Bei
so gut wie allem, was ich von Dr. Martina Salomon im "Kurier" lese,
geht es im Kern nur um eines: Propaganda für Kapitalismus und
Neoliberalismus bzw. Kampf gegen alles, was aus Sicht dieser
Journalistin "links" ist (und das ist bei ihr schnell etwas).
Im
Leitartikel vom 24. Jänner 2015 hat sie sich ausnahmsweise einmal eines
anderen Themengebiets angenommen. Besser und seriöser schreibt sie da
allerdings auch nicht.
Man könnte den Inhalt dieses Leitartikels
salopp so zusammenfassen: "Gemotze darüber, dass die (heimische)
katholische Kirche nicht ordentlich auf den Tisch haut." Schon der Titel
und Untertitel kündigen es an:
"Die unlustige Realität hinter dem lustigen Papst
Franziskus' Sprüche stehen im krassen Kontrast zu den weichgespülten Aussagen heimischer Bischöfe."
1. Fehlendes Selbstbewusstsein der Kirche?
Im Kommentar selbst meint Salomon dann:
"[…] die katholische Kirche könnte […] nach 200 Jahren Aufklärung selbstbewusster auftreten."
Was
das (fehlende oder nicht fehlende) Selbstbewusstsein einer
Religionsgesellschaft mit 200 Jahren Aufklärung zu tun haben soll,
bleibt unklar. Vermutlich meint Salomon, dass das selbstbewusste
Auftreten deshalb angebracht sei, weil sich die katholische Kirche trotz
so vieler Jahre Aufklärung halten konnte. Diese Widerstandsfähigkeit
lässt sich allerdings schwerlich darauf zurückführen, dass Bibel und
Kirche überzeugendere Argumente und Inhalte zu bieten hätten als etwa
die Philosophen der Aufklärung oder die Naturwissenschaften. Durchaus
plausibel ist vielmehr, dass die (in der Tat erstaunliche)
Überlebensfähigkeit dieser (ebenso wie jeder anderen) Religion schlicht
und einfach auf ihrer (psychologischen, gesellschaftlichen und
allenfalls politischen) Machtstellung in Kombination mit der
Leichtgläubigkeit vieler Menschen beruht. Aber für Salomon ist ja
vielleicht gerade so etwas Grund für Selbstbewusstsein. Ihre
Wertschätzung für die Mächtigen, welche die Nöte anderer Menschen für
ihre Zwecke ausnützen (bei den Religionen sind es halt nicht materielle,
sondern spirituelle Nöte), stellt sie ja regelmäßig und in aller
Deutlichkeit mit ihren völlig unkritischen Lobhudeleien für
Kapitalismus, Unternehmertum und Superreiche publizistisch zur Schau.
2. Armutsdiskussionen und "christlicher Wertekanon"
Wer
meint, dass ich mit Salomon zu hart ins Gericht ginge, der möge sich
die zwei Sätze ansehen, die sie ihrem oben zitierten Wunsch nach
selbstbewussterem kirchlichen Auftreten folgen lässt:
"Stattdessen verharrt sie [= die katholische Kirche] in
der 'Bitte haut uns nicht'-Defensivhaltung und überlässt die
Kommunikation den Nichtregierungsorganisationen wie der Caritas. Das
beschränkt sich dann auf die üblichen Armutsdiskussionen."
Und
damit ist schon wieder klar gemacht, welche Geisteshaltung die
Verfasserin auszeichnet: Das (dringend notwendige) Eintreten für die
Armen (in der heimischen Gesellschaft ebenso wie weltweit) wird von
Salomon gehässig als "die üblichen Armutsdiskussionen" abgetan.
Bereits
einen Satz darauf weiß man, wodurch Salomons Bedürfnis nach breiterer
katholisch-kirchlicher Aktivität ausgelöst wird. Sie schreibt:
"Angesichts
deutlich vitalerer muslimischer Glaubensgemeinschaften könnte man
fragen, ob es nicht sinnvoll wäre, den christlichen Wertekanon wieder zu
stärken. Weil das Teil unserer Identität und Geschichte ist."
