Samstag, 3. November 2018

Ein Moderator wird verspottet

Es kommt selten vor, dass man sich über die Leistungen eines für die breite Öffentlichkeit tätigen Menschen vorbehaltlos positiv äußern kann. Der ORF-Moderator Tarek Leitner ist (für mich) ein solcher Ausnahmefall: Sowohl seine sachliche Art, die Fernsehnachrichten (oder sonstige Programme) zu präsentieren, als auch seine deutliche und unaufgeregte Sprechweise finde ich hervorragend. Geradezu begeistert war ich von Tarek Leitner, als er 2016 im Fernsehen die Live-Berichterstattung über die US-Präsidenten­wahl moderierte. Seine zuvor erwähnten Qualitäten kamen da besonders gut zur Geltung (während gleichzeitig etwa im deutschen Fernsehen über dasselbe Ereignis in der Manier einer Klamauk-Show "informiert" wurde).

Entsprechend groß war meine Verwunderung darüber, dass sich der Kurier-Redakteur Peter Pisa am vergangenen Donnerstag in seiner Fernseh­kolumne "Pisa schaut fern" mit Tarek Leitner beschäftigte. Als regelmäßiger Kurier-Leser weiß man ja schon, was einem in dieser Kolumne erwartet: immer dasselbe lächerliche und besserwisserische Spotten über einen Versprecher oder eine sonstige sprachliche Unge­schicklichkeit, die Pisa in irgendeiner Fernsehsendung aufgeschnappt hat und die er dann – offenbar mangels Fähigkeit zum Verfassen substanzieller Fernsehkritiken – zum Inhalt seiner armseligen Kolumnenartikel macht.

Wann immer sich eine (auch noch so an den Haaren herbeigezogene) Gelegenheit bietet, wird das Ganze dann von Pisa mit eindeutig-zwei­deu­ti­gen Anspielungen sexueller und/oder fäkaler Natur angereichert. (Ich ver­zich­te hier auf die Wiedergabe einschlägiger Zitate.) Sigmund Freud hätte an Patienten dieses Schlages sicherlich seine Freude gehabt. Und selbst als massiver Gegner der Psychoanalyse ertappt man sich nach der Lektüre mancher Texte Peter Pisas bei dem Gedanken, dass an Freuds irrwitziger Lehre zumindest in Hinblick auf einige Extremfälle (neben Pisa denke ich da an seinen Redaktionskollegen Guido Tartarotti*) ja vielleicht doch etwas dran gewesen sein könnte.
*[siehe dazu insbesondere meinen Blog-Eintrag Toiletten-Journalismus]

In Zusammenhang mit Tarek Leitner fallen Peter Pisa in der zuvor er­wähn­ten Ausgabe seiner Kolumne nur folgende drei Dinge ein:

• Eine blöde und geradezu verleumderische Überschrift, die aus zwei Wörtern besteht: "Scheinbar tatsächlich". (Darauf wird unten zurück­zu­kom­men sein.)

• Ein einziger ganzer Satz; ebenfalls blöd: "Hurra, Tarek Leitner hat seinen Rekord im langen Fragestellen gebrochen: […]"

• Ein einziges Wort am Schluss: "Klaro." 

Mit einer solchen journalistischen "Leistung" schafft man es in eine der auf­lagen­stärksten österreichischen Tageszeitungen, die sich nach ihrem Selbst­verständnis noch dazu für ein Qualitätsmedium hält! Für eine solche journa­lis­tische "Leistung" wird dieser Mann auch noch bezahlt, und diese jour­nalistische "Leistung" finanzieren die Käufer/innen der Zeitung!

Anlass für Pisas oben wiedergegebene Hirnlosigkeit der 13 Worte war eine Äußerung Tarek Leitners, als dieser am vergangenen Sonntag (28. Oktober 2018) im Fernsehen die Diskussionssendung "Im Zentrum" moderierte. Thema war das österreichische Bundesheer.

