1. Eine Ablöse
Der Tod des
ehemaligen Autorennfahrers Niki Lauda (am 20. Mai) ist in eine Zeit gefallen,
als Österreich gerade mitten in einer politischen Krise steckt(e). Dadurch ist
das absurde nationale Heldengedenken um seine Person glücklicherweise etwas in
den Hintergrund gerückt. (Die völlig irrationale Verehrung, die jemandem wie
Lauda jahrzehntelang – und konsequenterweise auch aus Anlass seines Ablebens –
zuteil wurde, wäre sowieso einer eigenen Betrachtung wert.)
Jedenfalls
wurde der eine dümmliche nationale Personenkult durch einen anderen überlagert
bzw. nahtlos abgelöst. Mehr oder weniger zeitgleich mit Laudas Tod hat
Österreich sogar zwei neue Stars für sich entdeckt: den amtierenden
Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen und seit gerade mal drei Tagen die bisherige Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes, Brigitte
Bierlein.
Dass es für die
ziemlich einhellige Begeisterung über diese beiden Personen weder im einen noch
im anderen Fall einen plausiblen Grund gibt, werde ich im Folgenden darlegen.
2. Die Vorgeschichte
Zunächst
seien zum besseren Verständnis die wesentlichen Punkte der Vorgeschichte
erwähnt. Ich nenne dabei mit Absicht auch die einschlägigen Bestimmungen der
Bundesverfassung (B-VG), weil mir das für die anschließende Kommentierung der
Rolle Van der Bellens während der letzten Zeit wesentlich erscheint. (Wer über
all das ohnedies Bescheid weiß oder sich dafür nicht interessiert, kann an
dieser Stelle direkt zu Pkt. 3.1
"Grundlose Mythenbildung" springen.)
• Am
Freitag, 17. Mai 2019, wird um zirka 18 Uhr in den Medien das sogenannte
"Ibiza-Video" veröffentlicht, in welchem sich die FPÖ-Politiker
Johann Gudenus und Heinz-Christian Strache politisch und moralisch
desavouierten. Als Reaktion geben beide Politiker am 18. Mai gegen Mittag den
Rücktritt von ihren zuletzt ausgeübten politischen Ämtern bekannt: Gudenus tritt
als Nationalratsabgeordneter und FPÖ-Klubobmann zurück, Strache als
Bundesminister (für öffentlichen Dienst und Sport) und gleichzeitiger Vizekanzler,
weiters als Bundesparteiobmann und Wiener Landesparteiobmann der FPÖ.
• Am Abend
des 18. Mai – also etwa 24 Stunden nach Bekanntwerden des Videos – erklärt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die
Koalition mit der FPÖ für beendet und kündigt Neuwahlen an. Grund war
offensichtlich nicht der Inhalt des Ibiza-Videos, sondern der Umstand, dass die
ÖVP auch die Ablöse des FPÖ-Innenministers Herbert Kickl verlangte und die
FPÖ dieser Forderung nicht entsprechen wollte. Über dieses Thema hatten die beiden
Parteien anscheinend einen Großteil des Samstags verhandelt.
• Nach Kurz
äußert sich Bundespräsident Van der Bellen. Auf die Person Kickls geht er zu
diesem Zeitpunkt noch nicht ein. Er erklärt allgemein:
"Wir
alle müssen unseren Institutionen vertrauen können. Das ist das Fundament
unserer Demokratie. Wenn dieses Vertrauen derart grundsätzlich erschüttert ist,
steht die Handlungsfähigkeit einer Regierung in Frage. Das ist jetzt der Fall.
[…]
Ich habe in diesem Sinne mit Bundeskanzler Kurz vorgezogene
Wahlen in Österreich besprochen und werde morgen Vormittag in einem weiteren
Treffen die nächsten Schritte mit ihm vereinbaren."
Eine im
Wesentlichen ähnliche Stellungnahme gibt Van der Bellen nochmals am folgenden
Tag (19. Mai) ab. Er
"plädiere
[…] für vorgezogene Neuwahlen im September".
• Am 21.
Mai beantragt Kurz beim Bundespräsidenten die Entlassung Kickls aus der
Bundesregierung. Die FPÖ hatte bereits zuvor angekündigt, dass im Fall des
erzwungenen Ausscheidens Kickls auch die übrigen FPÖ-Minister/innen die
Regierung verlassen würden.