Man "könnte"
das aus Salomon'scher Sicht nicht nur fragen, ja sie tut es nicht
einmal, sondern sie liefert implizit gleich selbst die Antwort: "Ja, man
soll ihn wieder stärken", meint sie. Was allerdings von ihr mit keinem
Wort konkretisiert wird, ist der Inhalt des ominösen "christlichen
Wertekanons".
Klar ist nur, was Salomon nach ihrem zuvor erörterten Satz nicht
(oder bestenfalls als Nebensache) dazu zählt: nämlich das Eintreten für
(typischerweise materiell) Benachteiligte. Schlussfolgerung: Solche
Themen können (besser gesagt: müssen) wir großzügig beiseite lassen,
wenn Salomon den "christlichen Wertekanon" entdeckt (zu dem doch
eigentlich auch die Nächstenliebe zählt bzw. zählen sollte).
Salomon
geht es ja um etwas ganz Anderes: Sie betrachtet (auch) die Religionen
als Einrichtungen, die im Wettbewerb stehen und um Marktanteile und
Machtpositionen kämpfen – also nicht viel anders als Unternehmen im
Wirtschaftsleben. Ganz so, wie sie es aus ihrer geliebten
kapitalistischen Wunderwelt gewohnt ist. Und da sieht sie es halt nicht
gerne, dass ihr Lieblingsunternehmen – das ist wohl nicht ganz zufällig
der Noch-immer-"Marktführer" katholische Kirche – aus ihrem Blickwinkel
etwas ins Hintertreffen gegenüber anderen "Playern" gerät. Es spricht
Bände, wenn sie sich ein Erstarken der katholischen Kirche ausgerechnet "(a)ngesichts deutlich vitalerer muslimischer Glaubensgemeinschaften" (!) herbeiwünscht.
Kennen
wir ähnliche Überlegungen und Formulierungen nicht auch aus
wirtschaftspolitischen Kommentaren (ob von Salomon oder vielen Anderen)?
Die Wirtschaft Chinas (oder Indiens oder der USA oder von anderswo) sei
"deutlich vitaler" als die europäische und/oder die österreichische.
Und da müsse gegengesteuert werden, weil "wir" sonst gegenüber der
Konkurrenz ins Hintertreffen gelangen (oder überhaupt aufgefressen)
würden.
Auf dem Gebiet der Religion ist es so eine Art "Kampf der
Kulturen" oder ein drohender "Untergang des Abendlandes", was sich für
Salomon abspielt bzw. abzeichnet. Natürlich gebraucht sie diese
Ausdrücke nicht (die sind mittlerweile zu sehr zum Klischee geworden);
aber "durch die Blume" suggeriert sie genau das.
Und an dieser
Stelle muss ein grundlegender Kontrapunkt zu Salomons (derzeit sehr
populärer und gleichzeitig populistischer) Ideenwelt gesetzt werden:
Wünschenswert ist (aus der Sicht eines aufgeklärten Menschen) keine
Dominanz irgendeiner Religion im Staat! Salomon wünscht sich
unmissverständlich eine Dominanz der Kirche, und zwar der katholischen
(denn nur von dieser ist im Leitartikel explizit die Rede). Salomon im
Originalwortlaut:
"Aber dazu [Anm.: nämlich zur Stärkung des christlichen Wertekanons] hat
die Kirche längst keine Kraft und Glaubwürdigkeit mehr. Sie gibt sich
gleichwertig mit allen anderen Religionsgemeinschaften."
