Mittwoch, 28. Januar 2015

Salomon und Religion

Bei so gut wie allem, was ich von Dr. Martina Salomon im "Kurier" lese, geht es im Kern nur um eines: Propaganda für Kapitalismus und Neoliberalismus bzw. Kampf gegen alles, was aus Sicht dieser Journalistin "links" ist (und das ist bei ihr schnell etwas).

Im Leitartikel vom 24. Jänner 2015 hat sie sich ausnahmsweise einmal eines anderen Themengebiets angenommen. Besser und seriöser schreibt sie da allerdings auch nicht.

Man könnte den Inhalt dieses Leitartikels salopp so zusammenfassen: "Gemotze darüber, dass die (heimische) katholische Kirche nicht ordentlich auf den Tisch haut." Schon der Titel und Untertitel kündigen es an:

"Die unlustige Realität hinter dem lustigen Papst
Franziskus' Sprüche stehen im krassen Kontrast zu den weichgespülten Aussagen heimischer Bischöfe."



1. Fehlendes Selbstbewusstsein der Kirche?

Im Kommentar selbst meint Salomon dann:

"[…] die katholische Kirche könnte […] nach 200 Jahren Aufklärung selbstbewusster auftreten."

Was das (fehlende oder nicht fehlende) Selbstbewusstsein einer Religionsgesellschaft mit 200 Jahren Aufklärung zu tun haben soll, bleibt unklar. Vermutlich meint Salomon, dass das selbstbewusste Auftreten deshalb angebracht sei, weil sich die katholische Kirche trotz so vieler Jahre Aufklärung halten konnte. Diese Widerstandsfähigkeit lässt sich allerdings schwerlich darauf zurückführen, dass Bibel und Kirche überzeugendere Argumente und Inhalte zu bieten hätten als etwa die Philosophen der Aufklärung oder die Naturwissenschaften. Durchaus plausibel ist vielmehr, dass die (in der Tat erstaunliche) Überlebensfähigkeit dieser (ebenso wie jeder anderen) Religion schlicht und einfach auf ihrer (psychologischen, gesellschaftlichen und allenfalls politischen) Machtstellung in Kombination mit der Leichtgläubigkeit vieler Menschen beruht. Aber für Salomon ist ja vielleicht gerade so etwas Grund für Selbstbewusstsein. Ihre Wertschätzung für die Mächtigen, welche die Nöte anderer Menschen für ihre Zwecke ausnützen (bei den Religionen sind es halt nicht materielle, sondern spirituelle Nöte), stellt sie ja regelmäßig und in aller Deutlichkeit mit ihren völlig unkritischen Lobhudeleien für Kapitalismus, Unternehmertum und Superreiche publizistisch zur Schau.

2. Armutsdiskussionen und "christlicher Wertekanon"

Wer meint, dass ich mit Salomon zu hart ins Gericht ginge, der möge sich die zwei Sätze ansehen, die sie ihrem oben zitierten Wunsch nach selbstbewussterem kirchlichen Auftreten folgen lässt:

"Stattdessen verharrt sie [= die katholische Kirche] in der 'Bitte haut uns nicht'-Defensivhaltung und überlässt die Kommunikation den Nichtregierungsorganisationen wie der Caritas. Das beschränkt sich dann auf die üblichen Armutsdiskussionen."

Und damit ist schon wieder klar gemacht, welche Geisteshaltung die Verfasserin auszeichnet: Das (dringend notwendige) Eintreten für die Armen (in der heimischen Gesellschaft ebenso wie weltweit) wird von Salomon gehässig als "die üblichen Armutsdiskussionen" abgetan.

Bereits einen Satz darauf weiß man, wodurch Salomons Bedürfnis nach breiterer katholisch-kirchlicher Aktivität ausgelöst wird. Sie schreibt:

"Angesichts deutlich vitalerer muslimischer Glaubensgemeinschaften könnte man fragen, ob es nicht sinnvoll wäre, den christlichen Wertekanon wieder zu stärken. Weil das Teil unserer Identität und Geschichte ist."

Man "könnte" das aus Salomon'scher Sicht nicht nur fragen, ja sie tut es nicht einmal, sondern sie liefert implizit gleich selbst die Antwort: "Ja, man soll ihn wieder stärken", meint sie. Was allerdings von ihr mit keinem Wort konkretisiert wird, ist der Inhalt des ominösen "christlichen Wertekanons".

