Dienstag, 13. September 2022

Das "Peter-Pisa-Wenn"

Es gibt in unserer Zeit (und nicht nur in dieser) wahrlich Schlimmeres als ein sprachliches Missgeschick in Form der Nichtbeachtung einer Grammatik­regel (sei es irrtümlich oder aus Unkenntnis).

Wenn ich mich heute dennoch mit (genau genommen) zwei solcher Regel­verstöße beschäftige, so ist das also keinesfalls Selbstzweck. Im Verlauf meines Texts wird deutlich werden, was mich dazu veranlasst hat. 

Am vergangenen Freitag (9. September 2022) schrieb Peter Pisa im "Kurier" wieder einmal seine Kolumne "Pisa schaut fern". Darin geht es bekannt­lich so gut wie nie um substanzielle Kritik an einer Fern­seh­sendung, an der Programmgestaltung oder Ähnlichem. Vielmehr nimmt sich Pisa mit Vorliebe irgendwelcher beim Zuschauen aufgeschnappter Wort­meldungen an, die er dann in der Manier eines pubertären Jugendlichen genüsslich in schlüpfrig-zweideutiger Weise interpretiert bzw. kommentiert. Alles, was irgendwie dem Bereich Toilette / Fäkalien und verwandten Themen zuzuord­nen ist, scheint ihm dabei besonderen Genuss zu bereiten. (Einschlägige Beispiele zu zitie­ren, erspare ich mir und den Leser/innen meines Blogs.)

Das ist sozusagen das psychopathologische Feld von Pisas kolumnisti­scher Aktivität. Er hat aber auch noch ein zweites Standbein: jenes des gehäs­si­gen Sprachoberlehrers. 

Am Freitag hat er wieder einmal in der eben genannten Funktion sein Unwesen getrieben. Anlass war ein sprachlicher Ausrutscher, der dem derzeitigen Bildungsminister (und vormaligem Universitätsprofessor für Rechts­geschich­te sowie Rektor der Universität Graz), Martin Polaschek, unterlaufen ist und laut Pisa in der Nachrichtensendung "Zeit im Bild" zu hören war: In Zu­sam­menhang mit Stromspar-Maßnahmen soll Polaschek den Schulen empfohlen haben, dass die Router während des Wochenendes

"abgeschalteN werden".   

Der Buchstabe "N" im ersten Wort ist das, was Pisa stört. Denn richtig – so belehrt er uns – hätte es zu heißen: "abgeschalteT".

Und damit uns allen klar wird, wie ungeheuerlich die sprachliche Untat Polascheks ist (mir wäre sie gar nicht aufgefallen), stellt Pisa fest: 

"Lehrer streichen 'abgeschalteN' rot als Rechtschreibfehler an."

Aus dem dramatischen Ereignis vor laufender Fernseh­kamera zieht Pisa am Ende seines Texts nachstehende Schlussfolgerung: 

"Und dann tritt ausgerechnet der Bildungsminister auf und sagt, abge­schalteN soll werden. Deshalb ist der Zeitpunkt gekommen, sich geschlagen zu geben. Die Niederlage hat müde gemacht, und bald ist man einge­schlaft."

Schon hat der Herr Redakteur seine Kolumne wieder mit ein paar besser­wisserischen und peinlich-halblustigen Zeilen gefüllt und einer Lappalie einen Kommentar gewidmet, dessen dürftige Quintessenz darin besteht, den Bildungsminister durch die Blume als ungebildeten Deppen hinzustellen. 

Aber das allein hätte mich nicht veranlasst, diesen Blogeintrag zu schreiben. Das Beste (weil Entlarvendste) kommt noch, und es steht ganz am Beginn von Pisas Text. Der erste Absatz seines Artikels vom Freitag lautet (Fett­druck von mir):

"Na gut, man muss wissen, wenn man verloren hat. Der Bildungsminister ist stärker. Er war ja sogar Rektor der Universität Graz." 

Über den ersten Satz bin ich gleich beim ersten Lesen gestolpert: "… man muss wissen, wenn man verloren hat" ?? Das klang für mich sofort holprig-"un­rund".

Und schnell war mir dann klar, woran es liegt: Pisa kann nicht zwischen "wenn" und "wann" unterscheiden. In korrektem Deutsch hätte der erste Satz zu lauten: 

"Na gut, man muss wissen, wann man verloren hat."

Es handelt sich übrigens in der Zeitung um keinen bloßen Druckfehler, der dieses "wann" unbeabsichtigt zu einem "wenn" gemacht hätte: Eine E-Mail, die mir Pisa noch am Freitag auf eine Nachricht meinerseits schickte, machte klar, dass er tatsächlich "wenn" gemeint hatte und das damit ver­bun­dene sprach­li­che Problem gar nicht kapierte. 