Das
muss man sich mal vorstellen: Die stellvertretende Chefredakteurin
eines der größten Boulevardblätter des Landes, in dem sonst permanent
von Fortschritt, Notwendigkeit des Wandels, Aufgeschlossenheit,
Offenheit, Toleranz und ähnlichen Dingen gelabert wird, sehnt sich im
21. Jahrhundert danach, dass sich eine bestimmte Religionsgemeinschaft
über die anderen stellt, sich nicht als gleichwertig sieht!
Ihr lächerlicher Nachsatz lautet:
"Aber wird das [sc. sich mit allen anderen Religionsgemeinschaften gleichwertig zu betrachten] umgekehrt auch so gesehen? Niemals."
Mit "umgekehrt" meint Salomon natürlich die "deutlich vitaleren muslimischen Glaubensgemeinschaften",
von denen sie zuvor geschrieben hatte. Weil die "Konkurrenz"
Überlegenheitsgefühle hat, soll man also auch welche entwickeln (bzw.
die vorhandenen zur Entfaltung bringen)? Und wie ist das mit anderen, in
dieser Hinsicht vielleicht zurückhaltenderen Religionen (etwa dem
Buddhismus?) oder auch mit den sonstigen christlichen Religionen? Auch
über sie alle soll der von Salomon ersehnte Überlegenheitsanspruch
gleichsam drüberfahren ("gibt sich gleichwertig mit allen anderen Religionsgemeinschaften",
bedauert sie ja) – nur weil die Dame aus ihrem gemütlichen
Redaktionsstübchen heraus gern ein aggressives Kräftemessen zwischen
Katholizismus und Islam miterleben möchte?
Als einziges Argument
für die (vermeintliche) Legitimität der von ihr propagierten
katholischen Vorrang- und Vormachtstellung führt sie ins Treffen, dass
"das" (sie meint damit offensichtlich den "christlichen Wertekanon") "Teil unserer Identität und Geschichte ist" (vollständiges Zitat siehe oben). Ein dürftiges Argument:
-
Wenn es ihr um den "christlichen Wertekanon" geht, muss man sich
fragen, warum sie in dem Leitartikel ausschließlich von der katholischen
Kirche redet. Christliche Kirchen gibt es in Österreich auch diverse
andere, insbesondere (nämlich als von der Mitgliederzahl her
zweitgrößte) die evangelische, die man ebenfalls als Teil der
österreichischen "Identität und Geschichte" ansehen kann. Der
"christliche Wertekanon" ist also kein Monopol der katholischen Kirche.
-
Wie schon zuvor erwähnt, wissen wir nicht, was sich Frau Dr. Salomon
unter dem christlichen (oder meint sie eben nur katholischen?)
Wertekanon überhaupt konkret vorstellt. Erst recht bleibt offen, was
davon Teil der "Identität und Geschichte" Österreichs sein könnte.
Nächstenliebe, Sorge um die Armen etc. sind ja aus Salomons Sicht
bereits ausreichend gestärkt – siehe oben. Dann vielleicht der
sonntägliche Kirchgang? Oder die Wiedereinführung des
Abtreibungsverbots? Oder mehr Frauen zurück an den Herd? – Wenn Salomon
Derartiges meint, ist das ja auch zu akzeptieren. Aber dann sollte sie
so ehrlich sein, es offen hinzuschreiben. Und wenn sie in Wahrheit
vielleicht ganz andere christliche Werte gemeint haben sollte, gilt das
Gleiche: es wäre zu erwarten gewesen, dass sie diese benennt.
- Und damit komme ich wieder zum Ausgangspunkt, nämlich der von Salomon diagnostizierten Existenz "deutlich vitalerer muslimischer Glaubensgemeinschaften".