Klar ist nur, was Salomon nach ihrem zuvor erörterten Satz nicht (oder bestenfalls als Nebensache) dazu zählt: nämlich das Eintreten für (typischerweise materiell) Benachteiligte. Schlussfolgerung: Solche Themen können (besser gesagt: müssen) wir großzügig beiseite lassen, wenn Salomon den "christlichen Wertekanon" entdeckt (zu dem doch eigentlich auch die Nächstenliebe zählt bzw. zählen sollte).

Salomon geht es ja um etwas ganz Anderes: Sie betrachtet (auch) die Religionen als Einrichtungen, die im Wettbewerb stehen und um Marktanteile und Machtpositionen kämpfen – also nicht viel anders als Unternehmen im Wirtschaftsleben. Ganz so, wie sie es aus ihrer geliebten kapitalistischen Wunderwelt gewohnt ist. Und da sieht sie es halt nicht gerne, dass ihr Lieblingsunternehmen – das ist wohl nicht ganz zufällig der Noch-immer-"Marktführer" katholische Kirche – aus ihrem Blickwinkel etwas ins Hintertreffen gegenüber anderen "Playern" gerät. Es spricht Bände, wenn sie sich ein Erstarken der katholischen Kirche ausgerechnet "(a)ngesichts deutlich vitalerer muslimischer Glaubensgemeinschaften" (!) herbeiwünscht.

Kennen wir ähnliche Überlegungen und Formulierungen nicht auch aus wirtschaftspolitischen Kommentaren (ob von Salomon oder vielen Anderen)? Die Wirtschaft Chinas (oder Indiens oder der USA oder von anderswo) sei "deutlich vitaler" als die europäische und/oder die österreichische. Und da müsse gegengesteuert werden, weil "wir" sonst gegenüber der Konkurrenz ins Hintertreffen gelangen (oder überhaupt aufgefressen) würden.

Auf dem Gebiet der Religion ist es so eine Art "Kampf der Kulturen" oder ein drohender "Untergang des Abendlandes", was sich für Salomon abspielt bzw. abzeichnet. Natürlich gebraucht sie diese Ausdrücke nicht (die sind mittlerweile zu sehr zum Klischee geworden); aber "durch die Blume" suggeriert sie genau das.

Und an dieser Stelle muss ein grundlegender Kontrapunkt zu Salomons (derzeit sehr populärer und gleichzeitig populistischer) Ideenwelt gesetzt werden:

Wünschenswert ist (aus der Sicht eines aufgeklärten Menschen) keine Dominanz irgendeiner Religion im Staat! Salomon wünscht sich unmissverständlich eine Dominanz der Kirche, und zwar der katholischen (denn nur von dieser ist im Leitartikel explizit die Rede). Salomon im Originalwortlaut:

"Aber dazu [Anm.: nämlich zur Stärkung des christlichen Wertekanons] hat die Kirche längst keine Kraft und Glaubwürdigkeit mehr. Sie gibt sich gleichwertig mit allen anderen Religionsgemeinschaften."

Das muss man sich mal vorstellen: Die stellvertretende Chefredakteurin eines der größten Boulevardblätter des Landes, in dem sonst permanent von Fortschritt, Notwendigkeit des Wandels, Aufgeschlossenheit, Offenheit, Toleranz und ähnlichen Dingen gelabert wird, sehnt sich im 21. Jahrhundert danach, dass sich eine bestimmte Religionsgemeinschaft über die anderen stellt, sich nicht als gleichwertig sieht!

Ihr lächerlicher Nachsatz lautet:

"Aber wird das [sc. sich mit allen anderen Religionsgemeinschaften gleichwertig zu betrachten] umgekehrt auch so gesehen? Niemals."

Mit "umgekehrt" meint Salomon natürlich die "deutlich vitaleren muslimischen Glaubensgemeinschaften", von denen sie zuvor geschrieben hatte. Weil die "Konkurrenz" Überlegenheitsgefühle hat, soll man also auch welche entwickeln (bzw. die vorhandenen zur Entfaltung bringen)? Und wie ist das mit anderen, in dieser Hinsicht vielleicht zurückhaltenderen Religionen (etwa dem Buddhismus?) oder auch mit den sonstigen christlichen Religionen? Auch über sie alle soll der von Salomon ersehnte Überlegenheitsanspruch gleichsam drüberfahren ("gibt sich gleichwertig mit allen anderen Religionsgemeinschaften", bedauert sie ja) – nur weil die Dame aus ihrem gemütlichen Redaktionsstübchen heraus gern ein aggressives Kräftemessen zwischen Katholizismus und Islam miterleben möchte?