Dementsprechend
erklärt Van der Bellen:
"Heute hat mich Bundeskanzler Kurz ersucht, den
Innenminister zu entlassen.
Und er hat mich informiert, dass daraufhin alle anderen von
der FPÖ nominierten Bundesminister und der Staatssekretär um Enthebung vom Amte
bitten.
Die Außenministerin hat sich bereit erklärt, ihr Amt während
der Übergangsregierung weiter auszuüben.
Ich beabsichtige diesem Ersuchen zu entsprechen."
(https://www.bundespraesident.at/aktuelles/detail/news/gespraech-mit-bundeskanzler-sebastian-kurz/
)
Über die weitere Vorgangsweise sagt er:
"Ich hatte den Herrn Bundeskanzler daher umgehend
ersucht bzw. beauftragt, mir neue Minister für diese Ämter vorzuschlagen, damit
ich sie gemäß Artikel 70 unserer Österreichischen Bundesverfassung in
weiterer Folge ernennen kann.
Für die Phase des Überganges bis zum Herbst und vor allem um
das Vertrauen wiederaufzubauen, ist es selbstverständlich, dass diese Ministerämter nur von untadeligen Expertinnen und Experten besetzt werden.
[…]"
• Am Tag darauf, also am 22. Mai, werden die angekündigten
Schritte auch formal umgesetzt. Der Bundespräsident führt diesbezüglich aus:
" […]
Ich komme nun zur Entlassung und Enthebung der bisherigen
Mitglieder der Bundesregierung sowie zur Ernennung und Angelobung der
künftigen Mitglieder der Bundesregierung.
(...)
Auf Ihren Vorschlag, Herr Bundeskanzler, entlasse ich gemäß
Artikel 70 Absatz 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes den Bundesminister für
Inneres, Herrn Herbert Kickl.
Weiters enthebe ich auf deren eigenen Wunsch gemäß Artikel
74 Absatz 3 des Bundes-Verfassungsgesetzes den Vizekanzler und Bundesminister
für öffentlichen Dienst und Sport, Herrn Heinz-Christian Strache,
die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, Frau Beate Hartinger-Klein,
den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie,
Herrn Norbert Hofer,
den Bundesminister für Landesverteidigung, Herrn Mario
Kunasek,
und gemäß Artikel 74 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 78
Absatz 2 den Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen, Herrn Hubert
Fuchs,
von ihren Ämtern."
Auf das Wesentliche zusammengefasst, wurden gleichzeitig
(wiederum über Vorschlag des Bundeskanzlers) vier neue Personen vom
Bundespräsidenten als Regierungsmitglieder ernannt und angelobt (wiederum
gestützt auf Art. 70 Abs. 1 B-VG).
Nach den
Vorstellungen Van der Bellens und Kurz' würde diese Übergangsregierung –
gebildet aus den bisherigen ÖVP-Minister/innen und den vier neuen
(parteiunabhängigen) Fachleuten – bis zu den geplanten Neuwahlen im September (sowie in der Zeit danach bis zur Bildung einer neuen Regierung)
ihr Amt ausüben.
• Dazu
sollte es jedoch nicht kommen. In den meisten Oppositionsparteien (einschließlich nunmehr
der FPÖ) wird in den folgenden Tagen der Ruf lauter, dem Bundeskanzler oder der
soeben konstituierten Regierung insgesamt das Misstrauen auszusprechen.
Letzteres
geschieht dann am Montag, dem 27. Mai:
Ein im
Nationalrat von der SPÖ eingebrachter Misstrauensantrag (gegen die gesamte
Regierung) wird mit den Stimmen dieser Partei, der FPÖ und der Kleinpartei
"Jetzt" mehrheitlich angenommen (Art. 74 Abs. 1 B-VG iVm Art. 78 Abs. 2 B-VG). (Die Neos stimmten als einzige
Oppositionspartei nicht für den Misstrauensantrag.)
• Der
Bundespräsident ist nun verpflichtet, die Bundesregierung ihres Amtes zu
entheben (Art. 74 Abs. 1 B-VG). Er macht das am folgenden Tag, also am 28. Mai.
