißen Küche, um dann am nächsten Tag gleich wieder beim Frühstück eingesetzt zu werden."»

Was ersieht man aus all dem? Vor allem zweierlei:

- Auf welche Weise (und durch wessen Arbeitsleistungen) beispielsweise ein "Gastro-Imperium" aufgebaut wird.

- Was davon zu halten ist, wenn Herr Mörwald Sätze wie die bereits oben zitierten spricht:

"Wo Freiraum ist, entstehen neue Geschäftsideen und neue Jobs. Die Hälfte der Gesetze und Vorschriften gehört in den Mistkübel."

"Die Vielzahl an Einschränkungen macht die Menschen müde und nimmt ihnen den Spaß und die Freiheit."

Wie Guido Tartarotti die Aussprüche Mörwalds dankbar aufgreift, das ist einen eigenen Blog-Eintrag wert: Verkehrsampeln - und ihre Folgen.