Diese Vitalität (von der auch nicht klar ist, worin Salomon sie konkret
zu erkennen meint) wird den (katholischen oder anderen) Christen sicher
nicht deren "Wertekanon" streitig machen (wir reden hier wohlgemerkt
nicht von den Extremfällen islamistischer Fanatiker): Die christlichen
Kirchengebäude werden weiter stehen bleiben, die Gottesdienste werden
darin ungehindert stattfinden, selbst die Glocken werden weiterhin
läuten (und die ganze Umgebung mit ihrem unnötigen und aggressiven Lärm
quälen dürfen), jeder darf die Bibel lesen und auch sonst alles tun, was
(vermeintlich oder tatsächlich) "Teil unserer Identität und Geschichte ist".
Womit sich Frau Dr. Salomon – und mit ihr zahlreiche ähnlich Denkende – abfinden wird müssen, ist der Umstand, dass es neben
all dem (sowie neben den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften
und den kirchen- und religionsfernen Menschen im Land) in Zukunft
vielleicht auch vermehrt Zeichen des islamischen Glaubens geben wird:
mehr Frauen mit "Kopftuch" (nämlich der muslimischen und nicht der
burgenländischen Variante, die wahrscheinlich sowieso als "Teil unserer
Identität und Geschichte" hochgehalten wird), mehr islamische
Gebetshäuser (große Moscheen mit Minarett sind ja ohnedies weitgehend
tabu), vielleicht die eine oder andere zusätzliche muslimische Schule;
und vielleicht auch das eine oder andere muslimische Mädchen, das über
Wunsch seiner Eltern nicht am Schwimmunterricht teilnehmen soll (wofür
sich manche Politiker im angeblich so toleranten Österreich ja derzeit
sogar schon eine Bestrafung der Eltern wünschen).
Wie immer man
zu der verstärkten Präsenz einer weiteren Religion stehen mag – eine
"Rekatholisierung" des Landes ist sicher keine geeignete Antwort darauf!
Und das wohl nicht einmal aus theologischer Sicht: Wer überzeugter und
engagierter Katholik ist (oder werden will), der soll das auch "aus
Überzeugung" sein (bzw. werden) – und nicht als eine Art von
Verteidigungs- oder Abwehrmaßnahme gegen eine andere, "vitalere"
religiöse Gruppierung.
In ihrem ganzen Leitartikel nennt Salomon
nur ein einziges konkretes Beispiel dafür, wie sie sich eine aktivere
(katholische) Kirche vorstellt:
"Rund um die jüngsten
Anschläge und die Vertreibung der Christen aus dem Orient hörte man
hingegen kaum klare Worte. Die katholische Kirche verhält sich so still,
als wäre es ihr selbst peinlich."
Es ist nach dem schon
zuvor Gesagten sicher kein Zufall, dass Salomon damit ein Thema
herausgreift, das sich besonders gut dafür eignet (bzw. eignen würde),
direkt oder indirekt, heftig oder weniger heftig, mahnend oder kritisch
(oder beides) gegen den Islam Stellung zu nehmen. Und genau damit
spekuliert jemand wie Salomon. Sie schreibt ja sogar:
"Die Angst vieler Bischöfe, irgendwo anzuecken, führt zu weichgespülter Aussagelosigkeit, […]."
An anderer Stelle konstatiert sie eine "Schreckstarre der Kirche".
Das
wäre doch was für all die Salomons: Ein paar zünftige Breitseiten der
katholischen Würdenträger gegen den Islam, damit die
Leitartikelverfasser/innen und Leserbriefschreiber in den Massenmedien
das nicht allein erledigen müssen und sich dann sogar auf
gleichgelagerte Aussagen kirchlicher Würdenträger berufen könnten.
(Nur
zur Klarstellung: Nichts spricht dagegen, Gewaltakte zu verurteilen –
und zwar übrigens unabhängig davon, ob die Opfer Christen oder andere
Menschen sind. Aber mir geht es darum zu zeigen, wie das Einfordern
einer solchen Geste von einer Journalistin auf subtile Weise eingesetzt
wird, um damit ganz bestimmte Absichten zu verfolgen.)
