Samstag, 23. Februar 2013

Haneke und Miss World

Ein Text, den ich anderswo schon im Dezember 2009 geschrieben hatte und den ich aus gegebenem Anlass – den bevorstehenden Oscar-Verleihungen in Kombination mit der Nominierung des Haneke-Films "Amour" – wieder hervorhole:

Haneke hat laut Medienberichten wieder einen Preis für seinen Film "Das weiße Band" bekommen. Oder eigentlich sind es mehrere: Preise der Europäischen Filmakademie für den besten Film, die beste Regie und das beste Drehbuch.

Und in Johannesburg wurde die "Miss World 2009" gekürt, die sich "gegen ihre Konkurrentinnen aus 111 anderen Staaten durchgesetzt" haben soll. Sie gilt damit jetzt als "schönste Frau der Welt". (Natürlich mit "Ablaufdatum": nur bis zur Wahl der nächsten Miss World; irgendwann in einem Jahr, nehme ich an.)

Die beiden Ereignisse haben durchaus etwas gemeinsam.

Für mich stellen sich bei solchen Preisverleihungen bzw. Auszeichnungen nämlich immer zwei Fragen:

1. Wer sitzt eigentlich in all diesen Komitees und Jurys, die bestimmen, wer "der Beste", "die Schönste" usw. ist? In den meisten Fällen wissen wir es gar nicht. Dennoch lassen wir uns deren Entscheidungen üblicherweise als Kriterium dafür verkaufen, dass die jeweilige Person oder das jeweilige Produkt tatsächlich so außergewöhnlich sei, wie es die Auszeichnung verheißt. (Ausnahmen gibt es zwar, aber die sind selten: etwa neulich die [meines Erachtens völlig gerechtfertigte] Kritik über die Vergabe des Friedensnobelpreises an Obama.)

Haneke ist gut, sogar sehr gut das bezweifle ich nicht. Nur fand ich das auch schon, bevor er mit Preisen für "Das weiße Band" (bzw. bereits für frühere Filme) bedacht wurde.

Für mich wird er nicht (erst) dadurch zu einem großen Regisseur (und vor allem auch Drehbuchautor!), dass er irgendwelche Preise bekommt (von deren Existenz ich bisher teilweise nicht einmal etwas wusste).

Umgekehrt gilt: Wenn ich mit einem Werk nichts anfangen kann, wird es für mich nicht deshalb "besser", weil ihr/e Schöpfer/in dafür einen – sei es auch noch so renommierten – Preis bekommt. Beispiel: die seinerzeitige Verleihung des Literaturnobelpreises an Elfriede Jelinek. Ich schätze Jelinek als Persönlichkeit außerordentlich – und insofern "gönne" ich ihr auch den Literaturnobelpreis. Aber ihre Werke (sei es die Prosa, seien es die Theaterstücke) sagen mir überhaupt nichts. Ich bin da ganz einer Meinung mit Marcel Reich-Ranicki, der aus Anlass der Nobelpreisverleihung über Jelinek gemeint haben soll: "Meine Bewunderung für ihr Werk hält sich in Grenzen. Meine Sympathie für ihren Mut, ihre Radikalität, ihre Entschlossenheit und ihre Wut ist enorm."

In künstlerischen und ästhetischen Fragen bin ich mir gern mein eigener Richter: Da brauche ich niemanden, der mir als vermeintlich fachkundige Jury sagt, welche/r Autor/in am meisten lesenswert, welcher Film am besten oder welche Frau am schönsten ist. ;-)

2. Außerdem frage ich mich:
Was ist mit all jenen (Personen, Werken), die es nicht einmal in die Vorauswahl für eine Preis- oder Titelverleihung schaffen oder dort ausscheiden? Sind die wirklich alle um so viel schlechter als die Kandi-dat/innen bzw. als die Träger/innen des Preises (oder eines allfälligen zweiten und dritten Preises)?

Bei den Misswahlen wird das am deutlichsten:
Mehr als 3 Milliarden Frauen gibt es auf der Welt. Davon sollen gerade jene 112 die schönsten sein, die in die Vorentscheidung über die "Miss World" gekommen sind – und das noch dazu schematisch aufgeteilt nach Nationalitäten?

Also allein schon das "Aussieben" der Personen oder Werke, die es in die engere Wahl für irgendeine Auszeichnung schaffen, engt die Auswahlmöglichkeiten für die Kür des oder der "Besten" massiv ein. Und wer dieses Aussieben (also vor allem die diversen "Nominierungen" für irgendeinen Preis) vornimmt und nach welchen Kriterien dabei vorgegangen wird – das wissen wir noch weniger als im Fall der Preisverleihung selbst.

Deshalb bin ich immer skeptisch, wenn von der Auszeichnung mit einem Preis die Rede ist.

Nachtrag (aus 2013):
Nun, beim Oscar weiß man es vielleicht etwas genauer als in anderen Fällen, durch wen die Nominierungen und schließlich die Preisverleihungen zustandekommen (nämlich durch Mitglieder der "Academy of Motion Picture Arts and Sciences"). Auch das ändert aber nichts daran, dass sich der eigene künstlerische Geschmack nicht danach ausrichten sollte, was von Anderen prämiert (oder zur Prämierung vorgesehen) und im Gefolge von den Medien hochgejubelt wird.