Im Folgenden der Text von Pisas Artikel (Kurier vom 1. November 2018, im Internet abrufbar unter https://kurier.at/kolumnen/scheinbar-tatsaechlich/400311543).

Weder der Wortlaut und die Zeichensetzung noch der Aufbau des Texts (ein einziger Absatz plus einem eingerückten Wort am Schluss) wurden von mir verändert. Lediglich das, was als Zitat der angeblichen Fragestellung Tarek Leitners im Text steht, habe ich zur Verdeutlichung in Kursivdruck gesetzt.

Scheinbar tatsächlich
Hurra, Tarek Leitner hat seinen Rekord im langen Fragestellen gebrochen: „Jetzt ist ja bemerkenswert nicht, dass der Bundespräsident die finanzielle Unterdotierung anspricht, da herrscht ja weitgehend Einigkeit in dieser Runde, dass vieles nicht  bezahlt werden kann, Sie, äh, ziehen das in Zweifel, na bleiben wir gleich bei Ihnen, viel bemerkenswerter als diese Konstatierung des Zustandes ist ja, bedenkend auch die politische Herkunft des Bundespräsidenten, dass es scheinbar oder möglicherweise tatsächlich so einen Grundkonsens gibt, dass dieses Bundesheer in dieser Form die richtige Einrichtung ist, das war ja nicht immer so, da hats ja durchaus kritische Parteien, nicht zuletzt die Grünen gegeben auch, aber auch jeder Zivildiener, der sich einst einer Kommission stellen musste und seine Gewissensgründe dort erforscht wurden von dieser Kommission, war sozusagen per se oder musste es sein ein Gegner dieser Institution von ihrem Gedanken her ... IST DAS SO?“
   Klaro.

Wenn man das so vorgesetzt bekommt, erscheinen Tarek Leitners Aus­füh­rungen zugegebenermaßen chaotisch und wirr. Wenn man sich aber die Stelle im Fernsehen im Original anhört (und ansieht)*, wird einem schnell klar: Die Schuld daran trägt nicht Tarek Leitner, sondern die völlig ver­fälschte und unvollständige Wiedergabe seiner Äußerung durch Peter Pisa.
*(Die Sendung ist auf Youtube verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=_HZj0qfKNnw. Die strittige Passage mit Leitner beginnt ab 16:59.)

Sorgfältig transkribiert, hätten Leitners Ausführungen beispielsweise so zu lauten (und optisch präsentiert zu werden):

"Jetzt ist ja bemerkenswert – nicht, dass der Bundespräsident diese finan­zielle Unterdotierung anspricht (da herrscht ja weitgehend Einigkeit in dieser Runde, dass vieles nicht bezahlt werden kann) …

Sie [Marijana Grandits] ziehen das in Zweifel; bleiben wir gleich bei Ihnen.

Viel bemerkenswerter als diese Konstatierung des Zustandes ist ja das – bedenkend auch die politische Herkunft des Bundespräsidenten –, dass es (scheinbar oder möglicherweise tatsächlich) so einen Grundkonsens darüber gibt, dass dieses Bundesheer in dieser Form die richtige Ein­rich­tung ist für Österreich.

Das war ja nicht immer so. Da hat's ja durchaus kritische Parteien – nicht zuletzt die Grünen – gegeben auch. Aber auch jeder Zivildiener, der sich einst einer Kommission stellen musste und seine Gewissensgründe dort tatsächlich erforscht wurden von dieser Kommission, war ja sozusagen per se – oder musste es sein – ein Gegner dieser Institution, von ihrem Gedanken her. Des war ja net so wie heute eine, eine Alternative zwischen zwei Möglichkeiten.

Ist das so – dass es, dass es diesen Grundkonsens jetzt gibt? Dass es eigentlich diese fundamentale Kritik an der Einrichtung gar nicht mehr gibt?"

So hat sich das Ganze angehört, und so ist es problemlos verständlich. (Kleinere sprachliche Unschärfen wird es meistens geben, wenn jemand aus dem Stegreif spricht.)