Da ja noch
keine neue Regierung zur Verfügung steht, betraut Van der Bellen die scheidende
Regierung mit der Fortführung der Verwaltung. Auch dies geschieht auf dem Boden
der Bundesverfassung, nämlich gemäß Art. 71 B-VG. (Der bisherige Bundeskanzler
Kurz wollte seine Funktion offenbar nicht mehr weiter ausüben. Deshalb übertrug
Van der Bellen dessen Agenden an den bisherigen Finanzminister Löger,
gleichfalls gestützt auf Art. 71 B-VG.)
• Zwei Tage
später, also am Donnerstag, 30. Mai, gibt Van der Bellen bekannt, dass er in
einigen Tagen die amtierende Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes, Brigitte
Bierlein, zur Bundeskanzlerin ernennen werde.
Bierlein
tritt bereits gemeinsam mit dem Bundespräsidenten auf und gibt eine erste,
naturgemäß sehr allgemein gehaltene Erklärung ab. Sie nennt aber bereits zwei
konkrete Namen künftiger Regierungsmitglieder: Justizminister (und Vizekanzler)
soll der frühere Präsident des Verwaltungsgerichtshofes, Clemens Jabloner, werden; als Außen- sowie Europaminister ist Alexander Schallenberg (derzeit Leiter der
Europasektion im Bundeskanzleramt) vorgesehen.
3.1. Grundlose Mythenbildung
Das eben
unter Pkt. 2 geschilderte Geschehen ist im Wesentlichen der Ablauf und der Stand
der Dinge zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Blog-Artikels. Während in den Medien
und anscheinend auch unter einem Großteil der Bevölkerung bis Donnerstag teils
geradezu panische Besorgnis darüber herrschte, ob denn die gebetsmühlenartig
ins Treffen geführte "Stabilität" des Landes Bestand haben werde
(eine natürlich durch und durch lächerliche Besorgnis), dominiert seit dem
Auftritt der neuen Star-Zwillinge Van der Bellen und Bierlein im Handumdrehen
eine positive, erleichterte bis euphorische Stimmung.
Gelobt wird
einerseits von Vielen der Bundespräsident, der sein Amt in dieser Krisenzeit so
souverän und besonnen und klug (und was weiß ich noch alles) ausgeübt habe. Die
FPÖ-Gegner fügen auch gerne hinzu, wie froh und erleichtert man sein müsse,
dass Van der Bellen und nicht "ein Anderer" (nämlich sein Konkurrent
Norbert Hofer) in dieses Amt gewählt wurde.
Und wohl
noch breitere Zustimmung – nämlich explizit auch jene von Seiten der FPÖ –
findet die designierte Bundeskanzlerin, also Brigitte Bierlein. Besonders
erfreut über deren bevorstehende Ernennung zeigen sich auch feministisch
orientierte Frauen, wo es doch jetzt erstmals eine Geschlechtsgenossin in diese
hohe politische Funktion geschafft habe.
Ich kann
mich jedenfalls wieder nur einmal darüber wundern, wie undurchdacht, ja
irrational und abseits jedweder nüchterner Betrachtung der Situation einzelne
Personen zu Sympathieträgern, Stars, Helden, Idolen, Leitfiguren usw.
hochgejubelt werden.
3.2. Brigitte Bierlein
Beginnen
wir bei Bierlein:
Man kann
wohl davon ausgehen, dass sie einer breiteren Öffentlichkeit erstmals vor
gerade drei Tagen bekannt geworden ist; also am Donnerstag, als sie (wie oben
ausgeführt) an der Seite des Bundespräsidenten eine erste kurze Stellungnahme
zu ihrer bevorstehenden Ernennung abgab. Einige Leute (auch außerhalb der
juristischen Fachkreise) werden wahrscheinlich schon vorher gewusst haben, dass
sie (seit Februar 2018) Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes ist (und zuvor
rund 15 Jahre dessen Vizepräsidentin war); allenfalls werden manche ein-zwei
Zeitungsinterviews mit ihr gelesen haben.
Das war's
dann aber auch schon. Mehr ist der Öffentlichkeit über Frau Dr. Bierlein bzw.