Also musste ich mich selbst als Sprachoberlehrer betätigen und Pisa – in einem zweiten Anlauf – folgende (eigentlich relativ simple) Zusammenhänge erläutern:

Das Wort "wenn" kann zwei Grundfunktionen haben (entsprechend der Unterscheidung "if" und "when" im Englischen): 

A) "Ich komme am Nachmittag zu dir, wenn die Sonne scheint." ("wenn" in der Bedeutung "falls" / "für den Fall, dass" → konditional)

B) "Ich rufe dich an, wenn ich mit der Arbeit fertig bin." ("wenn" in der Bedeutung "sobald" → temporal) 

Mit dem konditionalen "wenn" (lit. A) hat Pisas Satz schon mal überhaupt nichts zu tun. Er sei nochmals zitiert:

"Na gut, man muss wissen, wenn man verloren hat."  

Das ist selbstverständlich kein "wenn" in der Bedeutung "falls".

Man könnte höchstens – mit viel Ach und Krach – argumentieren, Pisa hätte ein zeitliches "wenn" (lit. B) gemeint. So im Sinne von: 

"Na gut, man muss wissen, wann der Moment gekommen ist, in dem man verloren hat."

Stilistisch ist der von Pisa formulierte Wenn-Satz dann aber immer noch miserabel. Und ich behaupte: Er ist sogar grammatikalisch falsch. Denn das "wenn" entspricht hier auch keinem "sobald": 

"Na gut, man muss wissen, sobald man verloren hat." (???)

Die Probe aufs Exempel kann man auch mit folgenden Sätzen machen:

- "Man muss [als gebildeter Mensch] wissen, wenn der Zweite Weltkrieg be­gon­nen hat." (???)

oder:

- "Ich weiß, wenn er mich das letzte Mal besucht hat." (???)

Da würde wohl nicht einmal ein Peter Pisa das Wort "wenn" gebrauchen. In beiden Beispielen muss es selbstverständlich heißen: "wann".

Der Satz aus dem Kurier mit dem "Pisa-Wenn" kann einem im gesproche­nen Deutsch durch­aus herausrutschen, und daraus ein Problem zu machen, wäre lächerlich. Die Sache sieht schon etwas anders aus, wenn ihn ein Journalist in eine der auflagenstärksten Zeitungen hineinschreibt (und dazu den Fehler nicht einmal nachträglich erkennt). Das wäre kritikwürdig, aber mit viel Wohlwollen noch irgendwie hinzunehmen. 

Ganz schlimm und blamabel wird die Angelegenheit allerdings dann, wenn dieser sprachliche Fehltritt ausgerechnet von einem Spötter und Besser­wisser wie Peter Pisa kommt – delikaterweise im selben Artikel, in dem er über einen anderen Menschen herzieht, weil dieser (mündlich) die Formulierung "abgeschalten" statt "abgeschaltet" gebraucht hat. Da passt der Spruch: "Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen."

Damit ist schon erklärt, warum die Sache für Pisa blamabel ist. Aber warum ich sie auch für ganz schlimm halte, sollte ich konkretisieren: Ich meine damit nicht (oder nur zu einem geringen Teil) den sprachlichen Aspekt. (Siehe oben den Beginn meines Eintrags: Es gibt Schlimmeres.) Doch Pisas sprachliche Fehlleistung gesellt sich – gleichsam als Krönung – zu seinen charakterlichen Fehlleistungen, wie sie sich regelmäßig in seinen Kolumnentexten manifestieren: zur Herablassung, zur Schadenfreude und zum Spott, mit dem er über Menschen herzieht, weil sie sich (im Fernsehen) einen belanglosen Versprecher oder einen sonstigen (ebenso belanglosen) sprachlichen Ausrutscher zuschulden kommen ließen, oder weil ihm ihre Art zu reden nicht zusagt. (Ich habe hier im Blog schon einmal einen konkreten Fall erwähnt – Pisas völlig ungerechtfertigte Häme über eine Moderation Tarek Leitners: "Ein Moderator wird verspottet".) 

Dieses Lauern auf das Missgeschick eines Anderen, um ihn genüsslich und gnadenlos dem Gespött der Meute preisgeben zu können – das erinnert fatal an etwas, das wahrscheinlich Viele in ihrer Schulzeit beobachten konnten: nämlich ein ganz ähnliches Verhalten, das manche pubertierende Jugendliche an den Tag legen – sei es gegenüber Klassenkollegen, sei es gegenüber bestimmten (als "schwach" erkannten) Lehrern und Lehrerinnen.

Ein Fernsehmoderator oder gar ein Politiker ist einer solchen Situation sicher viel besser gewachsen als Schüler/innen oder bestimmte Lehrer/in­nen. Keine Frage. Aber um diesen Unterschied geht es im vorliegenden Zusammenhang nicht. Es geht um den gleichartigen "Bösartigkeits­mechanismus". 

Pisa scheint in mehrfacher Hinsicht der Pubertät nicht entwachsen zu sein.

Das gilt übrigens auch für viele (deutsche und österreichische) Kabaret­tist/in­nen, die ihre Programme oft nach einem ganz ähnlichen Prinzip ge­stal­ten: einem widerlichen (in der Spaßgesellschaft gerne zu "Humor" umdekla­rier­ten) Gemisch aus degoutanten Vulgärgeschichten und der beschriebenen – einzig auf billige Lacher abzielenden – Häme über Pannen oder Schwä­chen eines anderen Menschen (wohlgemerkt nie über die eigenen).