3. Die Sache mir dem Fortpflanzungsmedizingesetz
Und
noch ein Beispiel nennt Salomon – in diesem Fall sogar dafür, dass sich
die katholische Kirche sehr wohl deutlich und kritisch zu Wort gemeldet
hat. Aber auch das passt der Journalistin aus inhaltlichen Gründen
nicht:
"Das einzige Thema, wofür sich die heimische
katholische Kirche derzeit offen engagiert, ist das
Fortpflanzungsmedizingesetz. Ethisch betrachtet muss man eine Selektion
von Embryonen natürlich bekämpfen. Aber wer die
Präimplantationsdiagnostik für Eltern mit genetischem Risiko ablehnt
(nur gesunde Embryonen werden in den Mutterleib eingesetzt), muss in der
gelebten Praxis mit Spätabtreibungen behinderter Babys rechnen. Das ist
ja wohl weitaus schlimmer!"
Das Sachthema soll hier jetzt
nicht erörtert werden. Aber allein die eigenartigen Formulierungen
Salomons liefern schon wieder den nächsten Anlass zur Kritik:
"Ethisch betrachtet" müsse man ein bestimmtes Vorgehen zwar "natürlich bekämpfen". Doch gleich folgt das "Aber …".
Und mit einem "aber" kommt immer ein Einwand bzw. eine Relativierung
des zuvor Gesagten. Unlogisch ist an dem zitierten Absatz damit
Folgendes:
Wenn Fall A (Embyronenselektion) ethisch verwerflich sei und man ihn "natürlich bekämpfen" müsse, als Konsequenz seiner Bekämpfung aber ein Fall B (Spätabtreibungen) eintreten würde, der sogar "weitaus schlimmer"
sei – dann gilt doch der Kampf dem falschen, nämlich dem geringeren
Übel (dem Fall A), und man beschwört damit das schlimmere Übel herauf.
Nun
liegt es nahe zu sagen, genau das meine Salomon ja; und deswegen sei
aus ihrer Sicht das Fortpflanzungsmedizingesetz zu begrüßen und die
daran von der katholischen Kirche geübte Kritik verfehlt. So wird sie wohl auch
tatsächlich denken. Aber hinschreiben tut sie etwas Anderes: Sie
behauptet, dass ethisch betrachtet etwas "natürlich (zu) bekämpfen" wäre, obwohl sie diese Bekämpfung (aufgrund der besonderen Umstände – nämlich weil Fall B noch viel schlimmer sei) eben gerade nicht für sinnvoll hält.
Vermutlich
wollte Salomon mit ihrer ungeschickten Formulierung dem etwaigen
Vorwurf begegnen, sie würde die ethischen Bedenken der Kirche zum
Gesetzesentwurf ignorieren. In logisch-argumentativer Hinsicht hat sie
sich damit jedenfalls selbst ein Bein gestellt.
Moral von der
Geschichte: Man soll nicht versuchen, solche komplexen Themen in
gezählten sieben Zeilen eines Leitartikels abzuhandeln – noch dazu, wenn
dieser ohnedies einen ganz anderen Hauptinhalt hat.
4. Zum verschwiegenen Schönborn-Artikel in "Heute"
Paradox
wird die Geschichte mit der unglücklichen Themenwahl dadurch, dass es
sehr wohl auch ein anderes aktuelles Beispiel dafür gibt, dass man es
bei den Stellungnahmen kirchlicher Würdenträger keineswegs nur mit "weichgespülter Aussagelosigkeit"
zu tun hat. Aber dieses Beispiel hat Salomon in ihrem Leitartikel
wohlweislich verschwiegen (dass es sich um ein bewusstes Verschweigen
und nicht bloß um ein Vergessen oder ein Nicht-Wissen gehandelt hat,
wird sich gleich zeigen):
Am 16. Jänner 2015 veröffentlichte der
Kardinal und Wiener Erzbischof Christoph Schönborn in der Gratiszeitung
"Heute" einen Artikel, in dem er zu den Terroranschlägen Stellung nahm,
die sich wenige Tage zuvor in Paris ereignet hatten.