Drei schäbige Tricks sind Pisa vorzuwerfen:

1.
Ein gesprochener Text wird in der Regel durch kurze Pausen und durch die Intonation strukturiert (und damit für die Hörer/innen verständlich). Das lässt sich in einer Transkription zwar nicht perfekt, aber durchaus zufrieden­stel­lend umsetzen, indem man die üblichen Satzzeichen korrekt verwendet, Absätze macht und überdies etwa runde Klammern, Gedankenstriche zur Kenn­zeich­nung von Paren­the­sen, Auslassungspunkte usw. zum Einsatz bringt. Das Ergebnis wäre ein Transkript wie beispielsweise das oben von mir erstellte. (Auch in der TVthek des ORF gibt es eines zur Sendung, das zwar unzulänglich ist, aber der eben angestellten Überlegung ansatzweise zu entsprechen versucht.)

Anders hält es Peter Pisa: Er gebraucht im Zitat keine Absätze und nicht einmal Punkte (zur Kennzeichnung eines Satzendes). Er lügt damit den Leser/innen seiner Kolumne gleichsam visuell vor, Tarek Leitner hätte den ganzen Text in einem Schwall heruntergeleiert.

2.
Pisa beendet das Zitat von Leitners Äußerung mit den Worten "IST DAS SO"? Damit entsteht natürlich bei den Leser/innen der Kolumne unver­meidlich der Eindruck, Leitner hätte diese Frage gestellt, ohne dass klar wäre, worauf er diese denn bezieht.

In Wahrheit war das hingegen völlig klar – denn Leitner hat das, wonach er fragte, unmittelbar im Anschluss an die Frage erwähnt: 

"Ist das so – dass es, dass es diesen Grundkonsens jetzt gibt; dass es eigentlich diese fundamentale Kritik an der Einrichtung gar nicht mehr gibt?" 

Pisa hat das weggelassen, um den völlig verfehlten Eindruck zu erzeugen, Leitner hätte unverständlich gefragt. Das dem nicht so war, belegt auch die spontane Antwort der von Leitner angesprochenen Marijana Grandits, die ohne zu zögern meinte: 

"Ja, das glaub' ich schon, dass es die nach wie vor gibt, weil […]" 

Pisa hat also die entscheidenden Worte Leitners am Schluss des Zitats verschwiegen. Und er hat dessen Frage "IST DAS SO?" auch noch in Blockschrift gesetzt – offen­kundig in der Absicht, das vermeintlich Unklare an dieser Fragestellung (von dem er genau wusste, dass es nicht existiert!) besonders hervorzuheben.

Hier wurde also in einer Weise verdreht und manipuliert, die sich in ihrem Resultat nicht mehr von einer Lüge unterscheidet.

3.
Gleiches gilt für die Überschrift der Kolumne, also die Worte "Scheinbar tatsächlich".

Auch damit soll eine sprachliche Schwäche Tarek Leitners suggeriert werden, indem ihm der Gebrauch einer in sich widersprüchlichen Formu­lie­rung unterschoben wird. (Was tatsächlich ist, kann nicht bloß scheinbar sein, und umgekehrt.) Nur hat Leitner das so auch gar nicht gesagt. Er meinte vielmehr: 

"scheinbar oder möglicherweise tatsächlich" (gebe es einen Grund­konsens über die Sinnhaftigkeit des Bundesheers in seiner gegenwärtigen Form)

Die Worte "oder möglicherweise" sind also für den Sinnzusammenhang von entschei­dender Bedeutung – und dennoch (oder besser gesagt: gerade deshalb) hat Pisa sie weggelassen, um eine pseudo-originelle Überschrift zu bekommen und ein negatives Bild von Leitner als Moderator zu zeichnen. (Im Zitat selbst führt Pisa die zwei Worte zutreffend an. Und dennoch findet er nichts dabei, eine den Sinn völlig ent­stellende Überschrift zu konstruie­ren.)

Bilanz:
Wie soll man das nennen, was Pisa sich mit seiner Kolumne am vergan­genen Donnerstag geleistet hat? Unseriös? Niederträchtig? Skrupellos? Ver­lo­gen? Meiner Überzeugung nach passen alle diese Adjektive.

