Mittwoch, 11. Juni 2014

Der Lehrer und seine Sprachsünden

Einer der regelmäßigen Kolumnenautoren im "Kurier" ist Niki Glattauer. Themen­schwerpunkt bei ihm sind Schule und Bildung. Abgehandelt wird das aber nicht auf eine Art, die man gern als "nüchtern" bzw. "trocken" (ab)qualifiziert – so etwas ist ja ein striktes Tabu in der Spaßgesellschaft und den sie beliefernden Massenmedien. Nein, locker muss es sein, humorvoll, unverkrampft – oder was halt die Medienmacher darunter verstehen.

Glattauer ist nicht nur langjähriger Journalist, sondern auch Lehrer (an einer Wiener Hauptschule) – und vor diesem Hintergrund sind Stil (und häufige Inhaltsleere) seiner Kolumnentexte besonders ärgerlich. Denn selbst wenn eine Zeitungsspalte kein Klassenzimmer ist – ein gewisses Niveau in Form und Inhalt sollte man gerade bei einem aktiven Pädagogen erwarten dürfen. Wie sollen junge Leute ihre oft (und auch von Glattauer selbst!) beklagten Lese-, Schreib- und Ausdrucks­schwä­chen ablegen können, wenn ihnen sogar ihr eigener Lehrer in der Zeitung permanent und bewusst einen sprachlichen Humbug vorsetzt?

Aber damit verkenne ich natürlich schon wieder total die Realität von Medien und Gesellschaft. Es geht ja nicht um klare Sprache und inhaltlich um ernsthafte Denk­anstöße für die Leser/innen. Es geht um das (lächerlicherweise immer so bezeichnete) "Augenzwin­kern", mit dem das Publikum von den Massenmedien bei Laune gehalten werden soll. Und offenbar zu diesem Zweck hat der "Kurier" Niki Glattauer sozusagen als Sprachkasperl engagiert.

Es ist daher auch sinnlos, Herrn Glattauer (neuerlich) detailliert nachzuweisen, weshalb seine Kolumne – nebst weitgehend fehlender inhaltlicher Substanz – in sprachlicher Hinsicht Schund ist. (Einmal habe ich das schon in einer e-Mail an ihn gemacht und somit meine Verpflichtung bereits erfüllt, etwas Behauptetes auch mit Argumenten zu belegen.) Statt "Schund" könnte man auch "Trash" sagen; und einen solchen zu produzieren, ist ja gerade – nebst ideologischer Gehirnwäsche – die zweite große Funktion der Boulevardmedien.

Obwohl das also nichts Anderes als ein Kampf gegen Windmühlen ist, sei dennoch ein konkreter Kritikpunkt an einem Kolumnentext Glattauers ins Treffen geführt:

Wie auch Glattauer sicherlich weiß, soll man einem Fremden, der einem in gebroche­nem Deutsch nach dem Weg fragt, nicht so antworten: "Du gehen geradeaus bis zur Ampel, dann du rechts abbiegen. Im zweiten Haus ist Postamt."

Viele werden sich inzwischen wahrscheinlich schon daran halten und zumindest ver­suchen, die Auskunft in grammatikalisch korrektem Deutsch zu geben.

Umso mehr befremdet der Umstand, dass eines der von Glattauer hartnäckig bevor­zugten "Stilmittel" (welch hochtrabender Ausdruck für diesen Schmarren) eine ganz ähnliche, offenbar von ihm lustig gemeinte Infantilsprache ist.

In der klingt das dann folgendermaßen (Beispiele aus der Kolumne "Schule und Rest des Lebens" im Kurier vom 10. Juni 2014):


"Leider ist es ja nicht so, dass dir die Morgenlektüre auf dem Weg zur Arbeit automa­tisch den Tag versüßt. Fiel mir unlängst beim Blättern in der U-Bahn-Gratisqualitäts­zeitung folgender Titel ins gleitsichtbrillen­unter­stützte Auge: 'Studie: […]."

