Samstag, 11. August 2012

Arbeiten

Mit dem Arbeiten (im Sinne von: Ausübung einer Tätigkeit zur Sicherung des Lebens­unterhalts) ist das überhaupt so eine Sache:

                                                     A)

Rufen wir uns einerseits noch einmal in Erinnerung, was da gestern so in der Barbara-Karlich-Show zu hören war:

Die Stellungnahme der leistungsorientierten Vertriebsmanagerin (siehe schon meinen gestrigen Eintrag unter dem Titel "Systemtrottel"):

  • "[...] ich würd' ganz sicher runtersteigen und so ziemlich jede Arbeit annehmen. Weil ich will arbeiten."  (+ zustimmendem Applaus des Studiopublikums)

Oder auch der Kommentar des 30-jährigen Monteurs, der täglich 150 Kilometer pendelt, weil es ihm in seiner Firma so "taugt". Auf die Frage der Moderatorin, warum er es sich nicht leisten könnte, "in die Arbeitslose zu gehen", war er wenigstens so realistisch, (an zweiter Stelle) den finanziellen Aspekt als wesentlichen Motivationsfaktor zu erwähnen. Noch davor führte er aber Folgendes ins Treffen:
 
  • "Es is' natürlich einmal schön, in der Früh aufzustehen und zu wissen, was man macht. Schon allein auch dieses Gefühl, gebraucht zu werden. Man hat irgendwo seinen Platz auf dieser Welt. Das is' natürlich einmal irrsinnig – für mich persönlich – wertvoll."

Und sein Vorwurf an den 48-Jährigen Arbeitslosen:
 
  • "Generell denk' ich dann aber doch auch so, dass in Österreich wir da vielleicht oft zu human sind. [Der] Grund für Arbeitslosigkeit ist tatsächlich individuell. Es gibt genug Leute, die für ihre Arbeitslosigkeit nichts können. Wenn ich dann aber höre: 2½ Jahre, dann kann das für mich net sein. Das ist dann schon zu lang. […] All das, was ich von dir gehört habe, das sind für mich eigentlich nur Rechtfertigungen für dein Gewissen – sprich: Ausreden. […] Du bist weder flexibel noch belastbar – so wie ich das mitkriegt hab'. Und ich find's eigentlich schade, weil du bist doch erst 48; wir Männer sollten bis 64 [gemeint wohl: 65] arbeiten gehen. Das heißt: da wären noch ein paar Jahre."

Ähnlich die Ratschläge der toughen Vertriebsmanagerin auf die Frage der Moderatorin, wo sich der 48-Jährige (mit HAK-Ausbildung [ohne Matura-Abschluss] und früherer Tätigkeit als "Büro-Allrounder") denn bewerben solle:
  • "Es gibt viele Möglichkeiten. […] Natürlich eben halt wahrscheinlich nicht jetzt unbedingt im Sekretariat."

Auf dieses allgemeine Blabla kommt die Nachfrage der Moderatorin, wo Personal gesucht werde. Die Antwort der Vertriebsmanagerin:
 
  • "Lagerarbeiter zum Beispiel, Staplerfahrer. Es werden Staplerfahrer gesucht."

(Ein leichtes Raunen geht durch das Publikum, weil offensichtlich ist, dass sich der Betreffende wohl kaum als Staplerfahrer eignen würde. Auch ihm selbst ist diese Idee unbehaglich.)

Und weil eine Tätigkeit im Gastgewerbe als Kellner nach seiner eigenen Aussage aufgrund seiner Ungeschicklichkeit nicht in Frage komme, rät ihm die Vertriebs­managerin mit einem zynischen Grinsen:
 
  • "Küche … Küche, Abwaschen. Also in der Gastronomie werden mit Sicherheit auch viele Leute gesucht; und da wird mit Sicherheit genug Personal gesucht. Hört ma immer wieder."

                                                    B)

Und dem stellen wir gegenüber, was Nikos Dimou einmal in seinem Blog über seinen Neffen geschrieben hat:
(Eintrag vom 27. Mai 2006: http://nikosdimou.blogspot.co.at/2006/05/blog-post_07.html)
 
  • "Σε δύο χρόνια ο ανεψιός μου ήταν ένας από τους δέκα χιλιάδες Microsoft Millionaires. Σε δεκαπέντε χρόνια, έχοντας κερδίσει πολλαπλάσια από ότι εγώ σε πενήντα, αποσύρθηκε και ασχολείται full time με το χόμπι του – την χαρακτική."
=
  • "Innerhalb von 2 Jahren war mein Neffe einer der zehntausend Microsoft-Millionäre. Innerhalb von 15 Jahren, nachdem er ein Vielfaches dessen verdient hatte wie ich in 50 [Jahren], zog er sich zurück und beschäftigt sich in Vollzeit mit seinem Hobby – der Gravierkunst."    [Übersetzung von mir]

[Ergänzend sei dazu angemerkt, dass auch Nikos Dimou nach eigener Aussage nicht gerade schlecht verdient hatte, insbesondere während seiner Tätigkeit in der Werbebranche. – Siehe etwa gleichfalls eine Bemerkung von ihm in seinem Blog:
"Να διευκρινίσω ότι δεν έχω Porsche - είχα πριν τριάντα χρόνια όταν είχα και εταιρία (που την συντηρούσε). Το 83 έφυγα από τις επιχειρήσεις - δεν συντηρείται Porsche με το γράψιμο."]

                                                    C)

Aus der Gegenüberstellung von A und B ergeben sich für jeden logisch und kritisch denkenden Menschen ganz automatisch eine Vielzahl von Fragen, zum Beispiel folgende:
  • Wenn Männer bis 65 arbeiten gehen sollten (wie der eifrige Monteur im Einklang mit dem Gesetzgeber meint) – wieso sind dann bei manchen 15 Jahre genug (oder überhaupt nur 2 Jahre, wenn die Betreffenden "bescheiden" sind und sich mit einem "einfachen" Millionärsdasein begnügen)?
  • Ist dieser Microsoft-Millionär auch als "arbeitsscheu" einzustufen?
  • Hängt es tatsächlich an der Ausübung einer (Erwerbs-)Arbeit, dass man das Gefühl hat, "gebraucht zu werden" bzw. "irgendwo seinen Platz auf dieser Welt" zu haben (wie das der Monteur empfindet), oder kann man nicht zum Beispiel auch mit einem Vollzeit-Hobby seine Erfüllung finden?
  • Kann ein (gesellschaftliches / wirtschaftliches / politisches) System auch nur als annähernd gerecht bezeichnet werden, wenn es
1. jemandem ermöglicht, in 15 Jahren ein Vielfaches dessen zu verdienen, was ein Anderer in 50 Jahren schaffte (wobei das – wie erwähnt – auch bei Letzterem nicht gerade wenig gewesen sein wird),
und
2. den Microsoft-Millionären (= den Reichen) so viel belässt, dass die (öffentlichen) Mittel dazu fehlen, jenen ein Auskommen zu sichern, die es nicht schaffen, einen ihren Kenntnissen, Fähigkeiten und (wenigstens einigermaßen) ihren Interessen angemessenen Job zu finden?