4.1. Schönborn als "oberster Hirte"
Zunächst
einmal sei festgehalten, dass sein Artikel eine deutliche (und im
Übrigen ohnedies selbstverständliche) Verurteilung der Pariser Anschläge
enthält – allerdings (vernünftigerweise) ohne Kritik am Islam.
Wenn Salomon dennoch behauptet, dass seitens der katholischen Kirche "kaum klare Worte" "(r)und um die jüngsten Anschläge"
gefallen seien, so bestätigt das nur den Eindruck, dem man beim Lesen
ihres Leitartikels gewinnt: nämlich dass diese "klaren Worte" nach ihrer
Intention in einer Art von christlich-katholischem Islam-Bashing
bestehen sollten.
Doch gerade auf so etwas will sich Schönborn
(und mit ihm wohl die österreichische katholische Kirche insgesamt) mit
gutem Grund nicht einlassen. Das zeigen die Schlussworte von Schönborns Artikel:
"Alles
spricht dafür, dass wir den Weg der gegenseitigen Achtung und
Wertschätzung gehen. Wir brauchen nicht die, die Brücken sprengen,
sondern die, die zwischen den Menschen Brücken bauen. Es geht um unser
aller Miteinander!"
Aber das ist für die Scharfmacherin Salomon vermutlich nur ein Ausdruck "weichgespülter Aussagelosigkeit".
Man
muss "vermutlich" schreiben; denn auf den Text Schönborns nimmt sie ja
keinerlei Bezug. Dieses Ignorieren ermöglicht es ihr so nebenbei auch
noch, Schönborn Inaktivität in Angelegenheiten der Seelsorge zu
unterstellen, indem sie schreibt:
"Die theoretische Ökumene
lebt – sonst aber nicht viel. So tritt auch der Wiener Kardinal
Schönborn mehr als Vatikan-Berater denn als oberster Hirte auf."
Wüsste
man nicht, dass sie es ohnedies tut, müsste man Salomon den Ratschlag
geben: "Lesen Sie 'Heute'!" In dem (vom "Kurier" naheliegenderweise
ungeliebten) Gratisblatt publiziert Schönborn nämlich immer wieder als
Kolumnenautor. (Dass von "Heute" als Zeitung insgesamt tatsächlich
nichts zu halten ist, tut in diesem Zusammenhang nichts zur Sache.) Und
schon allein einige Titel seiner Beiträge belegen, dass Schönborn dort
zu vielfältigen gesellschafts- und weltpolitischen Fragen Stellung
nimmt:
"Überlebensfabrik Familie", "Und wenn die Ehe
scheitert?", "Drogenfalle für die Jugend", "Kind auf Bestellung",
"Libanon – Niemals die Hoffnung aufgeben", "Karnickel, Kinder und Lob
der Familie", "Die Ukraine geht auch uns an" usw.
(Titel und Kolumnentexte finden sich auf der Homepage der Erzdiözese Wien:
http://www.erzdioezese-wien.at/pages/inst/14428675/text/antworten [aufgerufen am 28.1. 2015])
Ich
bin kein regelmäßiger Leser von Schönborns Kolumne und wäre (schon
allein aufgrund meiner atheistischen Einstellung) gewiss mit vielen
seiner Ausführungen überhaupt nicht einverstanden. Aber eines kann man
angesichts dieser publizistischen Tätigkeit und der von ihm behandelten
Themen sicherlich nicht behaupten: dass er "mehr als Vatikan-Berater denn als oberster Hirte" auftrete.
4.2. Schönborn und "Charlie Hebdo"
Aber zurück zum konkreten Artikel Schönborns in der "Heute"-Ausgabe vom 16. Jänner.