Mir geht es nicht (primär) um das dämliche "gleitsichtbrillenunterstützte Auge". (Es hat Glattauer sicherlich große Genugtuung verschafft, wieder einmal eine pseudo-originelle,  wenn auch für den Inhalt des Artikels völlig belanglose Wortschöpfung in den Text eingebaut zu haben. Ein Sprachkasperl halt – siehe oben.)

Ebenfalls geht es mir nicht (primär) um das belämmerte Reden über sich selbst in der zweiten Person, das Glattauer im Eingangssatz praktiziert und dann im weiteren Verlauf seines Texts immer wieder einsetzt – wohl auch das als "Stilmittel" gedacht ("dass dir die Morgenlektüre", "Da hebt es dich als Vater zweier Kleinkinder …", "Dafür drückt es dich …, wenn du dann liest …" usw.).

Übertroffen wird all dieser sprachliche Schwachsinn nämlich durch die Formulierung:


"Fiel mir unlängst beim Blättern […] folgender Titel ins […] Auge:"

"Werde ich Herrn Glattauer nun sagen", dass es richtig so heißen muss:

"Unlängst fiel mir beim Blättern […] folgender Titel ins […] Auge:"

Glattauer weiß das natürlich. Was veranlasst ihn also, dennoch die Worte gleichsam in Kleinkindsprache umzustellen? Will er zeigen, wie locker sein Schreibstil ist? Oder wie witzig er doch formulieren kann? Oder dass man im Leben alles leicht, salopp und unbeschwert nehmen soll – einschließlich der Kommunikation?

Was er da fabriziert, mag ja einmal als Gag angehen – aber er macht es in seiner Kolumne zum Dauerzustand. Allein in seinem Text vom 10. Juni bedient er sich des abgestandenen Sprachkunststücks ein weiteres Mal. Gegen Ende des dreispaltigen Gelabers heißt es (nach einem Zitat aus einer Gratiszeitung):

"Fragst du dich als Vater potenziell hässlicher Kinder […] natürlich gleich selber, wo sie hin ist, die Watte der Welt."

Auf den sinnfreien Inhalt des Geschriebenen sei gar nicht eingegangen. Auch nicht auf die neuerliche Verwendung des Dodel-Du, wo der Autor eigentlich sich selbst meint. Haupt­ärgernis (weil den Lesefluss störend) ist wieder die mutwillige, regelwidrige Satzverstümmelung in Form des "Fragst du dich …".

Was spricht dagegen, eine korrekte Formulierung zu verwenden? Also:

"Da fragst du dich als Vater […] natürlich gleich selber, wo sie hin ist, die Watte der Welt."

(bzw. ganz exakt: "Wenn du so etwas [wie in der Gratiszeitung] liest, fragst du dich als Vater […]")

oder:

"Da fragt man sich als Vater […]"

oder:

"Da frage ich mich als Vater […]"

Es gäbe also sprachliche Möglichkeiten genug. Herrn Glattauers Masche ist es aber, diese Optionen bewusst zu ignorieren und statt dessen eine Variante zu erfinden, die nicht nur einem korrekten, sondern auch – und vor allem – einem gut lesbaren Deutsch Hohn spricht. Es ist nämlich insbesondere diese unnötige Lese-Erschwernis, die Glattauers zahlreiche Sprachmätzchen so kritikwürdig macht. Und dazu kommt an zweiter Stelle der schon oben erwähnte Umstand: Eine der auflagenstärksten österreichischen Zeitungen geht der Bevölkerung gleichsam mit schlechtem Beispiel voran, indem sie einen Lehrer als Kolumnisten beschäftigt, der den Leser/innen regelmäßig (und mit voller Absicht) eine verunstaltete und infantilisierte Sprache präsentiert.

Andererseits: Glattauer war der Erfinder des Dodel-Ausdrucks "Ötzi" für die in den Ötztaler Alpen entdeckte, ca. 5000 Jahre alte Gletschermumie. Und er ist auf diese Wortschöpfung auch noch stolz – wie er (gleichfalls in seiner Kolumne) am 31. März dieses Jahres kundgetan hat! Sich von einem solchen Sprachgenie in kleingeistiger Manier ein korrektes und gutes Deutsch zu erwarten – das ist ja fast schon naiv von mir.