Und wozu machte er das? Ich nehme nicht an, dass ein persönlicher Konflikt zwischen ihm und Leitner dahintersteckt. Es ging Pisa offenkundig schlicht und einfach darum, seine Kolumne wieder einmal mit seinem spöttischen und substanzlosen Mist befüllen zu können. Wenn sich dafür in den letzten Tagen anscheinend keine tatsächlichen sprachlichen Ausrutscher im Fern­seh­programm als Anlass gefunden haben, dann werden sie eben rück­sichts­los erfun­den bzw. herbeikonstruiert; und dafür ist jedes Mittel der Mani­pulation und der Verfälschung recht.

Und das bringt mich zum Grundsätzlicheren. Drei Tage vor dem Erscheinen von Pisas Kolumne schrieb die nunmehrige Chefredakteurin des Kurier, Dr. Martina Salomon, in einem Leitartikel unter Anderem Folgendes (Kurier vom 29. Oktober 2018, im Internet: https://kurier.at/meinung/hilfe-wie-ueberlebt-man-in-diesen-zeiten/400301010 )

"Gerade in Zeiten, wo Manipulation so einfach geworden ist, braucht es Information, auf die man sich verlassen kann – ohne Mission, ohne Moralisieren, ohne Wehleidigkeit: Journalismus, der es ermöglicht, sich eine eigene Meinung zu bilden. Das ist unser Ziel. Und sollten Sie irgendwo einen Journalisten treffen, der die Wahrheit gepachtet hat: Seien Sie misstrauisch. Besserwisserei gibt es ohnehin inflationär und gratis im Netz."

Lässt sich die Großspurigkeit und Heuchelei solcher Beteuerungen und Ratschläge besser beweisen als durch eine kritische Lektüre des drei Tage darauf erschienenen Artikels Peter Pisas?

Mir ist schon klar: Salomons Überlegungen hinsichtlich Information, Mani­pu­lation, Wahrheit etc. betrafen sicherlich nicht primär die Ansichten eines Kolumnisten über die sprach­lichen Qualitäten eines Fernsehmoderators. Und in der Tat ist dieses Thema – für sich genommen – relativ harmlos und belanglos. Aber die Mechanismen, nach denen unseriöser Journalismus abläuft, lassen sich eben auch anhand des Falles Pisa vortrefflich studieren. (Im Übrigen habe ich schon in zahlreichen früheren Blog-Artikeln nachge­wiesen, dass es – gerade auch beim "Kurier" [aber natürlich nicht nur dort] – bei grundlegenden politisch-gesellschaftlich-ideologischen Themen gleich­falls ein massives Defizit an journalistischer Redlichkeit gibt.)

Jedenfalls fühlt man sich als kritischer Leser für blöd verkauft, wenn uns die Chefredakteurin die oben zitierte Predigt (bzw. Werbebotschaft für Bezahl-Medien) präsentiert und man kurz darauf Pisas Artikel vorgesetzt bekommt. "Journalismus, der es ermöglicht, sich eine eigene Meinung zu bilden", ist ein solcher Artikel jedenfalls nicht: Sein Verfasser verunglimpft grundlos und wider besseren Wissens einen (der wenigen) hervorragenden Medien­menschen. Klar, man kann sich unter Umständen (dennoch – und nicht dank dieses Journalismus!) eine eigene Meinung bilden (nämlich solange die betreffende Sendung in der TVthek des ORF oder anderweitig, wie in diesem Fall auf Youtube, abrufbar ist). Aber wer macht sich schon die Mühe, Fälschung und Original zu vergleichen?

Wie auch immer – ich habe es jedenfalls getan. Und mir anschließend in der Tat eine eigene Meinung gebildet – und zwar nicht nur über Tarek Leitners Moderation in der Diskussionssendung, sondern vor allem auch über Herrn Pisa und (wieder einmal) über Frau Dr. Salomon.