Schönborn
findet darin sogar ausgesprochen deutliche und mutige Worte: Er übt
offen Kritik an der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo", wenn er schreibt,
dass sie sich nicht gescheut habe,
"seit
Jahren vor allem das Christentum und den Islam in verächtlich machenden
und vulgären Karikaturen darzustellen. Wo ist die Grenze der drei
genannten Freiheiten? [Anm.: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit] Dort,
wo es um die Achtung vor dem geht, was dem anderen heilig ist. Ich muss
die Ansicht der anderen nicht teilen. Darf ich sie deshalb schon
heruntermachen?"
(Näheres zu Schönborns Artikel und ausführlichere Zitate daraus in meinem Blogeintrag vom 17. Jänner; der Artikel selbst ist auch auf der Homepage der Erzdiözese Wien nachzulesen: http://www.erzdioezese-wien.at/pages/inst/14428675/text/antworten/swintranet.information/41033.html [aufgerufen am 28.1.2015])
"Weichgespült" klingt das nicht. Und nach einer von Salomon unterstellten "Angst vieler Bischöfe, irgendwo anzuecken"
noch weniger. Im Gegenteil: mit solchen Aussagen, wie Schönborn sie
hier getätigt hat, kann man sich bei der (weltweiten) Masse von
"Je-suis-Charlie"-Rufern nur unbeliebt machen. Und bei der
Journalisten-Meute sowieso.
Ein Bischof, der auch von den
Journalisten bzw. den Medien Verantwortung, Respekt und die Einhaltung
von Grenzen einmahnt – das passt halt so gar nicht ins Konzept einer
Frau Dr. Salomon. Und zwar gleich in doppelter Hinsicht nicht:
einerseits weil ihr (und ihresgleichen) die Mahnung als solche nicht
gefällt; und andererseits, weil damit die Kernidee des eigenen
Leitartikels (dass nämlich die heimische katholische Kirche lahm und
feig sei) mehr oder weniger über den Haufen geworfen ist.
Was tut
man als clevere Journalistin in einem solchen Fall? Man verschweigt den
Schönborn-Text einfach – und schreibt den eigenen Leitartikel wider
besseres Wissen so, als ob es ihn gar nicht gäbe!
Könnte es
sein, dass Salomon keine Kenntnis vom Kommentar des Erzbischofs hatte?
Das ist ausgeschlossen. Und zwar nicht nur deshalb, weil die
entsprechende Ausgabe der Gratiszeitung "Heute" bereits am 16. Jänner
(also acht Tage vor Salomons Leitartikel) erschien und weil anzunehmen
ist, dass sich Salomon über den Inhalt eines Massenblattes wie "Heute"
informiert. Sondern insbesondere auch, weil der Kurier-eigene Zeichner
(Pammesberger) am 19. Jänner Schönborns Kommentar mit einer arroganten
Karikatur quittieren zu müssen glaubte. (Allein diese Karikatur böte
schon wieder Anlass für einen neuen Artikel über die Schäbigkeit mancher
Medien bzw. Publizisten – und das wohlgemerkt nicht deshalb, weil in
ihr ein Bischof bzw. Kardinal karikiert wird.)
Kurz und (un)gut:
Salomon wusste ganz genau, was sie dem Publikum vorenthielt, als sie die
Schönborn-Äußerungen (bzw. die Existenz der Schönborn-Kolumne
überhaupt) in ihrem Leitartikel totschwieg! Ja es ist nicht einmal
auszuschließen, dass dieser sogar eine bewusste Retourkutsche für die
Kränkung des Journalist/innenstolzes durch Schönborns
Charlie-Hebdo-Kritik war.
Statt für die Stärkung des
"christlichen Wertekanons" zu trommeln, stünde es Salomon und Konsorten
gut an, sich um die Einhaltung des "journalistischen Wertekanons" zu
kümmern. Falls es so etwas überhaupt gibt. Die Medienrealität lässt
daran zweifeln.