über ihre beruflichen Tätigkeiten nicht bekannt; und das kann es naturgemäß
auch gar nicht sein – einfach, weil sich all diese Tätigkeiten (sei es als
Mitglied des Verfassungsgerichtshofes, sei es früher als Staatsanwältin, als
Generalanwältin in der Generalprokuratur usw.) nicht vor den Augen der breiten
Bevölkerung, ja großteils sogar unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit
abspiel(t)en.
Natürlich
mag es psychologisch eine wohltuende Abwechslung sein, einmal eine
Nicht-Politikerin als künftige Bundeskanzlerin dort stehen und reden zu sehen,
wo man sonst (via Fernsehschirm) in ähnlichen Situationen nur Polit-Profis zu
Gesicht bekommt. Und es hat sicherlich einen gewissen Reiz des Neuen, wenn
diese Frau nicht glatt-routiniert ihre erste Stellungnahme aus dem Ärmel
schüttelt, sondern diese eher verschüchtert und Wort für Wort von ihren Zetteln
abliest.
Das möchte
ich all den am Donnerstag wie aus dem Nichts aufgetauchten Bierlein-Fans
durchaus konzedieren. Aber das kann (oder besser gesagt: das sollte) doch in
keinem Fall ausreichen, um sich über die Trägerin eines der bedeutendsten
politischen Ämter des Staates ein (Wert-)Urteil zu bilden.
Wie grotesk
die Situation ist, ersieht man daran, dass sich beispielsweise in den
Internet-Foren von Zeitungen schon zahlreiche Personen mit der Idee zu Wort
gemeldet haben, man möge doch in Anbetracht der bevorstehenden Ernennung
Bierleins (plus jener von Jabloner und Schallenberg) auf die Abhaltung von
Neuwahlen im Herbst überhaupt verzichten und statt dessen die im Entstehen
begriffene Expertenregierung gleich bis zum regulären Ende der
Legislaturperiode (2022) durcharbeiten lassen.
Zwar mag
die Vorstellung einer länger im Amt befindlichen Expertenregierung allenfalls einen gewissen Reiz haben – aber doch nie und nimmer zum jetzigen
Zeitpunkt, wo man von drei beteiligten Personen noch so gut wie nichts weiß,
von den Anderen nicht einmal die Namen kennt und diese (künftige) Regierung
noch gar nicht existiert, geschweige denn ihr Amt auch nur einen einzigen Tag ausgeübt hat! Es ist völlig irrational, wie manche Leute denken.
Was nun
konkret Bierlein betrifft, so beruht meine Kritik an der Kollektiv-Freude über
ihre bevorstehende Ernennung vor allem auch darauf, dass ich wohl behaupten
kann, sie fachlich um Einiges näher zu kennen, als dies bei den allermeisten
Jubler/innen der Fall sein wird. Bei aller gebotenen Diskretion erlaube ich mir
deshalb folgende, bewusst vorsichtig formulierte Einschätzung abzugeben:
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Bierlein der ideologischen Linie der bisherigen ÖVP-FPÖ-Regierung weitaus mehr entspricht, als jene vermuten würden, die sich über ihre Ernennung zur Kanzlerin derzeit so naiv-unkritisch freuen.
Dass den beiden Parteien ÖVP und FPÖ die Ernennung zusagt, ist also klar. (Nicht
umsonst haben sie – sogar einschließlich des blauen Hardliners Kickl – auf die Ankündigung vom Donnerstag umgehend und vorbehaltlos positiv
reagiert.) Aber was um alles in der Welt veranlasst (tatsächliche oder
vermeintliche) Linke oder auch nur "links der Mitte" Stehende dazu, den Umstand zu begrüßen, dass eine solche Frau Kanzlerin wird? Nämlich eine Frau, bei der man davon ausgehen kann, dass sie weltanschaulich
im Wesentlichen eine konsequente Fortsetzung von Türkis-Blau darstellt – halt nicht mit der
Stampiglie "Politikerin", sondern mit der Stampiglie
"Expertin". (Dass eine bloße
Übergangskanzlerin voraussichtlich eher zurückhaltend agieren und wahrscheinlich ohnedies nicht viele Gelegenheiten zu einer ideologisch ausgerichteten Amtsführung haben
wird, liegt nahe, ändert aber nichts am prinzipiellen Befund.)