Als einziges Argument für die (vermeintliche) Legitimität der von ihr propagierten katholischen Vorrang- und Vormachtstellung führt sie ins Treffen, dass "das" (sie meint damit offensichtlich den "christlichen Wertekanon") "Teil unserer Identität und Geschichte ist" (vollständiges Zitat siehe oben). Ein dürftiges Argument:

- Wenn es ihr um den "christlichen Wertekanon" geht, muss man sich fragen, warum sie in dem Leitartikel ausschließlich von der katholischen Kirche redet. Christliche Kirchen gibt es in Österreich auch diverse andere, insbesondere (nämlich als von der Mitgliederzahl her zweitgrößte) die evangelische, die man ebenfalls als Teil der österreichischen "Identität und Geschichte" ansehen kann. Der "christliche Wertekanon" ist also kein Monopol der katholischen Kirche.

- Wie schon zuvor erwähnt, wissen wir nicht, was sich Frau Dr. Salomon unter dem christlichen (oder meint sie eben nur katholischen?) Wertekanon überhaupt konkret vorstellt. Erst recht bleibt offen, was davon Teil der "Identität und Geschichte" Österreichs sein könnte. Nächstenliebe, Sorge um die Armen etc. sind ja aus Salomons Sicht bereits ausreichend gestärkt – siehe oben. Dann vielleicht der sonntägliche Kirchgang? Oder die Wiedereinführung des Abtreibungsverbots? Oder mehr Frauen zurück an den Herd? – Wenn Salomon Derartiges meint, ist das ja auch zu akzeptieren. Aber dann sollte sie so ehrlich sein, es offen hinzuschreiben. Und wenn sie in Wahrheit vielleicht ganz andere christliche Werte gemeint haben sollte, gilt das Gleiche: es wäre zu erwarten gewesen, dass sie diese benennt.

- Und damit komme ich wieder zum Ausgangspunkt, nämlich der von Salomon diagnostizierten Existenz "deutlich vitalerer muslimischer Glaubensgemeinschaften". Diese Vitalität (von der auch nicht klar ist, worin Salomon sie konkret zu erkennen meint) wird den (katholischen oder anderen) Christen sicher nicht deren "Wertekanon" streitig machen (wir reden hier wohlgemerkt nicht von den Extremfällen islamistischer Fanatiker): Die christlichen Kirchengebäude werden weiter stehen bleiben, die Gottesdienste werden darin ungehindert stattfinden, selbst die Glocken werden weiterhin läuten (und die ganze Umgebung mit ihrem unnötigen und aggressiven Lärm quälen dürfen), jeder darf die Bibel lesen und auch sonst alles tun, was (vermeintlich oder tatsächlich) "Teil unserer Identität und Geschichte ist".

Womit sich Frau Dr. Salomon – und mit ihr zahlreiche ähnlich Denkende – abfinden wird müssen, ist der Umstand, dass es neben all dem (sowie neben den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften und den kirchen- und religionsfernen Menschen im Land) in Zukunft vielleicht auch vermehrt Zeichen des islamischen Glaubens geben wird: mehr Frauen mit "Kopftuch" (nämlich der muslimischen und nicht der burgenländischen Variante, die wahrscheinlich sowieso als "Teil unserer Identität und Geschichte" hochgehalten wird), mehr islamische Gebetshäuser (große Moscheen mit Minarett sind  ja ohnedies weitgehend tabu), vielleicht die eine oder andere zusätzliche muslimische Schule; und vielleicht auch das eine oder andere muslimische Mädchen, das über Wunsch seiner Eltern nicht am Schwimmunterricht teilnehmen soll (wofür sich manche Politiker im angeblich so toleranten Österreich ja derzeit sogar schon eine Bestrafung der Eltern wünschen).

Wie immer man zu der verstärkten Präsenz einer weiteren Religion stehen mag – eine "Rekatholisierung" des Landes ist sicher keine geeignete Antwort darauf! Und das wohl nicht einmal aus theologischer Sicht: Wer überzeugter und engagierter Katholik ist (oder werden will), der soll das auch "aus Überzeugung" sein (bzw. werden) – und nicht als eine Art von Verteidigungs- oder Abwehrmaßnahme gegen eine andere, "vitalere" religiöse Gruppierung.

