Freitag, 10. August 2012

Systemtrottel



 






    

 


Der Ausdruck "Systemtrottel" gefällt mir, weil er sehr bezeichnend ist. Ich bin durch zwei Publikationen auf ihn gestoßen:

Vor einigen Tagen habe ich das Büchlein "Das Ende der Wut" von Roland Düringer, Eugen Maria Schulak und Rahim Taghizadegan gelesen; jetzt bin ich beim Vorgänger­buch Schulaks und Taghizadegans: "Vom Systemtrottel zum Wutbürger".

Der etwas flapsige Stil ist zwar nicht so ganz mein Geschmack, und bei diversen inhaltlichen Details bin auch anderer Meinung: etwa wenn im "Ende der Wut" auf Seite 27 die Sinnhaftigkeit bzw. gar die Notwendigkeit eines staatlichen Pensionsversicherungssystems angezweifelt wird; oder bei den diffusen Ausführungen auf Seite 51 ff. im Systemtrottel-Buch zum Thema Sicherheit, die für mich den Eindruck erwecken, dass die Autoren die Schutzfunktion des Staates überhaupt für überflüssig halten und auch dessen Gewaltmonopol – womöglich gar zugunsten des freien Waffen-besitzes für alle?? – abgeschafft wissen wollen. (Vielleicht missverstehe ich da ja etwas, aber das liegt dann an der ironischen Schreibweise der beiden Herren, die nicht klar erkennen lässt, was ihnen konkret nicht passt und in welcher Weise sie das gern geändert hätten.)

Dessen ungeachtet sind einige grundsätzliche Überlegungen, die in den Büchern zum Ausdruck kommen, mit meinen eigenen sehr verwandt. (Mit dem Vorbehalt, dass ich das Systemtrottel-Buch noch nicht zu Ende gelesen habe.)

Den gewissen Optimismus der Autoren, dass sich die Systemtrottel aus dem Hamsterrad befreien könnten (bzw. wollten), vermag ich aber leider nicht zu teilen.

Es ernüchtert, wenn zum Beispiel heute im österreichischen Fernsehen in der Barbara-Karlich-Show (zum Thema Arbeitslosigkeit/Arbeitsscheu) ein 30-jähriger Monteur Folgendes meint:

  • "Ich denk ma: G'rad in der heutigen Zeit, ma sollte flexibel sein, man sollte auch in Kauf nehmen … Ich bin zum Beispiel selbst ein Pendler, ich pendle jeden Tag 150 Kilometer zu meinem Arbeits-platz. Und das is es mir aber auch wert. Also, ich werd' oft g'fragt: 'Warum tust dir dieses an und jenes?' Aber ich fühle mich zum Beispiel in meiner Firma wohl. Mir taugt's dort. Und darum sind für mich die 150 Kilometer kein Problem."

An Leuten mit einem solchen Arbeitsethos hat das kapitalistische System natürlich seine Freude.

Und ebenso an Menschen vom Typ einer – sich betont als dynamisch und erfolgsbewusst gebenden – 50-jährigen "Vertriebsmanagerin" (laut Programminformation im Internet vermittelt sie Arbeitskräfte in einer Personalleasingfirma). Sie beteuert in derselben Fernsehsendung, dass sie sich im Fall ihrer eigenen Arbeitslosigkeit wie folgt verhalten würde:
 
  • "Ganz ehrlich, ich würde natürlich zuerst versuchen, in meiner Branche was zu finden – nur: niemals 2½ Jahre lang [das ist der Seitenhieb auf den neben ihr sitzenden Mann, der über diesen Zeitraum arbeitslos ist]; und ich würd' ganz sicher runtersteigen und so ziemlich jede Arbeit annehmen. Weil ich will arbeiten."

An dieser Stelle setzt dann heftiger Applaus des Studiopublikums ein.

Und angesichts von Menschen mit einer solchen Mentalität (zur Selbst-erniedrigung und Selbstausbeutung – noch dazu zum Nutzen Dritter, näm- lich des Arbeitgebers) soll sich etwas ändern – hin zum Gerechteren, Humaneren, Menschenwürdigeren? Mir fehlt der Optimismus, an so etwas zu glauben.