Jedenfalls kann ich mich nur darüber wundern, wie Linke oder Pseudo-Linke die bevorstehende
Ernennung kommentierten.
Ich greife
nur zwei Beispiele heraus:
Die (für
mich aus verschiedenen Gründe pseudo-linke) SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner
meinte:
"Klarerweise
freue ich mich persönlich sehr über die Entscheidung des Bundespräsidenten,
Brigitte Bierlein zur Übergangskanzlerin in dieser schwierigen Zeit zu
machen."
(ORF, "Zeit im Bild 1", 30. Mai)
Warum das
klar ist, bleibt zwar völlig offen. (In der Sendung war auch nur der eben
zitierte Satz von ihr zu hören). Aber dass von Rendi-Wagner politisch absolut
nichts zu halten ist, wusste ich ohnehin schon lange.
Das zweite
Beispiel ist wahrscheinlich interessanter: Julya Rabinowich ist unter anderem
Schriftstellerin und Theaterautorin; sie hat (zum Beispiel in Artikeln in der
Zeitung "Der Standard") immer wieder massive Kritik an der nunmehr
abgewählten ÖVP-FPÖ-Regierung geübt, und sie hat sich (soweit mir bekannt)
auch unmissverständlich für Flüchtlinge engagiert.
Wenn man
Bierlein ein bisschen kennt, kann man sich daher nur fassungslos wundern, wie
naiv Rabinowich der Personalentscheidung des Bundespräsidenten gegenübersteht:
Gleich nach
Bekanntwerden der freudigen Nachricht postete Rabinowich auf Twitter im Stil
eines Teenagers, der soeben von einem bevorstehenden Auftritt seines Pop-Idols erfahren hat:
"YeaHHHHH!!!
VfGH-Präsidentin Brigitte Bierlein wird Kanzlerin"
Etwas
später meinte sie:
"Auch die weitere Entwicklung klingt doch fein und
beruhigend. Bierlein wird Übergangskanzlerin"
Und auf ein
Posting von Nikolaus Kern, welches lautet:
"Wozu brauchen
wir momentan eigentlich noch Neuwahlen?
Ernstgemeinte Frage."
Ernstgemeinte Frage."
reagierte
Rabinowich mit folgendem Kommentar:
"Ich gewinne immer mehr Bauchschmetterlinge bei diesem Gedankengang."
Unfassbar,
welch naive Traumtänzer/innen es in Österreich gibt.
Einzig und
allein zwei Motive scheinen bei vielen "linken" Bierlein-Sympathisant/innen eine Rolle zu spielen: "Sebastian
Kurz ist nicht mehr Kanzler!" Und bei den Feministinnen unter ihnen zusätzlich: "Hurra, es
ist eine Frau!" (Jubeln sie einer Frau allein deshalb zu, weil sie es in
eine Spitzenposition geschafft hat?)
Wenn
Menschen mit einer derart unreflektierten Geisteshaltung dann auch noch zu den
(Links-)Intellektuellen des Landes zählen (wie zum Beispiel Frau Rabinowich),
wird die Sache besonders unerfreulich und deprimierend.
3.3. Alexander Van der Bellen
Ich habe
von ihm bereits in der ersten Phase seiner Amtszeit nicht viel gehalten und das
auch hier im Blog begründet (siehe die Einträge "Tabubruch und Rückzieher" und "Ein schwacher Bundespräsident"). Man sollte in
der nunmehrigen Situation vor allem auch nicht vergessen, dass er es war, der
die nunmehr gestürzte Regierung nicht nur angelobt, sondern sie geradezu in ihr Amt gegrinst
hatte.
Was jedoch Van der Bellens
Vorgehen in der politischen Krise seit Bekanntwerden des Ibiza-Videos betrifft,
so gibt es bei neutraler und strikt juristischer Betrachtung an ihm meines
Erachtens nichts zu kritisieren. Er hat das getan, was die
Bundesverfassung in solchen Situationen vorsieht. Nicht mehr und nicht weniger.
Genau das ist aber der Grund, warum es auch nichts groß an ihm zu loben gibt,
wie das in den letzten zwei Wochen leider österreichweit üblich geworden ist.