In ihrem ganzen Leitartikel nennt Salomon nur ein einziges konkretes Beispiel dafür, wie sie sich eine aktivere (katholische) Kirche vorstellt:

"Rund um die jüngsten Anschläge und die Vertreibung der Christen aus dem Orient hörte man hingegen kaum klare Worte. Die katholische Kirche verhält sich so still, als wäre es ihr selbst peinlich."

Es ist nach dem schon zuvor Gesagten sicher kein Zufall, dass Salomon damit ein Thema herausgreift, das sich besonders gut dafür eignet (bzw. eignen würde), direkt oder indirekt, heftig oder weniger heftig, mahnend oder kritisch (oder beides) gegen den Islam Stellung zu nehmen. Und genau damit spekuliert jemand wie Salomon. Sie schreibt ja sogar:

"Die Angst vieler Bischöfe, irgendwo anzuecken, führt zu weichgespülter Aussagelosigkeit, […]."

An anderer Stelle konstatiert sie eine "Schreckstarre der Kirche".

Das wäre doch was für all die Salomons: Ein paar zünftige Breitseiten der katholischen Würdenträger gegen den Islam, damit die Leitartikelverfasser/innen und Leserbriefschreiber in den Massenmedien das nicht allein erledigen müssen und sich dann sogar auf gleichgelagerte Aussagen kirchlicher Würdenträger berufen könnten.

(Nur zur Klarstellung: Nichts spricht dagegen, Gewaltakte zu verurteilen – und zwar übrigens unabhängig davon, ob die Opfer Christen oder andere Menschen sind. Aber mir geht es darum zu zeigen, wie das Einfordern einer solchen Geste von einer Journalistin auf subtile Weise eingesetzt wird, um damit ganz bestimmte Absichten zu verfolgen.)

3. Die Sache mir dem Fortpflanzungsmedizingesetz

Und noch ein Beispiel nennt Salomon – in diesem Fall sogar dafür, dass sich die katholische Kirche sehr wohl deutlich und kritisch zu Wort gemeldet hat. Aber auch das passt der Journalistin aus inhaltlichen Gründen nicht:

"Das einzige Thema, wofür sich die heimische katholische Kirche derzeit offen engagiert, ist das Fortpflanzungsmedizingesetz. Ethisch betrachtet muss man eine Selektion von Embryonen natürlich bekämpfen. Aber wer die Präimplantationsdiagnostik für Eltern mit genetischem Risiko ablehnt (nur gesunde Embryonen werden in den Mutterleib eingesetzt), muss in der gelebten Praxis mit Spätabtreibungen behinderter Babys rechnen. Das ist ja wohl weitaus schlimmer!"

Das Sachthema soll hier jetzt nicht erörtert werden. Aber allein die eigenartigen Formulierungen Salomons liefern schon wieder den nächsten Anlass zur Kritik:

"Ethisch betrachtet" müsse man ein bestimmtes Vorgehen zwar "natürlich bekämpfen". Doch gleich folgt das "Aber …". Und mit einem "aber" kommt immer ein Einwand bzw. eine Relativierung des zuvor Gesagten. Unlogisch ist an dem zitierten Absatz damit Folgendes:

Wenn Fall A (Embyronenselektion) ethisch verwerflich sei und man ihn "natürlich bekämpfen" müsse, als Konsequenz seiner Bekämpfung aber ein Fall B (Spätabtreibungen) eintreten würde, der sogar "weitaus schlimmer" sei – dann gilt doch der Kampf dem falschen, nämlich dem geringeren Übel (dem Fall A), und man beschwört damit das schlimmere Übel herauf.

Nun liegt es nahe zu sagen, genau das meine Salomon ja; und deswegen sei aus ihrer Sicht das Fortpflanzungsmedizingesetz zu begrüßen und die daran von der katholischen Kirche geübte Kritik verfehlt. So wird sie wohl auch tatsächlich denken. Aber hinschreiben tut sie etwas Anderes: Sie behauptet, dass ethisch betrachtet etwas "natürlich (zu) bekämpfen" wäre, obwohl sie diese Bekämpfung (aufgrund der besonderen Umstände – nämlich weil Fall B noch viel schlimmer sei) eben gerade nicht für sinnvoll hält.

