Montag, 27. Januar 2020

Exkursion nach Libyen

Dass Unmenschlichkeit und Niedertracht heutzutage (wie übrigens gerade hierzu­lande auch schon vor 80, 90 Jahren) ganz unverhohlen artikuliert werden, belegen exemplarisch die Äußerungen zweier Minister aus den ver­gangenen Tagen:

1.
Aus Anlass eines Treffens der EU-Innenminister in Zagreb berichtete die "Zeit im Bild 2" am 24. Jänner 2020, dass das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos für knapp 3000 Personen ausgelegt sei und derzeit dort 19.000 Menschen laut Hilfsorganisationen "unter elendigen Umständen" leben würden. Die konservative griechische Regierung habe angekündigt, Moria zu schließen und jene Flüchtlinge aufs Festland zu holen, die gute Aussichten auf Asyl hätten.

Der österreichische Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) kommentierte das bei dem Treffen in Zagreb wörtlich wie folgt:

"Wir halten es für falsch, dass die Menschen von den Inseln jetzt Richtung Festland gebracht werden, weil das wird dazu führen, dass die organisierte Kriminalität und die Schlepperei wieder mehr Menschen auf die Inseln zuführen wird."

2.
Der (parteilose) österreichische Außenminister Alexander Schallenberg gab am 21. Jänner dem deutschen Journalisten Gabor Steingart ein kurzes Interview.
"[…] der deutsche Außenminister [Heiko Maas] […] würde ganz gerne die Rettungsmission 'Sophia' auf dem Mittelmeer wieder neu aufleben lassen und Geflüchtete, die kentern, rechtzeitig in einer europäisch abgestimmten Mission aufnehmen, retten und an Land bringen. Trifft das Ihre Zustim­mung?" 

Schallenberg:
"Für uns ist auf jeden Fall klar, dass ein Wiederaufleben der 'Sophia'-Mission in dieser Form undenkbar ist. Wir wollen jetzt keine Seenot-Rettungsmission in Libyen – das ist nicht das, was das Land braucht. Wir wollen auch keine Maßnahmen, die sozusagen einen Pull-Faktor wieder in die Europäische Union zeitigen, sondern worum es jetzt geht, ist, den Waffenstillstand [Anm.: zwischen den rivalisierenden militärischen Kräften Libyen] zu sichern, das kann auch durch Luftraumüberwachung sein. Also wie gesagt, wir sind noch am Beginn dieses politischen Prozesses. Aber ein Wiederaufleben der 'Sophia'-Mission sehen wir nicht."

[…]

Steingart:
"Heiko Maas sagt, es sei ja widersprüchlich, die Zustände in den Flüchtlingslagern in Libyen als unmenschlich zu kritisieren und zugleich dann die Leute dorthin von der libyschen Küstenwache zurückbringen zu lassen. Hat er da nicht Recht?" 

Schallenberg:
"Wir waren immer der Meinung, dass man die aktive Zusammenarbeit mit den Staaten in Nordafrika suchen muss, aber auch die Transit- und Herkunftsländer einbeziehen muss. Es kann nicht sein, dass das Betreten eines EU-Schiffes oder das Betreten eines Strandes der EU zu einem fixen Ticket Richtung Europa wird. Dann wären wir genau dort, wo wir 2015/16 schon waren."

Steingart:
"Also ein reines Wiederaufleben der ursprünglichen 'Sophia'-Mission würde für Sie bedeuten: Man kommt zurück in die von Kritikern [als] 'Pull-Faktor' bezeichnete Seenot-Rettungspolitik?" 

Schallenberg:
"Ja, das sehe ich so."

3.
Alle oben zitierten Äußerungen waren direkt aus dem Mund der beiden Minister zu hören. Nehammer wird überdies im Kurier vom 25. Jänner zitiert. In einem Artikel mit der Überschrift "Nehammer: «Gerettete zurück nach Libyen»" heißt es: 

"Auch in Zagreb [bei dem erwähnten Treffen der EU-Innenminister] war Libyen Thema. Die EU-Seenotrettungsmission «Sophia» soll zum Kampf gegen Menschenhandel beitragen. Für Nehammer ist klar: Werden die Flüchtlinge gerettet, dann müssen sie «dorthin zurückgebracht werden, von wo sie kamen. Das darf kein Ticket nach Europa werden»." 

4.
Ein Ticket (zurück) nach Libyen, das der famose Minister den Menschen in Seenot verordnet, wäre ihm und seinem Kollegen Schallenberg zu wün­schen:

Diesen Herrschaften, die es nie notwendig hatten, auch nur für einen Moment ihren Arsch aus der Komfortzone zu bewegen, würde eine Reise übers Mittelmeer gebühren. Aber nicht auf einem Kreuzfahrtschiff, sondern in einem Schlauchboot. Und nicht in Richtung Europa, sondern gera­de­wegs in Richtung Libyen. Und falls sie es bis dorthin schaffen, dann schnurstracks ab mit ihnen für ein paar Monate in eines jener Lager, in denen derzeit so viele afrikanische Flüchtlinge bzw. Migranten dahin­vege­tieren. Und wenn die zwei Herren auch das überstehen sollten und anschließend wieder in Österreich in Erscheinung träten, dann wäre es ihnen in der Zwischenzeit hoffentlich so ergangen, dass von ihnen solch unerträgliche Äußerungen wie die oben zitierten nicht mehr zu hören sind.

Anmerkung:
Wie erwähnt, steht das von den beiden Ministern Gesagte exemplarisch dafür, was in Österreich (nicht nur, aber gerade hier) die herrschende, etablierte und salonfähige Auffassung ist. Würde man alle Leute, welche die einschlägige Denkweise an den Tag legen, in gleicher Weise auf der Mittelmeerroute nach Libyen schicken, so wären unzählige Boote gefüllt – und Österreich ein besseres Land.