Samstag, 5. Mai 2018

In der Pubertät stecken geblieben

Heute geht es um Guido Tartarotti und Michael Niavarani.

Beide sind leider nur allzu präsent: Ersterer als regelmäßiger Gute-Laune-Schreiber im "Kurier" – sei es auf Seite 1, sei es auf der vorletzten Seite mit einer (vorgeblichen) Fernsehkritik. (An schlimmen Tagen liest man von ihm sogar an beiden Stellen.) Und der Andere ist ein Kabarettist mit penetranter Anwesenheit in den Medien. Derzeit wird etwa das Fernsehprogramm von ORF III mit seinen diversen Auftritten zugepflastert (also jener Sender, der sich – teilweise durchaus zu Recht – "Kultur und Information" auf die Fahnen geheftet hat).

Zufällig (und wahrlich unbeabsichtigt) bin ich auf besagtem ORF III vor wenigen Tagen in eine Aufzeichnung eines solchen Niavarani-Kaba­rett­programms geraten. Ich wäre ja prinzipiell bereit, mir einmal eine solche Sendung komplett anzuschauen, aber ich schaffe es nicht: Nach längstens 5 Minuten bin ich so angewidert vom Brachial-, Vulgär- und Fäkal-"Humor" dieses (wie auch diverser anderer) Kabarettisten samt seinem sich darüber zwar königlich, aber gerade deshalb so unendlich anspruchslos-debil ver­gnü­gendem Saalpublikum, dass ich abschalten muss. Wobei "angewidert" vielleicht nicht ganz der passende Ausdruck ist: Angewidert bin ich zwar zweifellos auch, aber das wäre nicht unbedingt ein Hindernis, eine solche Sendung in voller Länge durchzustehen. Es ist mehr ein Gefühl der Art: "Das habe ich nicht notwendig – mir etwas derart Niveauloses zuzumuten bzw. zumuten zu lassen." Deshalb reichen bei einschlägigen Kabarettprogrammen die erwähnten maximalen 5 Minuten. Ich bin nicht daran interessiert, eine Stunde oder mehr an Primitivität und Banalität in Kauf nehmen zu müssen, um allenfalls in den Genuss von ein oder zwei tatsächlich witzigen oder geistvollen Bemerkungen zu kommen.

Im Kurier vom 2. Mai äußert sich nun Tartarotti ganz beglückt über Nia­va­rani. Das ist auch nicht weiter verwunderlich. Ich wäre jede Wette ein­ge­gangen, dass er ihn schätzt. Denn die beiden sind ja wahrlich Geis­tes­verwandte in Sachen Humor. Wobei im gegebenen Zusammenhang die Aus­drücke "Geist" und "Humor" komplett deplatziert sind – aber der Einfachheit halber formuliere ich es halt so. (Was diesbezüglich von Tartarotti zu halten ist, habe ich bereits vor längerer Zeit unter dem Titel Toiletten-Jour­nalismus ausführlich beschrieben. Es hat nichts von seiner Gültigkeit verloren.)

Die Überschrift in Tartarottis Fernsehkolumne lautete am 2. Mai: "Lustig und gescheit".

Und das meint er sogar ernst, wie sich nach Lektüre des Texts herausstellt. Schon im ersten Absatz ist Tartarotti ganz begeistert:

"Die derzeitigen Niavarani-Festspiele zum 50. Geburtstag haben wirklich erfreuliche Auswirkungen: Sie spielen jede Menge hervorragende Dinge ins oft so öde TV-Pro­gramm."

Dazu verweist Tartarotti auf die Ausstrahlung eines Niavarani-Kabaretts aus 2009 und auf "viele spannende und lustige Interviews".

Nun habe ich all diese wunderbaren Dinge aus zuvor erwähntem Grund nicht gesehen. Das gebe ich zu. Aber was da so an Spannendem und Lustigem präsentiert wurde, dafür liefert Tartarotti in seiner Kolumne zwei konkrete Beispiele – und die genügen mir (so wie der 5-Minuten-Konsum der ein­schlä­gigen Programme).

Das erste von Tartarotti zitierte Beispiel soll offenbar für das Spannende bzw. Gescheite stehen, ist reichlich uninteressant, sei aber zur Illustration dennoch erwähnt. Demnach soll Niavarani gesagt haben (Auslassungs­punkte in Klammer stehen in der Wiedergabe durch Tartarotti):

"Ich bin aus der Schule gegangen, weil ich nie wissen wollte, wie etwas passiert, sondern warum es passiert. (…) Die Atome des Universums haben sich zu einem Hirn zusammen gefügt, um über sich selbst nach­zu­denken. Das Universum denkt in unseren Hirnen über sich selber nach. Das ist meine Religion."