Vermutlich wollte Salomon mit ihrer ungeschickten Formulierung dem etwaigen Vorwurf begegnen, sie würde die ethischen Bedenken der Kirche zum Gesetzesentwurf ignorieren. In logisch-argumentativer Hinsicht hat sie sich damit jedenfalls selbst ein Bein gestellt.

Moral von der Geschichte: Man soll nicht versuchen, solche komplexen Themen in gezählten sieben Zeilen eines Leitartikels abzuhandeln – noch dazu, wenn dieser ohnedies einen ganz anderen Hauptinhalt hat.

4. Zum verschwiegenen Schönborn-Artikel in "Heute"

Paradox wird die Geschichte mit der unglücklichen Themenwahl dadurch, dass es sehr wohl auch ein anderes aktuelles Beispiel dafür gibt, dass man es bei den Stellungnahmen kirchlicher Würdenträger keineswegs nur mit "weichgespülter Aussagelosigkeit" zu tun hat. Aber dieses Beispiel hat Salomon in ihrem Leitartikel wohlweislich verschwiegen (dass es sich um ein bewusstes Verschweigen und nicht bloß um ein Vergessen oder ein Nicht-Wissen gehandelt hat, wird sich gleich zeigen):

Am 16. Jänner 2015 veröffentlichte der Kardinal und Wiener Erzbischof Christoph Schönborn in der Gratiszeitung "Heute" einen Artikel, in dem er zu den Terroranschlägen Stellung nahm, die sich wenige Tage zuvor in Paris ereignet hatten.

4.1. Schönborn als "oberster Hirte"

Zunächst einmal sei festgehalten, dass sein Artikel eine deutliche (und im Übrigen ohnedies selbstverständliche) Verurteilung der Pariser Anschläge enthält – allerdings (vernünftigerweise) ohne Kritik am Islam.

Wenn Salomon dennoch behauptet, dass seitens der katholischen Kirche "kaum klare Worte" "(r)und um die jüngsten Anschläge" gefallen seien, so bestätigt das nur den Eindruck, dem man beim Lesen ihres Leitartikels gewinnt: nämlich dass diese "klaren Worte" nach ihrer Intention in einer Art von christlich-katholischem Islam-Bashing bestehen sollten.

Doch gerade auf so etwas will sich Schönborn (und mit ihm wohl die österreichische katholische Kirche insgesamt) mit gutem Grund nicht einlassen. Das zeigen die Schlussworte von Schönborns Artikel:

"Alles spricht dafür, dass wir den Weg der gegenseitigen Achtung und Wertschätzung gehen. Wir brauchen nicht die, die Brücken sprengen, sondern die, die zwischen den Menschen Brücken bauen. Es geht um unser aller Miteinander!"

Aber das ist für die Scharfmacherin Salomon vermutlich nur ein Ausdruck "weichgespülter Aussagelosigkeit".

Man muss "vermutlich" schreiben; denn auf den Text Schönborns nimmt sie ja keinerlei Bezug. Dieses Ignorieren ermöglicht es ihr so nebenbei auch noch, Schönborn Inaktivität in Angelegenheiten der Seelsorge zu unterstellen, indem sie schreibt:

"Die theoretische Ökumene lebt – sonst aber nicht viel. So tritt auch der Wiener Kardinal Schönborn mehr als Vatikan-Berater denn als oberster Hirte auf."

Wüsste man nicht, dass sie es ohnedies tut, müsste man Salomon den Ratschlag geben: "Lesen Sie 'Heute'!" In dem (vom "Kurier" naheliegenderweise ungeliebten) Gratisblatt publiziert Schönborn nämlich immer wieder als Kolumnenautor. (Dass von "Heute" als Zeitung insgesamt tatsächlich nichts zu halten ist, tut in diesem Zusammenhang nichts zur Sache.) Und schon allein einige Titel seiner Beiträge belegen, dass Schönborn dort zu vielfältigen gesellschafts- und weltpolitischen Fragen Stellung nimmt:

"Überlebensfabrik Familie", "Und wenn die Ehe scheitert?", "Drogenfalle für die Jugend", "Kind auf Bestellung", "Libanon – Niemals die Hoffnung aufgeben", "Karnickel, Kinder und Lob der Familie", "Die Ukraine geht auch uns an" usw.
(Titel und Kolumnentexte finden sich auf der Homepage der Erzdiözese Wien:

http://www.erzdioezese-wien.at/pages/inst/14428675/text/antworten [aufgerufen am 28.1. 2015])

Ich bin kein regelmäßiger Leser von Schönborns Kolumne und wäre (schon allein aufgrund meiner atheistischen Einstellung) gewiss mit vielen seiner Ausführungen überhaupt nicht einverstanden. Aber eines kann man angesichts dieser publizistischen Tätigkeit und der von ihm behandelten Themen sicherlich nicht behaupten: dass er "mehr als Vatikan-Berater denn als oberster Hirte" auftrete.

