Ein (derzeit suspendierter) Sektionschef des Justizministeriums, Christian Pilnacek, und ein Verfassungsrichter und vormaliger Justizminister, Wolfgang Brandstetter, haben vor einiger Zeit über ihre Mobiltelefone Chat-Nachrichten ausgetauscht, die nun (nebst weiterer solcher Nachrichten Pilnaceks) öffentlich geworden sind und viel Staub aufwirbeln. Brandstetter gab aufgrund dessen gestern seinen Rücktritt vom Amt des Verfassungsrichters mit Ende des Monats bekannt.
Verluderte Medien haben – im Zusammenwirken mit einer skrupel- und gewissenlosen politischen Partei (den "Neos") – wieder einmal ganze Arbeit geleistet und gleichsam die Rolle des Anklägers, Richters und Henkers in einem übernommen. Von einer medialen Hinrichtung der Herren Brandstetter und Pilnacek zu sprechen, ist keinesfalls übertrieben.
Nun sind die beiden Opfer keine schwachen Opfer, und für Mitleid mit ihnen besteht keinerlei Grund. Ideologisch sympathisch sind sie mir beide auch nicht, und insbesondere im Fall Pilnaceks ertappte ich mich sogar dabei, spontan eine gewisse Schadenfreude zu empfinden. All das ändert aber nichts daran, dass es sich um Opfer handelt – solche einer niederträchtigen Polit-Intrige und Medienhatz, die meines Erachtens deutlich schwerer wiegt als das Fehlverhalten, das den beiden Herren aufgrund des Inhalts der von ihnen verfassten Chat-Nachrichten anzulasten ist*.
*[Dieser Inhalt wäre einer eigenen Betrachtung wert. (Nachdem er ohnehin bereits ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt und medial breitgetreten wurde, wäre eine solche Analyse nichts Verwerfliches mehr.) Das kommt vielleicht in einem anderen Blog-Eintrag. Hier geht es mir um die Hinrichtung.]
Die in Rede stehenden Chat-Nachrichten wurden (legal, und der Kategorie "vertraulich" zugeordnet) von der Staatsanwaltschaft Innsbruck einem derzeit tagenden parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorgelegt. Wie sich herausgestellt hat, waren es die Neos, die in weiterer Folge diese Inhalte an die Medien weitergegeben haben.
Die unverschämte Rechtfertigung lautet beispielsweise in einer Aussendung des Generalsekretärs der Neos, Nick Donig, so:
"Klar
ist: Diese Chat-Nachrichten sind keinesfalls 'privat' und daher irrelevant für
die Öffentlichkeit, wie die ÖVP nun aufgeregt behauptet. Im Gegenteil: Die
Informationen in diesen Chats sind von immenser Brisanz und öffentlicher
Relevanz. Wer anderes behauptet, will nicht den Rechtsstaat schützen, sondern
die türkise Familie. Die veröffentlichten Chats hätten daher niemals als
'vertraulich' gelten dürfen. Einen eventuell damit verbundenen Ordnungsruf
[Anm.: durch den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses wegen der
Publizierung vertraulicher Unterlagen] wird jeder ordentliche Demokrat und
jede ordentliche Demokratin natürlich akzeptieren, denn sie oder er weiß: In
der Abwägung zwischen dem Vertuschen eines drohenden Staatsversagens und der
Wahrheit ist dieser immer der Vorzug zu geben und eine Rüge in Kauf zu nehmen."
(Quelle: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210603_OTS0056/neos-fordern-konsequenzen-in-der-causa-pilnacek-wer-dem-rechtsstaat-nicht-dienen-will-ist-in-der-justiz-fehl-am-platz
)
Was man nicht allein diesen selbstgefälligen, heuchlerischen, anmaßenden und suggestiven Behauptungen alles entgegenhalten könnte!
Der stellvertretende Klubobmann der Neos, Nikolaus Scherak, meinte in ähnlichem Sinne:
"Wenn sich ein ranghoher Beamter des Justizministeriums und ein Verfassungsrichter derart herabwürdigend, abfällig und respektlos über den Verfassungsgerichtshof, einzelne Mitglieder des VfGH, die WKStA [Anm.: Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft] und den Rechtsstaat an sich äußern, dann ist das eine Gefahr für den Rechtsstaat, dann hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, das zu erfahren."
Den Neos-Halunken geht es natürlich nicht um den Rechtsstaat. Ebenso wenig wie es ihnen um die von ihnen sonst stets ins Treffen geführte Wahrung von Datenschutz, Privatsphäre bzw. Grundrechten im Allgemeinen geht. Solche Beteuerungen sind spätestens dann als Heuchelei und Lüge entlarvt, wenn man private Chat-Nachrichten ohne jede Notwendigkeit den Medien zuspielt. Die Neos-Halunken wollen sich politisch profilieren – und dazu ist ihnen jedes noch so schäbige Mittel recht.
Der Nachweis für all das ist spielend leicht zu erbringen:
Hätten die Neos redliche Absichten verfolgt, wäre die ebenso simple wie korrekte Vorgangsweise folgende gewesen:
Meldung des Inhalts der Chatnachrichten an die zuständigen Dienstbehörden der Herren Pilnacek und Brandstetter (das wären Justizministerin bzw. Verfassungsgerichtshof) samt Anregung auf Erstattung einer Disziplinaranzeige bzw. auf Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens; allenfalls – nämlich bei Verdacht von gerichtlich strafbarem Verhalten – zusätzlich Anzeigeerstattung bei der Staatsanwaltschaft bzw. bei Gericht.
Mit anderen Worten: Klärung von Vorwürfen und Sanktionierung von allfälligem Fehlverhalten durch die zuständigen Organe im dafür vorgesehenen Verfahren. So läuft das im Rechtsstaat, der den Neos angeblich so am Herzen liegt. (Das gleichfalls ständig beschworene "öffentliche Interesse" wäre nach Abschluss des jeweiligen Verfahrens durch seriöse Berichterstattung über dessen Ausgang zu bedienen gewesen.)
Nur im (hypothetischen) Fall, dass die zuständigen Stellen die Angelegenheit vertuschen (oder sonstwie rechtswidrig agieren) würden, wäre eine Öffentlichmachung von Chat-Nachrichten allenfalls legitim. Nur und erst dann!
Fazit: Der Rechtsstaat wird von den selbsternannten Demokratie-Wohltätern nicht nur nicht geschützt; er wird von ihnen ignoriert, missachtet und geschwächt.
So viel primär zur Rolle der Neos. Dass die Medien wieder einmal ihre ganze Niedertracht unter Beweis gestellt haben, indem sie vertrauliches Material unter dem verlogenen Vorwand des "öffentlichen Interesses" publizierten (und es natürlich auch gleich einseitig in ihrem Sinne kommentierten), bedarf keiner näheren Erörterung.