Tartarotti meint tatsächlich, dass Niavarani damit etwas "über seine Le­bens­philosophie" (!) zum Ausdruck gebracht habe. Nun ja. Die geistigen Dimensionen müssen schon ziemlich bescheiden sein, wenn man derartigen Unsinn für eine "Lebensphilosophie" hält. Ich habe ja sowieso den Eindruck, Niavarani hat sich damit in irgendeinem Interview mit seinem Gegenüber bewusst einen Scherz erlaubt (auf den Tartarotti prompt hereingefallen sein dürfte, indem er diese Aussagen zu einer "Lebensphilosophie" adelt).

Niavarani und Tartarotti mögen weiterhin das Universum in ihren Hirnen nachdenken lassen; ich bevorzuge es, mit meinem Hirn selbst nachzudenken und mir deshalb jetzt auch eine Meinung darüber zu bilden, was N & T lustig finden. Das "Gescheite" und das "Spannende" haben wir ja in Form der das Hirn bildenden Atome des Universums soeben kennengelernt.

Tartarotti würdigt also mit einem zweiten Zitat Niavaranis dessen "Freude am derben Humor". Der große Denker wird von Tartarotti folgendermaßen wiedergegeben (Auslassungspunkte wieder aus dem Kurier-Originaltext):

"Zum Wienersein gehört einfach dazu, auch einmal Oasch zu sagen. (…) Ich bekam einmal einen Brief einer Hofratswitwe: Warum müssen Sie immer so ordinär sein? Ich habe geantwortet: Liebe, gnädige Frau, bitte scheißen Sie sich nicht an …"

Man hört sie geradezu lachen, all die Tartarotti-Klone im Publikum, wenn Niavarani ein solches G'schichterl in einem seiner Programme auftischt. (Ja, ich meine genau die Leute von vorhin, die "sich zwar königlich, aber gerade deshalb so unendlich anspruchslos-debil vergnügen".)

Was das Wienersein betrifft: Mag sein, dass es ihm eigen ist, "auch einmal Oasch zu sagen". Ich habe gegen die Verwendung des Ausdrucks im Prinzip auch gar nichts einzuwenden und finde sogar, dass er vielen Menschen als Bezeichnung ausdrücklich gebührt.

Das alles heißt aber noch lange nicht, dass ein solches Vokabular (noch dazu gleich­sam als Selbstzweck) in Kabarettprogramme bzw. in weiterer Folge in Zeitungs­kolumnen Eingang finden muss. Dazu besteht weder in faktischer Hinsicht eine Not­wendigkeit. (Wozu muss ich von Bühne und Medien mit dem konfrontiert werden, was ich – jedenfalls in Wien – ohne­dies auch jederzeit authentisch auf der Straße hören kann?) Und schon gar nicht entspricht es – sei es auch noch so niedrig angesetzten – Qualitäts­standards für Unterhaltungsprogramme oder Zeitungsartikel. (Aber da bin ich zugegebenermaßen selber schuld, wenn ich hierzulande noch von Qualitätsstandards zu träumen wage.)

Wesentlicher ist allerdings ohnehin die angeschlossene Anekdote über die angebliche Korrespondenz mit der Hofratswitwe. Zunächst bezweifle ich, dass sich diese Geschichte überhaupt abgespielt hat: Der in ihr enthaltene "Witz" ist nicht neu (auch wenn Tartarotti ihn in seiner Naivität anscheinend für eine Niavarani-Schöpfung hält). Er ist in diversen Varianten immer wieder erzählt (bzw. gespielt) worden. Originell war Niavarani damit also jedenfalls nicht. Und dass die Briefschreiberin eine Hofratswitwe gewesen sein soll (oh Gott, was für ein banales Klischee), das hat sie Niavarani mitgeteilt? Wie darf man sich das vorstellen? Hat die geschrieben: "Sehr geehrter Herr Niavarani, ich bin Hofratswitwe. Bitte sind Sie nicht immer so ordinär!" (?)

Kurzum: Ich gehe davon aus, dass Niavarani hier "fake news" erzählte (um mich modern auszudrücken). Oder anders gesagt: Er verarschte mit der Geschichte sein Publikum (um das von N & T bevorzugte Idiom zu verwen­den).

Aber halten wir das Erzählte dennoch für wahr – um es nämlich auf seinen Gehalt an Humor prüfen zu können. Für mich ist da keiner (kein Gehalt, kein Humor):

Einen (unbekannten) Menschen (wie diese angebliche Hofratswitwe), welcher offenbar höflich und dezent sein Missfallen über die (ordinäre) Aus­drucks­weise brieflich mitteilt, gezielt dadurch vor den Kopf zu stoßen, dass man ihm sogar persönlich eine solche Ausdrucksweise entgegenschleudert – grund­los, mutwillig und zum alleinigen Zweck, diesen Menschen zu belei­digen (zu brüskieren, zu schockieren, …) und genau damit sich selbst (und sein einfältiges Publikum) zu amüsieren:

Das ist für mich kein "derber Humor" und auch sonst in keiner Weise lustig. Es ist als "Witz" einfach primitiv, vulgär, banal, und es ist in der Sache schäbig. Es entspricht bestenfalls den Späßchen pubertierender Jugend­li­cher.

Niavarani und Tartarotti sind übrigens heuer beide 50.