Freitag, 4. Juni 2021

Mediale Hinrichtung

Ein (derzeit suspendierter) Sektionschef des Justizministeriums, Christian Pilnacek, und ein Verfassungsrichter und vormaliger Justizminister, Wolf­gang Brandstetter, haben vor einiger Zeit über ihre Mobiltelefone Chat-Nach­rich­ten ausgetauscht, die nun (nebst weite­rer solcher Nachrichten Pilnaceks) öffentlich geworden sind und viel Staub aufwir­beln. Brandstetter gab aufgrund dessen gestern seinen Rücktritt vom Amt des Ver­fas­sungs­richters mit Ende des Monats bekannt.

Verluderte Medien haben – im Zusammenwirken mit einer skrupel- und gewissenlosen politischen Partei (den "Neos") – wieder einmal ganze Arbeit geleistet und gleichsam die Rolle des Anklägers, Richters und Henkers in einem übernommen. Von einer media­­len Hinrichtung der Herren Brandstetter und Pilnacek zu sprechen, ist keinesfalls übertrieben. 

Nun sind die beiden Opfer keine schwachen Opfer, und für Mitleid mit ihnen besteht keinerlei Grund. Ideologisch sympathisch sind sie mir beide auch nicht, und insbe­son­dere im Fall Pilnaceks ertappte ich mich sogar dabei, spontan eine gewisse Schadenfreude zu empfinden. All das ändert aber nichts daran, dass es sich um Opfer handelt – solche einer niederträchtigen Polit-Intrige und Medienhatz, die meines Erachtens deutlich schwerer wiegt als das Fehlverhalten, das den beiden Herren aufgrund des Inhalts der von ihnen verfassten Chat-Nachrichten anzulasten ist*.

*[Dieser Inhalt wäre einer eigenen Betrachtung wert. (Nachdem er ohnehin bereits ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt und medial breitgetreten wurde, wäre eine solche Ana­lyse nichts Verwerfliches mehr.) Das kommt vielleicht in einem anderen Blog-Eintrag. Hier geht es mir um die Hinrichtung.] 

Die in Rede stehenden Chat-Nachrichten wurden (legal, und der Kategorie "vertraulich" zugeordnet) von der Staatsanwaltschaft Innsbruck einem der­zeit tagenden parlamenta­ri­schen Untersuchungsausschuss vorgelegt. Wie sich herausge­stellt hat, waren es die Neos, die in weiterer Folge diese Inhalte an die Medien weiter­gegeben haben.

Die unverschämte Rechtfertigung lautet beispiels­weise in einer Aussendung des Generalsekretärs der Neos, Nick Donig, so:

"Klar ist: Diese Chat-Nachrichten sind keinesfalls 'privat' und daher irrelevant für die Öffentlichkeit, wie die ÖVP nun aufgeregt behauptet. Im Gegenteil: Die Informationen in diesen Chats sind von immenser Brisanz und öffentlicher Relevanz. Wer anderes be­haup­tet, will nicht den Rechtsstaat schützen, sondern die türkise Familie. Die ver­öffent­lichten Chats hätten daher niemals als 'vertraulich' gelten dürfen. Einen eventuell damit ver­bun­denen Ordnungsruf [Anm.: durch den Vorsitzenden des Unter­su­chungs­aus­schusses wegen der Publizierung vertraulicher Unterlagen] wird jeder ordent­liche Demo­krat und jede ordentliche Demokratin natürlich akzeptieren, denn sie oder er weiß: In der Abwägung zwischen dem Vertuschen eines dro­hen­den Staats­versagens und der Wahrheit ist dieser immer der Vorzug zu geben und eine Rüge in Kauf zu nehmen."
(Quelle: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210603_OTS0056/neos-fordern-konsequenzen-in-der-causa-pilnacek-wer-dem-rechtsstaat-nicht-dienen-will-ist-in-der-justiz-fehl-am-platz )

Was man nicht allein diesen selbstgefälligen, heuchlerischen, anmaßenden und suggestiven Behauptungen alles entgegenhalten könnte! 

Der stellvertretende Klubobmann der Neos, Nikolaus Scherak, meinte in ähnlichem Sinne:

"Wenn sich ein ranghoher Beamter des Justizministeriums und ein Ver­fas­sungsrichter derart herabwürdigend, abfällig und respektlos über den Verfassungsgerichtshof, einzel­ne Mitglieder des VfGH, die WKStA [Anm.: Wirtschafts- und Korruptions­staats­anwaltschaft] und den Rechtsstaat an sich äußern, dann ist das eine Gefahr für den Rechtsstaat, dann hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, das zu erfahren."  

(Quelle: https://www.sn.at/politik/innenpolitik/scharfe-auseinandersetzung-ueber-chat-veroeffentlichung-104747044 )

Den Neos-Halunken geht es natürlich nicht um den Rechtsstaat. Ebenso wenig wie es ihnen um die von ihnen sonst stets ins Treffen geführte Wahrung von Datenschutz, Privatsphäre bzw. Grundrechten im Allgemeinen geht. Solche Beteuerungen sind spätestens dann als Heuchelei und Lüge entlarvt, wenn man private Chat-Nachrichten ohne jede Notwendigkeit den Medien zuspielt. Die Neos-Halunken wollen sich politisch profilieren – und dazu ist ihnen jedes noch so schäbige Mittel recht.

Der Nachweis für all das ist spielend leicht zu erbringen:

Hätten die Neos redliche Absichten verfolgt, wäre die ebenso simple wie korrekte Vorgangsweise folgende gewesen:

Meldung des Inhalts der Chatnachrichten an die zuständigen Dienstbehör­den der Herren Pilnacek und Brandstetter (das wären Justizministerin bzw. Verfassungs­ge­richts­hof) samt Anregung auf Erstattung einer Diszipli­nar­an­zei­ge bzw. auf Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens; allenfalls näm­lich bei Verdacht von gerichtlich strafbarem Verhalten zusätzlich Anzeige­erstattung bei der Staatsanwaltschaft bzw. bei Gericht. 

Mit anderen Worten: Klärung von Vorwürfen und Sanktionierung von all­fälligem Fehl­verhalten durch die zuständigen Organe im dafür vorgese­henen Verfahren. So läuft das im Rechtsstaat, der den Neos angeblich so am Herzen liegt. (Das gleichfalls ständig beschworene "öffentliche Interesse" wäre nach Abschluss des jeweiligen Verfahrens durch seriöse Bericht­erstattung über dessen Ausgang zu bedienen gewesen.)

Nur im (hypothetischen) Fall, dass die zuständigen Stellen die Angelegenheit vertuschen (oder sonstwie rechtswidrig agieren) würden, wäre eine Öffent­lich­machung von Chat-Nachrichten allenfalls legitim. Nur und erst dann! 

Fazit: Der Rechtsstaat wird von den selbsternannten Demokratie-Wohl­tä­tern nicht nur nicht ge­schützt; er wird von ihnen ignoriert, missachtet und geschwächt.

So viel primär zur Rolle der Neos. Dass die Medien wieder einmal ihre ganze Niedertracht unter Beweis gestellt haben, indem sie vertrauliches Material unter dem verlogenen Vorwand des "öffentlichen Interesses" publi­zierten (und es natürlich auch gleich ein­seitig in ihrem Sinne kommen­tier­ten), bedarf keiner näheren Erörterung.