4.2. Schönborn und "Charlie Hebdo"

Aber zurück zum konkreten Artikel Schönborns in der "Heute"-Ausgabe vom 16. Jänner.

Schönborn findet darin sogar ausgesprochen deutliche und mutige Worte: Er übt offen Kritik an der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo", wenn er schreibt, dass sie sich nicht gescheut habe,

"seit Jahren vor allem das Christentum und den Islam in verächtlich machenden und vulgären Karikaturen darzustellen. Wo ist die Grenze der drei genannten Freiheiten? [Anm.: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit] Dort, wo es um die Achtung vor dem geht, was dem anderen heilig ist. Ich muss die Ansicht der anderen nicht teilen. Darf ich sie deshalb schon heruntermachen?"

(Näheres zu Schönborns Artikel und ausführlichere Zitate daraus in meinem Blogeintrag vom 17. Jänner; der Artikel selbst ist auch auf der Homepage der Erzdiözese Wien nachzulesen:
http://www.erzdioezese-wien.at/pages/inst/14428675/text/antworten/swintra­net.­in­for­mation/41033.html [aufgerufen am 28.1.2015])

"Weichgespült" klingt das nicht. Und nach einer von Salomon unterstellten "Angst vieler Bischöfe, irgendwo anzuecken" noch weniger. Im Gegenteil: mit solchen Aussagen, wie Schönborn sie hier getätigt hat, kann man sich bei der (weltweiten) Masse von "Je-suis-Charlie"-Rufern nur unbeliebt machen. Und bei der Journalisten-Meute sowieso.

Ein Bischof, der auch von den Journalisten bzw. den Medien Verantwortung, Respekt und die Einhaltung von Grenzen einmahnt – das passt halt so gar nicht ins Konzept einer Frau Dr. Salomon. Und zwar gleich in doppelter Hinsicht nicht: einerseits weil ihr (und ihresgleichen) die Mahnung als solche nicht gefällt; und andererseits, weil damit die Kernidee des eigenen Leitartikels (dass nämlich die heimische katholische Kirche lahm und feig sei) mehr oder weniger über den Haufen geworfen ist.

Was tut man als clevere Journalistin in einem solchen Fall? Man verschweigt den Schönborn-Text einfach – und schreibt den eigenen Leitartikel wider besseres Wissen so, als ob es ihn gar nicht gäbe!

Könnte es sein, dass Salomon keine Kenntnis vom Kommentar des Erzbischofs hatte? Das ist ausgeschlossen. Und zwar nicht nur deshalb, weil die entsprechende Ausgabe der Gratiszeitung "Heute" bereits am 16. Jänner (also acht Tage vor Salomons Leitartikel) erschien und weil anzunehmen ist, dass sich Salomon über den Inhalt eines Massenblattes wie "Heute" informiert. Sondern insbesondere auch, weil der Kurier-eigene Zeichner (Pammesberger) am 19. Jänner Schönborns Kommentar mit einer arroganten Karikatur quittieren zu müssen glaubte. (Allein diese Karikatur böte schon wieder Anlass für einen neuen Artikel über die Schäbigkeit mancher Medien bzw. Publizisten – und das wohlgemerkt nicht deshalb, weil in ihr ein Bischof bzw. Kardinal karikiert wird.)

Kurz und (un)gut: Salomon wusste ganz genau, was sie dem Publikum vorenthielt, als sie die Schönborn-Äußerungen (bzw. die Existenz der Schönborn-Kolumne überhaupt) in ihrem Leitartikel totschwieg! Ja es ist nicht einmal auszuschließen, dass dieser sogar eine bewusste Retourkutsche für die Kränkung des Journalist/innenstolzes durch Schönborns Charlie-Hebdo-Kritik war.

Statt für die Stärkung des "christlichen Wertekanons" zu trommeln, stünde es Salomon und Konsorten gut an, sich um die Einhaltung des "journalistischen Wertekanons" zu kümmern. Falls es so etwas überhaupt gibt. Die Medienrealität lässt daran zweifeln.