Dienstag, 27. August 2019

SPÖ und Menschlichkeit

"Menschlichkeit siegt."

Das ist die ebenso großspurige wie illusorische Feststellung, welche die SPÖ derzeit aus Anlass der Ende September stattfindenden Nationalrats­wahl auf ihren diversen Werbeplakaten stehen hat. Fast immer ist das kombiniert mit einer Abbildung der Parteivorsitzenden und Spitzenkandidatin Dr. Pamela Rendi-Wagner und sieht dann beispielsweise so aus:



Wie es um die Menschlichkeit in dieser Partei und da vor allem auch bei Frau Dr. Rendi-Wagner selbst tatsächlich bestellt ist, konnte man gestern (am 26. August 2019) vortrefflich studieren. Da war besagte Dame nämlich im "Sommergespräch" im Fernsehen zu sehen und zu hören. Es ging dabei auch um das Thema der Aufnahme jener Flüchtlinge bzw. Migranten, die – in Seenot geraten – von Rettungsschiffen im Mittel­meer an Bord genommen werden und dann dort ausharren müssen, bis erstens ein europäischer Hafen dem jeweiligen Schiff das Anlegen erlaubt und bis zweitens irgendein europäisches Land zu eben jener Aufnahme der Geretteten bereit ist.

Wenn die Vertreterin der selbsternannten Partei der Menschlichkeit Stellung beziehen muss, wie sich Österreich dabei verhalten soll, so nimmt das den im Folgenden wiedergegebenen Verlauf.

Der Interviewer Tobias Pötzelsberger stellt eine einfache und klare Frage:

"Es gibt immer wieder diese Debatten um Schiffe im Mittelmeer mit Flüchtlingen an Bord. Die EU konnte sich da bisher nicht auf eine Ver­teilung einigen. Österreich hat zuletzt keine Flüchtlinge aufgenommen von diesen Schiffen.

Wie sehen Sie es? Sollte Österreich diese Flüchtlinge – oder einige davon – auf­neh­men?" 

Dort, wo ein klares "Ja" oder "Nein" als Antwort angemessen wäre, fängt Rendi-Wagner an, in bester (= schlechtester) Politiker/innen-Art herumzula­vie­ren:

"Schauen Sie, genau diese Diskussion führen wir jetzt seit Jahren; seit 2015 kontinuier­lich. […] Ich möcht' nur jetzt einen politischen Diskurs hier ansto­ßen. […] Es muss jemand diese Flüchtlinge natürlich aufnehmen. Aber ich sage: Es kann nicht sein, dass Österreich, Deutschland, Schweden, die 2015 eine großartige Vorleistung gemacht haben, dass es immer die gleichen drei Länder sind, die hier aufnehmen. Ich denke, das muss eine fairere Verteilung sein, in Europa.

Aber zuerst gilt es Gedanken anzustellen, wie wir die Ursachen der Migration bekämpfen: indem wir sagen 'Flüchtlingsursachen bekämpfen', 'Wirtschaftshilfe vor Ort in Afrika', 'Verfahrenszentren vor Ort'. Diese Menschen dürfen erst gar nicht nach Österreich oder nach Europa kommen. Da haben sie eine Wüste durchquert und ein Mittelmeer überschifft unter größter Lebensgefahr. Das ist gefährlich für die Menschen, und das ist inhuman. Wir müssen einen europäischen Plan haben, dass wir Verfahrens­zentren mit raschen europäischen Asylverfahren in Afrika organisieren. Kein Schritt bisher in diese Richtung getan."

Da ist alles drinnen, was man an üblichen Schlagworten zum Thema – sogar von rechten Politikern – zu hören bekommt. Dazu gesellt sich die – gleich­falls als rhetorischer Trick gern eingesetzte – geheuchelte Anteilnahme und Sorge betreffend die Menschen, die durch ihre Reisen in Richtung Europa in Lebensgefahr geraten.

Und es ist weiters eine massive Unlogik enthalten, wenn die Dame meint, es seien "zuerst" (!) Gedanken betreffend die Bekämpfung der Fluchtursachen etc. anzustellen. Wo doch an erster Stelle natürlich für jene Personen eine Lösung zu finden wäre, die ganz konkret und aktuell auf einem Ret­tungs­schiff festsitzen!

Frau Dr. Rendi-Wagner ist ausgebildete Ärztin und war viele Jahre als Gesundheitsexpertin tätig. Ihre (zwecks Vermeidung einer klaren Antwort und zwecks Ablen­kung von der gestellten Frage vorgenommene) Priori­tä­ten­setzung käme dem Fall gleich, dass die Behandlung einiger Schwer­kranker oder Schwerverletzter hintangestellt wird und sich die dafür zustän­di­gen Mediziner/innen statt dessen "zuerst" der Erforschung und Beseitigung der Ursachen dieser Krankheiten oder Verletzungen widmen – also die Prävention vor die Therapie der bereits existierenden, akuten Fälle stellen.

Auf die Ausgangsfrage des Interviewers haben wir also bestenfalls eine höchst indirekte – und natürlich negative – Antwort bekommen. Konsequen­ter­weise hakt er nach und fragt: 

"Aber von diesen Schiffen würden Sie keine Flüchtlinge aufnehmen. Habe ich Sie richtig verstanden?" 

Wieder ist Rendi-Wagner zu feig, ihr "Nein" klar herauszusagen. Wieder beginnt sie herumzudrücken:

"Jemand, der hierher kommt und landet, es ist … [Anm.: nicht zu Ende gesprochen]. Solange diese hier landen, muss hier ein Asylverfahren ge­währt werden in Europa. Das ist keine Frage. Aber es muss nicht immer Österreich sein, und es muss nicht Deutschland und Schweden sein. Da gibt es andere Länder, die 2015 nicht tätig waren."

Noch einmal fragt Pötzelsberger nach: 

"Also nicht?" 

Und zum dritten Mal ist die Menschlichkeitsheuchlerin nicht ehrlich genug, wenigstens das klare Nein explizit auszusprechen, das ihr zwar keinesfalls über die Lippen kommen darf, das sie aber medial dennoch unbedingt "rüberbingen" möchte bzw. muss, weil man in Österreich natürlich nur mit einer solchen Einstellung bei Wahlen Stimmen gewinnen kann. (Ein mutiges und wahrhaft menschliches "Ja, doch, wir sollten welche aufnehmen" ist schon allein aus dem eben genannten Grund als Antwort ohnedies unvor­stell­bar.)

Rendi-Wagner artikuliert also auch beim dritten Anlauf das Nein wieder nur indirekt. (Bei wohlwollendster Beurteilung fügt sie am Schluss des Satzes verschämt ein Wort hinzu, das möglicherweise ein "Nein" sein könnte, aber akustisch ist das nicht eindeutig zu verstehen.) Sie sagt:

"Derzeit stehen wir nicht an erster Stelle, dass wir diese Flüchtlinge auf­nehmen."

Würde Menschlichkeit siegen, so stünden "an erster Stelle" ausschließlich jene Personen, die Hilfe bzw. Schutz benötigen – auch und gerade dann, wenn andere (Länder) diese Menschlichkeit vermissen lassen!

Wenn Menschlichkeit hingegen in unverschämter Weise lediglich als selbst­ge­fälliges, geheucheltes und verlogenes Schlagwort missbraucht wird, dann druckt man als politische Partei den Begriff auf Wahlplakate – und gibt als Politikerin ein entlarvendes Fernsehinterview mit Äußerungen wie den oben zitierten.