Ironisch
formuliert: Wer lesen kann und weiß (oder von seinen Beratern gezeigt bekommt),
an welchen Stellen der Verfassung er nachschlagen muss, der bringt das mühelos zustande,
was Van der Bellen in den letzten zwei Wochen gemacht hat.
Der Rechtshistoriker Thomas Olechowski hat es neulich treffend so ausgedrückt:
"Es
ist eine besondere politische Situation da – und genau hier bewährt sich die
Verfassung [Anm.: aus 1920/29]. Genau hier sieht man, dass man sich schon vor
hundert Jahren das genau vorstellen konnte, wie es passieren könnte. All diese
Vorgänge der letzten Tage sind genau vorgezeichnet; und sie sind auch ganz
genau eingehalten worden."
(ORF,
"Zeit im Bild 2", Mittwoch, 29. Mai)
Sogar der
Bundespräsident selbst hat – wenngleich in etwas eigenartiger Wortwahl – mehrmals zugegeben, dass immer völlig klar war, wie er vorzugehen hat. (Deshalb ist ihm auch keine Schuld am gegenwärtigen Kult um seine Person zu geben.) Beispielsweise meinte er am 27. Mai in Zusammenhang mit
der Entlassung der Regierung Kurz infolge des parlamentarischen Misstrauensvotums:
"Das ist zwar kein alltäglicher, aber doch im
Grunde genommen ein ganz normaler, demokratischer Vorgang.
Und was mich dabei beruhigt: Wir haben unsere elegante österreichische
Bundesverfassung, die uns durch diese Tage leitet.
Und auf die Bundesverfassung ist Verlass."
Mit anderen
Worten: Der Staat (oder auch nur dessen "Stabilität") stand in keinem
Moment vor dem Zusammenbruch – und das ist nicht das Verdienst eines
heldenhaften Bundespräsidenten. Es genügte, dass er in die Verfassung schaute
und umsetzte, was dort für die betreffenden Situationen vorgegeben ist.
Manche
überschlagen sich dennoch vor Lobhudelei für die Person Van der Bellens. Nur ein Beispiel sei zur Veranschaulichung
genannt: Auf dem Twitter-Konto des Bundespräsidenten ist seine eben auszugsweise
zitierte Stellungnahme auch veröffentlicht; und dort veranlasste sie einen (mir unbekannten) Christian Müller zu folgendem Kommentar:
"Es ist schon sehr beachtenswert wie Sie mit ihrer
Ruhe, Gelassenheit, Wertschätzung, Sicherheit, Besonnenheit und Menschlichkeit
gerade diese Werte vorleben, die in den letzten Monaten verloren gegangen
schienen. Vielen Dank"
(https://twitter.com/Christi11930089/status/1133111926265929728)
(https://twitter.com/Christi11930089/status/1133111926265929728)
Wie schon oben erwähnt: Ich finde nicht, dass Van der Bellen
bei den Ereignissen der letzten Zeit juristisch-objektiv einen Fehler gemacht
hat. Aber es ist absurd, diese Selbstverständlichkeit zur Mythenbildung und zu
einer Art Personenkult hochzuspielen.
In politischer
Hinsicht gab es für den Bundespräsidenten freilich gewisse von der Verfassung
eingeräumte Spielräume, die er auch anders (aus meiner Sicht vielleicht sogar besser) hätte nützen können.
Auch das
bestätigt Olechowski in seiner Stellungnahme im ORF. Er meint (auf die Frage: "Hätte die politisch völlig neue
Situation [der letzten Tage] sich
auch anders entwickeln können?"):
"Natürlich
wäre es [auch] anders gegangen. Ein anderer Bundespräsident (wir haben eine
sehr umstrittene Bundespräsidentenwahl gehabt) hätte vielleicht anders reagiert.
Das ist jetzt eine schwierige Frage ('Was wäre, wenn …?'), ob es dann
konfrontativ gewesen wäre. So oder so hätte alles auf Neuwahlen hinauslaufen
müssen."
