Dienstag, 11. Dezember 2018

Vermögen und Mieten

Viel wird geforscht und publiziert zum Thema der ungleichen Vermögens­verteilung.

Wozu? Alles entbehrlich. Denn eine der Leuchten des österreichischen Journalismus, die Kurier-Chefredakteurin Dr. Martina Salomon, kennt die Ursache: Es sind die niedrigen Mieten!!

Über diese erstaunliche Erkenntnis informiert sie uns in ihrem Leitartikel vom 8. Dezember 2018 (dessen dümmlich-manipulativer Titel lautet: "Neid: Todsünde und Triebfeder" [Link]). Dort schlussfolgert die Dame allen Ernstes:

"Dass Studien den Österreichern ungleich verteiltes Vermögen nachweisen, ist para­doxerweise eine Folge der im internationalen Vergleich niedrigen Mieten, bedingt durch die hohe Zahl an Sozialwohnungen, vor allem in Wien. Was die Notwendigkeit, sich (Wohn-)Eigentum zu verschaffen, untergrub – nicht aber den Neid auf die 'Besitzen­den'."

Unfassbar. Wie soll man auf solche Aussagen reagieren? Das ist derartig abwegig, zynisch und unverschämt, dass man ratlos ist; und fassungslos darüber, was sich die neoliberale Boulevardpresse ihrer Leserschaft ganz ungeniert vorzusetzen traut.

Diese absurde und vor allem menschenverachtende publizistische Untat richtet sich von selbst. Man macht sich ja geradezu lächerlich, wenn man darauf mit Sachargumenten antworten möchte. Die Journaille lacht sich ins Fäustchen über uns Naivlinge, die so etwas tun und in Verkennung der Realität noch immer hartnäckig daran glauben, dass die viel beschworene "Pressefreiheit" etwas mit Seriosität, argumentativer Redlichkeit, Respekt (gegenüber den Leser/innen) und Verant­wortungs­­gefühl zu tun haben sollte. (Als ob wir es nicht durch die einschlägige Medienkritik von Karl Kraus bis Noam Chomsky längst besser wissen müssten!)

Dennoch seien zwei sachliche Einwände ausgeführt. (Niemand soll mir nach­sa­gen können, ich würde nicht begründen, warum ich etwas für eine Halun­ke­rei halte.)

  Der erste Einwand betrifft den rein logischen Aspekt:

Mit der Vermögensverteilung in Österreich sieht es in etwa so aus:
[Quelle (als eine von vielen): Gerald John in einem Artikel im "Standard" vom 14.6.2014 (Link)]

"Vermögen: Fünf Prozent besitzen mehr als die Hälfte
Die Reichsten vereinen einen größeren Anteil des Vermögens auf sich als bisher ange­nommen: Zu diesem Schluss kommt eine neue Berechnung aus der Europäischen Zen­tralbank (EZB). Ergebnis für Österreich: Die wohl­habendsten fünf Prozent der Haus­hal­te besitzen demnach zwischen 52 und 59 Prozent des privaten Nettovermögens.
[…]
Eine Hochrechnung der Universität Linz ließen viele Kritiker nicht gelten, zumal der Auf­traggeber die politisch gefärbte Arbeiterkammer war. Doch die dem "Standard" vor­lie­gen­­de Untersuchung des Ökonomen Philip Vermeulen, die demnächst als EZB-"Wor­king Paper" erscheint, geht von ähnlichen Dimensionen aus: Sie setzt nicht nur den Anteil der obersten fünf Prozent, sondern auch jenen des Top-Hundertstels höher an als bis­her ausgewiesen: Das reichste Prozent besitzt demnach nicht bloß 23 Prozent, sondern 30 bis 41 Prozent des Nettovermögens (Schulden abgezogen).
[…]
Von zehn genannten Staaten bescheinigen die Daten nur den USA höhere Vermögens­konzentration. Die angeführten EU-Länder – etwa Deutschland, Frankreich, Italien oder die Niederlande – hängt Österreich diesbezüglich ab."

Und jetzt betrachten wir noch einmal Salomons Rezept:

5 % der Haushalte besitzen mehr als die Hälfte des Privatvermögens? Was tun dagegen? Antwort: Mieten erhöhen die Bewohner von Sozial­wohnun­gen kaufen sich daraufhin eine Eigentumswohnung (oder gleich eine Villa?) → Problem gelöst.

Da muss schon die Frage erlaubt sein: Tickt jemand noch richtig, der solche Überlegungen anstellt?

• Der zweite Punkt bezieht sich auf die Moral:

Die sicherlich (und jedenfalls zu Unrecht) gut bezahlte Frau Chefredakteurin möchte mittels einer Anhebung der Mieten die Niedrigverdiener aus ihren (tatsächlich oder vermeintlich) preisgünstigen Mietwohnungen vertreiben und sie auf diese Weise der "Notwendigkeit, sich (Wohn-)Eigentum zu be­schaf­fen" (!) aussetzen.

Da stellt sich natürlich sofort die handfeste praktische Frage, wie das für die Betroffenen finanziell machbar sein soll. (Siehe wiederum nur als eine von vielen Quellen eine APA-Meldung in der "Presse" vom 12.7.2017: "Eine Wohnung in Österreich kostet sechs Bruttojahresgehälter" / "In Österreich kostet eine 80-Quadratmeter-Wohnung im Schnitt 200.000 Euro, in Wien bekommt man für diese Summe nur 51 Quadratmeter." [Link])

Und damit zeigt sich in Salomons Überlegung vor allem auch ihre Einstellung zu den (weniger begüterten) Mitmenschen und ihre Abgehobenheit zu deren Lebens­reali­tät. Die Ungeheuer­lichkeit, die Salomon mit ihren Wohnungs- und Mietphantastereien zu Papier gebracht hat, erinnert frappant an den Ausspruch, welcher der französischen Prinzessin und späteren Königin Marie-Antoinette in den Mund gelegt wird (aber in Wahrheit nicht von ihr stammt): Wenn sich die Armen kein Brot leisten können, dann mögen sie doch Kuchen essen. Übersetzt in das österreichische Leitartikel-Unwesen des Jahres 2018: Wem die Miete zu hoch ist, der soll sich halt eine Eigentumswohnung kaufen.

Und auch auf einer zweiten, grundsätzlicheren Ebene manifestiert sich die Unmoral von Salomons Standpunkt: Sie betreibt (wieder einmal) eine unverfrorene Umkehr von Ursache und Wirkung (oder – wenn man so will – von Täter und Opfer): Schuld an der ungleichen Vermögensverteilung sind für Salomon nicht jene, die diese Vermögen anhäufen (samt deren Handlangern, die das politisch ermöglichen oder publizistisch propagieren); vielmehr sind es diejenigen, die wenig bis nichts haben (bzw. eine Stadtgemeinde, die dieser Personengruppe durch die Bereitstellung von leistbarem Wohnraum – vulgo Sozialwohnungen – Unterstützung zu geben versucht)!

Zuammengefasst: Was Salomon da von sich gegeben hat, ist sowohl intellektuell als auch moralisch unter jeder Kritik.

Auf den Rest des insgesamt widerwärtig manipulativen Leitartikels – vor allem auch auf die Frage, wer denn hier nun eigentlich seinen Neid zutage treten lässt – gehe ich gar nicht ein. Ich brauche jetzt dringend Ablenkung bei guter Musik, damit ich mich nicht zu Verbal­injurien gegen die Verfasserin hinreißen lasse.