(ORF,
"Zeit im Bild 2", Mittwoch, 29. Mai)
Der letzte
Satz Olechowskis zeigt, dass der Endeffekt ganz unspektakulär der gleiche
gewesen wäre wie unter Van der Bellen: Neuwahlen. Anders gesagt: Auch wenn der
FPÖ-Kandidat Norbert Hofer die Bundespräsidentenwahl gewonnen hätte, wäre es
jetzt zu keinem Militärputsch, keiner Ausrufung einer Diktatur von
FPÖ-Politikern, zu keinen Massenverhaftungen von Regierungsgegnern oder anderen
Horrorszenarien gekommen, die offenbar diffus in den Köpfen jener herumspuken,
die derzeit erleichtert ausrufen: "Wie gut, dass 'wir' jetzt Van der
Bellen (die ganz Infantilen sagen auch: 'den Sascha') in der Hofburg haben.
Nicht auszudenken, wenn Hofer jetzt Präsident wäre."
Dabei lässt
sich das recht gut ausdenken:
Der
wahrscheinlich entscheidendste Punkt, in dem sich das Verhalten Hofers von
jenem Van der Bellens vermutlich unterschieden hätte, betrifft das Schicksal
Herbert Kickls als Innenminister.
Vorauszuschicken
ist, dass wir gar nichts über die Hintergründe der Entlassung Kickls wissen:
Hat Kurz von sich aus die FPÖ (erfolglos) zur Ablöse Kickls gedrängt (und die
Ablöse zur Bedingung der Fortsetzung der Koalition gemacht)? Oder war es Van
der Bellen, der auf Kurz dahingehend Druck ausgeübt hat, die Gunst der Stunde –
nämlich den Rücktritt Straches – zu nützen, um gleich auch den umstrittenen
Innenminister aus der Regierung zu entfernen?
Wir werden
das wohl nie erfahren. Faktum ist, dass Kurz dem Bundespräsidenten den
"Vorschlag" (gemäß Art. 70 B-VG) gemacht hat und Van der Bellen
diesem Vorschlag entsprochen hat. Verpflichtet wäre er nach der
herrschenden Lehre dazu wohl nicht gewesen.
Gibt es also rechtlich keine Bindung des Bundespräsidenten, dem Vorschlag des Kanzlers auf Entlassung eines
Ministers zu folgen, wäre nachstehendes hypothetisches Szenario vorstellbar:
Sofern Kurz
auch unter einem Bundespräsidenten Hofer die Entlassung Kickls als
Innenminister vorgeschlagen hätte (wir wissen ja gar nicht, ob es unter Hofer
überhaupt dazu gekommen wäre – persönlich zweifle ich daran), so hätte Hofer
dazu wahrscheinlich "Nein" gesagt. Zerbrochen wäre die
Regierungskoalition damit wohl ebenso, wie das in der Realität der Fall war.
Auslöser wäre halt nicht eine Konfrontation "Kanzler im Bündnis mit dem
Präsidenten versus FPÖ" gewesen, sondern eine Konfrontation "Kanzler
versus Präsident im Bündnis mit der FPÖ". Wie immer sich die Geschehnisse
dann weiterentwickelt hätten – am Ende wären sicherlich Neuwahlen gestanden (so
wie das auch Olechowski in seinen oben zitierten Ausführungen dargelegt hat).
In der Zeit bis dahin hätte es vielleicht ebenfalls eine Expertenregierung gegeben,
und die Übergangskanzlerin hätte möglicherweise genauso Bierlein geheißen –
eingesetzt dann nicht von einem Van der Bellen, sondern von einem Hofer. Das hätte
vermutlich massive Proteste der FPÖ-Gegner/innen gegen eine "rechte"
Kanzlerin ausgelöst; also genau gegen jene Frau, die nun – wo sie ja der weise
und besonnene Staatsvater "Sascha" ernannt hat – denselben
Personenkreis zur Einschätzung veranlasst, dass die Entwicklung "fein und
beruhigend" sei (siehe Julya Rabinowich).
Schlussfolgerung:
Auch mit Hofer als Bundespräsident hätte alles den von der Verfassung
vorgegebenen Verlauf genommen. Weder wäre der Staat zusammengebrochen noch
hätte er sich in eine Diktatur verwandelt.
Nur die
naiven Halb- und Pseudo-Linken sowie die Medien wären um die Gelegenheit gebracht
gewesen, zwei Personen ohne nachvollziehbaren Grund zu neuen Stars der Republik
hochzujubeln.